„Ein Hauch von Nichts liegt vor einem […]“ – MIRA LU KOVACS (Schmieds Puls) im mica-Interview

MIRA LU KOVACS ist Gründerin, Sängerin und Texterin des Dreiergespanns SCHMIEDS PULS. Das neue Album des Trios „I care a little less about everything now“ bietet sensible und fragile Singersongwriter-Kunst auf der Höhe der Zeit. MIRA LU KOVACS führte mit Markus Deisenberger ein Gespräch über die Stille als Geschenk und eine Biografie ohne Fakten.

Sie haben klassische Gitarre studiert?

Mira Lu Kovacs: Nein, merkwürdigerweise steht das an vielen Orten im Internet so drin. In Wirklichkeit aber habe ich an insgesamt sieben verschiedenen Musikschulen zehn Jahre lang klassische Gitarre gelernt. Gelernt also, aber nicht studiert.

Jedenfalls klingt Ihre Musik – sieht man einmal von der klassischen Fingertechnik ab –, und das meine ich im positivsten Sinne, nicht nach Musik für Musikerinnen und Musiker, nicht nach zur Schau gestelltem Virtuosentum. Wann fiel die Entscheidung, dass der Song, sein Kern, wichtiger ist als jeglicher Zierrat? Und war das überhaupt eine bewusste Entscheidung?

Mira Lu Kovacs: Ich weiß nicht, ob das eine bewusste Entscheidung war. Aber was genau meinen Sie mit Virtuosentum?

„Ich hab schon oft gehört, meine Musik klänge zu ‚gelernt‘, was hoffentlich nicht der Fall ist“

Dass Ihre Musik keine Musik für Musikerinnen und Musiker, sondern für Hörerinnen und Hörer ist. Keine Musik, die durch Technik, sondern ausschließlich durch ihren Inhalt glänzen will.

Mira Lu Kovacs: Verstehe. Ja, mir geht’s um den Inhalt eines Liedes und die Essenz, die ich transportieren möchte, und deshalb kann ich mich nicht mit übertriebener Könnerschaft, Schnörkeln und dem Wunsch, etwas möglichst perfekt zu machen, aufhalten. Ich finde Ihre Frage ja lustig, weil mir immer das Gegenteil vorgeworfen wird.

Inwiefern?

Mira Lu Kovacs: Ich hab schon oft gehört, meine Musik klänge zu „gelernt“, was hoffentlich nicht der Fall ist.

Ganz und gar nicht. Die Platte zeichnet sich durch Purismus aus, eine reduzierte Stimmung. Einfachheit und schlichte Umsetzung. Es dominiert der Gesang, manchmal Zweigesang, die akustische Gitarre, allenfalls Stehbass und Beserl-Schlagzeug. Was daran soll „gelernt“, also aufgesetzt wirken?

Mira Lu Kovacs: Vielleicht schließt man das aus meiner musikalischen Sozialisation. Ich komme aus dem Jazz, bin schon in jungen Jahren in diesen Jazz-Kontext geraten, in die junge Szene der Jazzwerkstatt. Ich hatte auch immer eine Porgy-Jahreskarte. Da gab es schon viele Virtuosinnen und Virtuosen. Und ich wollte das auch können, es hat mich beeindruckt, wobei ich aber auch nie wirklich in den Jazz oder ein anderes Virtuosentum gekippt bin. Ich habe nach zwei Jahren Jazzgesangsstudium einfach gemerkt, dass Jazz – vor allem der Jazz im Vocal-Bereich – nicht bei mir ankommt. Ich wollte mich auch nicht mehr länger dagegen verwehren, dass ich Songs schreibe. Und Songs zu schreiben bedeutet für mich, sich eher der poetischen Seite der Musik zuzuwenden und gewisse Momente zu finden als spielerisch zu glänzen.

Sie haben auch eine Zeit lang Elektropop gemacht, in einer Funk-Band gespielt etc. Heißt das, dass Sie alles Mögliche ausprobiert haben, um schließlich und endlich dort anzukommen, wo Sie jetzt sind?

Mira Lu Kovacs: Nein, ich würde das nicht so abschließend sehen wollen. Ich hoffe, dass ich noch allerhand ausprobieren werde können. Gerade der elektronischen Musik etwa fühle ich mich sehr zugetan und möchte dort auch noch viel ausprobieren – im Alleingang, aber nicht nur. In der Funk-Band spielte ich mit siebzehn – in einem Alter also, indem fast alle in einer Garagen-Band umtriebig sind. Trotzdem befand sich die Musik der Band damals schon auf einem recht guten Niveau. Für mich hat sich das alles aber nie gegenseitig ausgeschlossen. Egal was ich machte, ich habe immer auch Songs geschrieben. Es ging immer auch darum, den Textschwall, der aus mir raus kam, irgendwie festzuhalten. Der springende Punkt war dann, irgendwann zu sagen: Jetzt probiere ich es allein.

