„DIE SPRACHE SHAKESPEARE’S IST METAPHORISCH.“ – CAY BUBENDORFER (TASCHENOPERNFESTIVAL SALZBURG) im MICA-INTERVIEW

Mit dem Thema „Salzburg liegt am Meer“ widmet sich das biennal stattfindende TASCHENOPERNFESTIVAL heuer Ende September der Herausforderung  Shakespeare in Musik zu übersetzen. Für mica unterhielt sich Didi Neidhart mit Cay Bubendorfer, ihres Zeichens Präsidentin von KLANG21, dem Trägerverein und Veranstalter des Taschenopernfestival.

Heuer soll es fünf Taschenopern auf Grundlange von Shakespeare-Stoffen („Was ihr wollt“, „Richard III“, „Sommernachtstraum“ und „Othello“) geben. Wieso Shakespeare? Was reizt, gleichsam ewig, an diesem Autor?

Cay Bubendorfer: Shakespeare beschreibt das pralle Leben, die Wirklichkeit. Dies aber hoch differenziert und dicht, und als ein Meister der Dramaturgie. Emotionale Abgründe seiner Figuren und Umbrüche stellt er innerhalb von wenigen Zeilen dar. Für die KomponistInnen und die Regie öffnet sich aus in den ausgewählten Szenen und Fragmenten heraus ein Raum, der durch Musik quasi ausgeleuchtet und gefüllt werden kann, weiter erzählt oder neu beschrieben.

Thierry Bruehl, Regie Taschenopernfestival

Thierry Bruehl, künstlerischer Leiter von Klang21 und Regisseur des Taschenopernfestival, hat aus den vier Stücken sehr spezielle Beziehungsmomente als Stoff für die Musiktheaterstücke herausgelöst. Allen ist gemeinsam, dass ewig-menschliche Handlungsmuster und die psychologischen Dramen der Innenwelt in ihrem Zentrum stehen: Prinzessin Anne, die Richard von Gloster, zugleich aber sich selbst verflucht. Der siegesgewohnte Feldherr Othello, der sich von Jagos Intrigen zum Mörder machen lässt. Die Liebesblödigkeiten, die ein verwirrendes Geflecht zwischen Oberon, Titania und Zettel spinnen und Malvolio, der sich aus Eitelkeit zum Affen machen lässt. Den KomponistInnen hat er diese Tableaus quasi als inhaltliche Herausforderung vorgelegt.  Es geht bei diesem Taschenopernfestival jedenfalls nicht um die Vertonung von Shakespeare-Stücken – das hat Verdi schon großartig erledigt. Die Sprache Shakespeares ist metaphorisch. Und wir haben uns gefragt, wie die Musik damit umgeht. Gibt es musikalische Metaphern?

Wie kam es dabei zum Motto „Salzburg liegt am Meer“? Es liegt ja nicht nur Salzburg nicht am Meer, sondern ganz Österreich kann als Binnenland vom Meer ja nur träumen.

Cay Bubendorfer: Genau, träumen! Darum geht es natürlich – um Traumwelten, die eine Alternative zum vermeintlich gegebenen bieten. Um vorgestellte, imaginierte Welten, die in der Kunst Wirklichkeit werden können, oder zumindest im Moment des Erlebens eine andere, eine Gegenwelt herstellen können.

Ganz konkret gibt’s aber auch eine Menge Menschen in Österreich, die den seinerzeitigen k.u.k.-Zuständen nachhängen, als der Hafen von Triest als Legitimation für die „Seefahrernation Österreich“ hergehalten hat. Und als Journalist wissen Sie das natürlich: Eine Story kann noch so spannend sein, aber damit sie gelesen wird, muss die Schlagzeile stimmen. „Salzburg liegt am Meer“ steht da in einer Tradition mit früheren Titeln wie „Endlich Opfer!“ oder „Zeig mir dein Fleisch“.

Wieso fehlt dann angesichts diese Mottos ausgerechnet Shakepeare’s „Der Sturm“? 

Cay Bubendorfer: Wenn, müsste es wohl das „Wintermärchen“ sein. Da verlegt Shakespeare Böhmen ans Meer – „Bohemia. A desert country near the sea“ – und schickt Lord Antigonus von Sizilien los, um an der Küste Böhmens zu landen. Diese Imagination haben u.a. Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger so anziehend gefunden, dass sie ihr ein Gedicht respektive einen Essay gewidmet haben. Und wir eben unser Taschenopernfestival 2019.

