Am 23. März 2023 wird das neue Album von SIBYLLE KEFER im Radiokulturhaus in Wien präsentiert: „Hoid“. Früher war KEFER bei der Band AUSSEER HARDBRADLER aktiv, „Hoid“ ist ihr sechsten Solo-Album. Jürgen Plank hat mit der Singer-Songwriterin darüber gesprochen, warum es ein melancholisches Album geworden ist. Außerdem erzählt KEFER über die Schwierigkeit als Frau und Mutter in der Musikszene Gehör zu finden und wie sich die Lage diesbezüglich aus ihrer Sicht in den letzten Jahren ein wenig verbessert hat.
Dein neues Album hat eine große musikalische Bandbreite: von elektronischen Anteilen bis zur Klavierballade, auch Streicher sind im Einsatz. Wie kam diese Bandbreite zustande?
Sibylle Kefer: Das ist keine leichte Frage. Die Lieder schreiben sich eigentlich von selbst. Es hängt auch davon ab, mit welchem Instrument ich mich gerade beschäftige. Manche Lieder hört man auf einem bestimmten Instrument, ich schreiben sie entweder mit der Gitarre oder mit dem Klavier. Ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass ich – wenn ich an Produzent:innen gerate, die eine bestimmte Vorstellung haben – am Ende in einem bestimmten Soundbild erscheine. Ich wollte so weit wie möglich zu einem Soundbild kommen, dass ich selbst gut finde und dass für mich passt. So eine Produktion ist ja auch teuer und ich kann mir das eventuell nicht mehr leisten. Ich will aber Alben machen und deshalb habe ich bei diesem so viel wie möglich selbst aufgenommen.
Wie bist du beim Produzieren vorgegangen?
Sibylle Kefer: Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder kleine Produktions-Workshops gemacht. Soweit ich es bei diesem Album umsetzen konnte, habe ich die Aufnahmen selbst gemacht: Ich habe einfach ein Mikrofon zum Klavier gestellt oder die Gitarre angesteckt. Oder ich habe jemanden gefragt, wenn ich gefunden habe, dass da ein Bass dazu gehört, oder ein Schlagzeug. Die Aufnahmen habe ich mir schicken lassen und selbst eingefügt.
Bei einem Lied ist der Beschwerdechor dabei. Wie kam das?
Sibylle Kefer: Ich finde einen Chor grundsätzlich mega-geil. Früher habe ich ja selbst im Jazz Chor Wien gesungen und wenn mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen, finde ich das toll. Ich mag zum Beispiel auch Gospel-Chöre. Bei diesem Stück habe ich einfach einen Chor gehört, ich hatte das Gefühl, dass ich nicht immer mein eigener Chor sein möchte, denn das kommt am Album auch oft vor. Der Beschwerdechor ist einfach super. Ich finde es wichtig, dass man sich zu Wort meldet, wenn etwas nicht stimmt. Deswegen habe ich den Beschwerdechor gefragt.
Inwiefern ist das Album im Kontext mit Corona zu hören?
Sibylle Kefer: Ja, dieser Kontext besteht sicher dadurch, dass es in dieser Zeit noch nicht fertig war. Die Themen haben schon vorher bestanden: Ungerechtigkeit beschäftigt mich extrem, das ist eh menschlich und normal, aber das lässt mich dann auch nicht aus. Ich habe in der Arbeit einen Strudel gehabt und ich habe einfach gemerkt, dass es Themen gibt, die mich einholen oder mich nicht loslassen. Und ich bin auch nicht bereit, sie über mich ergehen zu lassen oder sie abzutun. Die bleiben hängen und ich beschäftige mich mit ihnen, denn ich will Sachen lösen oder besser verstehen. Jemanden schlecht zu behandeln oder Ungleichheit war vor Corona schon als Thema da. Durch die Corona-Zeit hat sich das sehr widergespiegelt. Plötzlich habe ich davon in der Zeitung gelesen: Was passiert eigentlich mit demokratischen Werten und Strukturen? Macht man etwas für die Gesellschaft oder für das Individuum? Und patriarchale Strukturen waren ja bereits seit me too im allgemeinen Diskurs endlich präsenter.
„Hoid“ hat für mich eine melancholische Grundstimmung.
Sibylle Kefer: Das würde ich unterschreiben. Wenn ich merke, dass ich in eine defizitäre Sichtweise rutsche, weil ich eben etwas als ungerecht empfinde oder mich unterdrückt fühle, schaue ich darauf, wo meine Hoffnungsfaktoren liegen und wo meine Selbstbestimmung ist. Und ich schaue darauf, inwieweit ich selbst aktiv bleiben kann, was ich bewirken kann und wie ich mich schützen kann. In erster Linie geht es da auch um meine Selbstwirksamkeit. Ich bin eigentlich kein negativer Mensch, ich bin positiv. Aber ich spiele gerne Moll-Akkorde, das merke ich ja auch. Wenn ich das bei einigen Liedern bemerke, suche ich einen Ausgleich in den Themen der anderen Songs, das sind dann Sachen wie Liebe oder die Verbundenheit zu meiner Familie, zu meinen Kindern. Positive Aspekte setze ich dann ganz bewusst, weil ein Album sonst zu schwermütig wird. Aber ich finde auch, dass „Hoid“ ein melancholisches Album ist.