Haben Sie sich jemals als Gitarristin begriffen?

Mira Lu Kovacs: Nein, ich habe mich auch nie eine Gitarristin genannt, auch wenn ich es lange gelernt habe. Ich hab mit dem Lernen auch irgendwann – zwei, drei Jahre nach der Matura – aufgehört, habe mich vom Schulischen abgewandt und erst wieder damit angefangen, als feststand, dass ich nicht in Richtung Jazz gehen will. Da habe ich begonnen, mich hinzusetzen, Songs auf der Gitarre zu schreiben und die Einfachheit zuzulassen. Das hab ich mir ganz lange verboten, weil ich dachte, ich müsse etwas Neues erfinden. Das ist erstens nicht notwendig und zweitens gar nicht möglich, weil es meistens zufällig passiert, wenn es denn passiert.

Wie kamen Sie zu Ihren Mistreitern?

Schmieds Puls (c) Apollonia Bitzan

Mira Lu Kovacs: Ich wollte eine Band, die meine Songs spielt, und da bin ich zufällig auf Walter und Christian gestoßen, und es war klar, dass die nicht Rock ’n’ Roll über meine Texte spielen werden, sondern dass wir einander gut zuhören müssen. Daher rührt dieser Minimalismus.

„Es hat sofort gut funktioniert, weil die beiden sehr sensibel mit meiner Musik umgingen […]“

Das klingt selbstverständlicher, als es tatsächlich ist.

Mira Lu Kovacs: Für mich ist es selbstverständlich.

Dass Musiker sich so wohltuend im Hintergrund halten, um die Kraft des Songs, der nicht aus ihrer Feder stammt, bestmöglich zu unterstützen, finde ich nicht selbstverständlich.

Mira Lu Kovacs: Das stimmt. Dass ich auf den ersten Griff die Leute getroffen habe, die optimal passen, war glücklich und alles andere als selbstverständlich. Es hat sofort gut funktioniert, weil die beiden sehr sensibel mit meiner Musik umgingen und intuitiv auf alles reagierten. Für mich aber war es selbstverständlich, dass mit dieser Art von Musik nichts anderes geht, das meinte ich. Ich hätte mich mit etwas anderem – wenn jemand über die Musik drübergefahren wäre – nicht wohlgefühlt. Das sind ganz besondere Musiker und ich weiß das sehr zu schätzen. Der Minimalismus kommt aber auch daher, dass mich leise Klänge einfach viel mehr beeindrucken. Ich höre lieber ganz genau zu, als mich von etwas sehr Lautem nieder blasen zu lassen. Die leisen Stellen und die Pausen definieren unsere Musik.

Haben Sie denn gar keine schlechten Erfahrungen mit unaufmerksamem Publikum gemacht, das sich lieber laut an der Bar unterhielt, als Ihren Innenansichten zu lauschen beziehungsweise die Stille und die Pausen in Ihrer Musik zu begreifen?

Mira Lu Kovacs: Unterschiedlich. Zunächst einmal ging ich ohne große Erwartungen in diese Sache. Ich wollte die Lieder einfach nach außen tragen. Aber der Großteil des Publikums ist unfassbar aufmerksam – und zwar sowohl die Leute, die uns schon kennen, als auch die, die gar nicht wussten, was auf sie zukommt. Und ich weiß diese entgegengebrachte Aufmerksamkeit auch sehr zu schätzen. Wir hatten schon viele Konzerte, in denen es so still war, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören. Diese Stille ist ein Geschenk, das ich immer wieder gerne annehme und in das ich mich wie in einen Sessel reinsetze. Und mit dem Publikum wächst die Musik dann noch einmal. Sicher gab es auch negative Erlebnisse: Wenn man auf einer Party spielt oder der Raum von seinen Gegebenheiten her Schall sehr laut werden lässt. Aber das passiert vergleichsweise eher selten. Ich habe großes Glück.

„Es geht darum, wie sich die Gefühle mit dem Älterwerden ändern“

Und der Gedanke, Ihre Musik durch zusätzliche Instrumente zu verstärken und produktionstechnisch aufzufetten, kam Ihnen nie?

Mira Lu Kovacs: Nein, mit Ausnahme der Idee der Elektrifizierung. Die schleicht sich im zweiten Album schon langsam rein. Aber schauen wir mal, was die Zukunft bringt.

Gehen wir zum aktuellen Album. “I care a little less about everything now” heißt es. Worum geht’s? Um die Gelassenheit, die mit dem Alter kommt?

