Die beiden Komponisten GERHARD WIMBERGER und STEFAN DAVID HUMMEL über die Situation der Neuen Musik in Salzburg, die Herausforderungen, die sich heute jungen Komponistinnen und Komponisten stellen, und die Rolle der Ausbildungsstätten. Das Gespräch führte Wolfgang Seierl.
Eine Musik, die keine Chance hat
Gerhard Wimberger: Salzburg ist eine Stadt Mozarts, es ist eine Stadt der Festspiele, und damit ist eigentlich alles gesagt. Weiter: Salzburg ist zehnmal so klein wie Wien, das heißt, wenn der Goldene Saal des Wiener Musikvereins mit 2.000 Menschen besetzt ist, die dort vielleicht sogar in einem Abonnement-Konzert der Philharmoniker ein modernes, zeitgenössisches Stück hören, dann hieße dies, dass in Salzburg aus den 2.000 Menschen 200 geworden sind. Wien ist also anders als Salzburg, aber Salzburg ist noch mehr anders als Wien. Nicht, weil ich in Wien geboren bin, sondern weil meine Erfahrungen aus Salzburg stammen, würde ich jungen Komponistinnen und Komponisten raten, in Salzburg, dieser Stadt mit all den Möglichkeiten ihrer kulturellen, musischen, musikalischen Atmosphäre, am Mozarteum Musik zu studieren, dann Salzburg zu verlassen und draußen in der weiten Welt Karriere zu machen. Es kann auch Wien sein. Denn in Salzburg gelingt dies als junge Komponistin beziehungsweise junger Komponist aus den angedeuteten Gründen kaum. Außerdem ist Salzburg eine Stadt, die auf ihre hier lebenden und schaffenden Komponistinnen und Komponisten weit weniger Wert legt, als es in sehr vielen anderen Städten üblich ist, sogar auch in österreichischen. Ich habe den Eindruck, dass in Wien oder andernorts mehr geschieht. Zum Beispiel: In Linz finden die dort lebenden und schaffenden Komponistinnen und Komponisten bei Politikerinnen und Politikern und in den Medien größere Beachtung und Achtung als in Salzburg. Das hat eben die vorher vermerkten Gründe, die aber sind nicht änderbar. Deshalb ist das Resultat aus meiner Sicht: Salzburg kann ein gutes Sprungbrett für eine Komponistenkarriere sein, aber nicht deren Ort. Das schlüssigste Beispiel: Mozart.
Stefan David Hummel: Ich möchte hinzufügen, dass Salzburg natürlich mit den Festspielen und mit Mozart verbunden wird, und natürlich auch mit dem Mozarteum. Da gibt es auch sehr erfreuliche Entwicklungen, denn die Universität Mozarteum engagiert sich seit vielen Jahren auch für junge, in Salzburg lebende Komponistinnen und Komponisten. Das geschieht in Kooperation mit der IG Komponisten, aber auch mit der IGNM, und das ist das Stichwort: Die IGNM (Internationale Gesellschaft für Neue Musik) wurde 1922 nicht in Wien, sondern explizit in Salzburg gegründet, weil man hier durch die Festspiele eine lebendige Szene vorfand. Aus heutiger Sicht, als hier lebender Komponist kann ich Folgendes feststellen: Es gibt natürlich mehrere Nischen. Ich bin mit Herrn Wimberger einer Meinung, dass es nicht einfach ist, hier eine große Karriere zu machen, aber es ist auch immer die Frage, was ich als Komponistin beziehungsweise Komponist erreichen will. Strebe ich eine Weltkarriere an, eine persönliche Karriere, oder möchte ich mich hier in der Stadt aktiv einbringen. Es gibt interessante Projekte mit dem Mozarteum, aber auch mit Schulen. Zum Beispiel ein Chor-Orchester-Akademieprojekt, in das auch zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten eingebunden sind. Ich sehe es für mich als Aufgabe, zu schauen, wo es Möglichkeiten gibt, die zeitgenössische Musik bzw. die Szene zu beleben, zum Beispiel in Kooperation mit dem oenm (Österreichisches Ensemble für Neue Musik), mit dem Mozarteum, der Israelischen Kultusgemeinde, dem Literaturhaus und mit Schulen.
Es gibt auch noch das Musikum und die Fachhochschule. Profitiert die aktuelle Szene von diesen Einrichtungen?
