„Eine spannende Parallele ist jene der Beschäftigung mit dem Thema Freiheit“ – JÖRG ULRICH KRAH im mica-Interview

Der Komponist und Cellist JÖRG ULRICH KRAH hat mit dem Pianisten BERNHARD PARZ in einem zehnjährigen Prozess die Brücke zwischen den Komponisten LUDWIG VAN BEETHOVEN und GEORG KATZER geschlagen. Fünf Sonaten für Cello und Klavier von Beethoven haben KRAH und PARZ interpretiert, drei „Postscripta“ wurden bei GEORG KATZER in Auftrag gegeben. Auf welche Weise sich die Werke Beethovens weiterschreiben lassen, welche Neukontextualisierung möglich ist und wie es zur Zusammenarbeit mit GEORG KATZER für das Doppelalbum „postscriptum B. – Beethoven Katzer Kontraste“ (Solo Musica) kam, erzählte JÖRG ULRICH KRAH im Gespräch mit Michael Franz Woels und Christoph Benkeser.

Was macht Ihr Interesse an den Werken des im letzten Jahr verstorbenen Komponisten Georg Katzer, der heuer seinen 85. Geburtstag gefeiert hätte und ein Pionier der Neuen Musik der ehemaligen DDR war, aus?

Jörg Ulrich Krah: Georg Katzers Musik ist sehr vielseitig, stets modern, progressiv und nach vorne blickend, zugleich aber auch die Tradition seiner Lehrer Ruth Zechlin und Hanns Eisler fortsetzend, insbesondere in ihrer dramaturgischen Anlage. Für mich gehört er zu den großen deutschen Komponisten des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, der das Ideal des genialen Künstlers mit einem wachen, aufgeklärten Geist wunderbar in Einklang bringen konnte und sich überaus vielseitig engagiert hat, beispielsweise im Rahmen von pädagogischen Projekten mit jungen Nachwuchsensembles. Seine Musik ist zweifelsohne zeitgenössisch, in ihrer Anlage und Eigensprachlichkeit aber so farbenreich, dass sie sich auch einem breiteren Publikum erschließen kann, ohne sich dabei jemals anzubiedern. Ein Komponist, der ein wunderbares Opus hinterlassen hat, das definitiv mehr programmiert und gespielt werden sollte.

Sie haben Ihre heuer erschienene Doppel-CD „postscriptum B. – Beethoven Katzer Kontraste“ genannt und die fünf Violoncellosonaten Ludwig van Beethovens gemeinsam mit dem Pianisten Bernhard Parz für das Münchner Klassiklabel „Solo Musica“ neu interpretiert und ergänzt. Welche Kontraste gibt es zwischen den Werken Beethovens und jenen von Georg Katzer?

Jörg Ulrich Krah: Beethovens fünf Cellosonaten stammen aus drei völlig unterschiedlichen Schaffensperioden und gehören zum Besten im Duorepertoire für Klavier und Violoncello. Immer wieder kann man neue Aspekte darin entdecken, die die Tonsprache der Wiener Klassik überaus farbig und kontrastreich erklingen lassen. Faszinierend ist die stilistische Entwicklung des Komponisten von den frühen Opus-5-Sonaten, in denen das Cello oftmals eine Obligatstimme zum Klavierpart übernimmt, zu den späten Opus-102-Werken, die beide Instrumente gleichberechtigt behandeln. Georg Katzer verwendet in seinen „Postscripta“ wirkungsvoll eine Tonsprache des 21. Jahrhunderts und nutzt dabei auch häufig Klangeffekte durch zeitgenössische Spieltechniken. Die Werke sind als Interludien zwischen den mehrsätzigen Sonaten Beethovens angelegt und kontrastieren auch durch diese formale Komponente. Da auch Beethovens Sonaten in sich viele unterschiedliche Aspekte aufweisen, sind die Kontraste auf verschiedensten Ebenen zu hören. Gegenüberstellungen sind immer spannend. Bei näherer Betrachtung finden sich auch zahlreiche Parallelen.

Der Titel „postscriptum“ lässt einen Anhang, ein Weiterschreiben, ein Anfügen vermuten. Aus welcher Perspektive hat Georg Katzer den Cellowerken Beethovens etwas anmerken können?

