Der weibliche Blick

Im Rahmen des diesjährigen e_may-Festivals beleuchtete eine Podiumsdiskussion das gegenwärtige Schaffen von Komponistinnen im Kontext von physischem Raum und Klangraum. Die Diskussion führten Mag.a Dr.in Natascha Gruber (Universität Wien und University of California at Berkeley),
 Dr.in Susanne Kogler (Kunstuniversität Graz, Zentrum für Genderforschung),
Elisabeth S chimana (Komponistin, IMA Institut für Medienarchäologie),
 Charlotte Seither (Komponistin). Es moderierte Dr.in Nina Polaschegg.

In einem Impulsreferat verwies Susanne Kogler, Musikwissenschaftlerin und Gender-Forscherin anfangs darauf, dass sich das Thema der Diskussion in einem Gespräch mit Pia Palme und Elisabeth Schimana herauskristallisiert habe. „Uns schien das Thema deshalb so interessant, weil sich unter den Aspekten von Raum und Klangraum besonders gut auf innerästhetische und gesellschaftliche Themen fokussieren lässt.“

Der Raum in der Musikgeschichte
In ihrem Referat, so Kogler, wolle sie fünf thematische Impulse geben, die sie bewusst provokant formulieren wolle, um die Diskussion anzuregen.

1. Der Raum der Musikgeschichte als eindimensional konzipierter Zeitraum.
Christa Brüstle habe erst jüngst darauf hingewiesen, dass sich auch die aktuelle Musikgeschichtsschreibung nach wie vor im Spannungsfeld von Kritik und Selbstpositionierung bewege. Und auch in Bereichen der experimentellen Musik, in denen Frauen traditionell stärker vertreten seien als im Klassik-Betrieb, böten die Handbücher eine rein auf Männer konzentrierte Perspektive. Genau das selbe Bild böte sich auch in aktuellen Publikationen zur neuen Musik, die vorgäben, Standardwerke zur Musik des 20. und 21. Jahrhunderts zu sein. Da läge einfach die Vermutung nahe, dass sich die eingenommene Perspektive nicht mehr mit aktuellen geschichts-philosophischen Überlegungen deckt, sondern längst überholte Muster repetiere, die einer eindimensionalen, linearen Fortschrittsidee folgen. So müsse man sich die Frage stellen, ob es denn überhaupt noch berechtigt sei, von Neuer Musik im Singular zu sprechen oder ob es nicht sinnhafter wäre, von musikalische Räumen zu sprechen.

2. Avantgarde und der öffentliche/private Raum des Komponierens
Ähnlich verhalte es sich mit dem Blick auf die Avantgarde, so Kogler, die sich ebenfalls als rein männlich darstelle. Das Problem allerdings, weshalb es in der Musikgeschichte keine spezifisch weibliche Avantgarde gäbe, sei komplex. Aufgrund des herrschenden Stilpluralismus sei es zum einen einfach nicht mehr en vogue, festzulegen, was genau kompositorische Avantgarde ist. Zum anderen werde der Begriff per se und nicht ganz zu Unrecht in seiner Gültigkeit angezweifelt. Dennoch sei auch der Verdacht berechtigt, den Armin Köhler 1997 formulierte: All jene, sagte Köhler, die heute so laut vom Ende der Avantgarde schrien, meinten damit eigentlich etwas ganz anderes, nämlich das Ende der Dissidenten, Anti-Konformisten und das Ende der freien, originellen und unabhängigen Abenteuer. Wer demzufolge immer noch meine, Avantgarde, sei auf Material und technische Parameter zu reduzieren, so Kogler, dem werde spätestens an dieser Stelle die politische Dimension der Kategorie Avantgarde bewusst.

In der Geschichte, so Kogler, hätten Frauen wie etwa Clara Schumann oder Fanny Mendelssohn die Musik stets als einen Ort angesehen, an dem sie sich frei entfalten konnten. In diesem Sinne könnten ihre Kompositionen als persönliche Spielräume gesehen werden, denen man allerdings leicht die Professionalität absprechen könne. Immer wieder tauche auch in der Literatur der Gedanke auf, dass sie an Innovationspotenzial ihren männlichen Zeitgenossen unterlegen waren. Indem Komponistinnen Klänge gestalten, würden sie Räume und Perspektiven transformieren. Zugleich mit den Klangräumen würden Sprach- und Gedankenräume eröffnet, die über die persönliche Ebene hinausweisen und unser Denken mitgestalten.

