Die Musikveranstaltungswirtschaft in der COVID-19-Pandemie – Live Nation

Die Musikveranstaltungswirtschaft befindet sich aufgrund der COVID-19-Pandemie in ihrer schwersten Krise seit dem 2. Weltkrieg. Seit März 2020 finden in den meisten Ländern so gut wie keine Livemusik-Veranstaltungen mehr statt. Konzerte und Musikfestivals wurden wegen geltender Lockdowns und Maßnahmen zur sozialen Distanzierung abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Bereits Ende März 2020 wurde in einer Erhebung der deutschen Musikwirtschaftsverbände der Einnahmenverlust der deutschen Musikveranstaltungswirtschaft für den Zeitraum von April bis September 2020 auf EUR 4,54 Mrd. geschätzt. Mittlerweile hat sich dieser Wert aufgrund der anhaltenden Schließung von Veranstaltungsstätten und der Absage von Musikfestivals auf mehr als 10 Milliarden Euro  summiert.

Es gilt allerdings zu bedenken, dass der Livemusik-Sektor stark fragmentiert und divers ist. Den internationalen Konzertmarkt dominieren die großen Livemusik-Konglomerate wie Live Nation, Anschutz Entertainment Group (AEG) sowie die deutsche CTS Eventim. Diese Konzerne kontrollieren einen oligopolistischen Musikveranstaltungsmarkt mit einer unüberschaubaren Anzahl von kleinen und mittleren Konzertveranstaltern, Booking- und Management-Agenturen, die meist auf lokaler oder regionaler Ebene tätig sind, und keinerlei Einfluss auf die Marktstrukturen und -prozesse haben. Vor allem diese kleinen und mittleren Player des Livemusik-Business leiden besonders stark unter der faktischen Schließung des gesamten Sektors und sind von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen abhängig. Aber wie sieht die Situation für die Livemusik-Konzerne aus? Ist deren Existenz ebenfalls in Gefahr? Dieser Blogbeitrag versucht diese Frage mit Hilfe der Analyse der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf den weltgrößten Musikveranstaltungs- und Ticketingkonzern Live Nation zu beantworten. Dafür wurden die Quartalsberichte von Live Nation für den Zeitraum von Januar bis September 2020 in Hinblick auf die Auswirkungen der Pandemie ausgewertet und Live Nations Strategie zur Krisenbewältigung näher beleuchtet.

Die Musikveranstaltungswirtschaft in der COVID-19-Pandemie – Live Nation

2019 war für Live Nation das wirtschaftlich erfolgreichste Jahr seit der Fusion mit weltweit größten Ticketingkonzern Ticketmaster 2010. Die konsolidierten Einnahmen erreichten in diesem Jahr den Höchstwert von US $11,7 Mrd., was einem Anstieg von 128 Prozent seit 2010 entspricht. 2019 konnte zudem ein Gewinn nach Steuern von US 118,2 Mio. nach Jahren von Verlusten ausgewiesen werden (Live Nation 2020).[1]

Abbildung 1: Die Umsatz- und Gewinnentwicklung von Live Nation nach Geschäftsfeldern, 2010-2019

Quelle: Jahresberichte der Live Nation Entertainment 2010-2020

Obwohl Live Nation der globale Marktführer für Musikveranstaltungen ist, war das Geschäftsfeld „Concerts“ in all den Jahren immer in den roten Zahlen. 2019 lag das operative Ergebnis für das Konzert-Segment bei US $-53,5 Mio., das aber durch Gewinne in den beiden anderen Geschäftsbereichen „Ticketing“ (US $232,0 Mio.) und „Sponsorship & Advertising“ (US $330,3 Mio.) (ibid.) mehr als kompensiert werden konnte. Das Geschäftsmodell von Live Nation beruht demnach vor allem auf Ticketing- und Sponsoring-/Werbeeinnahmen, die das eigentliche Kerngeschäft mit Musikveranstaltungen quersubventionieren.

