Die Klimafrage hat längst auch in die Musikindustrie Eingang gefunden. Was klarerweise wenig verwundert, sind Tourneen doch auch immer mit Reisen von Stadt zu Stadt und damit mit dem Ausstoß von Abgasen verbunden. Um Konzertreisen in Zukunft so klimaverträglich und umweltschonend wie möglich zu gestalten, haben Studierende der POPAKADEMIE BADEN-WÜRTTEMBERG in Zusammenarbeit mit der „Green Music Initiative“, dem Künstlermanager Julian Butz (Neubau Music) und der „EnergieAgentur NRW“ den „Green Touring Guide“ erarbeitet, der MusikerInnen, Künstler- und TourmanagerInnen, VeranstalterInnen, Venues und Bookingagenturen als Leitfaden dienen soll, eben dies zu ermöglichen. FINE STAMMNITZ vom „Green Touring Network“ über die Idee hinter dem „Green Touring Guide“.
Was hat euch dazu bewogen, den „Green Touring Guide“ zusammenzustellen? Was hat Umweltschutz mit der Musikindustrie zu tun?
Fine Stammnitz: Der „Green Touring Guide“ zum umweltbewussteren Touring für „für Musikschaffende und andere Künstlerinnen und Künstler, Tourmanagerinnen und -manager, Veranstalterinnen und Veranstalter, Veranstaltungsstätten und Bookingagenturen, der als Ergebnis der Projektwerkstatt der Popakademie Baden-Württemberg in Kooperation mit der „Green Music Initiative“, der „Thema1 GmbH“, dem Künstlermanager Julian Butz und der „EnergieAgentur NRW“ entstand, bietet hilfreiche Anstöße und praktische Empfehlungen für alle Personen, die mit der Organisation und Durchführung einer Tourneereise betraut sind. Es werden Best-Practice-Beispiele verschiedener Bands, die nachhaltig Tourneen durchgeführt haben, vorgestellt. Hier werden die Beispiele von Radiohead, We Invented Paris, Clueso und Jack Johnson angeführt, die als Inspiration dienen. Im „Green Touring Guide“ werden die Teilbereiche Mobilität, Venue, Catering, Hospitality, Merchandise und Kommunikation angesprochen. Die einzelnen Maßnahmen wurden bezüglich der Kosten der Umsetzung, der Geschwindigkeit der Realisierbarkeit, der Kommunikationswirkung und der Umweltwirkung bewertet und eingeteilt. Es werden für jeden Teilbereich sowohl Maßnahmen, die mehr oder weniger umgesetzt werden können, als auch Label zur Identifizierung der richtigen Partnerinnen und Partner zur Förderung der Nachhaltigkeit einer Tourneereise geboten. Zusätzlich gibt es für jeden Teilbereich die „Marktplatz“-Sektion, in der hilfreiche Publikationen und Internetportale vorgestellt werden. Eine Lektüre des „Green Touring Guide“ ist hilfreich und wichtig für jede Akteurin und jeden Akteur, die bzw. der Wert auf ökologische Nachhaltigkeit legt. Im Ausblick des „Green Touring Guide“ wird darauf hingewiesen, dass der Leitfaden ein weiterer Schritt sei, klimaverträgliche Tourneereisen in Deutschland zu etablieren. Es gibt zwar in der Musikindustrie einige Interessierte und auch engagierte Akteurinnen und Akteurinnen, die die Maßnahmen umsetzen werden oder schon aus einem Selbstverständnis heraus umsetzen, jedoch wird es weiterhin eine Vielzahl an Skeptikerinnen und Skeptikern geben. Darum ist es besonders wichtig, Pilotprojekte durchzuführen – sowohl bei kleinen als auch bei großen Produktionen – und die Akteurinnen und Akteure anhand derer anzuregen, nachhaltiger zu agieren. Ein großer Bestandteil dessen ist eine möglichst breite Kommunikation der Maßnahmen und positiven Effekte, um das Bewusstsein zu stärken und die Wahrnehmung der Akteurinnen und Akteure in Bezug auf die Dringlichkeit und die positiven Aspekte des umweltfreundlicheren Touring zu erweitern.
