„DER KLEBER DAZWISCHEN IST DIE LIEBE“ – LAUSCH IM mica-Interview

Nach sechs Jahren melden sich LAUSCH lautstark mit dem neuen Album „Love & Order“ (Noise Appeal Records; VÖ: 2.6.) zurück. Wie bei früheren Veröffentlichungen kommt man nicht umhin, sich im Angesicht dieser Stimme von Stadionformat und den äußerst eingängigen Rock-Hooks zu fragen: wieso sind LAUSCH nicht noch wesentlich erfolgreicher? Sebastian J. Götzendorfer sprach mit Frontman ALEXANDER LAUSCH (Gitarre, Vocals) über den Entschluss über Liebe zu singen, Kreativität über Umwege und die Vorstellung eines LAUSCH-Albums im Alter von 60 Jahren.  

Ihr hattet jetzt länger keine Veröffentlichung. Wie war der Entstehungsprozess eures neuen Albums „Love & Order“? 

Alexander Lausch: Anfang der Pandemie hatten wir den Entschluss gefasst, nicht live zu spielen, sondern unsere ganze Energie darauf zu bündeln, neue Songs zu schreiben. Vorrangig war dabei eigentlich nicht, dass ein Album dabei herauskommt. Wir wollten einfach die Zeit produktiv nutzen. 

Ich habe damals relativ blind und aus dem Bauch heraus Ideen auf der Gitarre erarbeitet und diese dann dem Matthias aus Wien ins Waldviertel geschickt. Der hat wiederum aus dem Bauch heraus seine Parts dazu geschrieben. Ich war anfangs öfter irritiert oder überrascht. Im üblichen Proberaum-Songwriting-Prozess kann man seine Gedanken unmittelbarer anbringen, hier musste man vieles einfach mal hinnehmen. Teilweise war das ziemlich „out of the comfort zone“. Es war letztlich aber durchaus inspirierend, so an dem Material zu arbeiten, denn nach fast zwanzig Jahren gemeinsam Musik machen sucht man natürlich nach neuen Wegen der Inspiration. 

Das heißt dieser „remote“ Songwriting-Prozess war auch für eure Kreativität förderlich. Was mir gerade durch den Kopf gegangen ist: Ich finde es oft interessant – aus Künstler:innen-Perspektive – wie viel Zeit zwischen dem Zeitpunkt, an dem ein Song geschrieben wird, und dem Moment der Veröffentlichung vergeht. Wie alt ist der älteste Song auf „Love & Order“? 

Alexander Lausch: Das war, glaube ich, sogar noch vor Covid. Wir hatten 2018 die letzte Tour abgeschlossen und dann eigentlich gleich wieder neue Songs geschrieben. 

Hast du die Texte dann auch schon teilweise vor fünf Jahren geschrieben oder wie ist da Dein Prozess? 

Alexander Lausch: Nein, das überhaupt nicht. Wir haben uns extrem auf die Musik konzentriert. Das hat zu der interessanten Herangehensweise geführt, dass man null Text oder Gesangsmelodie hat, aber irgendwie doch eine Vorstellung von der Stimmung oder den Vibes eines Songs – ein bisschen so wie bei instrumentaler Musik. Erst als dann alles fertig war und mich diese Album-Panik gepackt hat, die dann immer zur Deadline seitens des Labels kommt, habe ich mich mit zehn Songs in mein Studio gesetzt und innerhalb von vier Wochen alle Lyrics geschrieben und alles eingesungen. Da ist das restliche Material teilweise tatsächlich schon zwei Jahre gelegen. Ich habe mir die Zeit mit den Kunden im Studio freigeschaufelt und mir gesagt: „Let’s do it!“

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Das ist ein interessanter „disconnect“, wenn das instrumentale Material schon so alt ist und die Texte ganz aktuell sind. 

Alexander Lausch: Naja, es ist ein bisschen, wie wenn jemand anderer für einen Musik geschrieben hätte [lacht]. Es war ganz spannend, da ich teilweise wirklich nicht mehr genau wusste, wie die Songs ganz genau entstanden sind, sondern die Aufnahmen der Riffs oft unverändert von vor zwei Jahren verwendet habe. Das machte es einerseits sehr erfrischend für mich, aber auch ein bisschen verwirrend, wenn man sich beim Einsingen denkt: „Ist das wirklich meine Band?“ Eben genau so ein seltsamer „disconnect“ auf einer weiteren Stufe. Aber das hat mich kreativ letztlich ziemlich motiviert und angetrieben, weil es nicht anders ging. 