Stefan David Hummel: Ja. Zum Beispiel Ludwig Nussbichler, Direktor des Musikums und selbst Komponist, setzt sich sehr dafür ein, dass auch dort Neue Musik gehört beziehungsweise gelernt wird. Andererseits gibt es viele Komponistinnen und Komponisten, die in Kooperation mit diesen Institutionen interessante Projekte realisieren. Das Mozarteum wiederum kooperiert mit der Fachhochschule und erschließt damit neue Schaffensbereiche in Salzburg.
Da stimmt etwas nicht
Gerhard Wimberger: Ich möchte widersprechen. Es besteht heute bei allen Komponistinnen und Komponisten die Tendenz, zu erwarten, gefördert zu werden, von der Gesellschaft, von der Politik, von persönlichen oder institutionalisierten Mäzeninnen und Mäzenen bis hin zu einer Komponistenvereinigung, der sie selbst angehören. Die Musikuniversität fördert junge Komponistinnen und Komponisten durch die Ausbildung, durch erste praktische Erfahrungen und kann Einstiegsmöglichkeiten in die raue Welt des Musiklebens geben. Dabei geht es letzten Endes vor allem darum, dass neu entstandene Werke aufgeführt werden. Und da stimmt in der heutigen Förderungspraxis etwas grundsätzlich nicht. Förderung ja, aber nicht nur. In der Musikgeschichte wurde nur in Einzelfällen eine Komponistin beziehungsweise ein Komponist, ob jung oder älter, allein für die Tatsache „gefördert“, dass sie beziehungsweise er Musik komponiert – unabhängig davon, ob diese auch aufgeführt wird. Zu wünschen wäre eine Situation, wo es in erster Linie Veranstalter und Vergeber von honorierten Kompositionsaufträgen sind, die uns aufführen, nicht nur Komponistenvereinigungen oder Hochschulen, so erfreulich dies auch ist! Als ich vor einiger Zeit bei einer Tagung der IGNM diese Gedanken äußerte, dass es letztlich auf Veranstalter und weniger auf Förderung ankomme, da waren alle furchtbar böse auf mich. Der Veranstalter fördert die Komponistin beziehungsweise den Komponisten am wirksamsten, denn er zahlt. Er zahlt das Orchester, die Solisten, die Dirigentin beziehungsweise den Dirigenten, den Chor, den Saal und so weiter. Veranstalter, die der Komponistin beziehungsweise dem Komponisten jenes künstlerische Vertrauen schenken, das sie ein ökonomisches Risiko auf sich nehmen lässt. Natürlich hängt dies alles aber in hohem Maß eng mit der heute zu oft anzutreffenden tonsetzerischen Unbedachtheit zusammen, mit der Komponistinnen und Komponisten das Verständnis, die Aufnahmefähigkeit und den Rezeptionswillen der Hörerinnen und Hörer einfach überschätzen. Die Position der sogenannten E-Musik in der heutigen Gesellschaft hat sich seit Jahrzehnten viel zu wenig verbessert. Leider sehen Schaffende der anspruchsvollen Musik dies nicht genügend als Warnsignal.
Stefan David Hummel: Die Universität Mozarteum ist nicht nur Ausbildungsstätte, sondern auch Veranstalter. Ich finde es eine tolle Möglichkeit, dass die einschlägigen Verbände seit über zehn Jahren mit diesem Veranstalter kooperieren. Der Verein IG Komponisten, der nur auf ein kleines Budget zurückgreifen kann, könnte niemals fünf Projekte im Jahr realisieren, wo er Saal und Mitwirkende zahlen muss, etc. Da kommt uns das Mozarteum sehr entgegen. Wir könnten keine Nacht der Komponisten machen, keine Sonderprojekte, und das ist natürlich auch das Problem. Natürlich wäre zum Beispiel die Stiftung Mozarteum mit ihren Kontakten zu den Festspielen als Veranstalter noch attraktiver, aber wir müssen realistisch bleiben. Wir müssten vielleicht initiativer sein und den anderen Veranstaltern mehr anbieten, mehr Informationen über Komponistinnen und Komponisten und ihre Werke, statt einfach zu sagen, wir machen das selbst. Ein anderes ist das pädagogische Denken. Wenn keiner mehr unsere Musik hören will, dann ist es unsere Aufgabe, sie einem jungen Publikum wieder näher zu bringen. Ich bin sehr froh darüber, dass es in Salzburg und Umgebung sehr viele engagierte Musikpädagoginnen und Musikpädagogen wie etwa Oliver Kraft, Ludwig Nussbichler und Werner Raditschnig gibt. Die haben eine wichtige Funktion, nämlich auch zu zeigen, dass es die Neue Musik in Salzburg noch gibt.