Nichtsdestotrotz hatte die COVID-19-Pandemie einen verheerenden Einfluss auf die Geschäftstätigkeit von Live Nation in den ersten drei Quartalen des Jahres 2020. Live Nation musste mehr als 5.000 Konzerte absagen, für die in etwa 15 Millionen Tickets hätten verkauft werden können. Zusätzlich wurden 6.000 Konzerte (22 Millionen Tickets) auf 2021 verschoben (Live Nation 2020d: 11). Es ist daher wenig verwunderlich, dass der Gesamtumsatz für alle drei Quartale (Q1-Q3) 2020 um 81 Prozent auf US $1,62 Mrd. von US $8,66 Mrd. im gleichen Zeitraum 2019 gesunken ist. Das operative Ergebnis für die ersten drei Quartale 2020 hat sich in einen Verlust von US $556,4 Mio. verwandelt, nachdem im Vorjahr ein solider Gewinn von US $22,3 Mio. ausgewiesen werden konnte (ibid: 3-4).

Abbildung 2: Umsatz und operatives Ergebnis von Live Nation Q1-Q3 2019 und 2020

Quelle: Quartalsberichte der Live Nation Entertainment für Q1-Q3 2019 und 2020

Wenig überraschend, wurde das Geschäftsfeld „Concerts“ von der Pandemie getroffen, das ein kumuliertes negatives Ergebnis von US $722,6 Mio. aufwies. Aber auch das sonst positiv wirtschaftende „Ticketing“-Segment musste aufgrund der Refundierung von Konzertkarten für abgesagte Shows ein negatives Ergebnis von US 480,5 Mio. verkraften. Der Umsatz aus dem Ticketverkauf war, und das ist wirklich außergewöhnlich, für zwei der drei Quartale aufgrund der Refundierungen sogar negativ – US $ -87,0 Mio. für Q2 und US $ -19,8 Mio. für Q3. Somit war der Geschäftsbereich „Sponsorship & Advertising“ der einzige, der einen moderaten Gewinn von US $40,8 Mio. über alle drei Quartale hinweg ausweisen konnte, der natürlich die Verlust in den beiden anderen Geschäftsfeldern nicht einmal annähernd ausgleichen konnte (ibid: 29).

Abbildung 3: Die Umsatzentwicklung von Live Nation nach Geschäftsbereichen, Q1-Q3 2019 und 2020

Quelle: Quartalsberichte der Live Nation Entertainment für Q1-Q3 2019 und 2020

Abbildung 4: Die Entwicklung des operative Einkommens von Live Nation für Q1-Q3 2019 und 2020

Quelle: Quartalsberichte der Live Nation Entertainment für Q1-Q3 2019 und 2020

Um die massiven negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Geschäftstätigkeit von Live Nation besser zu verstehen, ist es wichtig, genauer die Funktionsweise des Veranstaltungs- und Ticketinggeschäfts des Konzerns zu analysieren. Der Veranstaltungssektor von Live Nation erzielt seine Umsätze aus der Abhaltung von Livemusic-Events in konzerneigenen, bewirtschafteten und angemieteten Veranstaltungsstätten, indem Konzertkarten verkauft von Konzessionen für Verkaufsstände, Gastronomie und Parkplatzvermietung erteilt werden. Zusätzlich verdient Live Nation auch noch an den Servicegebühren, die von der Tochtergesellschaft Ticketmaster beim Kartenverkauf verrechnet werden. Als Eigentümer von zahlreichen Veranstaltungsstätten erzielt Live Nation auch Miet- und Pachteinnahmen für Fremdveranstaltungen und als Eigentümer von Künstleragenturen scheidet Konzern auch noch bei den Einnahmen der unter Vertrag stehenden KünstlerInnen und anderer Kunden mit. Zusätzlich ist Live Nation auch noch im Merchandising-Business aktiv und verkauft entsprechende Fanartikel im Rahmen von Konzerten und Festivals (Live Nation 2020d: 26).

Die Konzerntochter Ticketmaster hebt Entgelte für die Abwicklung des Ticketverkaufs, egal ob die Eintrittskarten online oder bei einer Verkaufsstelle erworben werden. Dabei sind der Fantasie von sogenannten „Convenience- und Servicegebühren“ keine Grenze gesetzt. Es handelt sich dabei vor allem um ein Agenturgeschäft im Auftrag von Drittkunden wie Veranstaltungsstättenbetreibern und Konzertveranstaltern, aber auch Theatern, Museen und Sportligen bzw. Sportklubs (ibid.: 27).