„Ich würde schon gerne zeitlose Lyrics schreiben.“

Mich interessiert das angesprochene Thema, weil sich ja teilweise bei langen Pausen zwischen Songwriting und Veröffentlichung die Frage stellt, ob der musikalische Output dann kreativ noch das widerspiegelt, was einen als Artist gerade beschäftigt. Und bei Texten wäre das für mein Verständnis eben teilweise noch skurriler: wenn man einen Text von 2018 dann 2023 veröffentlicht und man mit den Gedanken von damals womöglich schon gar nicht mehr übereinstimmt. 

Alexander Lausch: Ich kann das nachvollziehen was Du sagst, aber der kreative Prozess an und für sich ist für mich entkoppelt vom Inhalt der Lyrics. Ich arbeite hier kreativ Gedanken auf, die nicht nur in einer bestimmten Woche 2020 relevant sind, sondern für mich eher übergeordneten Stellenwert haben. Diese gieße ich dann in eine Form. 

Der musikalische Prozess ist dann die Möglichkeit, diese Gedanken nach außen zu tragen. Die Gedanken, die ich vielleicht sogar schon seit 15 Jahren mit mir herumtrage, sind jetzt veredelt auf einer Platte zu finden. Es ist natürlich ein ganz hoher Anspruch, aber ich würde schon gerne zeitlose Lyrics schreiben. Zumindest für mich persönlich sollten sie zeitlos sein. Die Musik ist dann das Ventil dafür. 

Das passt perfekt zu meiner nächsten Frage: worum geht es in den Texten von „Love & Order“? Es ist ja auch ein aussagekräftiger Titel für ein Album. 

Alexander Lausch: Das Überthema ist womöglich gar nicht so sehr in den einzelnen Songs zu finden, da die teilweise sehr individuell angelegt sind. Bei einem Song ist mein erster Versuch zu finden, autobiografisch zu texten. 

Welcher Song ist das? 

Alexander Lausch: Das ist „Insignificance“. Da geht es um die Beziehung zu meinem Vater und die Familiengeschichte, und wie ich gelernt habe, damit umzugehen. Es gibt andere Songs, die sich direkt auf die Covid-Pandemie und den Umgang zwischen Menschen in Ausnahmesituationen beziehen. So gibt es in jedem Song eigene Themenblöcke, die zusammengefasst, dann doch wieder beim Albumtitel „Love & Order“ landen. Und dieser Albumtitel bedeutet für mich folgendes: Leben ist Chaos, Leben ist ungeordnet und Leben ist „random“. Und „Love“ im übergeordneten Sinne bedeutet für mich die Möglichkeit, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. 

Für mich ist es als Songwriter eine Entwicklung, Liebe überhaupt anzusprechen und „Love“ zu singen – das war für mich bisher immer ein No-Go. „Love“ singt man nicht und schon gar nicht auf Deutsch. Liebe in der Rock-Musik, das ist halt dann irgendwie Hair Metal oder so…

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„Für mich ist es als Songwriter eine Entwicklung Liebe überhaupt anzusprechen.“

Du meinst, weil es so ein großes Wort ist? 

Alexander Lausch: Ja genau. Aber jetzt ergibt es für mich Sinn, darüber zu singen. Da ich endlich für mich definiert habe, was es bedeutet: Liebe heißt Ordnung ins Chaos zu bringen. Und dadurch vielleicht auch die Möglichkeit zu schaffen, aus dieser Ordnung im Chaos, weiterem inspirierenden und produktiven Chaos Nährboden zu bieten. Wie der Start eines Kreislaufs: Chaos – Ordnung – Chaos – Ordnung – … Der Kleber dazwischen ist die Liebe. 

Kann Liebe nicht auch sehr chaotisch sein? 

Alexander Lausch: Absolut. Das arbeite ich zum Beispiel im Song „Glitter, Gold & Acid“ auf. „Glitter“ als frische Liebe, als Chaos, als Durcheinander; „Gold“ als gestärkte und besprochene bis reflektierte Liebe und „Acid“ als toxische Liebe, Veränderung und Angst vor Vernichtung. 

Weil du vorhin angesprochen hast, dass ihr bereits seit fast zwanzig Jahren zu dritt Musik macht. Wie hat sich denn Eure Musik in deiner Wahrnehmung weiterentwickelt in dieser doch langen Zeitspanne? 

