ANDY ZAHRADNIK ist ein Kenner der österreichischen Musikszene: zum einen als Fan, zum anderen als früherer Mitarbeiter von internationalen Plattenfirmen. Jetzt gestaltet er gemeinsam mit SUSANNE KRISTEK zum 50 Jahresjubiläum des Austropop eine Serie von Podcast-Folgen unter dem Titel „Austro Podkastl“. Seit Anfang Oktober 2020 geht alle zwei Wochen eine neue Folge online, im Interview mit Jürgen Plank erzählt ANDY ZAHRADNIK von Bands wie Misthaufen oder den Madcaps, die ein wenig in Vergessenheit geraten sind und spricht über aktuelle Strömungen in der österreichischen Musikszene.
Der Titel der ersten Folge des so genannten „Podkastl” lautet „Die wilden 70er”. Was prägt für dich dieses Jahrzehnt in der Geschichte des Austropop?
Andy Zahradnik: Seit meinem sechsten Lebensjahr sammle ich Platten. Als ich zirka acht oder neun Jahre alt war, habe ich mir die Musik von Qualtinger angehört, wie den „Bundesbahnblues” oder Pirron und Knapp, die im Dialekt gesungen haben, aber keine Popmusik waren. Bei anderen Nummern, etwa „Der Schneemensch” von den Madcaps, wo Georg Danzer auch dabei war: da war unsere Sprache, aber heruntergebrochen. Oder bei der Worried Men Skiffle Group, mit „Da Mensch is a Sau”, das war einer der ersten Umweltsongs. Da hat man sich Texten angenommen, die völlig anders als in der internationalen Popmusik waren, etwa bei Manfred Mann.
Inwiefern waren das noch wilde Jahre?
Andy Zahradnik: Das sind wilde Jahre gewesen, weil ganz viel produziert wurde. Es gab keine Normen. Ö3 war ein wilder Sender, der hat 1967 aufgesperrt. Damals gab es den Schnulzenerlass von Gerd Bacher, sodass kein Rex Gildo und ähnliche Musik gelaufen ist. Ö3 hat die Szene unterstützt, vor allem Evamaria Kaiser. Das war eine Moderatorin, die eigene Sendungen gemacht hat, soweit man weiß, hat sie den Namen Austropop erfunden. