„DER SOUND IST WICHTIGER ALS DIE MELODIE“ – HEARTS HEARTS IM MICA-INTERVIEW

HEARTS HEARTS veröffentlichen mit „Love Club Members“ ihr drittes Album. Darauf schlüpfen DAVID ÖSTERLE, DANIEL HÄMMERLE, JOHANNES MANDORFER und PETER PAUL AUFREITER in Dandy-Anzüge, die sie second hand zurück in die 70er beamt. Die Zukunft der Vergangenheit riecht nach Orgeln, Autotune und Tarantino, das Falsett sagt leise „Pfiat eich“ und die Vibes der frühen Zehnerjahre kraulen sich unter die Patchworkdecke. Auf Kuschelkurs im Proberaum hat sich Christoph Benkeser nicht gemacht – dafür mit der Band über Sommerrollen im Lockdown, den richtigen Sound in der falschen Melodie und die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die nie eingetreten ist, gesprochen. 

Ganz zu Beginn: Wer bespielt von euch den Twitter-Account von Hearts Hearts?

Peter Paul Aufreiter: Das mach ich.

Dann bekommst du von mir ein Pastinaken-Rezept. 

Peter Paul Aufreiter: Danke dir!

David Österle: Das check ich jetzt nicht.

Peter Paul Aufreiter: Ich hab vor einigen Wochen auf Twitter gefragt, was man mit Pastinaken kochen kann. Viele Leute haben mit Rezepten geantwortet, es war unser erfolgreichster Tweet!

Der Pastinaken-Tweet! 

Peter Paul Aufreiter: Das sind die Dinger, die im Bio-Kistl immer übrig bleiben …

Daniel Hämmerle: Man kann super Chips draus machen.

David Österle: Danny ist der Feinspitz der Band. Gegen seine Sommerrollen kommt nichts an.

Daniel Hämmerle: Meine Identität beruht für manche Menschen auf diesen Sommerrollen.

Was ist das Geheimnis deiner Sommerrollen? 

Daniel Hämmerle: Ich karamellisiere den Tofu mit Honig. Und es kommen Mangostreifen rein, die ich davor in Zitronensaft einlege.

Johannes Mandorfer: War da nicht auch noch was mit Minze?

Daniel Hämmerle: Ja, Minze und Koriander gehören fix rein.

Das klingt sehr gut. 

Daniel Hämmerle: Wir reden in der Band erstaunlich viel über Essen.

Das ist ein Nenner, auf den sich viele einigen können. Es gibt wenig Leute, die nicht gern essen, oder? 

Daniel Hämmerle: Wir kochen aber auch ziemlich gern.

Johannes Mandorfer: David und ich aber eher basic, während Peter Paul und Danny feinspitziger unterwegs sind.

David Österle: Ich mach in letzter Zeit viel Hausmannskost.

Peter Paul Aufreiter: Nichts gegen Hausmannskost!

David Österle: Im Vergleich zu Danny ist das trotzdem nichts. Hast du nicht mal erzählt, wie du eine Ente ausgenommen hast?

Daniel Hämmerle: Das ist aber schon lange her.

David Österle: Ich kann mich nur an die detailreiche Erzählung erinnern. War da nicht was mit Coq au Vin?

Daniel Hämmerle: Was ja auch Hausmannkost wäre.

Ihr macht euch Gedanken übers Essen, das merkt man. 

David Österle: Das hat auch damit zu tun, dass Essen bewusster passiert. Viele leben vegetarisch oder vegan. Gespräche darüber, was man isst oder auf was man verzichtet, ergeben sich automatisch.

Peter Paul Aufreiter: Die Corona-Zeit trägt auch dazu bei, dass man mehr über Essen spricht.

David Österle: Die Zeit, in der alle Brot backen wollten, ist aber schon wieder vorbei!

David Österle: Als Phänomen fand ich es zu Beginn schon interessant: Alles bricht zusammen, was machen die Leute? Sie backen Brot.

Daniel Hämmerle: Wir wollten auch backen, aber: Es gab keinen Germ mehr.

Johannes Mandorfer: Die Hefe-Krise!

Daniel Hämmerle: Die Frustration überwiegt inzwischen aber wieder die anfängliche Euphorie.

Machen wir den Sprung vom Essen zur Mode. Daniel, du bist im Anzug da.

