Etwa die Hälfte des Jahres leben SON OF THE VELVET RAT in Kalifornien, zurzeit sind GEORG ALTZIEBLER und HEIKE BINDER in Europa, um das neue Album „Ghost Ranch“ auch hier live zu präsentieren: GEORG ALTZIEBLER erzählt im Interview mit Jürgen Plank von der Zusammenarbeit mit MARC RIBOT und JOLIE HOLLAND, die beide am neuen Album mitgewirkt haben. Und er erzählt, warum er eigene Lieder immer wieder umschreibt und warum auf „Ghost Ranch“ etwa eine neue Version von „Are the angels pretty?“ zu finden ist.
Euer neues Album heißt „Ghost Ranch“, was ist denn eine „Ghost Ranch“?
Georg Altziebler: Wenn ich das wüsste, hätte ich diesen Titel wahrscheinlich nicht gewählt. Das ist ein Begriffspaar, welches sehr offen ist und bei mir Assoziationen wecken. Hoffentlich auch bei den Menschen, die das Album hören.
Ich habe zum Titel das ländliche Amerika assoziiert und Doku-Soaps, die sich mit spukartigen und esoterischen Vorgängen etwa in alten Farmhäusern befassen.
Georg Altziebler: Für mich ist eine „Ghost Ranch“ etwas Unbestimmtes, Ungreifbares. Ein imaginärer Platz, der Sehnsüchte auslöst. Und in der nicht-realen Welt, die jeder mit sich trägt, gibt es auch jede Menge „Ghosts“. Egal ob von Lebenden oder Toten.
Die einen auch jagen oder irgendwo hintreiben können.
Georg Altziebler: Natürlich können die unangenehm werden, wenn man obsessiv mit ihnen umgeht. Das ist in Träumen gar nicht anders möglich, weil man Träume nicht abstellen kann, wenn man sie nicht träumen möchte.
Andererseits heißt es auch, dass in Träumen Dinge verarbeitet werden, das könnte eine positive Ebene dazu sein.
Georg Altziebler: Ich bin mir nicht sicher, ob Träume beim Verarbeiten von Dingen helfen. Schwer zu sagen… Ich würde mir wünschen, dass man nicht träumen könnte.
Einen Traum hast du wohl gleichsam für die Platte erfüllt, indem Marc Ribot bei einigen Tracks Gitarre spielt. Wie gewinnt man so jemanden, bucht man einfach einen Studio-Slot mit ihm über das Management?
Georg Altziebler: Nein, das würde nicht funktionieren. Ich wüsste nicht einmal, wen man da anschreiben sollte. Unser Schlagzeuger Jay Bellerose hat mich während der Session gefragt, ob ich mir noch andere Instrumente auf der Platte vorstellen könnte. Wir haben akustische Gitarren, Bass und Schlagzeug aufgenommen und ich habe gesagt, dass ich wahrscheinlich gerne eine Orgel und eine E-Gitarre hätte. Dann hat er gefragt, wer mein Traum-Gitarrist wäre und ich habe gesagt, Marc Ribot wäre super. Jay hat eine SMS verschickt und 5 Minuten später hatten wir Ribots Zusage.
Wie ging es dann weiter, ist Ribot zu euch ins Studio gekommen, um seine Takes einzuspielen?
Georg Altziebler: Nein, er hat seine Spuren geschickt. Wir haben ihm die Grund-Tracks geschickt, mit den Stimmen natürlich, denn es war eh alles synchron aufgenommen. Er hat die E-Gitarren dazu eingespielt und einige Optionen geschickt und ich habe die für mich besten Tracks ausgewählt.
Hast du Marc Ribot völlig freie Hand gelassen oder irgendwelche Vorgaben gegeben?
Georg Altziebler: Nachdem ich nicht persönlich mit ihm im Studio sitzen konnte, habe ich mir gedacht, dass es besser ist, keine Informationen dazu zu geben. Die Songs haben ihm gefallen, das hat er auch geschrieben, und er hat sich seinen eigenen Zugang gesucht. Und ich finde, das hat er sehr super gemacht. Er weiß, was Songs brauchen und vertragen.
Marc Ribot hat mit so unterschiedliche Leuten wie Tom Waits, Norah Jones oder Elton John zusammengearbeitet, jetzt stehst du auch in dieser Reihe.
Georg Altziebler: In der Reihe stehen noch so viele andere, dass ich mich gar nicht in einer Reihe sehe. Wirklich nicht. Ich bin nur froh, dass er etwas eingespielt hat, weil es der Platte guttut. Ob der Gitarrist jetzt Ribot heißt oder Huber ist mir nicht so wichtig.
