„Die Vielfalt war unser Zauberwort“ – TOBIAS OTT und GUDRUN RABER-PLAICHINGER (Fat FUTURE) im mica-Interview

Nach der erfolgreichen Umsetzung des letztjährigen „¡improvize! ¡installize!“- Festivals haben sich die Initiator:innen TOBIAS OTT und GUDRUN RABER-PLAICHINGER für heuer unter dem Titel „FAT FUTURE – Das Festival der Zukunftsmusik“ erneut vorgenommen, in Salzburger Jazzit unterschiedliche Kunstformen zwischen Musik, Performance und Installationen in Dialog treten zu lassen. Das Festival findet am 9. und 10. Juni statt. Didi Neidhart hat sich mit den beiden über das Festival, dessen Motto und die damit verbundenen Absichten geführt.

Letztes Jahr habt ihr zum ersten Mal das zweitägige Improvisation-Festival ¡improvize! ¡installize! initiiert und veranstaltet. Welche Erfahrungen sind daraus in das heurige Festival der Zukunftsmusik, bzw. was hat sich bewährt und was ist heuer anders?

Tobias Ott: Der rote Faden, der sich durch unsere Festivals zieht, ist die Betonung auf Improvisation und dem „experimentellen“ Charakter der Musik. Das ist ein wesentliches und bewährtes Element, damit einzigartige musikalische Dinge passieren.
Das Programm ist wieder einmal vielfältig. Wir haben uns darauf konzentriert, Künstler:innen aus den verschiedensten Genres und Hintergründen einzuladen, um mit diesem Festival eine Plattform für interkulturellen Austausch, musikalische Vielfalt und kunterbuntes Misch-Masch zu schaffen. Mit unseren Erfahrungen vom letzten Jahr konnten wir das Festival der Zukunftsmusik noch spannender und inspirierender gestalten. Gespannt sind wir natürlich wieder auf die Reaktionen des Publikums und aller Teilnehmenden.

Gudrun Raber-Plaichinger: Wir wollten auch heuer wieder die Kombination von Musik und Performance bzw. Installationen haben. Es war letztes Jahr sehr aufregend, den Jazzit-Konzertsaal umzustrukturieren und den Bühnen- und Publikumsraum aufzubrechen und ineinander zu verschachteln.
Gleichgeblieben ist auch die Festivaldauer von zwei Tagen und die Programmstruktur. Zwischen den einzelnen Acts gibt es jeweils 15 Minuten Zeit für den Umbau und eine Pause für das Publikum zum Rausgehen, Auslüften und Zusammentreffen und eine kurze Auszeit für die Ohren. Jeder Festival Abend wird wieder seinen Ausklang mit wunderbarer Musik des Klubkulturklub vierundvierzig nehmen, der zum Tanzen einlädt. Ebenso gleichgeblieben ist das Zusammentreffen der Künstler:innen bei gutem Essen und Trinken während der Festivaltage. Das Ergebnis letztes Jahr war eine gute, intensive und „familiäre“ Atmosphäre.
Anders ist, dass heuer alle Installationen und Performances im Jazzit stattfinden, da die Installationen allesamt eine gute Musikanlage benötigen. Neu ist der Festivalpass für die Besucher:innen.
Letztes Jahr baute eine Tischlerei eigens für das Festival Musikstühle, sowie eine Drehbank als wackelfestes DJ-Pult. Dieses Jahr wird eine ganz spezielle Buchhandlung in das Festival integriert, die im Jazzit-Saal selbst ausstellen wird.

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„Die intensive Beschäftigung mit Echtzeitmusik führte unweigerlich weiter in die Zukunft.

Wie ist das heurige Thema überhaupt entstanden?