Daniel Hämmerle: Sicher, das ist meine Alltagskleidung!

Schade, dass der Rest der Band die schicken Anzüge vom neuen Album-Cover zu Hause gelassen hat. 

Peter Paul Aufreiter: Ich hab vorhin mein Sakko ausgezogen und die schöne Schuhe, weil sie so drücken.

Johannes Mandorfer: Wir hatten die heute bei anderen Terminen an. Aber es hat geschneit und es war kalt.

Bild Hearts Hearts
Hearts Hearts (c) Tim Cavadini

Ich wollte euch schon zur „am besten gekleideten Band Wiens“ auserkiesen.  

Johannes Mandorfer: Für die Bandfotos haben wir dieses Mal mit Tim Cavadini zusammengearbeitet. Er hat uns sofort gefragt, wer Outfits und Makeup mache. Früher gingen wir da naiver dran, wir haben was aus dem Kleiderschrank genommen und sind beim Fotoshooting aufgetaucht.

David Österle: Jetzt ist es viel praktischer! Damals packten wir vier Outfits ein, wenn wir zu Konzerten fuhren. Kurz vor dem Auftritt musste man sich für eines entschieden. Das hat zunehmend gefrustet.

Johann Mandorfer: Die ewige Herumprobiererei!

David Österle: Ja, genau. Mit den Anzügen wissen wir, was zusammenpasst. Es ist eine Reduktion der Komplexität.

Man schlüpft dadurch auch in eine Rolle, nehme ich an.

Daniel Hämmerle: Der Akt des Sich-in-Schale-Werfens schärft den Moment. Man setzt Grenzen zum Alltag.

Peter Paul Aufreiter: Allein die Schuhe! Wenn man sich fürs Konzert ein anderes Paar anzieht, macht das was mit dem Gefühl.

David Österle: Dieses Rollen-artige stimmt natürlich – aber genau das ist gut.

Weil es eine gute Distanz erzeugt? 

David Österle: Genau. Der Alltag ist schon dicht genug. Mit dem Sprung in eine Rolle kann ich einfacher abschalten und den Alltag auf der Bühne verdrängen.

Daniel Hämmerle: Außerdem kommen die Leute nicht zum Konzert, um noch einmal den Alltag zu sehen. Sie wollen das Besondere. Der Kleidungs-Switch zu den Anzügen unterstreicht das.

Wes Anderson hat sich aber noch nicht gemeldet, um mit euch den nächsten Film zu drehen? 

David Österle: Wir checken eh schon jeden Tag unsere E-Mails.

In dem Moment läutet das Handy von Peter Paul Aufreiter. Er geht ran und legt kurze Zeit später auf.

Peter Paul Aufreiter: Ich muss leider los, aber ihr schafft das schon ohne mich, tschau!

Die Tür des Proberaums fällt zu.

Das war vermutlich Wes Anderson. Euer Cover wirkt jedenfalls schon wie ein Still aus „Grand Budapest Hotel“.

David Österle: Sein Stil war für uns eine Vorlage, auch beim anderen Fotoshooting in Bad Fischau – ein Freibad, wunderschön von Atmosphäre und Architektur. Das war wie eine Wes-Anderson-Szenerie.

Johannes Mandorfer: Die Orte, an denen wir die Fotos aufnahmen, sollten etwas betont Artifizielles ausstrahlen. Etwas, das nicht wie Alltag, sondern als gemachte, geschlossene Welt wirkt.

David Österle: Bad Fischau, mit seinen hölzernen Kabinen in gelb-grün, ist eine Kulisse. Und die Leute, die dort verkehren sind Teil dieser Kulisse.

Johannes Mandorfer: Wir kamen früh an, es waren nur Pensionist*innen da. Eine eingeschworene Community.

Und ihr als Band crasht ins Frühschwimmer-Idyll. 

David Österle: Natürlich haben sich alle gefragt, was wir da wollen. Aber auf eine zugängliche Art. Niemand hat sich gestört gefühlt, alle waren interessiert.

Johann Mandorfer: Eine positive Neugierde.

David Österle: Es entstanden auch zwei Fotos mit Besucherinnen, das sind die coolsten geworden!

Die Bildsprache ist ganz anders. Auf alten Pressefotos sieht man eure Oberkörper entweder übermalt oder als durchsichtige Projektionsfläche.  