Jörg Ulrich Krah: Georg Katzer bezieht sich klar auf Beethoven und zitiert dessen Cellosonaten sogar ab und an, allerdings künstlerisch derart raffiniert verfremdet, dass dies nur in wenigen Momenten auffällt. Ein signifikantes Beispiel hierfür ist der Anfang des Kopfsatzes der fünften Sonate, dessen Nachschrift am Beginn des dritten „Postscriptums“ zu finden ist. Darüber hinaus schafft Katzer faszinierende Klangwelten, deren Gestik immer wieder beethovensche Züge durchklingen lässt, die aber insbesondere die progressiven Ansätze Beethovens durch die Handschrift eines zeitgenössischen Komponisten weiterführen. Losgelöst davon sind die drei „Postscripta“ eine wertvolle Ergänzung zum aktuellen Duorepertoire und können auch für sich selbst stehen.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Haben sich in den Überlegungen zu dieser CD auch übergenerationale Parallelen zwischen den beiden Komponisten entwickelt?

Jörg Ulrich Krah: In erster Linie ist es darum gegangen, einen zeitgenössischen Komponisten zu finden, dessen künstlerische Aussagekraft es mit jener eines Meisters wie Beethoven aufnehmen kann. Zweifelsohne hätte man dies auch mit einer Vertreterin oder einem Vertreter der jüngeren Generation durchführen können. Es hat aber gewiss eine Rolle gespielt, dass hier ein sehr erfahrener Künstler und Mensch gewirkt hat, der in diesen Auftragswerken Beethoven gerecht werden konnte und sich gleichermaßen zu hundert Prozent selbst treu geblieben ist. Eine spannende Parallele ist jene der Beschäftigung mit dem Thema Freiheit, das sowohl bei Beethoven wie auch bei Katzer zu finden ist, bedingt durch das politische Zeitgeschehen im jeweiligen Umfeld. Last, but not least sind beide Komponisten Jubilare im Jahr 2020.

„Georgs Musik, seine Bescheidenheit und sein Wissen haben mich von Anfang an fasziniert.“

Sie haben über zehn Jahre an der Zusammenstellung und Realisation dieser CD gearbeitet. Die Stücke von Georg Katzer sind in Ihrem Auftrag entstanden. Wie haben Sie den Kontakt zu Georg Katzer hergestellt?

Jörg Ulrich Krah: Ich durfte Georg Katzer vor etwa sieben Jahren persönlich kennenlernen. Er hat damals mit Studierenden gearbeitet, die ich im Rahmen verschiedener Projekte für zeitgenössische Musik ebenfalls betreut habe. Georgs Musik, seine Bescheidenheit und sein Wissen haben mich von Anfang an fasziniert. Im Lauf der Jahre ist dann eine kollegiale Freundschaft entstanden, die zu Begegnungen im Rahmen verschiedener Festivals und Einladungen zu Vorträgen und Präsentationen geführt hat. Durch inspirierende Gespräche beim abendlichen Wein kam mir dann die Idee, Georg zu unserem Beethoven-Projekt einzuladen und ihn mit den Neukompositionen zu beauftragen.

Jörg Ulrich Krah (c) Marcel Plavec
Jörg Ulrich Krah (c) Marcel Plavec

„Im Laufe unseres Probenprozesses ist uns das Progressive in Beethovens Musik immer bewusster geworden.“

Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet? Können Sie den Prozess rund um die Idee eines Postskriptums zu Beethovens Cello- und Klaviersonaten nachzeichnen?

Jörg Ulrich Krah: Wie Sie vorhin richtig sagten, kam uns die Idee, gemeinsam Beethoven aufzunehmen, schon vor vielen Jahren. Im Rahmen eines Hauskonzerts hatten Bernhard Parz und ich spontan etwas aus den Sonaten gespielt und haben ausgezeichnet harmoniert. Als wir dann vor etwa fünf Jahren beschlossen haben, dieses Projekt Wirklichkeit werden zu lassen, haben wir uns bewusst Zeit genommen, um unsere ganz persönliche Interpretation dieser Werke zu finden. Im Laufe unseres Probenprozesses ist uns das Progressive in Beethovens Musik immer bewusster geworden. So ist die Idee entstanden, anhand von neu komponierten Interludien Beethovens „moderner Seite“ Musik der Gegenwart gegenüberzustellen. Anfangs konnte sich Georg Katzer das nicht vorstellen, zumal er zu diesem Zeitpunkt zahlreiche andere Aufträge hatte. Einige Wochen später hat er mich mit der Bitte angerufen, ihm zur Anregung einige markante Notenbeispiele aus den Cellosonaten zukommen zu lassen. In seinem anschließenden Urlaub entstanden Anfang 2017 die ersten Entwürfe, die er uns mit der Bitte um Feedback geschickt hat. In der Folge hat sich ein spannender Prozess entwickelt, in dem eine interessante Parallele zwischen der Arbeitsweise Katzers und jener Beethovens sichtbar wurde. Beim Komponieren hat Georg Katzer immer wieder geändert, adaptiert und so lange perfektioniert, bis das Resultat für ihn vollkommen zufriedenstellend war. Aus Beethovens Skizzenbüchern ist eine ähnliche Vorgehensweise bekannt. Im November 2017 erfolgte die Uraufführung der Werke, die übrigens in Kürze bei der „Edition Gravis“ offiziell erscheinen werden.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Die „Postscripta“ Katzers seien „ein Sinnieren, ein Nachsinnen eines Komponisten unserer Zeit über Beethoven“, schreibt der Musikwissenschafter Christian Heindl im Booklet der CD. Welche Neukontextualisierung lässt das Werk eines arrivierten Komponisten wie Beethoven zu?