Das Ticketinggeschäft von Live Nation beruht sowohl auf gegen-verrechenbaren (recoupable) als auch nicht gegen-verrechenbaren Vorschüssen an die genannten Drittkunden. Der gegen-verrechenbaren Vorschuss wird mit zukünftigen Ticketeinnahmen des Geschäftspartners zurückbezahlt, was eine Abhängigkeit der Veranstaltungsstättenbetreiber und Veranstalter von Live Nation erzeugt. Die nicht gegen-verrechenbaren (non-recoupable) Vorschüsse sind aber auch kein Geschenk von Live Nation an ihre Vertragspartner, sondern sollen eine langfristige Geschäftsbeziehung sicherstellen. In Zahlen ausgedrückt, hatte Live Nation am 30. September 2020 US $66,6 Mio. Vorauszahlungen und US $91,1 Mio. langfristige Vorschüsse in seinen Büchern, von denen US $38,8 Mio. sich am Ende des dritten Quartals 2020 amortisierten (ibid.: 27).

Die dritte Einnahmequelle von Live Nation sind Sponsoring- und Werbeverträge mit strategischen Geschäftspartnern. Nach einer sehr guten Geschäftsentwicklung des Segments „Sponsorship & Advertising“ im ersten Quartal 2020, gingen die Einnahmen in den beiden Folgequartalen deutlich zurück. Da Sponsoring- und Werbedeals üblicherweise auf mehrere Jahre geschlossen werden, fiel der Einnahmenrückgang nicht so abrupt wie in den beiden anderen Geschäftsfeldern aus. Am Ende des dritten Quartals 2020 hatte Live Nation Sponsoring- und Werbekontrakte im Wert von US $956,3 Mio. in den Büchern (ibid.: 28). Damit verfügt der Konzern über die nötige Liquidität, um allen finanziellen Verpflichtungen nachkommen zu können.

Nichtsdestotrotz musste Live Nation auch auf der Ausgabenseite massive Kürzungen vornehmen. Neben einem Aufnahmestopp für neues Personal, wurden Ausgaben auch durch Gehaltskürzungen und Entlassungen verringert. Weitere Einsparungen konnten durch das Neuverhandeln von Miet- und Pachtverträgen, der Reduktion von Reise- und Aufenthaltskosten von KünstlerInnen und Tour-Personal, der Verschiebung von Instandhaltungsmaßnahmen sowie die Kürzung von Marketingausgaben erzielt werden (ibid.: 12-13).

Live Nation ist aber auch in vielen Ländern in den Genuss von staatlichen Unterstützungsmaßnahmen wie Kurzarbeit oder Fixkostenzuschüssen, wie sie in Deutschland, Italien, Spanien, im Vereinigten Königreich sowie in den USA angeboten werden, gekommen. Zusätzlich hat Live Nation seine Zuschüsse im Konzert- und Ticketinggeschäft massiv zurückgefahren, um Liquiditätsabflüsse zu verringern. Alles in allem beziffert der Konzern am Ende des dritten Quartals die Kostenreduktion durch Ausgabenkürzungen und Staatliche Hilfsmaßnahmen auf US $900 Mio. (ibid.).

Wie bereits in Abbildung 2 dargestellt, konnte Live Nation seine Ausgaben im selben Ausmaß, d.h. um 81 Prozent, kürzen wie der Umsatz im selben Zeitraum eingebrochen ist. Im Bericht für das dritte Geschäftsquartal wird daher geschlussfolgert: „We believe this aggressive cost and cash management program, combined with a strong liquidity profile, positions us to manage through the global COVID-19 pandemic-related hold on show activity and provides the flexibility to scale up quickly when shows restart.“ (ibid.: 13).

