DONAUFESTIVAL 2021 – IN THE YEAR OF THE METAL OX

Unterbrechung. Irritation. Störung. Was in früheren Jahren zum Grundvokabular künstlerischer Verfahren gehörte, erscheint nach eineinhalb Jahren Lähmung in einem anderen Licht. Wenn der Betrieb nur mehr im digitalen Notprogramm oder gar nicht mehr läuft, laufen subversive Gesten und die Jagd nach dem Neuen zum großen Teil ins Leere. Stattdessen suchen wir heute eher nach Kontinuität, nach Verbindungen und der Ermöglichung von neuen Zusammenhängen und – vor allem – nach realen Begegnungen.

In The Year Of The Metal Ox: das heißt Ausnahmezustand – und Weitermachen zugleich. Neue Hoffnung, neues Glück. Der Titel des donaufestivals 2021 (1.-3.10. und 8.-10.10. Krems a.d.Donau) bezieht sich auf das chinesische Sternzeichen eines Jahres, das immer noch im Zeichen einer Pandemie steht. Diese kennt zwar kein Außen, betrifft aber nicht alle gleichartig. Sie spitzt vielmehr gesellschaftliche Bruchstellen zu und fordert ungeahnte künstlerische Umgangsweisen mit Körperlichkeit und Technik, Intimität und Kollektivität heraus.

In der Videoarbeit „Untitled (Wave)“ von Anne Imhof peitscht etwa eine Frau unaufhörlich das Meer. Die Wellen, sie wollen nicht enden. Die kanadische Musikerin Kìzis (die in Krems mit einem Streichquartett auftreten wird) lädt ihre unbekümmert-schwelgerische Musik von ihrem herausragenden Album „Tidibàbide / Turn“ mit diversen Gastmusiker*innen auf und erzeugt so die Ahnung eines kommenden queeren Volks, das indigen und technopopaffin zugleich kann. Ira Melkonyan & the rubberbodies entwerfen in ihrer performativen Installation „Upstairs Geology 50/50“ eine fragile Konstruktion voller beweglicher Flüssigkeiten, die im wahrsten Sinne des Wortes leckt und rinnt und der menschlichen  Steuerung entzogen scheint.

donaufestiival 2021: Marco Donnarumma & Margherita Pevere (c) Giovanni DeAngelis

Diese Arbeit war (wie auch die rituelle Vereinigung von Mensch und Maschine in der Performance Eingeweide von Marco Donnarumma und Margherita Pevere oder die um das Moment der Berührung kreisende Performance „linger“ on von Lisa Hinterreithner, die Auftritte von Girl Band, UCC Harlo, DEATHPROD, Die Orangen, Elvin Brandhi, Rosa Anschütz, Robert Henke oder eine AV-Premiere von „Jung an Tagen“ und Rainer Kohlberger) schon für das Festival 2020 angekündigt. Wir sind nun froh, sie und andere Programmteile nachholen zu können. Endlich!

Hinzu gesellen sich diverse unter pandemischen Vorzeichen sich neu entwerfende Arbeiten bzw. überhaupt Neuentdeckungen. Zum Beispiel „Summit“, die Beschwörung eines kommenden Ereignisses von planetarischer Größe, das die erstmals in Österreich auftretende ungarische Performancegruppe Hollow in Szene setzt, die filmische Dokumentation von „Temple du présent – Solo für einen Octopus“ von Stefan Kaegi in Kollaboration mit Judith Zagury und Nathalie Küttel (Shanjulab) oder die die im Stadtraum auftauchende Outdoor-Performance „Fictions of the Flesh“ von Ingri Fiksdal, Fredrik Floen und Mariama Fatou Kalley Slåttøy.

Bild Conny Frischauf
Conny Frischauf (c) Zoe Kursawe

Musikalisch reicht der Bogen vom Noiseextremismus des kenianischen Duos Duma bis zur vom Sufi-Gesang inspirierten, zartfühlenden Trauermusik der pakistanischstämmigen Sängerin Arooj Aftab bis hin zu Klangritualen der spirituell interessierten Musik von Masma Dream World. Die Komponistin und Organistin Kali Malone stellt ihr Projekt „Does Spring Hide Its Joy“ gemeinsam mit der Cellistin Lucy Railton und dem Drone-Avantgardisten Stephen O’Malley vor, während Musiker*innen wie Deena Abdelwahed, Angel-Ho, Asifeh, Ghostpoet oder Loraine James eher beatorientiert arbeiten. Dazwischen und daneben finden sich Krautrockreminiszenzen von Die wilde Jagd, die ins und für das Offene gestimmte Befreiungsmusik von Decolonize Your Mind Society, Gesangsmanipulationen von Lyra Pramuk, weitere heimische Acts wie Gischt, Conny Frischauf oder Phantom Gold, der Wundertütenpop von Jerskin Fendrix, das elektronische Update afrofuristischen Jazz‘ von Aho Ssan, der verwehte Industrial von Nordra, der dunkle Techno von Margenrot und das anregende Knirschen und Sirren von FRKTL. Einen weiteren Höhepunkt könnte das Projekt von Jenny Hval und Håvard Volden liefern, die als Lost Girls einen sanft entrückt wirkendes Electro-Act bilden. Oder der von angolanischen Kudoro-Rhythmen inspirierte scharfkantige Rap von Nazar. Oder der erste Österreich-Auftritt der Londoner Band Black Country, New Road.

Nicht nur diese Band hält den Gedanken des Kollektivs und des kulturellen Austauschs hoch. Auch die das zweite Wochenende rahmenden Vorträge und Gespräche mit dem Künstler und Internettheoretiker James Bridle oder dem auf ein neues Verständnis von Ökologie und Natur abzielenden Philosophen Timothy Morton schlagen den Verbund von künstlichen und künstlerischen Intelligenzen vor. Damit können wir etwas anfangen. Auf dass wir alle uns in einem gemeinsamen Raum wiederfinden. Bereit, berührt und bewegt zu werden. Offen für die Sounds und die Bilder, die Erfahrungen und die Empfindungen, die einen Unterschied machen können.

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Links:
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