In den österreichischen Medien häufen sich Beiträge, in denen von der Ausbeutung von Musikschaffenden in Ensembles berichtet wird. Die Ausbeutung findet dabei zumeist auf der Grundlage eines „freien Dienstvertrages“ statt, wobei oftmals Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblätter zum Einsatz kommen. Ein Grund, dass sich Rechtsanwalt Wolfgang Renzl einmal grundsätzliche Überlegungen zum „freien Dienstvertrag“ in der Kulturbranche Gedanken macht. Der Beitrag spiegelt dabei ausschließlich die Meinung des Autors wider. Welche Besonderheiten gelten bei der Beschäftigung von Musikschaffenden?
1. Teil: Kunstschaffende im freien Dienstvertrag: echt selbständig, nicht sozialversichert
Für österreichische Musikschaffende sind „Dienstvertrag“, „freier Dienstvertrag“ und „Werkvertrag“ Begriffe, die sie ihr ganzes künstlerisches Leben begleiten. Oft wird die Frage auch abgekürzt: „Auf Honorarnote spielen“ als Ausdruck für eine selbständige Beschäftigung.
Doch bevor wir beginnen, fangen wir mit einer kleinen Einordnung an: Sind die Menschen – wie in der Musikbranche üblich – arbeitsteilig tätig, stehen ihnen dabei – aus rechtlicher Sicht – (i) die „horizontale Zusammenarbeit“ als Partner oder Gesellschafter oder (ii) die „vertikale Zusammenarbeit“ in Form einer Über- oder Unterordnung zur Verfügung.
„Horizontal“ ist dabei der Ausdruck einer partnerschaftlichen Begegnung auf Augenhöhe. (Damit sind freilich keine Umgehungsformen gemeint, in denen Produzenten- und Regiezampanos ihre Untergebenen für Kunstprojekte in Gesellschaftsformen wie Kommanditgesellschaften zwängen.)
„Vertikal“ bedeutet, dass es nach dem rechtlichen Grundkonzept eine (übergeordneten) „Weisungsgeberin“ in Form einer Dienst- oder Auftraggeberin und eine (untergeordnete) „Weisungsempfängerin“ in Form einer Dienst- oder Auftragnehmerin gibt. Die „vertikale Zusammenarbeit“ kann dann noch einmal dahingehend unterschieden werden, ob die Weisungsempfängerin grundsätzlich selbständig (Werkvertrag, freier Dienstvertrag) oder unselbständig tätig ist (Dienstvertrag).
Die (selbständige) Auftragnehmerin schuldet beim Werkvertrag einen konkreten Erfolg (daher „Zielschuldverhältnis“), also ein fertiges Werk (wie beispielsweise ein Drehbuch, eine Komposition, eine Tonaufnahme, ein Bühnenbild, aber auch ein einzelner Auftritt einer Band oder eines/r Solist:in), die Dienstnehmerin beim (selbständigen) freien Dienstvertrag oder unselbständigen Dienstvertrag eine Dienstleistung unter Einsatz ihrer persönlichen Arbeitskraft über einen gewissen Zeitraum (daher „Dauerschuldverhältnis“).
Mit dem freien Dienstvertrag hat der österreichische Gesetzgeber eine Figur geschaffen, die für Laien nur schwer verständlich ist und gesetzlich auch nicht definiert wird.
Die freie Dienstnehmerin ist nach dem Willen des Gesetzgebers zugleich Selbständige und Unselbständige: Während die freie Dienstnehmerin steuerrechtlich als Selbständige eingestuft wird, wird sie im Sozialversicherungsrecht wie eine Unselbständige behandelt.
Als Jurist – mit dem oft zitierten Schubladendenken – hält man diesen logischen Widerspruch aus, Laien, die an die Einheit des Rechts glauben, mag er Kopfschmerzen bereiten. Es war ausdrücklicher Wille des Gesetzgebers, die Benachteiligung von freien Dienstnehmerinnen auszugleichen. So wurden freie Dienstverträge seit 1.1.2008 vollständig in die Kranken-, Unfall-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung integriert. Eine Zweiteilung der Arbeitswelt soll aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht nicht stattfinden.