3. Der Klangraum als subversiver Raum
Olga Neuwirth habe festgehalten, dass die Wortlosigkeit, das Nicht-Festhalten-können, einen der wichtigsten Aspekte für die darstelle. Musik solle nicht fassbar sein, sie müsse diesen fließenden Charakter haben. Insofern, als das Wortlose bestehende Machtstrukturen gefährde, schwinge dabei auch eine politische Dimension mit, so Kogler. Angesichts der Abwehrmechanismen, mit denen gerade Komponistinnen zu kämpfen haben, dränge sich beinahe der Verdacht auf, dass vielleicht das subversive Element in Verbindung mit einer feministischen Perspektive noch weit gefährlicher sein könnte.
Elfriede Jeilnek, die ihre Rolle als Schriftstellerin immer zutiefst gesellschaftspolitisch interpretiert habe – gerade auch, indem sie persönliche Standpunkte vertritt, betonte bei Olga Neuwirths Musik mehrfach das subversive Moment, das den Blickwinkel des Zuhörers markant verändere.

Zitat: „Der Raum und der ist auch die Leere dazwischen, fordert uns heraus, ihn zu beherrschen. Olga tut das eben mit Schall, ohne Rauch, denn der Schall soll nicht vernebelt werden. Vor ihm gilt Ausweichen nicht. Der Raum ist noch nicht frei gegeben worden. Er muss erst noch geräumt werden. Doch ein Aufräumen ist dieses Räumen nicht. Es ist ein Freigeben von Orten, die man vorher noch nicht gehört hat. Von Orten, die das Freie zeigen und es im selben Moment wieder wegnehmen, damit man dann immer wieder ins Freie, in den Raum jenseits des Raums, zurückkehren möchte. Denn da war etwas, das lange gezögert, sich dann aber im selber Abspulen enthüllt hat: die Zeit, die einen Moment der Atem angehalten hat.

4. Problematik einer weiblichen kompositorischen Tradition

Neuwirth und Hölski teilten mit vielen anderen Komponistinnen den Standpunkt, dass sie nicht von einer feministischen Musikforschung vereinnahmt werden wollen und sprechen sich daher dezidiert gegen ihre Verortung als Komponistinnen aus, was nicht zufällig von Musikwissenschaftern auch immer wieder gerne unterstrichen werde. Wohl auch deshalb gäbe es keine feministische Avantgarde, weil sich Frauen davor scheuten, sich in Gruppen zusammenzuschließen und ihre ästhetische Position zu proklamieren.

Gefährlich sei das Subversive immer für beide, die Autorin und das Publikum. Wortlosigkeit, so Kogler, sei vielleicht als musikalischer Zustand wünschenswert, politisch sei er jedoch höchst fragwürdig. „Selbstverständlich wollen wir alle keine Quotenfrauen sein und in Gegenwelten abgeschoben werden, aber braucht es nicht andererseits Gegenwelten, um die eine Welt in ihrem Status herauszufordern und in ihren Strukturen in Frage zu stellen?“ fragte sie. Ein gelungenes Modell, so die Forscherin, eine in diesem Sinne produktive Gegenwelt zu schaffen, sei die Gründung von schwerpunktmäßig weiblich programmierten Festivals wie in Heidelberg, Kassel und Wien.

5. Geting famous, remaining female!

„Kreatives Schaffen ist immer Verwandlung im Sinne von Einschreibung und Umschreibung bzw. Neuschreiben der Tradition.“ Wie die Akteurinnen ihre Rolle wahrnähmen, so Kogler, ob sie den Mainstream oder aber kreative Seitenlinien verstärken, stehe ebenso zur Debatte wie der Beitrag jeder einzelnen zur feministischen Sichtweise. Kogler: „Wie wir wissen ist es auch Künstelrinnen ein Anliegen Spuren zu hinterlassen.“

In dieser Hinsicht sei Marta Kurtags Position, die Zeit ihres Lebens vorrangig als Frau von György Kurtag wahrgenommen wurde, sich aber im hohen Alter dennoch mit Soloarbeit positionieren habe wollen, um ihre ganz persönliche Position und Sichtweise darzulegen, beispielgebend. Die Frage sei aber: „Worauf kommt es an, damit jemand nachhaltige Spuren hinterlässt?“ Das Lexikon der Komponistinnen benenne im Vorwort der Herausgeberinnen die schriftliche wissenschaftliche oder journalistische Erwähnung eines Werks, seine Greifbarkeit durch einen Beleg und zumindest eine öffentliche Aufführung, die stattgefunden haben müsse. Hanna Ahrend habe vor allem auf den Beobachter fokussiert, der den Beitrag eines Werkes zur Menschheitsgeschichte erkannt habe.

