„Die Loopmaschine ersetzt die Narration“ – BERNHARD LANG im mica-Interview

Der oberösterreichische Komponist BERNHARD LANG, dem mit seinem „Theater der Wiederholungen“ der internationale Durchbruch gelang, schrieb im Auftrag der WIENER FESTWOCHEN Musik und Libretto für einen neuen „Parsifal“. Mit JONATHAN MEESE, SIMONE YOUNG, dem KLANGFORUM WIEN und dem ARNOLD SCHOENBERG CHOR trifft hier ein künstlerisches Rolls-Royce-Team auf Bühnenweihspiel. Anlässlich der bevorstehenden Uraufführung von „Mondparsifal Alpha 1-8“ sprach Ruth Ranacher mit BERNHARD LANG über magische Texte, neue Lesarten, Metatheater und ungewisse Zündungseffekte.

Wagners „Parsifal“ – Wie nähert man sich einer kulturgeschichtlichen Ikone? Und wie kann man rein zeitlich mit dem enormen Umfang umgehen?

Bernhard Lang: Ich möchte da zunächst mit der bilderstürmerischen Herausforderung beginnen. Wenn man eine Ikone, einen sakralen Text der westlichen Archivkultur überschreibt, ist das zunächst eine extreme Herausforderung, weil man zu viel Respekt hat. Mit der Zeit realisiert man, dass jede Überschreibung eine Wertschätzung des Originals ist. Es handelt sich ja nicht um eine Zerstörung des Originals, sondern um eine neue Lesart.

„Dieser Schritt ins Weite stärkte mir das Rückgrat, dass ich mich doch an Wagner wagen könnte.“

Bernhard Lang: 2007 startete ich mit den „Monadologien“: Eine Serie, in der ich eine spezifische Kompositionstechnik anwandte. Ich fing an, Strauss, Mozarts Komtur-Szene bei „Don Giovanni“ und andere große Werke zu überschreiben. Abstrahiert wurden diese Überschreibungen von den Wiener Metafilmkünstlerinnen und -künstlern und ihren Found-Footage-Arbeiten. Allen voran ist hier Martin Arnold zu nennen, der mit vorhandenem Material neue Narrationen und Texturen bildet. Diese Schnitttechnik, das Montieren und Remontieren, bot mir gedanklich große Inspiration. Das Musiktheater ist dem Film am nächsten, daher mussten meine Werke im Musiktheater münden.

Der letzte größte Schritt war eine 60-minütige Überschreibung von Bruckners „Linzer Sinfonie – Das kecke Beserl“, die bei den Donaueschinger Musiktagen zur Uraufführung gelangte. Dieser Schritt ins Weite stärkte mir das Rückgrat, dass ich mich doch an Wagner wagen könnte.

Bernhard Lang (c) Harald Hoffmann

Jetzt komme ich zur zweiten Hürde: zur Dauer. Bei einem der ersten Konzeptionsgespräche in Berlin sagte Jonathan Meese, dass die neue Arbeit mindestens so lang sein müsse wie das Original. Mit dieser Entscheidung sind wir mit vollem Bewusstsein ins Unzeitgemäße hineingegangen. Ich recherchierte also die Dauer verschiedener Inszenierungen und suchte mir die mit dreieinhalb Stunden kürzeste Aufnahme von Pierre Boulez aus. Nach genau dieser Zeitstruktur versuchte ich, Szene für Szene nachzustellen und auch die drei Akte zu konstruieren. Der Text und das gesamte Umfeld Wagners bildeten die Basis. Ich übte zuerst den Klavierauszug, parallel schrieb ich das Libretto um und komponierte weiter, Text und Musik entstanden simultan. Ich habe einzelne Textpassagen herauszitiert, in Wiederholungsstrukturen verpackt und geloopt.

Sie haben den Text stellenweise umgeschrieben und machen – um hier die prominenteste Stelle zu zitieren – aus dem Original eine „Erlösung von Erlösern“.