Die Dienstgeberin einer freien Dienstnehmerin hat damit keine Lohnsteuern, sehr wohl aber die Sozialversicherungsabgaben (gleich einem echten Dienstvertrag) zu tragen. Die Dienstnehmerin hat die Einkommenssteuer dann selbst aus dem Honorar zu bezahlen. Das Honorar ist also ein Brutto-Brutto-Honorar (inklusive allfälliger Umsatzsteuer und abzuführender Einkommenssteuer, jedoch exklusive bereits abgeführter Sozialversicherung).
Für Kunstschaffende jedoch hat der österreichische Gesetzgeber die Benachteiligung der fehlenden Sozialversicherung beim freien Dienstvertrag durch eine Ausnahme weiter aufrechterhalten : § 4 Abs 4 lit d ASVG führt dazu, dass Kunstschaffende, insbesondere Künstler im Sinne des § 2 Abs 1 Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetz, in einem freien Dienstvertrag nicht nur steuerlich, sondern auch sozialversicherungsrechtlich Selbständige sind[1].
Der §4 des ASVG definiert, wer in der Kranken-, Unfall-, und Pensionsversicherung versichert ist. Darüber hinaus werden die Merkmale des Dienstnehmers definiert.
§4 Abs. 4: Den Dienstnehmern stehen im Sinne dieses Bundesgesetzes Personen gleich, die sich auf Grund freier Dienstverträge auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zur Erbringung von Dienstleistungen verpflichten (…) wenn sie aus dieser Tätigkeit ein Entgelt beziehen, die Dienstleistungen im wesentlichen persönlich erbringen und über keine wesentlichen eigenen Betriebsmittel verfügen; es sei denn (…) dass es sich um eine Tätigkeit als Kunstschaffender, insbesondere als Künstler im Sinne des §2 Abs. 1 des Künstler-Sozialversicherungsfondsgesetzes handelt.
§2 Abs. 1 KSVF-Gesetz: Künstlerin/Künstler im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, wer in den Bereichen der bildenden Kunst, der darstellenden Kunst, der Musik, der Literatur, der Filmkunst oder in einer der zeitgenössischen Ausformungen der Bereiche der Kunst im Rahmen einer künstlerischen Tätigkeit Werke der Kunst schafft.
Der freie Dienstvertrag entspricht damit in seiner rechtlichen Wirkung einem „Werkvertrag“ und führt zu einer Einstufung als reine selbständige Tätigkeit. Der Begriff des (freien) „Dienstvertrages“ ist bei Kunstschaffenden irreführend, da er eine unselbständige gesetzliche Pflichtversicherung erwarten lässt.
Die Dienstgeberin zahlt damit der Kunstschaffenden ein Brutto-Brutto-Brutto-Honorar, von dem diese ihre Umsatz- und Einkommenssteuer und ihre Sozialversicherungsabgaben (als Selbständige) abzuführen hat. Es erfolgt auch keine Beteiligung an der „Abfertigung neu“. Bei der Tätigkeit des Kunstschaffenden in einem freien Dienstvertrag hat die Künstlerin also alle Abgaben zu tragen.
Das freie Dienstverhältnis stellt darüber hinaus in jedem Fall eine arbeitsrechtliche Benachteiligung dar, haben freie Dienstnehmerinnen doch keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub, keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und unterliegen keinem Kollektivvertrag. Die Bestimmungen des Angestelltengesetzes, des Urlaubsrechts, des Arbeitszeitgesetzes (insbesondere der Überstundenentlohnung), des Arbeitsruhegesetzes oder des Entgeltfortzahlungsgesetzes sind (ohne konkrete Vereinbarung) nicht anzuwenden. Auch im Theaterarbeitsgesetz sind freie Dienstnehmerinnen nicht vorgesehen.
2. Teil: Woher kommt die Ausnahme, dass kunstschaffende freie Dienstnehmerinnen nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen?