Zum Schluss ihres Impulsreferates bot Kogler Mitdiskutanten und Publikum eine These an: Es gelte alte Perspektiven und Strukturen aufzubrechen, Musik als pluralistischen Ort zu verstehen, der möglichst viele Stimmen die Möglichkeit gibt, die Stimme zu erheben. In diesem Sinne plädiere sie für eine weibliche Avantgarde, die sich zum Ziel setze, eine künstlerisch-politische Bewegung gegen Erstarrung zu formieren, unterschiedliche Verbindungen von Kunst und Leben in immer wieder neuem, innovativen Sinn zu versuchen, unaufhaltsam und unbeirrbar, und immer ein gemeinsames Ziel im Auge zu haben und lebendig und nicht tot zu sein. Am Ende ihres Vortrages verwies sie auf ein Zitat Charlotte Seithers: „Nicht wilder Aktionismus ist gefragt, sondern das Aufheben der kleinen Dinge, mit denen wir uns täglich selbst am Leben hindern.“

Nach diesem Plädoyer für eine weiblich Avantgarde und die Etablierung einer weiblichen Kompositionstradition wurde von Nina Polaschegg in die allgemeine Diskussion übergeleitet.

Suchen Fragen Forschen
Seither verwies darauf, dass jede Komponistin in künstlerischer Hinsicht einzigartig sei, weil sie etwas völlig anderes tue als alle anderen vor ihr. Damit meine sie das, was vor sich gehe, bis die Partitur fertig sei, wie etwa Kompositionsprozesse abliefen. Jeder habe ein anderes Kompositionssystem, woraus sich die interessante Frage ergebe, wo die Wurzel, quasi der Quell des Komponierens sitze: Im Klang, im Raum oder der mathematischen Ordnung. Die Zugänge seien sehr unterschiedlich. So viele menschliche Physiognomien es gibt, so viele kompositorische Zugänge gäbe es daher auch. Das spezifisch Männliche oder Weibliche würde sie dabei gar nicht in den Vordergrund stellen. Andere Fragen seien entscheidender: In Deutschland gäbe es mittlerweile keine einzige weibliche Kompositionslehrende mehr. Hier herrsche dringender Bedarf an den Hochschulen, eine andere Wahrnehmung sei gefragt. Ganz bestimmte Blickwinkel seien derzeit einfach nicht möglich. Weiters sei die Frage, wie man sich als Komponistin durchsetze, relevant. Seither: „Es gibt keine Rollenmodelle, keine Muster, von denen man sich etwas abschauen könnte, was einem bestimmte Dinge erleichtern würde.“ Ob ihr Blick ein spezifisch weiblicher sei, könne sie nicht sagen. Das Zitat eines Literaturwissenschaftlers sei ihr in Erinnerung geblieben, der sagte, die weiblichste Literatur, die er kenne, sei die Franz Kafkas. Ihr sei es enorm wichtig, Forschung zu betreiben und investigativ zu sein. Ob das aber auch für andere erhellend sei, könne sie nicht sagen.

Verknüpfung/Anknüpfung
In ihrer Arbeit, so Seither, gehe es darum, andere Formen der Verknüpfung zu finden, die Zusammenhänge offenbaren, die so noch nicht betrachtet wurden.

Elisabeth Schimana dagegen meinte, sie sei Frau und als Frau sozialisiert und mache daher auch weibliche Musik, was immer das bedeuten möge, denn es bedeutet in verschiedenen Kulturen und Kontexten fernab jeder ästhetischen Diskussion durchaus Unterschiedliches. Eine spezifisch weibliche Ästhetik gäbe es ihrer Meinung nach nicht. Entsprechende Versuche, Hörbeispiele auf ihren geschlechtlichen Ursprung hin zu entschlüsseln, wären bekanntlich alle fehlgeschlagen. Dagegen hätten Männer in ihrem Schaffen, immer die Möglichkeit an einen männlichen Referenzpunkt anzuknüpfen. „Etwas klingt wie Lachenmann, Boulez…“ Sie wollte daher auch ihre Referenzpunkte und wurde fündig. Diese archäologische Suche sei ein schöner Prozess gewesen, weil man dadurch etwa auf Eliane Radigue gestoßen sei und Komponistinnen gefunden habe, an die sie persönlich anknüpfen kann und auch anknüpfen möchte. Sie könne sich eben nun auf Frauen wie Radigue berufen. Das einzige, was sie interessiere, sei zu zeigen „wie großartig wir eigentlich sind.“
Natascha Gruber ergänzte, dass sich eine gezielt feministische Haltung  nicht darauf beschränke, geschlechterspezifische Ungleichgewichte zu beseitigen, sondern gesellschaftskritisch darauf gerichtet sei, allgemein Ungleichgewichte
zu beseitigen.

