„Die Ikonen wechseln, die Themen ändern sich nur sehr langsam“ – NORBERT EHRLICH (Salam.Orient) im mica-Interview

Heuer feiert Salam.Orient bereits seine zehnte Ausgabe in der aktuellen Form: Als Festival, das nicht nur Musik, Literatur und Tanz – und am 31. Oktober mit „Le Bal Oriental“ erstmals einen Ball – in Wien präsentiert, sondern auch politische Bildungsarbeit übernimmt. Davon erzählt Norbert Ehrlich, der künstlerische Leiter, im mica-Interview mit Jürgen Plank.

Anlässlich der zehnten Auflage des Festivals: Machen Sie bitte einen kurzen Rückblick auf die ersten neun Jahre.
Norbert Ehrlich: Ich möchte es nicht am Programm aufhängen sondern an der Gesamtlage. Vor zehn Jahren hat man gesagt, Migration ist in Österreich kein Thema. Vor zehn Jahren ist der kurdische Sänger Şivan Perwer im Kampfanzug aufgetreten und hat noch immer für eine Autonomie von Türkisch-Kurdistan agitiert. Inzwischen hat Şivan Perwer den Kampfanzug freilich längst abgelegt. Die heutigen jungen Kurden oder Türken schauen einen ein wenig müde an, wenn man sie darauf anspricht und sagen: Dann schon lieber Aynur, eine junge kurdische Sängerin. Die Ikonen wechseln, die Themen ändern sich nur sehr langsam.

Wie bereitet Salam.Orient Themen auf?

Norbert Ehrlich: Wir haben wieder versucht mit unserem Festival einen Querschnitt zu liefern, aus Information, aus Bildung und Kunst und sind jedes Jahr von der aktuellen Situation beeinflusst.

Wie im letzten Jahr wird das Festival mit einem Vortrag eröffnet, unter dem Titel: „Kurdistan – wie geht es weiter im Friedensprozess?“ Wie wichtig ist diese akademische, diese inhaltliche Seite?
Norbert Ehrlich: Es gibt natürlich etwas für das Gemüt und etwas für die Körperteile weiter oben: Irfan Aktan, der Referent ist ein bewährter Kämpfer, Journalist und Aktivist für die Rechte der Kurden innerhalb der Türkei. Es haben die Wahlen wieder eine Veränderung gebracht: Erdoğan sendet Signale in Richtung der Kurden aus, in dieser völlig neuen, unübersichtlichen Lage im Nahen Osten. Was da wirklich dahinter steckt, wird Thema der Debatte am Eröffnungsabend in der Diplomatischen Akademie sein.

Vermischt sich das Publikum, das zu den Konzerten und den künstlerischen Darbietungen geht, mit dem Publikum, das zu den Vorträgen kommt?
Norbert Ehrlich: Zu den Vorträgen kommt ein politisch interessiertes Publikum, das sind jüngere, aber auch ältere Menschen und Studenten. Bei den Konzerten mischt es sich sehr bunt, vor allem zwischen den ÖsterreicherInnen und den jeweiligen Communities. Das war ja eine der Grundüberlegungen: Auch für unsere Landsleute große Künstlerpersönlichkeiten einzuladen, um einen Eindruck von der Vielfalt dieses Raumes zu vermitteln.

„Das Stereotyp besagt, dass Musliminnen verschleiert sind und sich in der Öffentlichkeit nicht äußern können dürfen: Ja, stimmt partiell. Nein, stimmt überhaupt nicht.“

Am 20. Oktober gibt es eine Lesung vom ägyptischen Autor Tarek Eltayeb, der in Wien im Exil lebt.
Norbert Ehrlich: Ich glaube Tarek Eltayeb würde die Zustimmung dazu verweigern, dass er hier im Exil ist. Er fühlt sich als Neo-Österreicher oder schlicht als Wiener. Er ist Sudanese von Geburt und in Kairo aufgewachsen und sozialisiert, er ist ein international sehr nachgefragter Poet und Schriftsteller und reist in der halben Welt herum, weil er zu Lyrik-Festivals eingeladen wird. Aus meiner Sicht wird er hier noch ein wenig unter seinem Wert gehandelt. Ich schätze ihn seit vielen Jahren sehr und heuer haben wir die Gelegenheit, ihn einem etwas breiteren Publikum vorzustellen.

Damit zum Musikprogramm: Da gibt es einen Schwerpunkt mit dem Titel ‚Frauen.Stimmen’, unter anderem mit einem Beitrag der in Wien lebenden Iranerin Golnar Shahyar. Was ist denn da zu erwarten?
Norbert Ehrlich: Das Stereotyp besagt, dass Musliminnen verschleiert sind und sich in der Öffentlichkeit nicht äußern können dürfen: Ja, stimmt partiell. Nein, stimmt überhaupt nicht. Diesem ‚Nein’ sind wir gefolgt und haben einige sehr starke Frauenpersönlichkeiten eingeladen. Das reicht heuer von Mauretanien bis in den Iran. Golnar Shahyar ist eine dieser viel versprechenden StudentInnen, die an der Musikuniversität in Wien die Ausbildung vollendet haben. Sie ist aber nicht ganz untypisch für ihre Generation, denn SängerInnen können heutzutage im Iran nicht vor Männern auftreten. In Wien können Sie das sehr wohl – es lebe der kleine Unterschied!