„JOLIE IST DANN AUCH ZUM PRE-RELEASE-KONZERT IN JOSHUA TREE AUS LOS ANGELES GEKOMMEN UND HAT MIT UNS GESUNGEN UND VIOLINE GESPIELT“
Bei drei Songs ist die Singer-Songwriterin Jolie Holland dabei. Von Ribot ausgehend könnte man sie schon als Vertreterin der nächsten Künstler:innen-Generation sehen. Wie war die Zusammenarbeit mit ihr?
Georg Altziebler: Ja, stimmt. Ich bin schon seit rund 15 Jahren ein Fan von ihr. Sie hat einmal bei uns in Yucca Valley gespielt. Wir wohnen den Hügel rauf und unten ist der Highway und in einem dieser Lokale hat sie gespielt. Das war im Winter, es war eisig kalt und die Bühne war im Freien und Heike war zunächst die einzige Besucherin und die beiden sind ins Gespräch gekommen. Wir haben sie dann gefragt, ob sie Lust hätte, auf dem neuen Album mitzuspielen und das hat sie getan. Jolie ist dann auch zum Pre-Release-Konzert in Joshua Tree aus Los Angeles gekommen und hat mit uns gesungen und Violine gespielt. Das war am 3. Februar im Spaghetti Western Saloon in Morongo Valley.
Warum bist du ein Fan von ihr?
Georg Altziebler: Ich finde, sie hat eine wahnsinnig schöne, sehr flexibel einsetzbare Stimme. Sie kann fast alles singen, weil sie auch die musikalische Bandbreite und den Background hat. Sie kann von Soul bis Folk alles singen. Und das wunderschön. Sie spielt auch sehr gut Violine und sie ist eine begnadete whistlerin, bei einem Song pfeift sie. Das war eine spontane Idee von ihr und wir haben den ersten take genommen.
Auf „Ghost Ranch“ gibt es eine neue Version von „Are The Angels Pretty?“, warum habt ihr diesen älteren Song nochmals eingespielt?
Georg Altziebler: Lieder verändern sich bei mir immer. Live spiele ich nach ein paar Jahren manchmal eine neue Version, zum Teil auch mit anderem Text. In diesem Fall hatte ich das Gefühl, dass mir die neue Version sehr am Herzen liegt und deshalb haben wir sie nochmals aufgenommen. Das Lied hat nun wieder eine Bedeutung für mich.
Wie oft kommt es vor, dass du bei einem Lied nach Jahren etwas veränderst?
Georg Altziebler: Das passiert eigentlich sehr oft, sowohl melodisch als auch textlich. Die Songs müssen für mich spannend bleiben, wenn ich sie live spielen soll. Und manchmal muss ich dafür etwas verändern.
Anderes Thema: Eine wichtige Streaming-Plattform wird in Zukunft keine Ausschüttungen mehr an „kleine“ Bands machen, sozusagen eine Umverteilung von unten nach oben.
Georg Altziebler: Das wird in den U.S.A. natürlich auch wahrgenommen, weil Spotify dort auch der Platzhirsch ist. Aber es ist müßig darüber zu diskutieren, denn ob man nun 2 Cent oder 3 Cent bekommt, das macht niemanden glücklich. Kulturpolitisch ist das natürlich nicht egal, aber die Lebenswirklichkeiten der Musiker:innen betrifft es wahrscheinlich weniger als die meisten vorgeben, weil eh niemand wirklich etwas damit verdient. Eine Handvoll Mega-Labels werden einfach in Zukunft noch ein bisserl mehr bekommen.
„FÜR UNS SIND NACH WIE VOR DIE FANS DIE WICHTIGSTEN, DIE VINYL – ODER MANCHMAL AUCH CDS – KAUFEN“
Neil Young ist nicht mehr auf den Plattformen, wäre das ein möglicher Schritt für dich?
Georg Altziebler: Ja, ich kann mir das schon vorstellen, denn für uns funktioniert es eh nicht wirklich gut. Auch Jolie Holland war lange nicht auf Spotify, sie ist erst mit dem neuen Album wieder auf die Plattform gegangen. Es ist halt so, dass wenn man nicht dort vertreten ist, manche von deiner Musik ausgeschlossen werden, weil sie einfach nur mehr streamen. Nachdem es uns nichts kostet, sind wir halt auf den Plattformen. Für uns sind nach wie vor die Fans die wichtigsten, die Vinyl – oder manchmal auch CDs – kaufen. Und glücklicherweise haben wir solche Fans.