Männliche Dominanz
Warum die Musik die traditionellste alle Kunstformen sei, sieht Schimana in der handwerklichen Dominanz der Kunstgattung begründet. Handwerk sei nun einmal männlich dominiert. Zusätzlich sei die Abhängigkeit von anderen in der Musik einfach Gang und Gäbe. Genau deshalb sei es auch in der bildenden Kunst so viel leichter sich als Frau zu etablieren. Der Zugang zur Musik sei Frauen lange Zeit verwehrt gewesen und erst mit Erfindung von Video habe es begonnen, dass plötzlich auch Frauen da waren. Selbst in der elektronischen Musik sei die Ausbildung starr an Institutionen gekoppelt. Dagegen wären im Institut für Elektroakustik Türen aufgemacht worden. Nur aufgrund dieser Offenheit sei es ihr überhaupt möglich gewesen dort als Frau zu studieren. Gruber meinte, es sei generell einfach schwierig sich weiter zu entwickeln

Rezeption, Resonanz, Verbreitung
„In welcher Zeitung gibt es auch nur eine Kritikerin?“ fragte Schimana in die Runde.
„Bei der Tiroler Tageszeitung“, kam prompt die Antwort aus dem Publikum. Nicht gerade viel. Noch dazu relativierte eine Komponistin aus dem Publikum: Nur weil sie weibliche Formen in ihrem Presstext verwendete hatte, sei von eben dieser Kritikerin der Schluss gezogen worden, sie würde nur Frauen ansprechen wollen. Das genaue Gegenteil aber sei aber der Fall.

„Je besser die Dotierung desto mehr Männer sind vertreten, das ist Fakt“, meinte nun auch Polaschegg. In der Pressearbeit seien noch viele Frauen zu finden, aber je höher man die Positionen dann empor steige, desto geringer würden Frauen anteilsmäßig vertreten sein. In Hinblick auf Kompositionsaufträge gäbe es im kammermusikalischen Bereich noch Treffer, aber wenn es um die Vergabe von Orchesterwerken gäbe, herrsche gähnende Leere. Letztlich gehe es um die Öffentlichkeit und die Frage: „Wie kommen Frauen an eine Öffentlichkeit?“ Und zwar ohne dabei neue Barrieren zu errichten. Sie selbst ertappe sich immer wieder dabei, wie sie bei der Zusammenstellung eines Podiums auf eingeschliffene Gewohnheiten vertraue. Vielleicht fielen einem ja tatsächlich vorerst nur Männer ein. Die Frage aber sei doch, ob man es dabei belasse oder ob man sich die Mühe mache, in einem zweiten Schritt drüber nachzudenken, ob es, um ein Gleichgewicht herzustellen, nicht auch noch Frauen gäbe, die man einladen könne.

Laut Kogler gehe es ja auch nicht darum, eine weibliche Avantgarde/Ästhetik gegen eine männliche zu stellen. Aber Fakt sei nun einmal, dass es ungleiche Verhältnisse gäbe und, solange es diese Verhältnisse gäbe, eine spezifisch weibliche Sichtweise auch gerechtfertigt sei, um eben dieses Ungleichgewicht auszugeichen. „Wir alle sind aufgefordert, nicht den leichten Weg zu gehen!“ sagte sie.

Quote und Möglichkeitsräume
Und genau deshalb sei sie auch für die Quote und habe auch überhaupt kein Problem damit, als Quotenfrau zu gelten, so Schimana. Es stelle sich auch die Frage, so Gruber, wer aufgreife und rezipiere, damit die Arbeit, die man macht, überhaupt eine Bedeutung erlangen könne. Auch sie sei für die Quote. Nur noch 5% der ordentlichen Professoren seinen weiblich. Eine Rektorin habe es überhaupt noch nie gegeben. Und genau deshalb, meinte Schimana, müsse man sich politisch organisieren und dort hingehen, wo auch das Geld zu Hause sei. Und keinesfalls dürfe man sich dabei mit Qualitätsargumenten abspeisen lassen. Sie selbst habe so viele schlechte Stücke von Männern gehört, dass sie das Argument einfach nicht mehr hören könne. Man müsse sich organisieren und einfordern, was einem zustehe. „Wir brauchen eine Bewegung, die Forderungen formuliert, dass den Frauen 50% des Kuchens zustehen.“ Es gehe um die Schaffung von Möglichkeitsräumen, meinte Polaschegg. Ein Female-Fest sei nicht als Abgrenzung gedacht, sondern als Ermöglichung, als Plattform, um sich zu präsentieren.

