Ein RE:NEW-Konzert des Klangforum Wien im Radiokulturhaus (Nachbericht)

Im Wiener Radiokulturhaus spielte das Klangforum Wien am Dienstag unter der Leitung von Jonathan Stockhammer Werke von Jon Óivind Ness (Norwegen), Allain Gaussin (Frankreich) und Simon Holt (England). Geplant war auch ein Werk von dem französischen Spektralmusik-Komponisten Marc-André Dalbavie (Frankreich), aber der Oboensolist des Klangforums, Markus Deuter, musste leider krankheitshalber akut absagen und Sven Hartberger damit die Aufführung von „La marche des transitoires“. Wir wünschen gute Besserung! Dennoch drei faszinierende Stücke, alle in österreichischer Erstaufführung  – Musik in nur teilweise übersetzbaren Idiomen …

Den Anfang machte der in Norwegen renommierte Komponist Jon Óivind Ness mit „Interrupted Cycles“ (1996): Interrupted Cycles er bygget opp av et sett med vekslende strukturer og teksturer som vokser og krymper uavhengig av hverandre, alt organisert i tre separate sykliske lag. Stykket er forholdsvis enkelt disponert, hvor blåserne er ett lag, strykerne et annet og piano det tredje. Slagverket veksler mellom de tre. Diesen Text von Ness über sein Stück liest man „in Norwegian only“ auf der (instruktiven und vorzüglich gestalteten) Website von Re:new music). Ach so, Sie können nicht Norwegisch, also zu Fuß übersetzt: „ ‚Unterbrochene Zyklen’ sind auf einem Set mit wechselnden Strukturen und Texturen aufgebaut, die wachsen und voneinander unabhängig sind, organisiert in drei separaten zyklischen Kadern. … Disponiert ist ein Kader für die Blasinstrumente, der andere für Streicher, der dritte für Piano, das Schlagwerk wechselt zwischen den dreien.“

Es folgte „L’harmonie des sphères“ (2006) von Allain Gaussin, der noch Schüler Olivier Messiaens war und u. a. auch elektroakustische Musik bei der „Groupe de Recherches Musicales“ studierte. Seinem spannenden Werk konnte man – hierzulande halbwegs vertrauter mit der französischen Musiktradition – leichter folgen. Die „Harmonie der Sphären“, für Sextett komponiert – Violine, Violoncello, Klarinette(n) und Flöte, Klavier (auch im Innenraum mit Paukenschlägel zu spielen) sowie Schlagzeug (viel Vibraphon, auch Thai-Gong) – umfasst nicht nur die Harmonie der Welt oder des Universums, sie führt manchmal auch ins eigentlich fast Katastrophische.

Der Titel stammt, schreibt Gaussin, von Pythagoras und Kepler, für die Partitur interessierten ihn die poetischen und metaphorischen Aspekte ihres Denken, z. B. bezüglich der dreidimensionalen geometrischen Figuren, die die Sterne im Universum beschreiben. Diese Gedanken sollten aber ausschließlich instrumental ausgedrückt werden, also auch nicht durch Raumverteilung der Instrumentalisten oder elektroakustische Spatialisation. “Symmetries” (Teil 1) gebraucht Spiegelungen, im zweiten Teil werden gerade Linien in ihrer Tranquillität gelegentlich gewaltsam attackiert, schließlich entführt die Komposition in das Zentrum einer anderen Galaxie, wo unendlich Kleines und unendlich Weites aufeinander treffen. Unverkennbar Allain Gaussins Faszination für geometrische Linien, Symmetrien und Arabesken (geometrische Muster der muslimischen Welt).

Die dritte Komposition stammte von dem Engländer Simon Holt, der zahlreiche kammermusikalische Werke u. a. für die London Sinfonietta (ebenfalls an Rew:new music beteiligtes Ensemble) komponierte und 2003 eine mit dem British Composer Award als bestes Bühnenwerk ausgezeichnete Oper. „Lilith“ (1990) für Ensemble wurde auch schon vom Ensemble Modern und dem Ensemble intercontemporain (unter Rattle) aufgeführt. „Influenced by Messiaen, Xenakis and Feldman as well as visual artists such as Goya, Giacometti and Brancusi, his music is complex, dramatic and often enigmatic. The intricate internal structures of his works are concealed by a seemingly impulsive nature.” (Website Holt, www.chesternovello.com). – Worum es in (oder bei) “Lilith” geht, spielt beim ersten Mal Hören (vielleicht) keine Rolle, einnehmend ist jedenfalls Holts unverkennbare musikdramatische Ader sowie eine wirklich delikate Behandlung von diversen Solo-Parts (etwa auch Horn, Harfe).

Das Klangforum wie gewohnt herausragend; etwas transparenter hätte man sich allenfalls das erste der gespielten Stücke (von dem Norweger) gewünscht – das rhythmisch wahrscheinlich ziemlich vertrackt sein dürfte. Lohnend war auch die Begegnung mit dem hier debütierenden Dirigenten Jonathan Stockhammer, der seine Sache souverän machte. Der vielfältig versierte Dirigent, geboren 1969 in Los Angeles, seit 1998 an der Hochschule für Musik in Köln tätig, hat v. a. viel in Frankreich (u. a. Opéra Lyon), den Niederlanden, auch in Norwegen (Oslo Sinfonietta) und natürlich in Deutschland (Köln, Berlin) gearbeitet.
(hr)