Bernhard Lang: Ich habe festgestellt, dass es bei Nietzsche folgende Stelle gibt: „Erlösung vom Erlöser.“ Damit meinte er Wagner. Und zwar zu einer Zeit, in der er sich völlig von Wagners Ästhetik und Ideologie abwandte. Bei mir ist es anders gedeutet: „Erlösung von Erlösern“, diesen Satz verstehen wir in dieser Welt alle sehr gut.

Auf der Textebene haben Sie auch Fremdsprachen eingesetzt. Wie kamen Sie zu der Entscheidung?

Bernhard Lang: Einerseits gab es eine explizite Franzosenfeindlichkeit Wagners, andererseits hatte er zu dieser Zeit eine französische Geliebte, die „Parsifal“ ins Französische übersetzte. Außerdem gefiel es mir vom Klang her sehr gut. Die Blumenmädchen auf Französisch klingen fantastisch. Den Amfortas und diese unglaublich fahle, unglaublich pathetische, ernste Sprache ins Englische zu übertragen war ein kleiner Kunstgriff, um die Figur in die shakespearesche Gruselkammer zu verlegen. Des Weiteren beinhaltet meine Fassung griechische Ritualtexte. Die – ich würde sagen pseudo-christlichen – Messtexte, die im „Parsifal“ enthalten sind, tauschte ich durch magische Texte aus Ritualen von Aleister Crowley aus. [Crowley bezeichnete sich selbst als „Antichrist“; Anm.] Der Chor hat hier wahnsinnig viel zu tun. Fast all meine Musiktheaterstücke haben große Chorstellen, beispielsweise „Der Golem“. Bei meinem Parsifal sind das ganz virtuose Passagen. Ich bin sehr froh, den Arnold Schoenberg Chor an meiner Seite zu haben. Diese Qualität braucht es.

Kundry wird bei Wagner als die ewige Jüdin dargestellt, der Golem taucht alle 33 Jahre auf. Wie gehen Sie in Ihren Interpretationen mit diesen beiden Figuren um?

Bernhard Lang: Für mich war die Arbeit an den beiden Stücken ein fließender Übergang, aber zuerst zur Thematik der Jüdin: Kundry schneidet bei Wagner ja ganz schlecht ab. Bei mir erlösen sich Kundry und Parsifal gegenseitig. Sie bleibt außerdem nicht in dieser untergeordneten Rolle. Das habe ich beim „Golem“ auch so angelegt. Die Jüdin, die Athanasius Pernath zu Seite steht, leitet ihn durch diesen Wahnsinn. Sie wird seine Leitfigur. Es gibt aber noch eine Parallele. Der Archetypus des Narren spielt im „Golem“ eine wesentliche Rolle. Mein „ParZeFool“ – so ja der Titel meiner Partitur – ist ein Stück über die Narrheit. In der mittelalterlichen Literaturform „Laus stultitiae – Lob der Narrheit“ ist der Narr der Weise. Der reine Tor Parsifal ist für mich jemand, der unschuldig jenseits des Moralgesetzes steht. Bei Wagner geht das ein wenig verloren, denn in dem Moment, wo Parsifal zum Gralskönig wird, ist er gereift und wird zum würdigen Beamten. Bei mir bleibt der reine Tor. Diese Narrenkappe verbindet beide Stücke.

Eine Ihrer Spezialitäten ist das Loopen von Schlüsselsätzen. Wie sieht das im aktuellen Stück aus?

Bernhard Lang: Das war eine konzeptionelle Übereinkunft mit Jonathan Meese. Wir fragten uns, wie wir mit den vielen Autobahnkilometern an Text umgehen werden. Im gesamten Team war klar, dass wir die wesentlichen Sätze herausnehmen und wiederholen und alles narrativ Erzählende, das nicht auf der Bühne stattfindet, streichen. Bei „Parsifal“ erzählen einem ja sehr antitheatral weise, alte Männer mit gediegener Stimme, was sich alles abspielt. Es nicht ganz leicht, das ohne Fadesse auf der Bühne zu transportieren. Die Loopmaschine ersetzt die Narration.

Soweit bekannt ist, haben Sie auch drei Synthesizer im Einsatz. Wie darf man sich deren Einsatz vorstellen?