Die Ausnahme wurde mit der 58. Novelle zum ASVG unter der Bundesregierung Schüssel I am 7.8.2001 erlassen. Mit folgender (dürftiger) Begründung (Erläuterungen zur Regierungsvorlage zu § 4 Abs 4 lit d ASVG, abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/dokument/XXI/I/624/fname_602654.pdf):
Durch die Bestimmung des § 572 Abs. 4a ASVG wurde die Pflichtversicherung für Kunstschaffende in einem freien Dienstverhältnis bis zum Ablauf des Jahres 2000 ausgesetzt. Da es sich bei dem genannten Personenkreis um Berufstätige handelt, für die zum einen berufsrechtliche Regelungen eine klare Zuordnung zum Dienstnehmerbegriff erlauben (vgl. etwa das Schauspielergesetz), zum anderen aber ganz überwiegend selbständige Tätigkeiten ausgeübt werden, erscheint in diesem Bereich eine spezifische Einbeziehung der dienstnehmerähnlichen Tätigkeiten in die Pflichtversicherung (mit allen damit verbundenen Abgrenzungsproblemen) nicht erforderlich. Die Anwendung des § 4 Abs. 4 ASVG soll daher ausgeschlossen werden, womit für den erwähnten Personenkreis der Pflichtversicherungstatbestand des § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG in Betracht kommt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die überwiegende Mehrzahl der Künstler entweder als Dienstnehmer oder als neue Selbständige versichert ist. Außerdem ist anzunehmen, dass ein Teil jener Künstler, die derzeit weder als Dienstnehmer noch als neue Selbständige versichert sind, wie bisher sich auch in Hinkunft selbstversichern wird. Da überdies die Künstler schon derzeit von der Pflichtversicherung als freie Dienstnehmer ausgenommen sind, ist eine exakte Quantifizierung der Auswirkungen dieser Bestimmung nicht möglich. Im Übrigen werden sich die finanziellen Auswirkungen in einem unbeachtlichen Ausmaß halten.
Diese – schlecht begründete – Regelung, die nicht einmal verhehlt, (nicht evidenzbasierte) Annahmen zu treffen, führt also dazu, dass österreichische Kunstschaffende als freie Dienstnehmerinnen nicht die sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung mit anderen freien Dienstnehmerinnen oder echten Dienstnehmerinnen genießen. Die Begründung ist unlogisch: Der Gesetzgeber hätte genauso gut argumentieren können, dass – wenn kein „echter“ Dienstvertrag vorliege – eben zwingend von einem freien Dienstvertrag auszugehen wäre und dann die Pflichtversicherung nach dem ASVG greife. Dann gäbe es zwischen „echten“ und „freien“ Dienstverträgen ebenso keine Abgrenzungsproblematik.
So war das auch ursprünglich geplant: Im ursprünglichen Ministerialentwurf zur 58.ASVG-Novelle findet sich noch folgende Ausführung zur sozialversicherungsrechtlichen Gleichstellung von kunstschaffenden freien Dienstnehmerinnen (abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/dokument/XXI/ME/118/imfname_590427.pdf):
Am 1. Jänner 2001 wird der Pflichtversicherungstatbestand des § 4 Abs. 4 ASVG auch für Personen hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Kunstschaffende wirksam. Für diesen Personenkreis soll im Wesentlichen das gleiche Übergangsrecht gelten wie für jene Erwerbstätigen, die mit 1. Jänner 1998 erstmals in die Sozialversicherung einbezogen worden sind.
Es war also ursprünglich vorgesehen, die Kunstschaffenden im freien Dienstvertrag sozialversicherungsrechtlich denjenigen im echten Dienstvertrag gleichzustellen. Diese Gleichstellung wurde dann im durch die fixe Ausnahme des § 4 Abs 4 lit d ASVG verhindert. Eine Angleichung ist bis jetzt nicht erfolgt und wird auch politisch nicht diskutiert.
3. Teil: Wann liegt ein echter, wann ein freier Dienstvertrag vor?
Die Rechtsprechung in Österreich trifft hier die Unterscheidung nach der persönlichen Abhängigkeit: Der freie Dienstvertrag besteht darin, dass sich jemand auf eine gewisse Zeit dazu verpflichtet, einer anderen ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, ohne sich in persönliche Abhängigkeit zu begeben. Der freie Dienstvertrag unterscheidet sich zum Arbeitsvertrag somit im Fehlen der persönlichen Abhängigkeit.