Mira Lu Kovacs: Eher die Panik, die mit dem Alter kommt. Das ist sehr zynisch gemeint. Es ist eine Art Coming-of-Age-Album und es gehört in gewisser Weise zum ersten dazu. Es geht darum, wie sich die Gefühle mit dem Älterwerden ändern.
Ich habe es als außergewöhnlich empfunden, gefühlsmäßig vor ein Nichts gestellt zu werden – vor allem nach so einer extremen Ausschüttung von Empfindungen, wie ich sie an den Tag gelegt habe. In den letzten Jahren kam in mir eine gewisse Apathie gegenüber Menschen, Stimmungen und Situationen auf. Was mir früher wichtig war, konnte ich plötzlich nicht mehr spüren. In mir herrschte große Gleichgültigkeit. Was mir früher einmal die Tränen in die Augen trieb, ließ mich plötzlich kalt. Ich hab mal gesagt: Ich weine lieber ein Jahr lang, als all das, was ich spüre, nicht zu spüren. Und ich war immer jemand, der sich sehr viele Gedanken gemacht hat. Das war nicht immer gut. Aber ich musste das zu meiner eigenen Stärke machen. Aber wenn man diese Stärke urplötzlich nicht mehr spürt, fragt man sich, wohin das verschwunden ist. Und man beginnt sich zu sorgen. Das Schöne aber ist, dass dieses Nichts, dem man gegenübersteht, trotzdem nicht nichts ist. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht zu abstrakt.

Das heißt, man macht sich Sorgen, dass man verkümmert?

Mira Lu Kovacs: Genau. Und das Nichts ist nicht wirklich nichts, sonst hätte man die Lieder darüber ja nicht schrieben können. Ursprünglich hätte das Album ja „Terrors of Apathy“ heißen sollen. Ich hatte Angst, dass sich diese Apathie zu einer völligen Gefühllosigkeit auswachsen kann. Ich finde ja, dass das einen gewissen Zeitgeist widerspiegelt. Man muss gewissermaßen abstumpfen, um das Leben zu packen. Abzuhärten ist eine Art Lebensinstinkt. Aber ich mag es nicht. Ich will das alles auch weiterhin spüren.

Wie erhält man sich die Sensibilität? Indem man Schmieds Puls hört?

Mira Lu Kovacs: [lacht] Indem man niemals vergisst, wirklich aufmerksam da zu sein. Ich versuche ja auch immer, nicht zufällig auf einer Bühne, sondern wirklich und wahrhaftig da zu sein. Mit den Gedanken da zu sein, sich zu konzentrieren, mit wem man spricht, für wen man singt, dann ist man, hoffe ich, davor gefeit. Aber ich endgültig weiß ich es nicht. Ich befinde mich in der Erprobungsphase.

Sie haben es schon angesprochen. Das neue Album ist also eine Art Fortsetzung Ihres ersten?

Mira Lu Kovacs: Ja, eine logische Folge sogar. Und auch wenn ich keine Geschichtenerzählerin bin, hat es mich stärker in das Geschichtenerzählen hineingeführt.

Wieso empfinden Sie sich nicht als Geschichtenerzählerin?

Mira Lu Kovacs: Meine Texte funktionieren wie dieses dylanhafte Erzählen, dass ich einen Hügel hinaufstieg, dort das erlebte, dann wieder runterkam und jemanden traf und so weiter, sondern es ist eher die Beschreibung eines …

Zustands?

Mira Lu Kovacs: Ja. Dem Album ist im Booklet ein Zitat von Fernando Pessoa vorangestellt. Es stammt aus dem „Buch der Unruhe“. Ich fasse es mal, weil es länger ist, sinngemäß zusammen: Pessoa sagt, er erzähle in diesem Buch seine Biografie ohne Fakten, seine Lebensgeschichte ohne Inhalt. Es sei die bloße Schilderung seiner Empfindungen, und wenn er darin nichts aussage, dann deshalb, weil er nichts zu sagen habe. Und tatsächlich ist es so: Pessoa sagt etwas und du hast nachher keine Ahnung mehr, was genau, aber er hinterlässt einen Eindruck oder eine Farbe. In diesem Nichts etwas zu haben, fand ich wunderschön. Man kann dieses Buch zwar nicht in einem Durchgang von vorne bis hinten lesen, dann würde man wahnsinnig oder depressiv, aber in Etappen.

Sehen Sie textliche Parallelen zu Pessoas Kurztexten?

Mira Lu Kovacs: Ich will mir nicht anmaßen, meine Texte mit Pessoas Wortkunst zu vergleichen, aber vielleicht ist das Vorhaben ein ähnliches: Ein Hauch von Nichts liegt vor einem und man versucht, diesen Hauch von Nichts trotz aller Schwierigkeit in Worte zu fassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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