„Die Kommunikation des Themas Nachhaltigkeit sollte vielmehr ein weiterer Bestandteil der künstlerischen Identität sein,“
Coldplay haben kürzlich angekündigt, auf klimaschädliche Touren zu verzichten. Massive Attack kooperieren mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, um den CO2-Fußabdruck der Musikindustrie zu ermitteln. Wird der Umweltschutz in der Musikindustrie zunehmend ein PR-Faktor?
Fine Stammnitz: Wenn Künstlerinnen und Künstler authentisch das Thema Nachhaltigkeit nach außen kommunizieren, so kann das eine Auswirkung auf die Denkweise und das Bewusstsein der Fans und Follower haben. Hierbei ist es wichtig, den üblichen Ton und das gewohnte Verhalten, welche zu einer Fanbindung an die Künstlerinnen und Künstler geführt haben, beizubehalten. Die Kommunikation des Themas Nachhaltigkeit sollte vielmehr ein weiterer Bestandteil der künstlerischen Identität sein, der nach außen kommuniziert und dargestellt wird, ohne die Fans für ihr Verhalten anzuprangern oder zu verurteilen. Umweltbewusstsein sollte eher ein Thema sein, das in jegliche Bereiche des künstlerischen Schaffens und der daraus hervorgehenden Produkte eingebunden wird und nicht das Gefühl von Verzicht vermittelt, sondern vielmehr von Mehrwert. Dies ist wichtig, da der hauptsächliche Beitrag, den die Musikindustrie zum Klimaschutz leisten kann, aus der Vorbildfunktion und der Darbietung und Diskussion des Themas besteht. Dadurch kann das Bewusstsein in der Gesellschaft für das Thema Klimaschutz gesteigert und die Nachfrage und Forderung der Gesellschaft, politische Beschlüsse und Reglementierungen branchenübergreifend zu etablieren, implementiert werden. Dies kann zu einem erhöhten Druck auf die Politik führen, wodurch tatsächliche, politisch manifestierte Regulierungen und Verbesserungen entstehen können, die zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels führen können. Der Schlüssel hierbei ist es, das Thema Umweltschutz nicht negativ zu kommunizieren, da das Thema in der Gewaltigkeit und Bedrohung generell schon sehr negativ konnotiert wird, was zu einer bewussten Ignoranz führt.
Zusätzlich kann die Kommunikation über diese Maßnahmen und die Etablierung derer in das Kommunikationskonzept der Künstler*innen auch für das Marketing und die Imagebildung von Künstler*innen zuträglich sein. Durch die Implementierung der Maßnahmen und Ansichten in die Kommunikation nach außen werden die Künstler*innen für die Fans respektabler und somit eher als Vorbild angesehen, was eine Steigerung der Fanbindung bedeutet. Durch das Kreieren von Events oder besonderen Ereignissen, die im Kontext der Nachhaltigkeit stehen oder durch die Dokumentation der ökologisch nachhaltigen Umsetzung von Ereignissen werden diese für den Fan spannender. Dies bedeutet, dass ein Event mit einer Geschichte dahinter und einer positiven Auswirkung auf die Stimmung des Fans eher im Gedächtnis bleiben wird und die Wahrscheinlichkeit, dass Fans ihrem persönlichen Umfeld davon berichten, steigt. Dies hat zum einen Vorteile für den Imageaufbau und die Reichweite der Künstler*innen an sich als auch größere Auswirkungen auf die Gesellschaft, da ebenso die Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Fans sich mit ihrem sozialen Umfeld nicht nur über die Künstler*innen austauschen, sondern auch über das Konzept dahinter und das Thema Klimaschutz. Die Maßnahmen der Kommunikationsstrategie sollten der Künstler*innenpersönlichkeit entsprechen und nicht von dem üblichen Stil oder Tonus abweichen, denn selbst wenn das Thema omnipräsent und höchst wichtig ist, wird es nicht den gewünschten Effekt erzielen, wenn die Kommunikation aufgesetzt oder aufgezwungen wirkt. Eine reale positive Beeinflussung der Fans kann nur durch Authentizität erreicht werden.