Alexander Lausch: Für mich stellt sich da immer die Frage, ob ich mich einfach durch meine musikalische Sozialisation der letzten zwanzig Jahre persönlich weiterentwickelt habe. Wie stehe ich zu unserem Genre oder auch zu Riffs und Beats? Wann ist ein Gitarrensolo passend und wann nicht? Die Sicht darauf hat sich in dem Genre auch immer wieder verschoben. 

Die Entwicklung passiert jedenfalls auch ganz automatisch durch die Veränderung von Lebensumständen. Zum Beispiel, dass wir mittlerweile alles um einen Ganzton runterstimmen, ganz einfach, weil sich meine Stimme verändert hat. Oder vielleicht habe ich jahrelang in falschen Tonarten geschrieben. Das ist jetzt ein sehr technischer Zugang. Aber auch auf semantischer Ebene. Ich kann mich sicher heute besser auf Themen wie Selbstreflexion, Liebe oder Zwischenmenschliches einlassen als früher. In der Rock-Musik heißt es ja oft, es hätte alles schon gegeben. Es gibt immer die gleichen Akkorde und Riffs etc. Meiner Meinung nach liegt der Unterschied im persönlichen Zugang, der den Inhalt inspiriert. 

Kannst Du dich noch erinnern, was für Themen dich vor 20 Jahren lyrisch beschäftigt haben? 

Alexander Lausch: Das war sehr viel der Versuch, Ordnung in meine Gedanken zu bringen [lacht]. Das ist jetzt ein lustiger Bogen. Die Texte waren viel vertrackter und assoziativer – weil ich teilweise meine Gedanken gar nicht gut auf den Punkt bringen konnte. Die Texte waren viel lautmalerischer. Heute kann ich Gedanken und Gefühle, glaube ich, durch meine Lebenserfahrung besser konkret benennen. 

Ihr seid in Eurer Konstellation als Band von Anfang an zu dritt. Die wenigsten Bands schaffen es auch über so einen langen Zeitraum ein stabiles Line-Up zu haben. Wie hat das bei euch funktioniert? 

Alexander Lausch: Ich glaube, weil ich ein extrem sozialer Mensch bin. Für mich und meine Band ist es mir mehr wert, mit den Menschen, die mich über eine lange Zeit prägen, gemeinsam zu schauen, was passiert kreativ, wenn man noch mehr gemeinsame Zeit verbringt. Anstatt zu sagen: ich habe das Ziel, als Musiker unbedingt in einem Genre den Durchbruch zu schaffen, und dafür suche ich mir die Personen, die mich in Sachen Erfolg am ehesten weiterbringen könnten.

Nicht, dass mich meine Bandkollegen nicht weiterbringen könnten, aber die haben andere Berufe und Lebensphasen und unser gemeinsamer Nenner ist dann letztlich das Musizieren. Labels oder Agenturen sagen teilweise so Dinge wie, wenn man wirklich den Durchbruch will, müsste man ins Ausland oder eine Zeit lang nach Amerika gehen. Ja, mag schon sein. Aber mir ist mein soziales Umfeld da wesentlich wichtiger. 

„Ich würde schon gerne wissen, wie es ist mit 60 ein Lausch-Album zu veröffentlichen.“

Ist dann der Plan für die nächsten 20 Jahre auch mit der gleichen Band diese Musikrichtung weiter zu bespielen? 

Alexander Lausch: Also sofern meine Kollegen das auch machen wollen: ja, definitiv! Das stelle ich mir extrem spannend vor, mit so einem Projekt unterschiedliche Lebensphasen zu durchschreiten. Ich würde schon gerne wissen, wie es ist, mit 60 ein Lausch-Album zu veröffentlichen. Das ist doch extrem spannend!

Zum Abschluss: was sind denn nun eure Pläne mit dem aktuellen Album? 

Alexander Lausch: Wir spielen am 2. Juni die Album-Release-Show im Rhiz in Wien. Für den Sommer sind dann zwei Festivals fixiert. Im Herbst machen wir noch eine kleine Bundesländer-Tour in Österreich mit einem weiteren Auftritt in Wien. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

Sebastian J. Götzendorfer

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Lausch:
02.06. Rhiz Wien, Albumrelease Show

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Links:
Lausch
Lausch (Facebook)
Noise Appeal Records