Gerhard Wimberger: Zum Beispiel also: Mozarteum: Was heißt das, wenn das Mozarteum etwas tut, wozu die meisten Veranstalter nicht das Geld bereitstellen würden? Was heißt das, wenn der schöne Kammermusiksaal im Solitär von der Universität Mozarteum kostenlos oder um einen edelmütig verringerten Betrag zur Verfügung gestellt wird? Das bedeutet doch: Es geschieht auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, der Allgemeinheit. Eine neue Form von Förderung durch eine Kulturdemokratie. Außerdem sind die Ausführenden in solchen Veranstaltungen auf dem Boden der Universität Studentinnen und Studenten, denen man ihre honorarlose Mitwirkung als Bestandteil ihres Unterrichts darstellt. Dies alles wäre beim Rühmen der Rolle der Musikschulen bei der Förderung des Zeitgenössischen nicht außer Acht zu lassen. Das heißt aber bitte nicht, dass diese auf die Ausbildung und das Werden von jungen Komponistinnen und Komponisten keinen fördernden Einfluss haben, haben können oder nicht als wichtige Aufgabe ansehen!
Stefan David Hummel: Es sind nicht nur Studentinnen und Studenten, die dort spielen, sondern auch international bekannte Ensembles wie das Österreichische Ensemble für Neue Musik.
Das, was das Mozarteum von anderen Veranstaltern unterscheidet, ist doch, dass es nicht selbst auswählt und auch kein wirtschaftliches Risiko trägt. Das Mozarteum stellt lediglich die Infrastruktur zur Verfügung.
Stefan David Hummel: Und unterstützt uns auch bei den Gagen, wie im Falle des Österreichischen Ensemble für Neue Musik, das unter anderem auch Kompositionen von Lehrenden am Mozarteum aufführt und dadurch natürlich auch für das Haus von Interesse ist. Nicht zu vergessen sind Werbemaßnahmen, die weder die IGNM, noch die IG Komponisten Salzburg in diesem Ausmaß leisten könnte.
Es gibt zu viele Komponistinnen und Komponisten
Gerhard Wimberger: Als ich bei den Festspielen war, habe ich oft versucht, Sponsoren für das Österreichische Ensemble für Neue Musik zu finden. Verständnis fand ich bei Frau Elfriede Kaserer, der damaligen Präsidentin des Vereins der Freunde der Salzburger Festspiele. Die ständigen Geldsorgen des Ensembles konnten durch namhafte Dotationen des Vereins gemildert werden. Aber dieser Zustand eines Bettlerdaseins ist äußerst unwürdig, und es ist traurig, dass er sich kaum zu ändern scheint. Außerdem noch etwas: Es besteht ein riesiges Missverhältnis zwischen der Zahl von E-Komponistinnen und E-Komponisten und der Nachfrage des „Musikmarktes“, besonders in der „Musikstadt“ Salzburg. Natürlich ist hier, in dieser herrlichen Stadt, der Mozartduft in allen Gassen. Aber der weist eben einen sehr anderen Geruch auf als vieles, was heute in Salzburg und der übrigen Welt als Musik gehört wird. Die Salzburger Festspiele sind primär international ausgerichtet. Die Internationale Stiftung Mozarteum spart seit einiger Zeit in ihrem auswählenden Blick die Salzburger Szene aus. Die Kulturvereinigung bekommt von der Stadt viel zu wenig Geld, was skandalös ist. In ihren Konzerten sitzen genau diese Menschen, die nicht in „zeitgenössische“ Sonderkonzerte gehen, sondern hören möchten, was sie berührt und als Musik empfinden. Ein sehr gutes Publikum, das für die zukünftige Entwicklung der nicht primär populären Musik wohl besonders wichtig sein wird. Das sehr zu bedenkende Faktum für die Verantwortlichen ist: Wenn eine „moderne“ Komponistin beziehungsweise ein „moderner“ Komponist auf dem Programm steht, besteht die Gefahr, dass Abonnentinnen und Abonnenten verloren gehen, auf die der Veranstalter, zum Beispiel die Salzburger Kulturvereinigung, bei der geringen Förderung aber angewiesen ist. Ich habe lebenslang nicht zu denen gehört, die persönliche Erfüllung künstlerischer Träume einer sozialen Einbettung ihrer Kunst vorzogen.
Und Salzburgs Musikschaffende selbst in ihrer sozialen Eingebundenheit? Welche Formen der Kommunikation werden in Salzburg gepflegt?
