„Die Revolution findet heute im Privaten statt“ – mica-Interview mit GEORG LAUTEREN (Trust Records)

Seit 15 Jahren lenkt der heute in Berlin lebende Wiener Georg Lauteren alias DJ Glow die Geschicke des Techno- und Electrolabels Trust Records, auf dem über die Jahre Acts wie Microthol, EPY, DJ Stingray oder Patrick Pulsinger veröffentlicht haben und das sich stilistisch stets sehr treu blieb. Anlässlich der auf drei Maxis aufgeteilten Jubiläumscompilation hat ihn Sebastian Fasthuber über den langen Atem des Labels und Techno damals und heute befragt.

Als du Trust Ende der 90er gegründet hast, war Techno längst nicht mehr neu und es gab viele etablierte Labels. Was war die Gründungsidee?
Georg Lauteren: Techno war damals schon in die Jahre gekommen, hatte sich diversifiziert und an Schwungkraft verloren. Viele wollten so klingen wie Jeff Mills, damals der populärste DJ, und das Resultat war perkussiver Techno von der Stange als vorherrschender Club-Sound. Viele frühe Techno-DJs haben sich zu dem Zeitpunkt anderen Stilen zugewandt, etwa dem Drum & Bass. Mich faszinierte aber vor allem die zweite Electro-Welle aus Detroit, mit Drexciya, Aux88 und Dopplereffekt, die plötzlich wieder viele Räume für neue Ideen aufmachte.

Mit Cheap gab es in Österreich ästhetische Schnittmengen, Patrick Pulsinger hat später dann auch auf Trust veröffentlicht. Im Gegensatz zum Schmäh, der bei Cheap eine große Rolle gespielt hat, war Trust aber immer ziemlich straight und ohne großes Image unterwegs, richtig?
Georg Lauteren: Ästhetisch ist Trust maßgeblich von unserem Grafiker Dextro geprägt, der seit dem ersten Release das Artwork gestaltet. Sein Stil ist sehr futuristisch und abstrakt, und auch ironiefrei im Vergleich zum Cheap-Image von Andi Orel und Constantin Peyfuss, das ja eigentlich geniale Pop-Art ist. Das Abstrakte finde ich auch gut so, weil es oft im Kontrast zur Musik des Labels steht. Electro ist ja doch viel symbolbeladener als Techno oder abstrakte Elektronik. Thematisch interessiert mich, wie auch schon Kraftwerk, die Entwicklung einer vollständig technologisierten Gesellschaft zwischen Utopie und Dystopie, aber das mit Raumschiffen oder Robotern zu visualisieren wäre viel zu platt. Ganz ironiefrei ist aber auch die Trust CI-nicht, der Handshake im Logo ist von der früheren SED-Fahne geklaut. Als ich nach Berlin gekommen bin, hatte ich auch Angst, die Leute würden das total daneben finden, aber scheinbar hat das keiner bemerkt.

Erstaunlich ist, wie konstant der Trust-Sound über die Jahre geblieben ist: minimalistische Tanzmusik an der Schnittstelle zwischen Electro und Techno. Ist das Sturheit, oder woran liegt’s?

Georg Lauteren: Für mich gibt es schon eine ganz klare Linie, die den Sound von Trust ausmacht. Mich interessiert aber natürlich viel mehr Musik als auf Trust passt. Ich habe auch ein neues Label namens Scram gestartet, für Produktionen, die mehr in Richtung Dub-Techno gehen. Beim ersten Release war Pulsinger dabei, der zweite kommt im Herbst und ist von Duke von Hi-Lo / Memory Foundation / Ratio.

Electro ist, flapsig gesprochen, so etwas wie der wenig beachtete kleine Bruder von Techno. Was macht für dich die Faszination des „Boing Boom Tschak“-Electrobeats aus?

Georg Lauteren: Ich sehe den Trust Sound eher als eine Spielart von Techno mit gebrochenen Beats – Techno Bass, wie Electro in Detroit auch heisst. Mich hat am frühen Techno immer der unterkühlte Funk angesprochen, etwa in den Basslines von Kevin Saunderson oder Juan Atkins, und gebrochene Beats kommen dieser Ästhetik sehr entgegen. Ich finde das Gebrochene und die rhythmische Variation auch auf dem Dancefloor spannender. Ich gehe heute zum Beispiel auch lieber auf UK Bass Music Partys als in reine Techno Clubs.

Trust war nie hip, aber hat international einen guten Namen. Wie etabliert ist das Label in der Szene? Über den Hardwax-Laden und den dazugehörigen Webshop, wo die Veröffentlichungen erhältlich sind, werden ja viele Leute erreicht.

Georg Lauteren: Ich denke, Trust ist ein klassisches Produzenten-Label, also dass sich besonders Leute dafür interessieren, die selbst versuchen im Bereich Techno, Electro und Bass etwas Neues zu machen. Martyn oder 2562 zum Beispiel. Oder Hudson Mohawke, der ein großer Fan von EPY ist. Thom Yorke hat letztes Jahr einen Track von Patrick Pulsinger / DJ Glow in einem Guardian-Interview erwähnt. Für konservative Techno- und House-DJs ist Trust eher weniger relevant. Genützt hat uns sicher auch, dass DJ Stingray aus Detroit öfter auf Trust veröffentlicht und mit seinem sehr radikalen Electro-Stil gerade viel Erfolg hat.