Daniel Hämmerle: Die aktuellen Bilder entstanden aber aus der Frage, wie man sich darstellen möchte. Die einfachste Variante ist, sich gar nicht darzustellen, sondern die Umgebung als darstellendes Objekt zu benutzen.

Johannes Mandorfer: Sie sind ein Schritt zu mehr Echtheit, den wir in der Musik auch gemacht haben. Die Fotos unserer übermalten Oberkörper entstanden in einer Zeit, in der wir thematisch oder musikalisch abstrakter produziert hatten. Die Anzug-Bilder spiegeln wider, dass wir aktuell nach Echtheit streben.

David Österle: Genau, wir haben seltener künstlich eingegriffen. Das verbindet die Bilder mit der Musik. Beide wirken direkter. Wir stellen uns aus, der formale Bruch rückt in den Hintergrund.

Beim Cover-Foto könnte man glauben, dass es in den frühen 70er Jahren aufgenommen wurde. Trotzdem wirkt es in Bezug auf die Bandgeschichte wie ein Bruch, es zeigt etwas Neues.

David Österle: Das war uns wichtig. Gleichzeitig sollte es geschichtlich zurückgehen – wir haben im Prozess des Albums viel analoge Musik aus der Vergangenheit gehört, wollten die Platte stärker in diese Richtung trimmen und wärmere Sounds verwenden. Es sind ästhetische Mittel der Vergangenheit in einer Band von 2021.

„TRACKS AUS DEN 70ERN HÖREN SICH TEILWEISE GROTTIG AN, WIRKEN ABER UNVERMITTELT.“

Das Narrativ des Analogen als etwas Warmes, im Vergleich zum Digitalen also Wärmeren, kennt man.

Daniel Hämmerle: Das Analoge hört sich fehlerhafter an als digitale Samples oder Midi-Clips. Die Ungenauigkeiten machen es echter und ehrlicher.

Inwiefern? 

Daniel Hämmerle: Tracks aus den 70ern hören sich teilweise grottig an, wirken aber doch unvermittelt. Analoge Instrumente bewahren eine Ehrlichkeit.

David Österle: Die Frequenzen sind anders. Das gilt für Aufnahmen aus den 60ern und 70ern. Und fällt auf unserem Album auf. Bei der letzten Platte hatten wir stärkere Frequenztiefen, weil man einen elektronischen Bass ganz anders gestalten kann als einen analogen. Mit den Höhen ist es ähnlich. Eine elektronische Hi-Hat zischelt im Vergleich zu analogen Drums ganz anders. Bei analogen Aufnahmen reduziert sich, oben wie unten, die Schärfe. Frequenztechnisch spielt sich mehr im mittleren Bereich ab. Das schafft Wärme.

Aufnahmen auf Band lassen auch nur einen bestimmten Frequenzrahmen zu. Im Digitalen ist er theoretisch aufgehoben. 

Johannes Mandorfer: Außerdem bedeutet Analog, sei es Fotografie oder Musik, einen gewissen Aufwand. Man muss bereit sein, ihn zu betreiben. Digital erschließen sich alle Möglichkeiten im Nachhinein. Analog setzt Entscheidungen im Vorhinein voraus. Das macht etwas mit dem persönlichen Konnex zum Song.

Daniel Hämmerle: Man wird sowieso die ganze Zeit mit hyperrealistischen Instagram-Accounts bombardiert, die für sich eine Perfektion ausstrahlen. Das Analoge tut das nicht, es liegt eine Schönheit im Nicht-Perfekten.

Johannes Mandorfer: Wobei Instagram das Analoge wieder fancy gemacht hat.

Daniel Hämmerle: Und Algorithmen ein neues Ideal suggerieren.

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Den Drang, das Digitale künstlich zu verschlechtern, in dem man die Charakteristik des Analogen nachahmt, gibt es sowohl für Bilder als auch für Sound. Das Perfekte ist längst möglich, trotzdem sehen sich alle nach Imperfektion. 

Johannes Mandorfer: Ja, sogar für Midi-Clips gibt es Humanizer-Tools, die das Perfekte des Computers ausgleichen sollen.

David Österle: Wir sind nicht die einzigen, die diesen Weg gehen. Seit ein paar Jahren ist es Mode, den analogen Sound stärker zu betonen.

Johannes Mandorfer: Außerdem wollten wir das Rad nicht neu erfinden. Wir haben eine bekannte Ästhetik verfolgt.