Gesang braucht nicht den Umweg über den Intellekt

Im Pressetext heißt es, angelehnt an Wittgenstein, „Wovon man nicht sprechen kann, davon muss man singen“. Ist das nicht auch das grundsätzliche Thema jeglichen Gesangs, speziell wenn die Worte nebensächlich werden und nur noch die Stimme als Art reiner Klang das jeweilige (die Sprache übersteigende) Begehren artikulieren kann?

Cay Bubendorfer: Die Diskussion, manchmal sogar der Streit in Sachen Oper ist ja ewig und bekannt: Prima la musica, poi le parole – oder doch umgekehrt? Unsere Komponistinnen und Komponisten haben da ganz unterschiedliche Herangehensweisen gewählt, von der klassischen Textvertonung bis zur lautmalerischen Phantasiesprache, die mit nur vier Sätzen aus Shakespeare’s „Was ihr wollt“ eingeführt und begründet wird.

Cay Bubendorfer

Wenn wir jetzt an die Rezeption von etablierter „klassischer“ Oper denken, an die Arie der Königin der Nacht zum Beispiel, dann wette ich, dass jeder durchschnittliche Zuhörende die Koloraturen andeutungsweise nachsingen kann oder akustisch im Kopf hat, aber keiner den Text kennt. Die virtuosen Passagen bestehen de facto nur aus Silben, die der Dramatik der gesungenen Töne dienen.

Auf der anderen Seite kommt Regisseur Thierry Bruehl vom Theater, also von der Sprache. In seiner Inszenierung spielt daher das Theater, wie es Shakespeare in seinem Londoner Globe Theatre als „Wortkulisse“ verstanden hat, eine wichtige Rolle, um aus dramatischer Handlung und Komposition ein neues Amalgam entstehen zu lassen; Musiktheater.  Aber wie gesagt, die fünf Taschenopern spielen die Varianten durch und geben dem Publikum die Möglichkeit, eine eigene Antwort zu finden.

 Im „emotionalen Fokus“ der heurigen Taschenopern soll „die Liebe, samt ihren Träumen, himmlischen und höllischen Abgründen“ stehen, weshalb eben auch der Gesang im Zentrum stehen wird, weil nur er es  „vermag Gefühle direkt auszulösen“. Aber stehen Verliebte nicht eher meist sowieso eher „neben der Spur“? Also auch „neben sich“ und können sich vielleicht gar nicht so intendiert (also direkt) ausdrücken?

Cay Bubendorfer: Zum einen: Der Gesang braucht nicht den Umweg über den Intellekt. Zum anderen: Frisch Verliebte gelten nicht umsonst als asozial. In der Hinsicht nämlich, dass sie extrem aufeinander und damit auf sich bezogen sind und den Rest ihrer Umgebung samt den darin enthaltenen Menschen geradezu unverschämt ausblenden. Liebe ist wohl der stärkste, vielleicht auch brutalste Impulsgeber für Handlungen. Nicht umsonst ist sie statistisch betrachtet – neben Geld und Macht – auch im echten Leben das häufigste Mordmotiv und Auslöser von irrationalem Verhalten.

Die Taschenopern wollen die Liebe samt ihren radikalen, manchmal lächerlichen Kehrseiten, nicht erklären, sondern als als Erlebnis für das Publikum erfahrbar machen. Insofern dürfen die Verliebten ruhig „neben der Spur“ bleiben.

Gab es irgendwelche Kriterien nach denen die heurigen KomponistInnen Sara Glojnaric, Sarah Nemtsov, Gordon Kampe, Gerald Resch und Stephan Winkler ausgesucht worden sind? 

Cay Bubendorfer: Da spielt ein ganzes Bündel von Gründen mit. Neben der kompositorischen Kraft, die sie mitbringen, steht für uns im Fokus der Zusammenarbeiten, dass es eine Neugier und Offenheit gibt, und dass sie Fragen an die Kunstform der Oper bzw. des Musiktheaters haben – hier kommen ja essentiell unterschiedliche Disziplinen zusammen.

Für Stimmen zu schreiben, das ist ebenfalls etwas besonderes und setzt auch ein gewisses Maß an Erfahrung voraus. D.h., die SängerInnen müssen auf der Bühne nicht nur singen, sondern auch spielen. Die Partituren müssen also so geschrieben sein, dass ihnen das auch möglich ist. Darüber hinaus wollen wir ein möglichst breites Spektrum verschiedener kompositorischer Handschriften zeigen. Zudem beschreibt das Etikett „Neue Musik“ seit zumindest zwei Generationen keine einheitliche Nische mehr. Gegenwärtig gibt es eine Fülle von sehr eigenständigen Tonsprachen, die offen mit allen Möglichkeiten spielen. Und ganz klar: Die KomponistInnen müssen mit der Thematik des Taschenopernfestival etwas anfangen können, in diesem Fall also auch Lust haben zur Auseinandersetzung mit der Kunst von Shakespeare.