Bernhard Lang: Die Synthesizer sind eine Fortsetzung von Wagners „Kunstwerk der Zukunft“. Meese will eine Space Opera. In eine Science-Fiction-Oper gehören natürlich die Instrumente der Zukunft, die Synthesizer. Auch Wagner erweiterte mit besonders tiefen Instrumenten das Spektrum des Orchesters extrem nach unten. Ich gehe noch tiefer und erfand dafür diesen Subbasssynthesizer, der eigentlich nur durch die Subwoofer hörbar ist. Man kann ihn eher spüren als hören und er wird im ganzen Stück zum Einsatz kommen.

Bernhard Lang (c) Harald Hoffmann

„Eben weil es auch Metatheater, Metatext, Metakomposition ist.“

Wie ist die Zusammenarbeit mit Simone Young und dem Klangforum?

Bernhard Lang: Mit dem Klangforum verbindet mich eine 25-jährige Zusammenarbeit. Neben „I Hate Mozart“ entstanden einige meiner erfolgreichsten Stück mit dem Klangforum. Mit dem „Mondparsifal 1-8“ jetzt ist das eine Art Rückkehr. Wobei sich die Herangehensweise eher an der Form der Kunstperformance als am traditionellen Musiktheater orientiert. Eben weil es auch Metatheater, Metatext, Metakomposition ist.

Die musikalische Leitung unter Simone Young war ein Wunsch der Wiener Festwochen. Für mich ist das die erste Zusammenarbeit mit ihr, sie selbst hat bereits mit dem Klangforum gearbeitet. Das ist ein sehr gutes Set-up, gewissermaßen ein Rolls-Royce-Team, das wir da zusammengestellt haben.

Was war Ihre erste Verständigungsbasis mit Jonathan Meese?

Bernhard Lang: Wir hatten in Berlin eine erste Fotosession und trafen uns mit Zierhofer-Kin, Jonathan Meese und seiner Mutter in Meeses Atelier. Dort waren auch seine Bilder zu „Parsifal“, die mich extrem inspirierten. Einerseits, weil sie so eine Frische und Leuchtkraft hatten, und andererseits, weil diese Bilder alle Texte und gepinselte Inschriften trugen. Ich fand die Technik des Überschreibens von Bildern dort mehrmals. Meeses Bilder waren für meine Komposition starke Inspirationsquellen. Die weitere Zusammenarbeit war konzentriert und methodisch.

Für mich ist diese Palimpsest-Technik eine dekonstruktivistische Technik. Sie ermöglicht so etwas wie eine Psychoanalyse des Originals. Diese zweite Textschicht, die man darüberlegt, ist quasi im Dialog mit der ersten Schicht und löst vielleicht eine dritte Schicht, die im Verborgenen lag, heraus. Wenn Dinge, die im ersten Durchgang lustig anmuten, in einer gewissen Bedrohlichkeit gezeigt werden, ist das auch ein dialektisches Prinzip. Es ist ein Spiel mit Umkehrungen und ganz stark mit dem Begriff der Interpretation verbunden. Ein Text ist immer in Bewegung und erfordert stets eine Auslegung.

Die Programmierung ist auch seitens der Wiener Festwochen ein starkes Statement.

Bernhard Lang: Es ist wirklich ein Signal von den Wiener Festwochen, neue Stücke zu produzieren. In den letzten Jahren ist Österreich mit dem Bekenntnis zu Neuem und zum Experiment ganz schwach geworden. Stattdessen wurden erfolgreiche Stücke von außen eingekauft. Ich finde den Mut großartig. Der „Mondparsival 1-8“ ist etwas ganz anderes. Das ist eine Bombe mit ungewissem Zündungseffekt.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ruth Ranacher

 

MONDPARSIFAL ALPHA 1-8 (ERZMUTTERZ DER ABWEHRZ)
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners “Parsifal”

Termine:
So, 04. Juni , 18:00
Di, 06. Juni , 18:00
Do, 08. Juni , 18:00

Ort:
Theater an der Wien

 

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