Die guten Nachrichten für die Live Nation-Aktionäre und Investoren, sind gleichzeitig schlechte für tausende Beschäftigte, die ihren Job bei Live Nation verloren haben und nun um ihre Existenz in einem ohnehin angespannten Arbeitsmarkt fürchten müssen. Allerdings hat Live Nation auch nur wenig Spielraum und muss vor allem die strategischen Investoren während der Pandemie bei der Stange halten. Abgesehen von den Live Nation Vorstandsmitgliedern, die 5,48 Prozent an den Aktien von Live Nation halten, sind vor allem die Liberty Media Corporation (32,36 Prozent), The Vanguard Group (7,04 Prozent) und BlackRock Inc. (5,30 Prozent) die wichtigesten Eigentumer.[2] Liberty Media ist eines der größen Medienkonglomerate in den USA und Eigentümer unter anderem von Sirius XM Satellite Radio und der US Musikstreamingplattform Pandora. BlackRock und Vanguard sind global agierende Investmentfonds, die Anlegergelder in Billionenhöhe verwalten und auch strategische Investoren für Börsenschwergewichte wie Apple Inc., Microsoft, Großbanken und andere Finanzinstitutionen sind, die wiederum die wichtigsten Kreditgeber bzw. Gläubiger von Live Nation sind. Diese Interessensverschränkung hilft Live Nation an die entsprechende Liquidität für ihre Geschäftstätigkeit währende der Coronakrise zu kommen, weil der Konzern einfach „too big to fail“ ist.

Die Existenz von Live Nation steht wegen der COVID-19-Pandemie daher nicht am Spiel. Am 30. September 2020 wies die Konzernbilanz liquide Mittel in der Höhe von US $2,6 Mrd. aus. Das ist sogar um 6,3 Prozent mehr als in der vergleichbaren Vorperiode (Live Nation 2020d: 2). Zusätzlich hat Live Nation im Umfang von US $1,2 Mrd. langfristige vorrangig besicherte Schuldverschreibungen mit einer Verzinsung von 6,5 Prozent ausgegeben. Insgesamt verfügte Live Nation am Ende des dritten Quartals über ein Volumen von US $4,9 Mrd. an Schuldtiteln (ibid.: 19). Unterstützt durch strategische Investoren und ausgestattet mit ausreichenden Cash-Reserven und zusätzlicher Liquidität, wird Live Nation ohne Zweifel die Corona-Pandemie überstehen.

Es ist sogar zu vermuten, dass Live Nation in der Zeit nach der Pandemie eine noch stärkere Martposition haben wird als davor. Der weltgrößte Musikveranstaltungs- und Ticketingkonzern verfügt nicht nur über ausreichende Reserven, um die Krise zu überstehen, sondern wird auch noch genügend Mittel zur Verfügung haben, um kleinere Mitbewerber aufzukaufen, die nicht Live Nations Finanzkraft haben.Live Nation wird auch mit Hilfe seines Vorschuss-Systems seine Position im Wertschöpfungsnetzwerk des Musikveranstaltungsbusiness stärken, das durch die COVID-19-Krise grundlegend verändert werden wird, wobei Live Nation wohl ein Nutznießer der Veränderungen sein wird.

Peter Tschmuck

———————————————————————————————-

Peter Tschmuck ist Professor am Institut für Kulturmanagement und Gender Studies der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst.

Der Artikel ist auf der Seite der Musikwirtschaftsforschung erschienen.

—————————————————————————————-

Literaturangaben

Live Nation Entertainment, 2020a, Jahresbericht für das Geschäftsjahr mit Ende 31. Dezember 2019, Los Angeles.

Live Nation Entertainment, 2020b, Bericht für das erste Geschäftsquartal mit Ende 31. März 2020, Los Angeles.

Live Nation Entertainment, 2020c, Bericht für das zweite Geschäftsquartal mit Ende 30. Juni 2020, Los Angeles.

Live Nation Entertainment, 2020d, Bericht für das dritte Geschäftsquartal mit Ende 30. September 2020, Los Angeles.

[1] Live Nation konnte seit 2010 lediglich für die Jahre 2016 (US $2,9 Mio.) und 2018 (US $60,2 Mio.) einen Gewinn nach Steuern verbuchen (Live Nation 2017 und 2020).

[2] Live Nation, Definitive proxy statement (DEF 14A), 23. April 2020, https://investors.livenationentertainment.com/sec-filings/all-sec-filings/content/0001335258-20-000069/lyv-proxyx2020.htm?TB_iframe=true&height=auto&width=auto&preload=false (Zugriff am 20.01.2021)