Das Festivals steht diesmal erstmals unter der musikalischen Leitung von Peter Rundel. Bedeutet das nun auch Veränderungen bzw. (neue) Vorhaben?

Cay Bubendorfer: Thierry Bruehl und Peter Rundel haben sich bei der hoch komplexen, sehr erfolgreichen Uraufführung von Stephan Winklers Oper „Der Universumsstulp“ in Wuppertal kennengelernt, dort in Zusammenarbeit mit der Musikfabrik, und wollten seither sehr gerne wieder etwas miteinander machen.

Ihre Arbeitsweisen ergänzen sich geradezu ideal, mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen spielen sie sich in den Proben regelrecht „die Bälle zu“, das ist faszinierend zu beobachten. Peter Rundel geht mit großer Genauigkeit an die Partituren heran, die Erkenntnisse daraus gehen in die Szene ein; genauso aber befördern die szenisch-dramaturgischen Überlegenen von Thierry Bruehl die Lesart der Komposition.

Peter Rundel mit seinem Erfahrungsschatz ist per se eine Bereicherung. Er hat sich mit unglaublich komplexen Partituren der neuen Musik von Nono bis Lachenmann auseinandergesetzt, er ist ist ein ganz ausgezeichneter Geiger, war Mitbegründer des Ensemble Moderne und er ist ein unglaublich theaterinteressierter Dirigent. Unter anderen ist die Prometheus-Aufführung der Ruhrtriennale, die er dirigiert hat, legendär. Das ist alles in den Proben, für die Peter Rundel viel Zeit in Salzburg eingeplant hat, wirksam und spürbar. Das ist intensiv, und gut.

Ein Format wie das Musiktheater lässt sich schlecht im Simulator kennen lernen!

Peter Rundel leitet heuer auch die erstmals stattfindende „Dirigenten-Akademie“, wo „ausgewählte internationale junge Dirigenten in neue Musik und neues Musiktheater eingeführt und aktiv in den gesamten Entstehungs- und Produktionsprozess der fünf szenischen Uraufführungen eingebunden“ werden. Wie kam es zu dieser Idee und wie wichtig sind solche Angebote gerade im Rahmen von Festivals?

Cay Bubendorfer: Die Akademie war ein ausdrücklicher Wunsch von Peter Rundel, der sich in eigenen Projekten und im Rahmen von internationalen Ensembleakademien schon lange für die Förderung des musikalischen Nachwuchses engagiert.

Für uns ist das eine großartige Erweiterung und Bereicherung, und nachdem wir seit der Gründung des Taschenopernfestival regelmäßig junge Leute und NachwuchskünstlerInnen in die Produktionen eingebunden haben, gab es da auch keinerlei „Scheu“. Ein derart komplexes Format wie das Musiktheater lässt sich ja schlecht im Simulator kennen lernen! Den Erarbeitungs- und Produktionsprozess von Uraufführungen kann man am besten in der Wirklichkeit erfahren. Diese Situation können wir den jungen DirigentInnen zur Verfügung stellen, und darüber freuen wir uns. Soweit mir bekannt, ist es eine solche Möglichkeit im Opernbereich ziemlich einmalig.

Wie wichtig sind dabei auch Formate wie das Gesprächskonzert (mit Werken von Sara Glojnaric und Stephan Winkler sowie einem Gespräch mit Mathias Lehmann von der Edition Juliane Klein) am 13. September 2019 oder das AtelierGespräch (25. September), wo unter dem Motto „Wenn die E-Gitarre lacht“ Sabine Coelsch-Foisner (Paris Lodron Universität Salzburg) mit dem Komponisten Gordon Kampe, dem musikalischen Leiter des Taschenopernfestival Peter Rundel und dem Regisseur Thierry Bruehl über „Shakespeare in der Oper“ reden werden? Braucht Neue Musik (immer noch) solche Vermittlungen?

Cay Bubendorfer: Da geht es eigentlich nicht um Vermittlung, sondern um die Möglichkeit, weiter in das Festivalthema einzutauchen, die Vorgänge „behind the scene“ ein bisschen kennenzulernen. Und ganz wichtig: Die KünstlerInnen kennenzulernen, Fragen stellen zu können. Nicht nur ein Stück im Rahmen der Taschenopern zu erleben, sondern auch andere Musik der KomponistInnen.