Jörg Ulrich Krah: Gegenüberstellungen von Historischem und Aktuellem finde ich grundsätzlich spannend, da beide Seiten davon profitieren können. Noch interessanter ist es, wenn dramaturgisch eine gute Verbindung gewählt worden ist. Wie viele große Geister hat Beethoven zahlreiche Künstlerinnen und Künstler beeinflusst, zu seiner Zeit wie in den nachfolgenden Jahrhunderten. Und das nicht nur im Bereich der Musik. Berühmte Beispiele aus anderen Sparten sind Andy Warhol und Stanley Kubrick. In der Musikwelt sind auch in jüngster Zeit allerlei Beispiele bekannt, die sich auf Beethoven beziehen und aus denen Neukompositionen hervorgegangen sind, beispielsweise das Beethoven-Projekt der Pianistin Susanne Kessel oder die neuen Diabelli-Variationen von Rudolf Buchbinder. Auch Akteurinnen und Akteure anderer Musikgenres haben Bezug auf Beethoven genommen, als interessante Beispiele aus den letzten Jahrzehnten können hier der Rapper Nas mit „I Can“ und Walter Murphy & The Big Apple Band mit „A Fifth of Beethoven“ genannt werden.

Welche Bedeutung hat das Werk Beethovens aus Ihrer Sicht im Jahr 2020?

Jörg Ulrich Krah: Beethoven ist einer der ganz großen Meister, einer, der es im Leben nicht leicht hatte und es sich nie leicht gemacht hat. Diese Persönlichkeit Beethovens im Spannungsfeld zwischen Spontaneität – er war auch ein begnadeter Improvisateur – und Perfektionismus hat zu einer reichen Vielfalt seines Œuvres beigetragen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Interpretationsforschung viel mit seinem Werk auseinandergesetzt, insbesondere die Originalklangszene, wodurch seine Musik in heutigen Interpretationen an Energie, Farbigkeit und Dynamik gewonnen hat. Ich bin überzeugt, es gibt noch immer viel zu entdecken.

Sie haben sich ja einige Jahre mit der Interpretationshistorie von Beethovens Musik auseinandergesetzt. Welche Aspekte der Persönlichkeit des progressiven Komponisten Beethovens und im Speziellen welche Aspekte seiner Cellosonaten, die vielleicht nicht so allgemein bekannt sind, faszinieren Sie?

Jörg Ulrich Krah: Ich spiele ja auch historisches Violoncello, bin Mitglied in Originalklangensembles und leite ein Festival für Alte Musik. Viele Erfahrungen aus dieser Arbeit sind in unsere Einspielung eingeflossen, die wir gleichermaßen historisch informiert wie modern vorausblickend angelegt haben. Beethovens Musik greift Vergangenes auf, nimmt Bezug auf den bachschen Kontrapunkt und schlägt mitunter frühromantische Töne an. Diese stilistische Vielfalt sichtbar zu machen, war eines unserer Anliegen. Vor allem war uns aber wichtig, den kammermusikalischen Aspekt der Werke hervorzuheben. Die Stimmführung in den Cellosonaten ist genial zwischen den beiden Akteuren aufgeteilt und in sich verwoben. Zur dritten Hand des Pianisten wird die Stimme des Cellisten oft, man muss genau wissen, wo man die Hauptstimme, eine wichtige Nebenstimme oder Begleitfiguren findet. Außerdem sollten die verschiedenen Sonaten in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext interpretiert werden: Die positiv frisch anmutenden frühen Sonaten Opus 5, die ausgewogene A-Dur-Sonate Opus 69 und die späten Werke aus Opus 102, die sich durch eine gewisse Radikalität auszeichnen. Eine interessante Erfahrung beim Proben war die Demut vor dem Notentext. Eigentlich steht alles in den Noten. Oft wird etwas an Ausdruck hineininterpretiert, was man natürlich im Rahmen einer Interpretation machen kann, was die Musik in ihrer Vollendung aber nicht benötigt, da sie dadurch nicht besser wird.