Das Lied „Mehr davo“ beginnt mit der Zeile: „De is aber dick hod’s gsogt“. Ist das eine wahre Begebenheit oder erfunden?
Sibylle Kefer: Das ist erfunden, aber aufgrund des Ärgers darüber, dass oft normal nicht normal ist. Und dass die einen immer normaler sind als die anderen. Diese Wertigkeiten haben mich nicht nur irritiert, sondern auch gestört. Und auf die wollte ich fokussieren. Dieses Frauenbild geht mir selbst immer auf den Wecker und gleichzeitig strudle ich selbst immer damit. Jetzt bin ich 47 Jahre alt und denke mir: Wie muss ich ausschauen, damit ich noch auf eine Bühne gehen kann? Muss ich mich damit überhaupt beschäftigen? Oder: Wie kann ich eine Vorbildfunktion haben, die nicht nur einer gesellschaftlichen Norm entspricht, die ich vielleicht gar nicht unterstützen will? Das Bild in diesem Lied war sehr bewusst gewählt.
„Als Mutter ist es schwierig sichtbar zu werden“
Was wären deine Antworten auf diese Fragen, an die Musikszene denkend? Sobald man auf eine Bühne steigt, übernimmt man ja eine Rolle, vielleicht eben auch eine Vorbildrolle.
Sibylle Kefer: Ich habe auf jeden Fall gemerkt, dass sich immer mehr Fragen aufgetan haben und dass ich wenige Frauen in meinem Alter kenne, die noch auf einer Bühne stehen. Bei uns gibt es wenige, man findet sie aber natürlich schon. Ich war ja zwölf Jahre lang alleinerziehende Mutter, in dieser Phase war ich für 2 Jahre bei der Band Ausseer Hardbradler dabei.Trotzdem hat man mich nicht gefunden. Wie kann ich sichtbar werden? Und wenn ich sichtbar werde, muss ich aber auch etwas zu bieten haben. Dann muss ich auch jemand sein, der interessant genug ist. Solche Fragen haben sich gestellt: Braucht es mich oder braucht es mich in der Szene nicht?
Jetzt sind die Jung-Mütter in der Musikszene viel präsenter, viel sichtbarer. Da kann ich nur sagen: cool, da ist anscheinend etwas weiter gegangen. Da tut sich schon viel, aber trotzdem: ich habe ja nochmals zwei kleine Kinder bekomme, spiele in Bands und mache meine eigene Musik. Als Mutter ist es schwierig, sichtbar zu werden. Man fragt sich natürlich auch, ob die eigene Musik qualitativ hochwertig genug ist. Aber ich glaube, das ist es eben nicht alleine.
Ein Album ist auch fast wie ein Kind, welche Entwicklung würdest du dem Album „Hoid“ wünschen?
Sibylle Kefer: Ich würde mich sehr freuen, wenn das Album gehört wird und eine Resonanz bekommt. Weil ich glaube, dass es zumindest einen Diskurs eröffnen könnte und es könnten ein paar Nummern darauf sein, die anderen auch guttun. Es ist ein Angebot zur Reflexion, sich hin zu setzen und einen schönen Abend zu haben. Man könnte auch merken, dass man mit Themen nicht alleine ist.
Ein Lied heißt „Redn ma sies schen“. Ist das ein Stück zur Zeit, in der es uns in Europa noch relativ gut geht, während es in anderen Regionen der Welt schon ganz anders aussieht. Was bedeutet dieses Lied für dich?
Sibylle Kefer: Eh das: wenn man eine ehrliche Diagnose stellt, wie die Welt aussieht, und man tut so weiter wie bisher, dann geht sich das fast nicht mehr aus. Es gibt ja oft die Gleichzeitigkeit von argen Dingen, die passieren und trotzdem geht man am nächsten Tag wieder zur Arbeit. Es relativiert sich so Vieles. Manchmal halte ich das nicht mehr aus und ich werfe es Menschen schon vor, wenn sie sich Sachen besonders schönreden. In der Kurz-Ära sind mehrere Lieder entstanden, in dieser Zeit habe ich gemerkt, dass mir etwas zu steil ist und ich habe mir gedacht: das kann doch nicht sein, dass das durch geht. Teilweise habe ich der Gesellschaft unterstellt, dass sie etwas wahrnimmt und trotzdem duldet. Das hat mir viele Fragen gestellt, gleichzeitig war ich Teil dieser Gesellschaft, die Dinge hinnimmt.
Die Lieder wirken wie Tagebucheinträge, hast du ein Notizbuch, in das du wie in ein Tagebuch etwas einträgst und daraus entstehen dann die Lieder?
Sibylle Kefer: Ich habe immer ein Notizbuch, in das ich mir etwas notiere. Ich notiere Schlagwörter oder Dinge, die eine bestimmte Intensität für mich haben. Wenn die Wörter irgendwie groovig und aussagekräftig sind, schreibe ich sie auf. Und wenn sie nur aussagekräftig sind, dann suche ich mir den Groove danach. Ich führe auf jeden Fall immer ein Notizbuch, das ist mein sechstes, zu jedem Album eines.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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Live: 23. März 2023, Radiokulturhaus Wien, 19:30h
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