David Österle: Und dadurch die Songs für sich betrachtet, also gar nicht erst versucht, mit dem Album etwas gänzlich Neues zu schaffen.

Daniel Hämmerle: Das ging auch mit der Reduktion der Möglichkeiten in der Aufnahme einher. Wir haben uns mehr damit beschäftigt, was das Instrument kann und wie es sich anhört.

David Österle: Als wir begonnen haben, Musik zu machen, war uns nicht klar, dass der Sound so wichtig ist. Das hört sich total banal an, aber früher war unser Gedanke, dass man den Sound schon finden werde, solange die Melodie stimmt. Mittlerweile hat es sich umgedreht: Der Sound ist bedeutender als die Melodie.

Daniel Hämmerle: Der entscheidende Faktor bei den Songs am Album ist: Was macht der Sound?

Johannes Mandorfer: Dadurch sind die Songs einfacher geworden. „Some Oceans Away“, die erste Single, hat diesen Weg bereitet. David hat es im Urlaub geschrieben und wollte es uns eigentlich gar nicht vorspielen.

David Österle: Weil es nicht zu dem gepasst hat, was wir davor gemacht haben.

Johannes Mandorfer: Dass es aber so eine zentrale Rolle auf dem Album einnimmt, sagt viel über die Entwicklung der Band aus. Es darf jetzt einfach sein.

„EIN AUSPRODUZIERTER SONG VERLIERT DIE MAGIE DER SPONTANTITÄT.“

Die Einfachheit ist auch ein Konnex zum Analogen. Es bildet den Moment ab, ist nicht reproduzierbar. 

Daniel Hämmerle: Eine kleine Subgeschichte dazu: Wir haben uns bei einigen Songs dazu entschieden, für die Hook Stimmen zu benutzen. Ein Element, das sich aber nicht reproduzieren lässt, ist die Stimme. Ob man verschupft ist, zu viel Bier getrunken oder zu viele Zigaretten geraucht hat – sie klingt immer anders. Live lässt sich das schwierig wiederholen, für das Album war der Sound dieser Stimmen wichtig.

David Österle: Die ersten Stimm-Drafts passieren spontan, sind aber oft saucool. Wenn man Monate später draufkommt, dass der Text totaler Nonsens ist und man die Stimme neu einsingt, ist das frustrierend, weil es so anders klingt.

Johannes Mandorfer: Dieses Mal ging es schmerzfreier! Ansonsten kann man sich von Demos schwer trennen, man hängt den rauschigen ersten Aufnahmen nach.

David Österle: Das ist der Grund, warum man sich von Demos so schwer trennen kann. Es fließt das Maximum an Spontanität in sie ein. Ein ausproduzierter Song verliert diese Magie, er ist nicht mehr cool.

Daniel Hämmerle: Ja, er wird steril und langweilig.

David Österle: Die fertig ausproduzierten Songs haben mir nie so viel Spaß gemacht, wie diese g‘schissenen ersten Drafts. Beim neuen Album ist es zum ersten Mal anders, ich bin mit dem Endprodukt zufriedener als mit den Demos.

Johannes Mandorfer: Die Demo-Sehnsucht hört man von vielen Bands.

Daniel Hämmerle: Es sind beinahe Phantom-Schmerzen! Demos erlauben ein Träumen, hat Annemi [Managerin von Hearts Hearts; Anm] gesagt.

Weil der fertige Song ausgeträumt ist. 

Daniel Hämmerle: Genau, er ist dann auch nicht mehr so wichtig, er ist vollendet.

David Österle: Man löst sich von ihm, gibt ihn an andere Leute ab und baut einen anderen Bezug zu ihm auf.

Sehnsucht und Traum gehen eine enge Beziehung ein. Man könnte auch fragen, wann man in unserer spätkapitalistischen Gesellschaft noch träumen darf.

Daniel Hämmerle: Das Unvollendete birgt diese Sehnsucht, stimmt.

David Österle: Auf der Platte sind auch einige Schnipsel, die als Verbindungsstücke einen Bogen ziehen. Schließlich haben wir drei Jahre am Album gearbeitet. Das Songwriting ist letztendlich immer ein brüchiger Prozess. Deshalb wollten wir diese Brüche dokumentieren. Und haben sie mit diesen Fragmenten nachgezeichnet.