Gudrun Raber-Plaichinger: Das heurige Thema ist bereits letztes Jahr während der Vorbereitungszeit für das Festival der Improvisation entstanden. Die intensive Beschäftigung mit Echtzeitmusik führte unweigerlich weiter in die Zukunft, denn die unglaublich große, arten- und facettenreiche Fülle der Musik im Hier und Jetzt lässt einen wirklich staunen und die Frage liegt auf der Hand, wohin das alles noch gehen wird und gehen kann und bereits auf dem Weg ist!
Die Musikgeschichte ist überaus faszinierend, gerade in ihren epochalen Übergängen, bzw. den wiederkehrenden Ablösungen von Alter Musik zu Neuer Musik.
Gerade die Thematik Zukunftsmusik impliziert gleich mal das Genre Science-Fiction, Space Music, Afrofuturismus und seine Lichtgestalt Sun Ra, Black to the Future, The Spotnicks, Pink Floyd, David Bowie, Gong, Hawkwind, Kraftwerk, etc.
Die Verbindung von Musik und Kosmos finden wir aber bereits bei Pythagoras und der Sphärenharmonie.
Nun gut, diese Richtung führte uns natürlich zu Misz Sputnik, Christoph Reiserer/Music Mission Mars und dem „Jimi Hendrix der Kora“ Sekou Koyaté!
Es taten sich für uns die Fragen auf: Muss Zukunft immer das Schöpfen von noch nie Dagewesenem bedeuten? Woraus besteht die Zukunft? Woraus schöpft die Künstlerin/der Künstler, um sich inspirieren und sich weiterentwickeln zu können?
Die Antworten auf diese Fragen zeigen die individuell unterschiedlichsten Zugänge und künstlerischen Handschriften!
So entwickelte sich das Festival in diverse, teilweise extreme Richtungen und Aspekte. Da springen uns dann Angélica Castelló, Bernhard Fleischmann und Georg Vogel ins Auge.
Überhaupt ist die Frage interessant: Wie kann Zukunftsmusik in der Gegenwart existieren und passieren? Das hat auch mit der Fähigkeit des Augenzwinkerns zu tun!

Tobias Ott: In der Zeit, die Gudrun beschreibt, habe ich einmal die Platte von Fatback mit dem Titel „Is this the Future?“ aufgelegt. Das war die Geburtsstunde von FAT FUTURE, und das Thema “Zukunftsmusik” haben wir gewählt, weil es inspirierend und visionär ist.
Der Prozess begann wie immer mit Brainstorming und Diskussionen im Team. Wir haben uns intensiv auseinandergesetzt mit verschiedenen Themen und Konzepten, die mit Musik, Klang und zukünftigen Entwicklungen in Verbindung stehen, mit aktuellen musikalischen Trends, technologischen Fortschritten und auch futuristischen Visionen.
“Zukunftsmusik” – das ist ein guter breiter Raum für Interpretation und Kreativität.

In einem Vorwort zum Festival heißt es „Zukunftsmusik ist die Sehnsucht“. Was kann so ein, doch auch schon nicht mehr ganz so junger Begriff wie „Zukunftsmusik“ 2023 überhaupt noch bedeuten?

Bild Gudrun Raber-Plaichinger & Tobias Ott
Gudrun Raber-Plaichinger & Tobias Ott (c) Lightup Photography / Gabriele Schwab

Gudrun Raber-Plaichinger: Der nicht mehr so junge Begriff „Zukunftsmusik“ hat seinen Ursprung um 1850: Damals galten vor allem Chopin, Liszt und Berlioz als Zukunftsmusiker. Zeitgleich bezeichnete Professor Bischoff Richard Wagners Musik als eine Tendenz einer „Zukunftsmusik“, aber als etwa einer solchen, „welche, wenn sie jetzt auch schlecht klänge, mit der Zeit sich doch gut ausnehmen würde.“
Wagner wiederum verwendete 1860 den Begriff im positiven Sinne in seiner Schrift „Zukunftsmusik“, indem er sein eigenes Kompositionsverfahren erklärte. Im Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts wird der Begriff Zukunftsmusik hauptsächlich noch im übertragenen Sinne verwendet für Projekte, deren Verwirklichung noch in weiter Ferne, in der Zukunft liegen. Ich bin komponierende und improvisierende Berufsmusikerin, lehre Musik und bin mit einer Materie beschäftigt, die scheint’s unerschöpflich und unglaublich faszinierend ist.


Musik ist machtvoll, spricht, überwältigt, lenkt, aktiviert usw. Der Begriff „Zukunftsmusik“ zeigt uns 2023: Diese unglaubliche, musikalische Fülle ist ein Privileg unserer Zeit. FAT FUTURE, die „Fette Zukunft“ soll verdeutlichen, dass wir uns dieser Fülle bewusst sind und sie feiern, würdigen und weitertragen.