Überhaupt scheint mir ein Trend im heurigen Programm zu sein, dass es musikalisch ein Cross-Over gibt, da spielen MusikerInnen Dance-Electro mit Sufi-Texten und für Improvisation ist auch Platz. Ist das ein weiterer Schwerpunkt?
Norbert Ehrlich: Wie kann man altes Kulturgut retten? Indem man es dem Heute näher bringt. Da gibt es ja auch in der Wiener Musik auch ganz erfreuliche Impulse von jungen, bestens ausgebildeten MusikerInnen und so etwas unternehmen natürlich auch KünstlerInnen in anderen Kulturen, indem man alte Sufi-Texte mit Dancefloor mischt – warum nicht! Wiener sind vielleicht nicht so berühmt dafür zu tanzen, sondern eher dafür die Geige zu spielen…

Es gibt immerhin den Wiener Walzer.
Norbert Ehrlich: … Wiener Walzer, klar. Aber beim Festival haben wir eben einen anderen Zugang, der Altes mit Neuem mischt, um ihm ein Überleben zu sichern.

Ein weiterer Schwerpunkt ist Palästina gewidmet, wie ist es denn dazu gekommen?
Norbert Ehrlich: Wir haben im Frühjahr blauäugig überlegt wiederum junge Leute aus dem palästinensischen Gebiet und Raum einzuladen. Da hat sich aus Ramallah, dem Regierungssitz der Fatah, eine junge Theatergruppe, das Ashtar Theatre, angeboten und wir haben vereinbart, dass es für zwei Tage ein Gastspiel in der Brunnenpassage am Yppenplatz geben wird. Wir sind natürlich alle von den Ereignissen überrollt worden, vom Krieg zwischen Israel und den Arabern im Gaza-Streifen. Wir wussten lange nicht, ob dieses Gastspiel stattfinden wird oder nicht. Die letzten Signale sind positiv. Unabhängig davon haben wir Adnan Joubran, den jüngsten des Joubran-Trios eingeladen. Das ist ein berühmtes Trio mit Oud-Virtuosen. Er bewegt sich jetzt sozusagen auf Seitenpfaden und wird mit den besten französischen Weltmusikern ein Konzert im Odeon-Theater spielen.

„Wir bemühen uns die Menschen dort zu erreichen, wo sich ihr Alltag und ihr Leben abspielen.“

Welche Angebote gibt es für Kinder?
Norbert Ehrlich: Wir gehen aus den Innenbezirken der Kultur in die Vorstädte. Auf den Viktor-Adler-Markt oder nach Simmering, um eben Musik aus Armenien, aus Syrien und der Türkei dorthin zu bringen, wo die Menschen leben. Insofern ist die Brunnenpassage auch eine gute Adresse. Wir bemühen uns die Menschen dort zu erreichen, wo sich ihr Alltag und ihr Leben abspielen.

Da gibt es dann Konzerte für 3 bis 4jährige Kinder.
Norbert Ehrlich: Ja, kleine Konzerte, die sie nicht überfordern. Wir machen seit einigen Jahren einen Workshop für orientalischen Tanz und Trommelmusik, zu der Kindergarten-Gruppen kommen. Das ist immer die Veranstaltung, die als allererste ausgebucht ist, weil KindergärtnerInnen sehr wohl wissen, dass dieser sinnliche Zugang eine Einstiegsmöglichkeit für zunächst noch ferne Kulturräume darstellt.

Warum ist es für Salam.Orient wichtig, dass in Wien lebende Menschen aus geografischen Räumen mit Bezug zum Orient im Rahmen des Festivals auftreten?
Norbert Ehrlich: Ich war vor kurzem bei einem Konzert eines Sevdah-Sängers, der einige Anwesende schockiert hat, indem er referiert hat, dass Linienführungen und Melodien aus dem türkischen Erbe in der bosnischen Musik stammen. Auch dort ist es notwendig, die Dinge breiter und neu zu sehen, genauso wie es hier vielen Menschen noch immer schwer fällt zuzugeben, dass MigrantInnen einen wesentlichen Teil der Musiklandschaft in Wien gestalten und bespielen.

Jürgen Plank

Salam.Orient – Musik, Tanz und Poesie aus orientalischen Kulturen
Di 14.10.2014 bis Mo 3. November 2014

Foto Niyaz © Niyaz
Foto Norbert Ehrlich © Jürgen Plank
Foto Sehrang © Sehrang
Foto: Ferghana Qasimova & Ensemble © Qasimova

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