Zusätzliche Kosten oder ein hoher Aufwand für Klimaschutzmaßnahmen kann gerade für junge Künstlerinnen und Künstler und kleinere Veranstalter abschreckend sein. Was könnt ihr Artists, Clubs und Festivals, aber auch Agenturen, Labels und Managements empfehlen? Welche Maßnahmen sind schnell umsetzbar, welche haben den größten Impact?
Fine Stammnitz: Wir haben mehrere Empfehlungen, und zwar was das Routing, die Crew und das Equipment, die Anfahrt der Fans, die Clubs und Veranstaltungsstätten, die Speisen, die Unterkünfte, das Merchandising und die Promotion betrifft.
Bei längerfristiger Planung einer Tour und ausreichend Auswahl sollte immer ein Transporter mit niedrigem Benzin‐ bzw. Dieselverbrauch gewählt werden. Dieser schont nicht nur die Umwelt, sondern spart auch Kosten. Wenn die Tour mit Vorlauf geplant wird, sollte man Umwege und Zickzack‐Fahrten vermeiden. One‐off‐Stopps sollten vermieden werden.
Die Crew sollte möglichst klein sind, man sollte effizient packen und die Bühnen- und Tontechnik wenn möglich mit den Supporting Acts teilen. Man sollte auf Local Support statt auf „mitgebrachtem“ Support setzen. Lokale Bands haben einen kurzen Anfahrtsweg und benötigen in der Regel keine Unterkunft.
Konzerttickets sollten gemeinsam mit einem Ticket für den öffentlichen Personennahverkehr [ÖPNV; Anm.] angeboten werden, wenn das Sinn macht, also die Zielgruppe eher nicht im Besitz von Monats- bzw. Semestertickets ist. Man sollte die Veranstalterin bzw. den Veranstalter ansprechen, ob dies routinemäßig gemacht wird. Falls ja, ist ein großer Schritt getan, damit die Zuschauerinnen und Zuschauer klimafreundlich anreisen. Die Veranstaltungsorte sollten zentral gelegen und gut zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad erreichbar sein. Es sollten Fahrradstellplätze vorhanden sein. Diese sollten auf der Homepage, bei Einladungen und auf den Veranstaltungsseiten wie z. B. auf Facebook deutlich kommuniziert werden. Falls nicht klar ersichtlich ist, ob eine nicht motorisierte Anreise möglich ist, sollte man bei der Veranstalterin bzw. dem Veranstalter nachfragen und sie bzw. ihn darum bitten, dies klar zu kommunizieren. Bei Veranstaltungsstätten, die keine gute Anbindung an den ÖPNV haben, kann die Integration einer Mitfahrzentrale auf der Homepage in Erwägung gezogen werden. So lockt man auch Besucherinnen und Besucher an, die mangels Anreisemöglichkeit nicht zu einer Veranstaltung kommen können. Man kann auch die Fans beispielsweise über Social Media zum gemeinsamen Anreisen aufrufen.
Es ist wichtig und richtig, Clubs zu fördern, die bereits in den Klimaschutz investieren, dadurch verringert sich auch der Fußabdruck der eigenen Tour. „Grüne“ Clubs sind nicht immer leicht zu erkennen, es gibt jedoch ein paar Orientierungspunkte wie den „Green Club Index“ oder clubmob.de. Manche Venues kommunizieren auf der Website, dass sie Ökostrom nutzen. Ansonsten kann man direkt bei den Venues anfragen. Das Bühnenlicht sollte ein LED-Licht sein, da dies energieeffizienter ist.
Saisonale und regionale Speisen reduzieren den CO2‐Fußabdruck, da weder Energie für eine aufwendige Lagerung noch für weite Transportwege verschwendet wird.