Tobias Ott: Wie schon Gudrun bemerkt hat, wurde der Begriff “Zukunftsmusik” ursprünglich verwendet, um auf musikalische Ideen und Stile hinzuweisen, die ihrer Zeit voraus waren und innovative Klänge und Ausdrucksformen boten. Ein Algorithmus von chatGPT, also eine nach wie vor dumme „künstliche Intelligenz“ schreibt hierzu Folgendes:

„Einerseits bezieht sich der Begriff auf musikalische Innovationen und neue Technologien, die die Klanglandschaft erweitern und verändern. Hierbei können neue Instrumente, Produktionsmethoden oder Klangexperimente eine Rolle spielen. “Zukunftsmusik” kann also auf musikalische Entwicklungen verweisen, die noch nicht weit verbreitet sind und noch erforscht werden müssen.
Andererseits steht “Zukunftsmusik” auch für die Sehnsucht nach dem Unbekannten und der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Es geht darum, musikalische Grenzen zu überschreiten, Konventionen zu brechen und neue Wege zu beschreiten. Der Begriff repräsentiert die Visionen und Träume von Künstlerinnen und Künstlern, die sich vorstellen, wie Musik in der Zukunft klingen könnte.
Trotz seines Alters ist der Begriff “Zukunftsmusik” immer noch relevant, da er uns daran erinnert, dass Musik ein dynamisches und sich ständig weiterentwickelndes Medium ist. Er ermutigt uns, neugierig zu bleiben, uns auf Neues einzulassen und die Potentiale der Musik in ihrer Vielfalt zu erforschen.
Letztendlich ist “Zukunftsmusik” auch ein Ausdruck des menschlichen Verlangens nach Fortschritt und der Hoffnung auf eine spannende und inspirierende Zukunft. Es ist eine Aufforderung, die Kreativität und Vorstellungskraft zu nutzen, um Musik als eine treibende Kraft für Veränderung und Innovation zu betrachten.“

Dem kann ich nur beistimmen.

Analoge Musik heutzutage z.B. kann eine Gegenbewegung zur digitalen Perfektion und Überproduktion der heutigen Zeit darstellen.“

Andersherum gefragt: Haben wir es bzgl. des Begriffs „Sehnsucht“ nicht eher mit einer Nostalgie nach (einem imaginären) Früher zu tun? Bekanntlich wurden während Corona ja vor allem ältere TV-Serien bzw. Musik aus früheren Jahrzehnten konsumiert.

Tobias Ott: Mit TV, Serien und so kenne ich mich überhaupt nicht aus. Nostalgie und die Sehnsucht nach Vergangenem ist womöglich die Flucht vor irgendwelchen Herausforderungen oder das Verlangen nach einer vermeintlich einfacheren und unbeschwerten Zeit. Womöglich ist sie aber auch mit positiven Erinnerungen und Emotionen verbunden, die mit bestimmten Serien oder Musikstücken verknüpft sind. In meinem Fall: Fatback – „Is this the Future“.
Nostalgie ist aber auch der Wunsch nach Authentizität und handgemachter Musik. Die älteren Musikproduktionen sind in analogen Studios aufgenommen worden, was ihnen den gewissen charakteristischen Klang verliehen hat. Analoge Musik heutzutage z.B. kann eine Gegenbewegung zur digitalen Perfektion und Überproduktion der heutigen Zeit darstellen.
Mit der Sehnsucht nach Vergangenem verliert „Zukunftsmusik“, nämlich als ergänzender Aspekt nicht zwangsläufig an Bedeutung. Faszination für Vergangenes und die Neugierde auf Zukünftiges gehen am besten Hand in Hand und bereichern sich gegenseitig. FAT FUTURE bietet jedenfalls Raum für diese vermeintliche Ambivalenz. Die Besucher:innen machen innovative musikalische Erfahrungen und schwelgen in Erinnerungen zugleich.