„Das Violoncello ist ein unglaublich vielseitiges Instrument.“

Ein Zitat aus einer Korrespondenz mit Georg Katzer: „Das Cello klingt sehr edel, besonders liebe ich die C-Seite.“ Was lieben Sie am meisten an Ihrem Instrument?

Jörg Ulrich Krah: Ich liebe die unterschiedlichen Klangfarben, samtig-sonore Bässe, virtuose oder melancholische Melodien, einen Tonumfang von fünf Oktaven und insbesondere auch die Fülle an Pizzicato- und Flageoletteffekten. Das Violoncello ist ein unglaublich vielseitiges Instrument, das gestrichen, gezupft oder auch perkussiv in der Klassik und im Jazz und in vielen anderen Musikstilen zu Hause ist. Als Komponist und Interpret bin ich stets auf der Suche nach neuen Klängen und Einsatzmöglichkeiten. In meinen zeitgenössischen Kompositionen setze ich das Cello gern auch in ungewohnter Weise ein, um neue Hörwelten zu öffnen und auch das Repertoire an Spieltechniken zu erweitern. Neben meiner Arbeit als Interpret auf dem modernen und historischen Instrument habe ich immer wieder auch Ausflüge in andere Stilrichtungen unternommen, im Rahmen von Musiktheaterproduktionen wie auch konzertant, beispielsweise mit der Formation Brainchild, die Saxofon, Cello und Klangregie kombiniert und sich aus Musikern der Eröffnungspremiere der Wiener Musiktheatertage 2017 formiert hat, zu der ich die Musik geschrieben und geleitet habe. Vor einigen Jahren ist auf diese Weise auch das Album zur Produktion „Superzoom“ entstanden, das eher in das Genre Jazz gehört.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Sie sind nicht nur Interpret, sondern auch selbst Komponist. An welchen Stücken arbeiten Sie zurzeit, hatte dieses Projekt einen Einfluss darauf?

Jörg Ulrich Krah: Aktuell arbeite ich an zwei Solostücken für Violoncello. Eines davon ist ein Auftragswerk meines Freunds und Kollegen Christophe Pantillon, für dessen Ensembles ich schon öfters komponiert habe. Das andere sind kurze Interludien, die sich auf die im 18. Jahrhundert verfassten Capriccios des Cellisten und Komponisten Joseph Marie Dall‘Abaco beziehen. Im zweiten Fall ist eindeutig eine konzeptionelle Parallele zu den „Postscripta“ von Georg Katzer vorhanden, wobei meine Komposition voraussichtlich keine Zitate verwenden wird. Mir gefällt es grundsätzlich, wenn zeitgenössische Musik nicht ausschließlich auf Expertenfestivals erklingt, sondern gemeinsam mit Historischem programmiert wird. Darüber hinaus überarbeite ich ein eigentlich bereits fertig gestelltes Trio für das Kreisler Trio Wien, ein Auftragswerk, das auf Themen von Mozart basiert, und konzipiere weitere Werke für Sebastian Lange, den Saxofonisten und Klarinettisten des STEGREIF.orchesters, sowie eine Komposition für Streichorchester, die mit neuen Spieltechniken basierend auf den Eigenarten von historischem Instrumentarium experimentiert.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Christoph Benkeser, Michael Franz Woels

Termine:

SommerSalon Wartholz 2020
Beethovens Cellosonaten mit Kommentaren von Georg Katzer und Variationen von Helene Liebmann an zwei Abenden
Teil 1: 12. 08. 2020
Teil 2: 16. 08. 2020
Beginn jeweils um 19:30 Uhr, SommerSalon Wartholz, Hauptstraße 113, 2651 Reichenau an der Rax
Informationen und Kartenreservierung unter +43 02666 52289 bzw. literatursalon@schlosswartholz.at (nur Vorverkauf möglich, keine Tageskassa)
www.schlosswartholz.at

moving beethoven 2020
Beethoven Katzer Kontraste
05. 11. 2020, 19:30 Uhr, Schönberg-Haus, Bernhardgasse 6, 2340 Mödling
Anmeldung unter +43 2236 400103 bzw. kultur@moedling.at
Begrenzte Platzkapazität!