Geschlechtertausch & Erwartungshaltung
Woran es liege, dass wir immer noch an bestimmten Erwartungshaltungen festhalten, frage sie sich immer wieder, erzählte Seither. Sie stelle sich oft Komponisten in einer anderen Geschlechterrolle vor. Man denke etwa an 4´33 von John Cage. „Würden wir es ebenso genial finden, wenn es von Maria Müller-Schmidt aus Gera wäre?“

Die Rezeption des Stücks wäre wohl eine völlig andere gewesen, mutmaßte sie. Oder man stelle sich nur Beethoven als Frau vor, die mit langen ungepflegten Haaren und ungewaschen herumläuft und sich nicht im Geringsten um Kommunikation bemüht. Diese Phänomenologie der Rezeption sei ungemein faszinierend. Ein Komponist, den sie schätzte, habe einmal ein äußerst mittelmäßiges Stück abgeliefert. Die Kritik feierte es trotzdem. „Hätte man das gleiche Stück unter dem Namen eines unbekannten Studenten gespielt, wäre die Rezeption eine ganz andere gewesen, da bin ich mir sicher.“

Es gehe sehr stark um vorauseilende Erwartungen, die man mit irgendeinem Image verbinde. Relativierende Komponenten spielten dabei eine ungemein wichtige Rolle. Es habe einmal den spannenden Versuch gegeben, Werke ohne jede Erklärung und ohne Programm aufzuführen, um wirklich frei für die Aufnahme zu sein. Die Durchmischung, so Seither, sei gut gewesen, der Versuch sei letztlich aber daran gescheitert, dass sich die Etablierten bedroht fühlten. Die Experimente jedoch hätten spannende Ergebnisse gezeitigt. Hier ließe sich noch viel lernen.

Ehre und Macht
Aus dem Publikum kam sodann der Einwurf, dass es Frauen erwiesenermaßen schwerer falle, symbolisches Kapital anzuhäufen, weil Ehre ein von Anfang an patriarchalisch besetztes Thema war. Aus dem Publikum kam dann auch der Einwurf, Macht setze sich aus Ressourcen und Beziehungen zusammen.

Es sei problematisch – darin war man sich am Podium einig – dass sich Frauen oft nicht trauen, auf ein Podium zu gehen und dort für eine Meinung einzustehen. Seither auch habe die Beobachtung gemacht, dass manche Werte und Charaktereigenschaften bei einem Mann anders aufgefasst werden als bei einer Frau. Beethoven sei ein gutes Beispiel. Ein vielleicht noch besseres sei jedoch die Eigenschaft des Machtstrebens. Einem Mann werde diese Eigenschaft einfach ganz anders ausgelegt als einer Frau.

Eine immer wieder gern diskutierte Frage ist jene, ob es ein spezifisch weibliches und ein spezifisch männliches Denken gäbe. Gruber meinte dazu aus philosophischer Sicht, dass es ein spezifisch ein weibliches Denken nicht gäbe. Dass Frauen anders denken würden als Männer, sei ein Topos der Romantik; die Theorie, Männer würden, weil sie keine Kinder kriegen können diesen Mangel durch eine gesteigerte Kreativität wettzumachen versuchen, sei Unsinn.

Schimana sieht das anders. Es gäbe eine ganze Reihe an weiblichen Künstlerinnen, die bewusst kinderlos blieben, um kreativ tätig zu sein, um also geistige Werke zu vollbringen. Das Argument könne man daher nicht einfach so wegwischen. Gruber meinte daraufhin, man dürfe die kognitive Ebene nicht mir der realpolitischen vermischen.

In einer letzten Runde wurden dann Gemeinsamkeiten in den Auffassungen beleuchtet. Einig war man sich, dass der weibliche Blick wichtig sei. Erst durch ihn könne sich allmählich ein offenes, ausgewogenes Bild ergeben. Man dürfe sich weder gegen das System stemmen noch es einfach gutheißen, sondern müsse andocken und versuchen „das Ding langsam zu drehen“.
Markus Deisenberger

 

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