Gudrun Raber-Plaichinger: Das habe ich selbst nicht so erlebt. Ich war während Corona hauptsächlich damit beschäftigt, finanziell als freischaffende Musikerin überleben zu können und meine Kinder gut durch das Leben zu führen. Wir waren so intensiv zusammen, das konnten wir aber total genießen. Für ältere TV-Serien-Musik hatte ich jedoch kaum Zeit. Für Musik aus früheren Jahrzehnten habe ich immer Zeit, genauso wie aus früheren Jahrhunderten, oder gegenwärtigen, oder momentanen und spontanen.
Zur Nostalgie nach (einem imaginären) Früher: Ob die Sehnsucht wirklich nach der Nostalgie des Früher strebt, glaube ich nicht. Aber es könnte eher die Sehnsucht nach den Qualitäten des Früher sein. Zum Beispiel, was die Qualität der Zeit anbelangt. Heute ist man fast jederzeit und überall erreichbar und arbeitet von dort und da, das ist ungesund. Das ist keine Nostalgie nach früher, sondern verrückter Zeitgeist und Druck und man muss sich selbst fragen, inwieweit man da mitmachen will und kann.
Ständiges Tun und Neuschöpfen… Die möglichen Zukünfte der Musik bestehen nicht nur darin, unablässig Neues, nie Dagewesenes zu schöpfen, das würde uns Künstler:innen auch erschöpfen.
Wir können auch aus der Vergangenheit schöpfen und übernehmen, denn unsere Geschichte und die Kraft unseres Ursprungs ermöglichen uns die Basis für unser Bestreben nach Neuem und seiner Realisierung.
Die „Sehnsucht“ in der Zukunft, Visionen und Ideen verwirklichen und umsetzen zu können, ist zeitgleich auch ein antriebsstarker Motor hin zum Tun und Schaffen.

Mit Blick nach vorne will das Festival ja auch „mögliche Zukünfte der Musik“ ausloten. Was schwebt euch hierbei vor?

Gudrun Raber-Plaichinger: Wie bereits gesagt: es gibt eine Fülle an unterschiedlichster, unglaublich guter Musik. Diese wollen wir bewusst machen und auch anspornen, Neues zu hören und zu erleben. Die Vielfalt ist überwältigend.

Tobias Ott: Horizonte erweitern, neue Möglichkeiten in der Musik erforschen, innovative Instrumente, unkonventionelle Musikstile. Wir feiern Vielfalt und Innovation, und rücken beim Festival den Jazzit– Hauptsaal ganz nah an den Event Horizon!

Bild MUSIC MISSION MARS
MUSIC MISSION MARS (c) Christoph Reiserer

Bei all dem appelliert ihr u.a. auch an die „eigene Entscheidungskraft“ von Menschen und Gesellschaft. Aber zeigen die letzten Jahre nicht eher, dass wir es bzgl. der „eigenen Entscheidungskraft“ auf der einen Seite entweder mit Ohnmachts-Erfahrungen und auf der anderen Seite mit einer radikalindividualisierten Willkür zu tun haben?

Gudrun Raber-Plaichinger: Es ist die immer wiederkehrende Ohnmachtsfrage: „Was kann ich denn schon als einzelner Mensch tun?“
Ja, man kann etwas tun: nämlich bewusst in seinem eigenen, kleinen „Reich“ nach guten, achtsamen Prinzipien leben und sich stets bewusst sein, ein Teil eines Großen und Ganzen zu sein, was als Grundlage hat, füreinander da zu sein, zu sorgen und Verantwortung zu tragen. Diese Entscheidungskraft steckt in jedem von uns.
Eine wichtige Grundlage des Lebens ist, meiner Meinung nach, die Zufriedenheit und das gemeinsame Lachen. Auch in harten Zeiten.
Jedes Individuum ist einzigartig, aber ist dennoch Teil eines gesamt pulsierenden Organismus. Dieser besteht auf der Erde nicht nur aus der menschlichen Welt, wie wir alle wissen (sollten).

Tobias Ott: Ich finde, die “eigene Entscheidungskraft” im Rahmen des Festivals der Zukunftsmusik ist nicht als egoistischer, isolierter Akt zu verstehen. Eine Balance zu finden zwischen individuellen Bedürfnissen und dem Wohl der Gesellschaft hingegen sehr wohl.
„Eigene Entscheidungskraft” ist nicht nur Recht, sondern auch Verantwortung. Es ist wichtig, die Auswirkungen unserer Entscheidungen auf andere Menschen und die Welt um uns herum zu bedenken.

„Kunst verbindet auf eine Grenzen sprengende Art und Weise.“

Wäre Kunst hier die Sphäre oder das Feld, wo Aspekte von Individualität und Austausch und Dialog in sozialen Kontexten (Bands, Kollektive, Künstler:innen und Publikum) anders verhandelt werden könnte, als in aktuellen politischen Debatten, die von populistischen „Wir“ gegen „Die Anderen“-Debatten geprägt sind?

Gudrun Raber-Plaichinger: Ja, absolut. Kunst verbindet auf eine Grenzen sprengende Art und Weise. In künstlerischen Zusammenarbeiten geht es um einen gemeinsamen Arbeitsprozess mit dem Ziel, gemeinsam ein Werk zu schaffen und sich darin gegenseitig zu unterstützen, zu fördern und zu fordern.
Es geht darum, den anderen zu erkennen, seine Mentalität und Herkunft zu akzeptieren, zu verstehen und zu schätzen und mit all seinem Potential und Können sich inspirierend einzufügen in das Potential und Können des jeweils anderen. Dieser Dialog ist unglaublich bereichernd und eröffnet Welten und gemeinsames Wachstum.
Gerade in unserer Zeit sollten diese Aspekte stets vordergründig sein. Die kürzlichen Wahlen zeigten uns das Gegenteil, aber wir dürfen nicht aufgeben. Vor allem als Künstler:innen können wir unser Statement und unsere Haltung zeigen.

Tobias Ott: In der Kunst geht es wohl immer wieder darum, Grenzen zu überschreiten, neue Blickwinkel einzunehmen und alternative Denkweisen zu erkunden, auch Empathie zu entwickeln und neue Perspektiven einzunehmen. Kunst ist die Brücke, Austausch und Dialog zwischen Menschen, Kulturen, Identitäten und Realitäten.
Das Festival der Zukunftsmusik möchte Menschen zusammenbringen, um neue Perspektiven zu entdecken und alternative Zukunftsvisionen zu erforschen. Auf dem Festival gibt es also sicherlich kein „Wir und die Anderen“.

Im Programmheft wird neben der „freien Improvisation, der Klanglichkeit der Zeitgenössischen Musik, dem Noise des Experimentellen und den Sounds der Elektronik“ auch „die Energie der Fantasie“ sowie der „Konnex von Musik zu Natur“ erwähnt. Was können 2023 (angesichts von ChatGPTs, Künstlicher Intelligenz in audiovisuellen Kontexten, etc.) Fantasie, Natur und Religion für Funktionen bzgl. einer „Kunst der Zukunft“ haben?

Gudrun Raber-Plaichinger: Jede/r Künstler:in braucht einen Bottich, aus dem sie/er schöpfen kann, der sie/ihn nährt. Er gibt ihr/ihm ein stabiles Gerüst, auf dem sie/er aufbauen kann.
Interessant ist, dass der Bottich nicht immer mit Musik zu tun hat, aber in ihrer /seiner Musik sehr wohl Ausdruck findet und ihre/seine Klangrede prägt. Natur, Fantasie, (Natur)Religionen, etc. sind hier mitunter Weg begleitend.
Mich nähren die Natur und die Arbeit mit der Erde. Deswegen liegt mir unser Festival Teaser so am Herzen, da Sina Moser wunderbar die Kraft und Ruhe der Natur und des Wassers eingefangen hat und unsere Facetten im Wasser spiegelt.
Auch Tahereh Nourani schöpft daraus ihre Kraft, was wir am Festival vielleicht auch hören können.
Auch die Literatur nährt uns Künstler:innen: Um dieses für das Publikum ersichtlich zu machen, haben wir Luisa Thies zum Festival der Zukunftsmusik eingeladen. Sie ist Inhaberin der Buchhandlung wechselseitig. Wir haben alle Künstler:innen gebeten, uns ihre Literatur zu offenbaren, die sie prägt und in ihrem künstlerischen Schaffen und in ihren Visionen beeinflusst. Luisa Thies hat diese Literatur-Vorschläge eigens für das Festival bestellt und wird diese für das Publikum am Festival ausstellen. Die Liste ist auch auf der Festival-Website zu finden.
So können sich das Publikum mit den teilnehmenden Künstler:innen auch gedanklich zusammenschließen und es ist dadurch nachvollziehbar, welche Funktionen Fantasie, Natur und Religion haben.

Nach welchen Kriterien wurden die einzelnen Acts ausgesucht?

Tobias Ott: Qualität, Innovation und „Experiment“, thematische Relevanz, Vielfalt und Interdisziplinarität und – vor allem Live-Erfahrung.

Gudrun Raber-Plaichinger: Die Vielfalt war unser Zauberwort. Wir können in zwei Tagen nur ein kleines Spektrum an „Zukunftsmusik“ zeigen, aber das mit überaus hervorragenden, feinen, internationalen Künstler:innen.

Auch heuer wird es neben viel Musik auch wieder vier Installationen geben. Was erwartet uns hierbei?

Gudrun Raber-Plaichinger: Gleich vorweg soll gesagt sein, dass wir den Begriff „Installationen“ vor allem in Bezug auf das letztjährige Festival der Improvisation wieder verwendet haben. Er umschreibt aber einen größeren Aspekt:
Viele der teilnehmenden Künstler:innen sind neben ihrer Konzerttätigkeit auch im Theater und in Performances etc. tätig und konzipieren nicht nur ihre Musik, sondern auch den, dafür entsprechenden (Bühnen- und Klang-)Raum. Er ist fixer Bestandteil ihres künstlerischen Ausdrucks.
Beides bedingt sich, wirkt aufeinander ein und vervollständigt sich als Gesamtwerk durch die „Korrespondenz“ mit dem Publikum. Misz Sputnik ist demnach auch eine performative Installation des Festivals FAT FUTURE. Ich finde es immer wieder wunderbar spannend, wie sich durch diese tollen Gesamtkunstwerke ein Veranstaltungsraum wandeln und der Musik weitere, schillernde Facetten schenken kann.

Mir ist dabei vor allem die Installation mit einem Chevrolet Corvette C3 Stingray von 1975 aufgefallen. Wie geht man angesichts aktueller Debatten rund um fossile Brennstoffe, etc. künstlerisch mit so einem Thema um?

Tobias Ott: Die Corvette C3 Stingray von 1975 ist ein Ausgangspunkt, um verschiedene Aspekte und Perspektiven zu thematisieren. Die künstlerische Auseinandersetzung zielt z.B. ab auf die Symbolik, das abgrundtriefende Klischee des Autos als Statussymbol: „pusherman, dealer, redneck, smuggler, hustler, pimp“.
Nimm nur das US-Automotive-Design: Was für eine schillernde, hochkreative, wenn auch mit der Autoindustrie eng verbandelte Kunstform! Dave Holls und Dave McLellan schufen im Fall der Corvette Stingray eine maritime Vorlage für so viele Sci-Fi-Filme, die erst Jahre später herausgekommen sind. Heute ist das Auto nicht nur Objekt, sondern auch Metapher für den Konflikt zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen vergangenen Idealen und aktuellen Realitäten.
Aber eh klar: Das Auto ist eine einzige Drecksschleuder. Bei 500 U/min braucht es 11 Liter pro Stunde, wenn es nur im Leerlauf dasteht. Der Motor der Stingray C3 wurde dann aber ab der 2. Ölkrise 1979/80 empfindlich gedrosselt. Jetzt, nach fast 50 Jahren, steht eine Corvette u.U. da mit Leder, Plastik, Chrom und so gut wie keiner Korrosion da und ist erwiesenermaßen extremst nachhaltig. Wir wissen es aus postapokalyptischen Filmen wie „Mad Max“: selbst wenn ein Depp die Wasserstoffbombe in der Luft zündet – ein Chevrolet V8 rennt weiter. Kein einziger Halbleiter an Bord.
Aber jetzt nochmal zurück/vorwärts ins Jahr 2023 und nach Österreich:
Heute müssen leider immer noch viele arme Arbeitnehmer:innen jeden Tag 60 km zur Arbeit hin- und zurückfahren. Manche machen das mit völlig überflüssigen 8 Zylindern.
Restaurator:innen und Instandhalter:innen eines 50 Jahre alten Autos hingegen sind laut Landesregierung offizielle Hüter schützenswerten Kulturgutes, also quasi Museumsdirektor:innen. Das Auto ist Museum und jede Fahrt wird von Staat und Versicherung mitfinanziert. Genau 120 Tage im Jahr.
Um von der eigentlichen, berechtigten Fragestellung ab- und um auf das Wesentliche zurückzukommen: von diesem wohlklingenden Stachelrochen gibt es bereits über 180 hochqualitative Samples/Sampleloops, die nicht auf dem USB-Stick als schnöde, statische NFT Datei im Wohnzimmerschrank vergammeln, sondern in Zukunft verwendet sein werden z.B. im Sounddesign von Elektro-Corvettes.
Auf dem Festival jedenfalls ist die „Stingray Beatbox“ ein Drumcomputer, ein Cyber-Car, also in virtueller und vor allem bespielbarer Form von Thomas Kleinschmitt extra für das Festival programmiert. Zusammen mit 8 Zylindern in der Zündfolge 1-8-4-3-6-5-7-2, wird die Ein-Mann-Garagenband Bernhard Fleischmann aus Wien eine Komposition zum Besten geben.

Gudrun Raber-Plaichinger: Das ist natürlich ein großes Thema und braucht gerade in diesem Fall eine nähere Beleuchtung über den künstlerischen Zugang. Zusätzlich muss auch noch erwähnt werden: Die Corvette verschlingt nicht nur ordentlich fossile Brennstoffe, sondern regt auch zu vielem moralischen Kopfschütteln, aber auch zu großer Bewunderung an. Ein Stein des Anstoßes und der Provokation. Wiederkehrende Attribute in der Welt der Kunst.
Künstlerisch interessant finde ich auch im Zuge deiner Frage, die die anhaltende Vergiftung der Natur durch uns Menschen betrifft, die Frage über den künstlerischen Umgang mit der digitalen Welt. Die Welt, die sehr wohl auch uns Menschen – neben all ihren positiven Eigenschaften – immer mehr zu bestimmen und uns förmlich der Realität zu entziehen anfängt. Wieder haben wir Menschen etwas erfunden, was uns vor allem „geistig“ vergiften könnte. Forscher:innen sind dabei, Software künstlicher Intelligenzen zu entwickeln, die einen direkten Zugang zu unserem Denken gewähren können. Künstliche Intelligenz kennt jedoch keine Leidenschaft, Ausdruck und Inspiration. Sie verarbeitet Daten und verbreitet diese im Netz, das uns immer mehr umspinnt und prägt. Die autonome Vorinterpretation in digitalen Bildern hat soziale Auswirkungen. Vorurteile sind eingebaut und stellen uns vor die Frage, inwieweit wir unsere Fähigkeit verlieren, uns selbst zu definieren. Künstler:innen arbeiten mit Wissenschaft und Technologie – Leinwand und Farbe genügen da schon manchmal längst nicht mehr.
Wir müssen uns also auch der Frage stellen, ob künstliche Intelligenz auch Künstler:in der Zukunft sein wird? Oder ist Künstler:in der Zukunft eine postfossile Gesellschaft, deren Denken darauf basiert, dass tierische, menschliche und pflanzliche Intelligenzen gleichwertig und in lebenserhaltender Symbiose miteinander leben? Im Wissen, nicht der Mittelpunkt des Universums zu sein. Zukunft behandelt technische und gesellschaftliche Utopien und wird bestimmt durch unsere eigene Entscheidungskraft, wie wir als Menschen und Gesellschaft sein wollen.
Hier liegt unser Potential als Künstler:in: Die Kreativität macht uns einzigartig und unsere Kunst kann Unsichtbares sichtbar machen. Wir brauchen das Staunen und die Fantasie, weil wir uns wundern müssen, um zu überleben.

Bild Dubpalte
Dubpalte (c) FAT FUTURE

Hängen die Installationen eventuell auch thematisch zusammen? Improvisierte Musik bei „Music Mission Mars“, Musik aus/mit Wasser oder das „Sumerian Triptychon“ mit wortwörtlich zu nehmenden „Ton-Scheiben“ scheinen sich alle irgendwie auch um Musik bzw. Klänge zu drehen, die ohne Strom produziert werden können. Meint „Zukunftsmusik“ bei euch eventuell auch (experimentelle) Musik ohne Strom bzw. Elektrizität?

Gudrun Raber-Plaichinger: Diese Frage möchte ich gerne etwas differenzierter beantworten: Das heurige Festival Thema FAT FUTURE wurde bereits letztes Jahr während der Organisation für das FESTIVAL DER IMPROVISATION geboren. Es führte uns regelrecht darauf hin. Genauso entstand heuer wieder aus demselben Grund das Thema für ein mögliches drittes Festival. Die Auseinandersetzung und Erarbeitung schenkt neue Ideen und eröffnet weitere Pfade. Diese Visionen sind unglaublich reichhaltig und sprudeln voller Fantasie. Wir tragen sie an die Künstler:innen heran, die sich damit auseinandersetzen und zu erarbeiten beginnen. Insofern hängt also alles thematisch zusammen. Wenn auch in jeweils individueller Ausdeutung.
Die Installationen bzw. Performances und die hierfür verwendeten Instrumente brauchen Strom/Elektrizität! Betrachtet man sie und das Triptychon genauer, erkennt man, dass sie sich grundsätzlich mit Extremen auseinandersetzen, die teilweise in Zukunft wirklich stattfinden, oder diese sogar beeinflussen könnten:
In „Music Mission Mars“ ist es das Musizieren im luftleeren Raum, in dem sich eigentlich kein Schall fortpflanzen kann und die Handhabung der Instrumente so verflixt sein wird, dass nur Improvisationen möglich sein können.
Im Triptychon mit einer „wirklichen“ Ton-Scheibe, ein irdischer Datenträger aus feinkörnigen Mineralen, organischen und anorganischen Materialen, der in sich und durch sich selbst immens große Informationen über die Erde und ihre Geschichte trägt. Diese FAT FUTURE eigene Sumerian Dubplate wird sich während des Festivals mit musikalischen Informationen vollsaugen können.
Die Himmelsscheibe wiederum trägt sogar schon die Voyager Golden Records in sich und beinhaltet neben Weltraumschrott jede Menge mythologischer Figuren und die Keilschrift als Sterne. Die händisch geritzte Platte Loop Finding Graphics ermöglicht es der Plattennadel stets einen neuen Verlauf zu nehmen.
Wasser beschäftigt sich mit Rhythmen und Tonhöhen von Wassertropfen, Wasserblubbern und -schütten, die in Loops, Synthies und Effekten eingefangen werden und so zur Musik werden. Der Klang wird sowohl über Wasser mit Kontaktmikrofon als auch unter Wasser durch ein Hydrofon aufgenommen und stellt die unterschiedlichen Klangräume einander gegenüber.

Tobias Ott: Experimentelle Musik ohne Strom oder Elektrizität kann verschiedene Formen annehmen, wie beispielsweise den Einsatz akustischer Instrumente, natürlicher Klänge, unkonventioneller Klangquellen, menschliche Stimmen oder Körperbewegungen.
Indem das „Festival der Zukunftsmusik“ möglicherweise auch experimentelle Musik ohne Strom oder Elektrizität einbezieht, kann es eine Vision von zukünftiger Musikgestaltung und -aufführung vermitteln, die unabhängig von herkömmlicher Technologie ist. Mir schwebt gerade eine Tuareg Benzinkanister-Trommel vor Augen.
Die genauen Absichten und Konzepte der Installationen jedenfalls werden von uns, dem Festivalteam und den beteiligten Künstler:innen festgelegt. „Sumerian Triptychon“ z.B. ist ein Gegenentwurf zu den goldenen Schallplatten, die mit den Sonden Voyager 1 + 2 unterwegs sind. Ich glaube, wenn Kurt Waldheim bei den Aliens ankommt, hauen jene uns fünf schwarze Löcher um die Ohren.

Wie finanziert sich das Festival?

Gudrun Raber-Plaichinger: Das Festival finanziert sich wie letztes Jahr durch Förderzusagen von Stadt und Land Salzburg, sowie den Bund, durch den Kartenverkauf, Sponsoren, Eigenmittel und wunderbare, hilfreiche und unterstützende Freunde.

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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FAT FUTURE – Das Festival der Zukunftsmusik

Jazzit:Musik:Club
Elisabethstraße 11, 5020 Salzburg

Freitag, 09. Juni 2023
17:30 Festival Eröffnung Tag 1
17:30–00:00 Triptychon (Florian Buhr Tobias Ott Maja Ott)
18:00 Angelica Castello
19:00 Wasser (Thomas Kleinschmitt Gudrun Plaichinger)
20:00 Georg Vogel
21:00 Mars Mission Music (Christoph Reiserer Geoff Goodman, Georg Vogel)
22:00 Misz Sputnik
23:00 Klubkulturklub vierundvierzig

Samstag, 10. Juni 2023
17:30 Festival Eröffnung Tag 2
17:30–00:00 Triptychon (Florian Buhr Tobias Ott Maja Ott)
18:00 Tahereh Nourani
19:00 Wasser (Thomas Kleinschmitt Gudrun Plaichinger)
20:00 Geoff Goodman
21:00 Sekou Kouyaté
22:00 Bernhard Fleischmann
23:00 Klubkulturklub Freakadelle Verein vierundvierzig

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Link:
FAT FUTURE