Stefan David Hummel: In der IG Komponisten gibt es einmal im Jahr eine Generalversammlung, die zur Kommunikation und Planung von Projekten gut genutzt wird. Auch in den Vorstandssitzungen kommen Komponistinnen und Komponisten zusammen, um Projekte zu konkretisieren. Wir haben über die IGNM-Sektion Salzburg einen Bezug zu Wien, wo ich regelmäßig in den Vorstandssitzungen bin. Aber das Um und Auf dieser Beziehungen ist es, gemeinsam Projekte zu machen. Wichtig ist die Motivation einzelner Komponistinnen und Komponisten. Wolfgang Danzmayr, Klemens Vereno, Alexander Müllenbach und andere engagieren sich da sehr. Weil gesagt wurde, dass es zu viele Komponistinnen und Komponisten gibt: Ich finde es schön, dass es so viele kreative Menschen in der Stadt gibt. Es ist für jede Einzelne und jeden Einzelnen natürlich schwieriger, aber es ist andererseits ein großes Potenzial.
Gibt es Künstlerkreise, Freundschaften, in denen man die künstlerisch-ästhetischen Probleme bespricht?
Gerhard Wimberger: Zunächst einmal ist die Frage leider bei mir im Präsens nicht beantwortbar, weil alle schon nicht mehr leben, mit denen das gegenwärtig möglich wäre. Es bestanden sehr freundschaftliche Beziehungen mit den Kollegen Cesar Bresgen, Helmut Eder, Rolf Maedel, Franz Richter-Herf. Es gab ständig intensive Fachgespräche, in denen die vielen primären und aktuellen Probleme rund um die Musik heftig und auch heiter diskutiert wurden. Heute habe ich wenig Kontakt mit den Komponierenden am Mozarteum. Natürlich wären mehr Kontakt und Gedankenaustausch begrüßenswert. Gerade heute, da es viele E-Komponistinnen und E-Komponisten und wenig Aufführungsmöglichkeiten gibt, gerade in dieser Situation ist eine ästhetische Kommunikation zwischen denen, die dasselbe tun, nämlich Musik komponieren, aus verschiedenen Gründen seltener, und das ist bedauernswert. Auch die Kommunikation mit Malerinnen und Malern gibt es in Salzburg fast nicht. Wir haben damals, als ich im Mozarteum noch aktiv war, immer wieder versucht, Zusammentreffen mit Malerinnen und Malern zu organisieren. Da kamen drei bis vier Komponistinnen und Komponisten und drei bis vier Malerinnen und Maler, und dann saßen die Malerinnen und Maler an einem Tisch, die Komponistinnen und Komponisten am anderen. So war das. Zu ähnlichen Erfahrungen auch: In Konzerten mit interessanten neuen Stücken sah ich in der Lehrerloge oben links im Großen Mozarteumssaal sehr, sehr oft nur die Kollegen Losonczy und Gutmann. Ich war der älteste. Wir waren meist die einzigen Neugierigen der Hochschule oder Universität Mozarteum. So war es, und ich hoffe, es ist heute nicht mehr so. Oder?
Stefan David Hummel: Da möchte ich noch einen Gedanken hinzufügen: Wie sieht das tägliche Leben einer Komponistin beziehungsweise eines Komponisten aus? Heute hier in Salzburg lebende Komponistinnen und Komponisten müssen im Prinzip einem anderen Beruf nachgehen. Es gibt ganz wenige freischaffende Komponistinnen und Komponisten. Ich bin auch überzeugt, dass ein Professor mit einem überschaubaren Arbeitspensum an der Uni sich eher seiner künstlerischen Arbeit widmen kann als jemand, der einen 40-Stunden-Job hat. Es ist interessant, sich die Einnahmen einer Komponistin beziehungsweise eines Komponisten anzuschauen. Neulich hat mir ein Kollege gesagt, er habe für eine Aufführung im Ausland 0,01 Cent bekommen. Die Großverdienerinnen und Großverdiener sind nicht in der E-Musik daheim. Als Freischaffende beziehungsweise Freischaffender muss man sich durchschlagen, und es ist sicherlich auch ein Problem für den Austausch untereinander, denn dafür braucht man Zeit.
Gerhard Wimberger: Meiner Erfahrung nach steigt die Chance für den Anfang eines Komponistenlebens, wenn interpretatorisches Können vorliegt. Wer als Dirigentin beziehungsweise Dirigent oder als Instrumentalistin bzw. Instrumentalist eine technische Basis aufbauen konnte, ist dem Einstieg in diesen anspruchsvollen Beruf näher. Vom Komponieren selbst zu leben, ist selbst arrivierteren Kolleginnen und Kollegen fast nicht möglich. Anders ist es bei den Kolleginnen und Kollegen der Popmusik. Um Potenzen von Zahlen anders.