Wie hält man ein Label so lang am Leben?
Georg Lauteren: Mit einem Day-Job und ab und zu einer SKE-Förderung für österreichische Produktionen. Aber natürlich auch mit der Begeisterung anderer Leute für das Label. Wenn’s mal keinen mehr interessiert, freut’s mich auch nicht mehr.

Deine Downloadplattform Zero Inch existiert dagegen nicht mehr. Warum?

Georg Lauteren: Dafür gibt es viele Gründe, aber letztendlich ist der digitale Musikmarkt für kleine Unternehmen heute nicht mehr zu knacken – die Margen sind zu gering, der technische und personelle Aufwand zu groß. Selbst Beatport, der Platzhirsch bei Techno-Downloads, hat bei 40 Millionen Dollar Umsatz nie groß Gewinn geschrieben und wurde letztes Jahr an einen US-amerikanischen Event-Promoter verkauft. Und beim Streaming potenzieren sich diese Effekte nochmal – Spotify verbrennt jedes Jahr 60 Millionen Dollar. Da vergeht einem die Lust, mitspielen zu zu wollen.

Wie beurteilst du die Entwicklung von Techno in der letzten Zeit? Es ist interessant, dass ähnlich wie bei den Dinosauriern der Rockmusik aktuell zwei Veröffentlichungen von alten Hasen sehr viel Aufmerksamkeit bekommen: Richie Hawtin alias Plastikman und Richard D. James alias Caustic Window.
Georg Lauteren: Techno war ja immer auch als Gegenentwurf zum Starkult konzipert. Aber so funktioniert nunmal die Unterhaltungsindustrie und ihre Mediensysteme. Richie Hawtin ist ein verdienter Produzent und ein genialer Selbstvermarkter, während Aphex Twin ja geradezu die Verkörperung des Anti-Stars ist, der sich dem ganzen Zirkus komplett verweigert. Der könnte ein reicher Mann sein, wenn er jedes Jahr ein Album machen würde, da hat er aber keinen Bock drauf. Mit aktuellen Entwicklungen im Techno haben aber weder ein neues Plastikman-Album noch ein altes Caustic Window-White Label um 46.000 Dollar etwas zu tun. Die spannenden Dinge passieren nach wie vor in abgefuckten Underground Clubs und auf Vinyl mit 300-Stück-Auflage.

Wo hast du selbst zuletzt etwas Neues oder Aufregendes im Technokontext gehört?
Georg Lauteren: Als DJs fand ich zuletzt etwa Barnt, Max Graef und 2562 so richtig gut, DJ Stingray natürlich, oder auch Actress, einer meiner absoluten Lieblingsproduzenten. Ich mag es, wenn DJs etwas riskieren, verschiedene Stile zusammenbringen und auch mal eine Geschichte erzählen. Actress hat beim CTM in der Panorama Bar minutenlang Harold Faltermeyers „Axel F“ mit „Afro-Germanic“ von Underground Resistance gemixt. Das war in jeder Hinsicht unglaublich. Was Musikproduktionen betrifft, gibt es zuviel es aufzuzählen, aber ich mochte zuletzt die neuen Alben von Actress, NRSB-11 (DJ Stingray und Dopplereffekt), Conforce, auch „The Air Between Words“ von Martyn oder das Boards of Canada-Album aus dem Vorjahr. Generell mag ich aber auch moderne Bass-Musik Varianten sehr gern, wie etwa Shackleton, D-Bridge, Boddika, Om Unit, Fatima Al Qadiri, Nguzunguzu... oder das Kanye West Album. Aber steht das noch im Technokontext? (Lacht)

Ist es nicht überhaupt der falsche Ansatz, noch nach etwas Neuem zu suchen? Wenn ich mir die drei Jubiläums-Maxis von Trust durchhöre, dann ist das ja im besten Sinne zeitloser Sound, wo man kaum sagen kann, ob die Tracks aus 2000, 2014 oder vielleicht sogar 2028 stammen.
Georg Lauteren:  Wir waren natürlich privilegiert, mit Techno die letzte große musikalische Revolution erlebt zu haben, die auch von einer umfassenden kulturellen Bewegung begleitet wurde. Wenn ich heute 18-Jährige treffe, die sich für Musik interessieren, dann hören und machen die Techno, Drum & Bass oder vielleicht mal HipHop. Das klingt alles nicht viel anders als vor 15 Jahren. Das soll aber nicht pessimistisch oder nach „Ende der Musikgeschichte“ klingen. Durch Internet, Computer und Digitalisierung, also durch die breite Verfügbarkeit von Produktionsmitteln, Informations- und Vertriebskanälen haben sich tatsächlich so etwas wie globale Dörfer gebildet – differenzierte Subsubszenen mit ihren eigenen kulurellen Codes, von denen ab und an mal etwas in den Mainstream sickert. Die Revolution findet heute im Privaten statt.

Sebastian Fasthuber

Foto Georg Lauteren: Stephan Doleschal