Man sollte private Unterkünfte nutzen oder Hotels über www.bookdifferent.com buchen.
Bei Merchandise-Produkten sollte auf den Einsatz hochwertiger Materialien geachtet werden, denn auch die Lebensdauer eines Kleidungsstücks hat Einfluss auf die Umwelt: Je länger T‐Shirts getragen werden können, desto klimafreundlicher sind sie. Gute Qualität kann auch ein Aushängeschild für die Künstlerinnen und Künstler sein. Man sollte T‐Shirts verwenden, bei denen durch eine Zertifizierung belegt ist, dass die Herstellung ökologisch oder klimafreundlich erfolgt ist. Man kann Vintage‐Stoffe oder Upcycling‐Materialien verwenden, denn Textilien, die nicht neu hergestellt, sondern neu bedruckt oder zusammengenäht werden, schonen die Umwelt.
Wenn es um die Promotion geht, sollte man verstärkt papierlose Alternativen nutzen, beispielsweise Social Media und Mailing‐Lists. 100-Prozent-Recyclingpapier sollte die erste Wahl sein; ansonsten kann man Papier aus umweltverträglicher Herstellung verwenden. Alte Poster können als Verpackungs‐ bzw. Versandmaterial für neue Poster genutzt werden. Alte Bühnenbanner kann man an Upcycling‐Werkstätten geben, die daraus Taschen machen.
„So kann durch Veränderungen, die im Kleinen beginnen, durch inspirierende Einzelbeispiele, die über ursprüngliche Vorstellungsgrenzen hinausgehen, eine große Auswirkung entstehen.“
Eure Empfehlungen konzentrieren sich auf den Touring- bzw. Live-Bereich. Wo seht ihr darüber hinaus den größten Handlungsbedarf der Musikindustrie?
Fine Stammnitz: Die Musikindustrie kann einen wesentlichen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Wenn die Musikindustrie es schafft, sich zu vereinen, Konzepte und Wissen zu teilen sowie transparent und ohne Restriktionen durch übliche Herangehensweisen an gewisse Aufgabengebiete Lösungen zu suchen und zu finden, kann diese als Vorbildfunktion für andere Branchen dienen. Künstlerinnen und Künstler können das Bewusstsein in der Gesellschaft stärken und sich für klimapolitische Themen einsetzen. So kann durch Veränderungen, die im Kleinen beginnen, durch inspirierende Einzelbeispiele, die über ursprüngliche Vorstellungsgrenzen hinausgehen, eine große Wirkung entstehen. Wenn die Musikindustrie es schafft, mit gutem Beispiel voranzugehen und dadurch immer größere Teile der Gesellschaft zum Wandel anzuregen und zu inspirieren, kann das im Endeffekt Auswirkungen auf die Politik und tatsächliche Änderungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext bedeuten. Die Schritte hier wären ein Monitoring der tatsächlichen Treibhausgasemissionen der Musikindustrie, ein Zusammenführen der Künstlerinnen und Künstler sowie Akteurinnen und Akteure der Musikindustrie, eine Einigung auf zentral gesetzte Standards unter den Akteurinnen und Akteuren der Musikindustrie und eine internationale Vernetzung der Musikindustrien.
An welche Stellen können sich interessierte Kunstschaffende und ihre Partnerinnen und Partner weiterführend wenden? Wo findet man grüne Alternativen, was den Transport, das Merchandising, die Promotion etc., betrifft?
Fine Stammnitz: Im „Green Touring Guide“ sind einige Siegel und Plattformen angeführt. Des Weiteren können Künstlerinnen und Künstler und ihr Businessumfeld das „Green Touring Network“ für eine weiterführende Beratung kontaktieren.
Green Touring Guide zum Download
Links:
Green Touring Networks
Green Music Initiative
Neubau Music
Nachhaltiges Touren? – So wollen Bands das Klima schützen (Artikel FM4, 31.01.2020)
Popmusik steckt in der Klimakrise (Artikel der Standard, 17.01.2020)