Daniel Hämmerle: Du sprichst damit auch den Sprung eines Schnipsels zum fertigen Song an. Oft hat man 15 Sekunden Material und glaubt, dass es großartig sei. Es wird aber nicht großartig, weil der Song kein Schnipsel, sondern Abwechslung und Aufbau ist.

Johannes Mandorfer: Es ist aber interessant, wie sich manche Fragmente ausbauen lassen. Manche schlagen einen Weg ein, andere funktionieren nur als solches. Man würde dieser Idee weh tun, würde man sie fertig machen.

David Österle: Im Prozess des Albums haben wir Ordner angelegt, um Ideen zu ordnen. Ein A-Ordner für richtig gutes Material, ein B-Ordner für ausbaufähige Sachen und so weiter. Wir sind die Auswahl der Ideen viel lockerer angegangen, weil es in den Ordnern lag.

Daniel Hämmerle: Man schätzt die Möglichkeiten einer Idee von vornherein ein.

David Österle: Das hängt bei uns vom Charakter ab. Danny …

Daniel Hämmerle: Hat alles in den A-Ordner geschoben!

David Österle: Ich muss auch zugeben: Alle meine Ideen wären mir zu schade gewesen, um sie gleich in den B-Ordner zu legen. Johannes und Peter Paul gingen mit ihren Ideen viel defensiver um.

Johannes Mandorfer: Bei mir gingen manche Sachen direkt in den D-Ordner.

David Österle: Was aber nichts ausmachte, weil wir am Ende auch auf schlummernde Dinge zurückgegriffen haben.

Ihr seid also zu Archivaren geworden. 

Johannes Mandorfer: Es haben sich allein vier B-Sides-Ordner angesammelt.

Daniel Hämmerle: Mit denen wir noch was machen könnten.

David Österle: Na, sicher nicht. Die Sache ist abgeschlossen. Wobei … wir haben da unseren Recycle-Joe!

Als Studierte Geschichtler wisst ihr über den Wert der Quelle Bescheid.  

Johannes Mandorfer: Der Fundus war bei dieser Platte sicher größer, ja. Es wird spannend, sich in einem Jahr nochmal durch die Ordner zu hören.

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Wir haben viel über die Charakteristik des Analogen und den Fokus auf den Sound geredet. Da schwingt schon auch eine Form von Nostalgie mit. 

Daniel Hämmerle: Ich weiß nicht, ob es nostalgisch ist … 

Die Ästhetik der Bilder verleitet zusätzlich zu dieser Assoziation. David, du hast vorhin auch den Rückgriff auf die 70er angesprochen … 

Johannes Mandorfer: Ich würd dem voll zustimmen. Der alte Sound strahlt schon etwas Tolles aus.

David Österle: Ist es der Sound, der einem gefällt oder sind es die Bilder, die mit dieser Vergangenheit einhergehen?

Johannes Mandorfer: Es sind sicher auch die Bilder und das Grundgefühl, dass die Welt kleinteilig geworden ist. Deshalb gibt es eine latente Sehnsucht nach der Vergangenheit.

Eine Sehnsucht, die von popkulturellen Tropen lebt. Man romantisiert die Vergangenheit durch die Bilder, die man kennt. 

David Österle: Das ist die Gefahr!

Daniel Hämmerle: Vor allem wenn man bedenkt, dass die 70er gesellschaftspolitisch sicher nicht die beste Zeit war … Vermutlich geht es aber eher um den ästhetischen Reiz, der von dieser Epoche ausgeht.

David Österle: Es ist trotzdem mehr als das! Wenn wir Fotos von den Beatles sehen, schwingt da mehr mit als ihre Musik. In der Bildersehnsucht gibt man die eigene Reflexion schnell auf.

Es ist auch eine Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die man selbst nicht durchlebt hat. Man merkt das auch am aktuellen Rückgriff auf Bilder der 90er.  

Daniel Hämmerle: Die 90er werden auf ihre Ästhetik heruntergebrochen, aber niemand diskutiert die damals wiederaufkommende Neonazi-Welle in Deutschland.

Bild Hearts Hearts
Hearts Hearts (c) Tim Cavadini

Man tendiert zur Ausblendung der negativen Vergangenheit. 