Ich meine, die Schöpfer von mehr als 99 Prozent der komponierten Musik, die wir für gewöhnlich hören, sind tot. Wer wäre manchmal nicht glücklich, wenn man Mozart oder Schubert anrufen könnte, um sich aus erster Hand über die Entstehung eines Werkes erzählen zu lassen oder ein Motiv zu verstehen? Ähnlich in der Literatur: Wieso gehen Menschen zu einer Autorenlesung? Das Buch können sie doch selber lesen. Neugier, Interesse, das gibt es zum Glück auch noch. Und wenn man noch nicht einmal mehr über das neu Entstehende sprechen sollte – worüber dann denn?

Wie finanziert sich so ein Festival überhaupt? Gibt es genug Subventionen, oder ist das immer wieder ein (ewiger) Kampf?

Cay Bubendorfer: Ja. Und ja. Ein Festival in dieser Größenordnung – im Vergleich zu den „Großen“ natürlich klein  – findet ohne öffentliche Förderung nicht statt. Über die Einnahmen wäre es jedenfalls nicht möglich. Unsere Kartenpreise (zwischen 12 bis 25 Euro) sind bewusst moderat gehalten, denn das Geld soll für niemanden der Grund sein, nicht in die Vorstellung kommen zu können.

Oper, und speziell die Uraufführung von Auftragswerken, ist ja nach Film die kostenintensivste Kunstform. Weil so viele Menschen daran beteiligt sind, um aus der Idee eine Wirklichkeit auf der Bühne entstehen zu lassen. In unserem Fall sind es wieder rund 65 Mitwirkende vor und hinter der Kulissen, die wochen-, zum Teil monatelang, für die Produktionen arbeiten. Auch wenn mehr als 90 Prozent unseres Gesamtbudgets in die Kunst fließen, und nur der kleine Rest in Infrastruktur, Werbung und Umkosten, ist es immer haarscharf am Limit.

Stadt, Land und Bund fördern uns von Anfang an, also seit 2005, wobei die Stadt Salzburg ganz essentiell dazu beiträgt, dass sich die Taschenopern auch ständig weiter entwickeln können. Wir, und andere in der Neuen Musik Szene in Salzburg, verdanken da dem ehemaligen SPÖ-Bürgermeister Heinz Schaden sehr viel, dem die zeitgenössische Kunst und Kunstproduktion auch als Chef des Finanzressorts ein echtes Anliegen war. Wir hoffen natürlich, dass die Kulturstadt Salzburg unter dem neuen ÖVP-Bürgermeister diesem Weg auch in Zukunft folgt.

Tatsache aber ist, dass der biennale Veranstaltungsrhythmus auch mit den Förderformalitäten zu tun hat. Anträge, Abrechnung und Dokumentation des Projekts und der Vereinstätigkeit für alle Fördergeber sind richtig viel Arbeit, die ehrenamtlich von den Vorstandsmitgliedern von Klang21 geleistet wird.

Aber es ist natürlich richtig, dass man präzise erklärt, warum man öffentliche Gelder für ein künstlerisches Vorhaben will, und ebenso belegt, was man daraus gemacht und bewirkt hat. Last but not least haben wir mit der SZENE Salzburg und dem oenm zwei großartige Kooperationspartner, die nicht nur ihre Exzellenz sondern auch hoch professionelle Infrastruktur einbringen.

Danke für das Gespräch.

 

Taschenopernfestival 2019: „Salzburg liegt am Meer“

Die, 24.09.2019 – 20:00 Uhr
Don, 26.09.2019 – 20:00 Uhr
Frei, 27.09.2019 – 20:00 Uhr
Sam, 28.09.9.2019 – 20:00 Uhr
SZENE Salzburg, Anton-Neumayr-Platz 2, 5020 Salzburg

Prolog – Gesprächskonzert:

Fre, 13.09.2019 – 20:00 Uhr Doppelportrait-Konzert mit Werken von Sara Glojnaric und Stephan Winkler zum 20-Jahre-Jubiläum der Edition Juliane Klein (Berlin). Die Komponist*innen im Gespräch mit Mathias Lehmann (GF Edition Juliane Klein) und Musiker*innen des oenm

AtelierGespräch:

Mit, 25.09.2019 – 19:00 Uhr
„Wenn die E-Gitarre lacht – Shakespeare in der Oper“ – Sabine Coelsch-Foisner (Paris Lodron Universität Salzburg) im Gespräch mit dem Komponisten Gordon Kampe, dem musikalischen Leiter des Taschenopernfestival Peter Rundel und dem Regisseur Thierry Bruehl

Jeweils oenm Atelier im Künstlerhaus

Eintritt frei

Salzburger Kunstverein
Hellbrunner Straße 3
5020 Salzburg

 

Links
Klang 21
Taschenopernfestival (Facebook)