Was heißt das, als Musikschaffende beziehungsweise Musikschaffender Erfolg zu haben? Heißt es, davon leben zu können, aufgeführt zu werden? Was würde es bedeuten, in Salzburg erfolgreich zu sein?
Stefan David Hummel: Das ist die Frage, womit ich zufrieden sein kann und will. Ich hatte ein tolles Projekt mit Jugendlichen, das mich wirklich erfüllt hat. Die Aufgeschlossenheit der jungen Leute für zeitgenössische Musik hat mich begeistert. Das Wichtigste ist, dass mich Musik erfüllt, dass ich spüre, dass die Leute, die involviert waren, ein Stück weiter gekommen sind. Das Lehrersein hat für mich in dieser Hinsicht einen ganz großen Stellenwert.
Gerhard Wimberger: In Salzburg erfolgreich zu sein, bedeutet, erfolgreich zu sein in Salzburg. In Salzburg einen Namen zu haben, bedeutet noch lange nicht, in Linz, in Graz, in Innsbruck, in Klagenfurt, in Bregenz außer bei Insidern bekannt zu sein, geschweige denn in München. Vielleicht könnte Wien als Ausnahme genannt werden, wenn der ORF seinen zentralisierenden Weg nicht fortsetzt. Da kommt die uralte Kulturspannung zwischen Salzburg und Wien übrigens noch hinzu. Erfolg in Salzburg bedeutet Zustimmung des Publikums und, zunehmend seltener, ein Bericht oder eine Rezension in einem Salzburger Medium. Auch hier ist zu beobachten, dass amerikanischen Pop-Ereignissen meist größere mediale Bedeutung zugemessen wird als Leistungen Salzburger Musikerinnen und Musiker. Vom Musikleben in Salzburg wird im Übrigen in Österreich und im Ausland nur im Sommer, im Jänner und zu Ostern Notiz genommen. Und auch dies gehört zum ersten Satz meiner ersten Antwort.
Stefan David Hummel: Wenn man das klassische Bild einer Komponistin beziehungsweise eines Komponisten vor Augen hat, die beziehungsweise der danach strebt, international auf sich aufmerksam zu machen, ist es natürlich schwierig. Es gibt einige wenige zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten, die in der ganzen Welt hofiert und aufgeführt werden, und die haben auch ihren Platz in Salzburg gefunden, sei es in den Salzburger Festspielen oder in der Stiftung. Ist das unser Schicksal, ist es die Aufgabe von Kulturschaffenden, auf die Barrikaden zu gehen und dagegen zu demonstrieren? Es ist eine Feststellung, der ich absolut zustimme, dass die Aufmerksamkeit für das Regionale in diesem Bereich sehr beschränkt ist.
Wir leben in einem Zeitalter der Lüge
Gerhard Wimberger: Das liegt vor allem daran, dass es in unserer Zeit keinerlei technische und ästhetische Kriterien gibt. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es bis zu einem gewissen Grad noch „richtig oder falsch“, „gut oder schlecht“ oder „schön oder hässlich“. Heute spielt anderes diese Rolle, nämlich die Fähigkeit, sich als Komponistin beziehungsweise Komponist selbst zu „vermarkten“, das Geschick „Connections“ aufzubauen mit ausführenden und aufführenden Künstlerinnen und Künstlern und programmierenden Intendantinnen und Intendanten, Generalsekretärinnen und Generalsekretären, Präsidentinnen und Präsidenten, Direktorinnen und Direktoren und anderen steuernden Leiterinnen und Leitern. Natürlich war das eher in qualitativer, jedoch nicht wie heute vor allem in quantitativer Hinsicht immer so. Es gab klarere Kriterien künstlerischer und nicht etwa personaler Art. Ich fürchte, dass heute manche Musikmanagerin und mancher Musikmanager ein Werk, das sie beziehungsweise er selbst schlecht findet, in ein Programm setzt, bloß weil es den modischen Kriterien der „Branche“ entspricht. Die Maske kollegialen Anstands verbietet es, öffentlich zu sagen: „Ich finde dieses Stück von N. einfach nur langweilig.“ Manchmal fällt mich die Versuchung an, zu denken: Vielleicht sind die Gründe für die so unbefriedigende Situation der anspruchsvollen Musik nicht beim Publikum oder den Medien zu suchen, sondern in der heute verfassten Musik selbst. – Ein Gedanke mit der Hoffnung, Salzburg könnte zu einer Ausnahme werden.
Wolfgang Seierl
Foto Gerhard Wimberger: Christian Heindl