David Österle: Außerdem fällt der historische Rückgriff einfacher, wenn man nicht Teil dieser Vergangenheit war. Was heißt für uns schon 70er Jahre?

Daniel Hämmerle: Das, was wir in Tarantino-Filmen gesehen haben.

David Österle: Ja, völlig selektiv – post-Flowerpower-Bilder und solche Sachen …

Johannes Mandorfer: Die dann bedeutungsvoll erscheinen, weil das die Bilder sind, die übrig geblieben sind. Die Leerläufe dazwischen hat niemand dokumentiert. Warum sollte man auch darüber diskutieren, wie fad gestern war?

Daniel Hämmerle: Vielleicht kommt das nur uns so vor, weil unsere Eltern in dieser Zeit aufwuchsen. Unsere Vorstellung der 70er Jahre bildet gleichzeitig nicht die Realität der 70er Jahre in Österreich ab, sondern eher einer amerikanische oder britische Vorstellung, mit der wir medial aufgewachsen sind.

Der Umbruch, der sozial, politisch und ökonomisch in den 70ern begann, wirkt aber immer noch nach – und zwar auf globaler Ebene.

Daniel Hämmerle: Die 70er, 80er und vielleicht auch 90er hatten einen Ansprung der unendlichen Möglichkeiten. Mit Beginn der 2000er Jahre realisierte sich ein Wandel, plötzlich hatte man die Einsicht, dass die unendlichen Möglichkeiten nicht im privaten Sektor stattfinden werden.

David Österle: Da spielt auch die Hochschätzung des Kreativen hinein, die zum Aufleben von Silicon Valley geführt hat. Die Flowerpower-Generation hat das Kreative marktfähig gemacht. Interessant ist, wie stark wir den Aufbruch der ausschließlich positiv linken Sichtweise wahrnehmen, obwohl es in ihr viele problematische Aspekte gab. Ich hab vor Kurzem eine Doku über die 68er-Bewegung gesehen – eine Bewegung, die unfassbar machoid war. Unsere Wahrnehmung dieser Wirklichkeit heute ist aber anders und hochgradig selektiv.

Die Zeit für eine ausufernde Diskussion über linke Melancholie fehlt uns leider. Es ist aber spannend, wie wir bei diesen Überlegungen gelandet sind. 

David Österle: Ja, wenn ich Musik mache, geht es auch darum, das Hirn auszuschalten. Die besten Ideen entstehen, wenn man etwas macht, ohne darüber nachzudenken. Erst in Gesprächen setzte eine Ebene der Reflexion ein, die im aktiven Prozess des Musikmachens nie so präsent ist.

Vor dieser Ebene ist es ein hermetisch abgeschlossener Bereich, der sich im linken Theoretisieren mit Proponenten wie mir öffnet, nehm ich an.

David Österle: Es ist beides wichtig. Das Flow-Gefühl ist für eine Band essentiell, die Reflexion des Tuns aber auch – nur nicht im selben Moment.

Also im Tun nicht zu viel nachzudenken, und im Nachdenken nicht zu viel zu tun. 

Johannes Mandorfer: Ja, abgesehen davon ist die Band etwas, das wir für uns selbst machen – auch wegen den Dingen, die damit einhergehen. Wir mögen die Gespräche, wir mögen die Treffen, das Wegfahren und das Arbeiten in eine offene Richtung. Es ermöglicht uns, sich in etwas zu vertiefen und etwas aus sich herauszuholen, das in einem normalen Brotjob nicht gefragt wird.

Daniel Hämmerle: Vor allem in der Corona-Zeit hat die Band eine unglaubliche Wertigkeit für uns.

David Österle: In den Proberaum zu kommen und zu wissen, dass man nicht drei Arschlöcher trifft, ist ein richtig gutes Gefühl.

Wobei auch die Reibung oder das An-sich-Reiben zu etwas führen kann. 

David Österle: Streitigkeiten und Konflikte sind Alltagsgeschäft, über allem steht trotzdem das Verbindende.

Johannes Mandorfer: Es gibt ein übergreifendes Vertrauen, dass man sich irgendwie arrangiert.

Daniel Hämmerle: Und der künstlerische Konflikt schlagt nie um ins Private. Man kann sich über einen streiten, sobald man beim Bier sitzt, ist das kein Thema mehr.

Was im Proberaum passiert, bleibt im Proberaum. 

David Österle: Genau. Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd!

Danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

 

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