Ich erwarte bereits den nächsten Schritt, dass Bands mit wenig Umsatz in Zukunft dafür bezahlen werden, um auf den Plattformen zu sein.
Georg Altziebler: Ja, und wenn sie wenig umsetzen, haben sie wenig Geld und dann wird das nicht passieren. Natürlich ist das Ganze eine Gaunerei. Aber du weißt eh: die Welt ist schlecht.
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Deswegen greift man vielleicht – und damit kehren wir zu einem der neuen Songs zurück, zu „Rosary“ – zum Rosenkranz und macht ein Stoßgebet. Schwingt da das ländliche Amerika für dich mit? Oder die ländliche Steiermark?
Georg Altziebler: Beides wahrscheinlich. In Amerika sind die Leute viel radikaler in Bezug auf „Jesus und seine Hawara“. Und vielleicht auch heuchlerischer. In Europa ist der Zugang eher schaumgebremst, die katholische Kirche ist weitaus weniger strikt als die evangelikalen Kirchen, die es in den U.S.A. gibt. Da darf man am Samstag nicht Fußballspielen und für Sonntag gibt es auch diverse Verbote. Bei den Katholiken drückt Gott zuweilen ein Auge zu, bei den Evangelikalen nicht. Jesus-Kult geht in den U.S.A. paradoxerweise mit Waffen-Wahn Hand in Hand.
Im Lied wird auch geschossen.
Georg Altziebler: Es geht in „Rosary” um den Zwiespalt in der Seele eines Buben, der sich von seiner Umgebung, ob zu Recht oder zu Unrecht, gemobbt fühlt. Ein Revolver liegt geladen in Daddy’s Schreibtisch. Das kann schlecht ausgehen…
Wofür steht das Album „Ghost Ranch“ für dich?
Georg Altziebler: Ich finde, dass sich auf dem Album unsere zweigeteilte, persönliche Lebenswelt spiegelt. Einerseits hört man Einflüsse von Musik, die nur in Europa, z.B. in Wien oder in Graz, entstehen kann, und andererseits Einflüsse von Musikstilen, die nur in den U.S.A. wirklich zu Hause sind. Was die Lyrics betrifft, ist viel „stream of consciousness” dabei und natürlich spielen dann auch die Orte, an denen Songs entstehen, eine Rolle.
Denkst du bei musikalischen Einflüssen an Folk und an Bluegrass?
Georg Altziebler: Bluegrass eher nicht, obwohl ich ein großer Fan von Bluegrass bin, vor allem von der Art, wie aufgenommen wird. Ich denke bei unserer Musik allerdings eher an Soul- und Folk-Einflüsse.
Bei Bluegrass stehen alle um ein Großmembran-Mikrofon herum und man wechselt einander bei den Soli ab. Wäre das eine Aufnahmesituation, die du dir vorstellen könntest?
Georg Altziebler: Ja, und wenn man eine Ukulele spielt geht man näher zum Mikro hin. Wenn man eine lautere Gitarre spielt, bleibt man einen halben Meter weiter hinten und wenn man mit der Violine ein Solo hat, tritt man nach vor. Das finde ich schön. So hat man früher aufgenommen und das klingt auch nach wie vor wunderbar.
Ihr seid nun seit mehr als 10 Jahren für zumindest die Hälfte des Jahres in den U.S.A., hast du bemerkt, dass sich dein Songwriting verändert hat?
Georg Altziebler: Schon, aber das hat wahrscheinlich weniger mit den U.S.A. zu tun, sondern man entwickelt sich persönlich und möchte sich nicht wiederholen. Im Moment beschäftige ich mich viel mit Gitarren-Tunings, weil ich mir denke, dass das ein neuer Ansatz für neue Gedanken und Songs sein könnte. So geht es beim Textschreiben auch: man nimmt Dinge auf und irgendwann, wenn man es zulässt, spült dann das Unterbewusstsein diese Dinge als Song-Partikel wieder an die Oberfläche. Man muss versuchen, offen zu sein.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Son Of The Velvet Rat live
21.3.2024: Rockhouse, Salzburg
22.3.2024: Hofküche Wördern, St. Andrä-Wördern
05.4.2024: Kik, Ried
12.4.2024: Kammerlichtspiele, Klagenfurt
20.4.2024: Kino, Ebensee
26.4.2024: Porgy & Bess, Wien
27.4.2024: PPC, Graz
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