Der Typusbegriff der „persönlichen Abhängigkeit“ besteht aus einer Reihe von Merkmalen. Zu nennen sind:
- Einordnung in die Arbeitsorganisation (Bindung hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsabfolge),
- Gebundenheit an persönliche Weisungen,
- Kontrollunterworfenheit,
- Disziplinäre Verantwortung des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin,
- Verpflichtung zur persönlichen Arbeitsleistung,
- Bereitstellung der Arbeitsmittel durch den/die Arbeitgeber/in (aus den Erläuterungen zum Theaterabeitsgesetz, abrufbar unter https://www.parlament.gv.at/dokument/XXIV/I/936/fname_197130.pdf).
Damit ist aber freilich für die Rechtsanwenderin noch nicht viel gesagt. Diese Kategorien (und weitere Unterkategorien) helfen im Einzelfall aber auch nicht immer, eine Standortbestimmung vorzunehmen.
Als Auslegungsmaxime kann angesehen werden, dass bei einer dauernden persönlichen Leistungserbringung gegen Geld aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Dienstnehmerin im Regelfall von einem echten Dienstverhältnis auszugehen sein wird und der freie Dienstvertrag die Ausnahme ist. Die Gerichte legen bei der Prüfung der Dienstnehmerinneneigenschaft ein besonderes Augenmerk auf das „Vertretungsrecht“. Das Recht muss sowohl vertraglich eingeräumt worden sein, als auch gelebt werden. Alleiniges Merkmal für die persönliche Abhängigkeit ist das vereinbarte und gelebte Vertretungsrecht aber auch nicht.
Zur Veranschaulichung im Folgenden einige Beispiel aus der Praxis (verbunden mit dem Aufruf an die Leserinnen, ihre beispielhaften Entscheidungen direkt an den Artikelautor renzl@parlaw.at zu schicken, um die nachfolgende Tabelle aktualisieren zu können):
Beispiele Werkvertrag: |
Für einen Werkvertrag sprechen etwa das Recht, bei der Leistung auch andere einzusetzen, keine Fremdbestimmung in Bezug auf Ort und Zeit, kein diesbezügliches Weisungsrecht, keine Einordnung in die Arbeitsorganisation des/der anderen oder das Arbeiten mit eigenen Mitteln. Ein Werk wird beispielsweise dann im Vordergrund stehen, wenn ein/e Komponist/in ein bestimmtes Stück aufzuführen hat oder ein/e Bühnenbildner/in eine bestimmte Requisite für ein Theaterunternehmen, an dem er/sie nicht regelmäßig tätig ist, herstellt (aus den Erläuternden Bemerkungen zum Theaterarbeitsgesetz (https://www.parlament.gv.at/dokument/XXIV/I/936/fname_197130.pdf) |
OGH 21.10.1987, 14 Ob A 77/87 (Gesangssolistin, Werkvertrag): „Da eine Gesangssolistin bei ihren Darbietungen nicht die Musikkapelle begleitet, sondern von dieser begleitet wird, ist sie in die Musikkapelle nicht eingegliedert. Die Möglichkeit, sich von einer anderen Sängerin vertreten zu lassen, spricht ebenfalls gegen ihre persönliche Abhängigkeit. Beschränkt sich überdies die Weisungsbefugnis des Kapellmeisters auf die Auswahl der Musiknummern aus dem Repertoire der Solosängerin für die Zeit ihres Auftritts, so überwiegen nach dem Schwergewicht des Vertragsinhaltes die Elemente des Werkvertrages ….“. |
Freier Dienstvertrag: |
BVwG 2.12.2022, W156 2255269-1/14E (Sachverhalt in Stichworten: Schlagwerker, Substitut, Staatsoper, zuerst Teilnahme an 3 von 5 Proben, danach zwei weitere Proben, keine Aufführungstermin vereinbart, pauschaler Probesatz pro Probe): Die mitbeteiligte Partei (Anm. Staatsoper) rechnet somit bei den Substituten – abgesehen von der bereits erwähnten grundsätzlichen Verlässlichkeit – nicht absolut mit der Leistungserbringung. Dafür spricht auch, dass der Beschwerdeführer nur fünf von ca. 20 Proben insgesamt spielte, woraus auch die Dynamik des Orchesterbetriebs ersichtlich ist. Wie bereits von der belangten Behörde ausgeführt, lag gegenständlich somit keine persönliche Arbeitspflicht des Beschwerdeführers vor. Ein echtes Dienstverhältnis nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG scheidet demnach aus. |
VwGH 25.5.2011, 2010/08/0025: Vertragsinhalt: Choristin im Rahmen des Operettenfestivals, bestimmte Operetten, Proben laut Probenplan, Aufführungstermine laut Spielplan, Vorbereitung und Mitwirkung an allfälligen Fernseh-, Hörfunk- oder Videoaufzeichnungen. Der VwGH ordnet weitere Untersuchungen an, ob Vertretungsrecht nach Gutdünken tatsächlich bestanden hat (dann offenbar freier Dienstvertrag) oder nicht (dann Dienstvertrag). |
Beispiele Dienstvertrag: |
Wer seine künstlerischen Leistungen nicht frei gestalten kann und an bestimmte Vertragsbühnen, an vorgegebene Proben- und Aufführungszeiten, an den Proben- und Stückplan oder an Regelungen, wie er/sie sich bei der Durchführung der Arbeit zu verhalten hat, gebunden ist und sich laufenden Kontrollen über die Einhaltung dieser Regelungen unterwerfen muss, wird idR persönlich abhängig sein. Kann sich das Mitglied aber generell vertreten lassen und hat es das Recht einzelne Arbeiten abzulehnen, wird keine persönliche Abhängigkeit vorliegen. Die Vereinbarung einer generellen Vertretungsbefugnis schließt die persönliche Abhängigkeit und Arbeitnehmer/inneneigenschaft aber nur dann aus, wenn dadurch nicht mehr von Arbeitsleistungen in persönlicher Abhängigkeit gesprochen werden kann. Diese Beurteilung käme uU dann in Betracht, wenn das Ablehnungsrecht tatsächlich wiederholt ausgeübt wird oder bei objektiver Betrachtung zu erwarten ist, dass eine solche Nutzung erfolgt (vgl. etwa OGH 19.12.2007, 9 Ob A 118/07d; aus den Erläuternden Bemerkungen zum Theaterarbeitsgesetz (https://www.parlament.gv.at/dokument/XXIV/I/936/fname_197130.pdf)). |
ASG Wien 9.9.1994, 30 Cga 110/94: „Die wesentlichen Merkmale der persönlichen Abhängigkeit im Rahmen eines Bühnendienstverhältnisses sind die Verpflichtung zur Mitwirkung an den erforderlichen Proben während eines bestimmten Zeitraums sowie einer bestimmten Anzahl von Vorstellungen, die zur Erbringung dieser Arbeiten erforderliche Eingliederung in den Theaterbetrieb, die grundsätzliche Weisungs- und Kontrollberechtigung des Theaterunternehmers, der auch das ausschließliche wirtschaftliche Risiko der geplanten Aufführung zu tragen hat.“ (aus den Erläuternden Bemerkungen zum Theaterarbeitsgesetz https://www.parlament.gv.at/dokument/XXIV/I/936/fname_197130.pdf)) |
4. Teil: Freier Dienstvertrag, was nun?
Wird einer Kunstschaffenden ein freier Dienstvertrag vorgelegt, empfiehlt sich eine rechtliche Überprüfung. Die Scheinselbständigkeit durch eine Fehleinordnung ist ein weit verbreitetes Phänomen, das sich freilich wirtschaftlich leicht erklären lässt: Die Dienstgeberin will sich Lohnnebenkosten, den Urlaubsanspruch und die Entgeltfortzahlung ersparen. Gerade dann, wenn eine Dienstnehmerin einen wesentlichen Teil ihres Lebenseinkommens mit dem Lohn bestreitet, regelmäßig für ein Orchester spielt, an Proben teilnimmt, das Vertretungsrecht nur theoretisch existiert wäre eine Einstufung als „freie Dienstnehmer:in“ unzulässig.
Die Nachteile des freien Dienstvertrages liegen aber nicht nur im Sozialversicherungsrecht: Die freie Dienstnehmerin unterliegt keinem arbeitsrechtlichen Schutz, es gilt kein kollektivvertragliches Mindestentgelt. Die gesetzliche Untergrenze für ihren Lohn bildet ausschließlich der „Hungerlohn“ (so wird er in der Judikatur wirklich genannt!). Denn da eine Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung in der österreichischen Privatrechtsordnung nicht gefordert wird, bildet nur die sittenwidrige Ausbeutung wegen eines im auffallenden Missverhältnis zum Wert der Dienstleistung stehenden Hungerlohnes die Grenze (OGH 25.11.1998 9 ObA 249/98b).
Diese Untergrenze des „Hungerlohns“ gilt in Österreich auch für sämtliche anderen, nicht einem Kollektivvertrag unterliegenden Beschäftigten, da es in Österreich – anders als in Deutschland – keinen Mindestlohn gibt. Der Mindestlohn liegt in Deutschland im Übrigen aktuell bei € 12,41/Stunde brutto (Stand 2024). Viele Ensemble-Gagen in Österreich sind von diesem Mindestlohn leider noch entfernt, wenn man in die Überlegung einbezieht, dass der Stundenlohn für ein Konzert oder eine Probe auch die Zeiten der Vorbereitung – also Üben und Vorbereiten des Stücks, ggf. auch Anfahrtszeiten, aber auch Administration – abdecken muss.
Die Bühnen- und Orchester-Kollektivverträge finden in Österreich im Übrigen auch auf sogenannte „Gäste“ oder „Substituten“ keine Anwendung, was zur Bildung der „Klassengesellschaften“ in den Konzerthäusern und Bühnen beiträgt. Warum Gäste und Substituten keinen kollektivvertraglichen Schutz benötigen, wird in den Kollektivverträgen nicht begründet.
Die kunstschaffende freie Dienstnehmerin muss sich jedenfalls bewusst sein, dass sie eine Brutto-Brutto-Brutto-Gage, also zuzüglicher ihrer Umsatz- und Einkommenssteuer und zuzüglicher ihrer Sozialabgaben als Selbständige, zu vereinbaren hat. Die so vereinbarte Gage müsste daher viel höher liegen, als sie aktuell am Markt bezahlt werden.
Was könnte man politisch fordern? Die Einbeziehung der kunstschaffenden freien Dienstnehmerinnen in die normale Sozialversicherung wäre ein naheliegendes Ziel.
Lehnt man das ab, so wäre sicherzustellen, dass Brutto-Brutto-Brutto-Honorare ausreichend hoch sind, damit Kunstschaffenden nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsabgaben noch einen angemessenen Lohn erhalten. Genau darauf zielt die Fair-Pay-Initiative letztendlich ab.
Weiters könnten die Einbeziehung von Gästen und Substituten in Kollektivverträge gefordert werden, um der Zweiklassengesellschaft auf den Bühnen entgegenzuwirken.
Veränderungen zum Besseren sind schließlich erlaubt. Gerade das macht Kultur aus.
Wolfgang Renzl arbeitet seit 2006 als freiberuflicher Rechtsanwalt in Wien. Er ist Gründungspartner der Rechtsanwaltskanzlei, die im Jahr 2023 zu PARLAW wurde. Seine Schwerpunkte liegen im Medien-, Urheber-, Datenschutz- und Gesellschaftsrecht sowie im Erb- und Familienrecht und Opferschutz.
[1] In der Literatur wird diskutiert, dass diese Regelung nur auf (werk-)produzierende Urheberinnen und nicht auf reproduzierende Interpretinnen Anwendung finden sollte (Vögl [Hrsg.], Praxishandbuch Veranstaltungsrecht (2012), S 494 f).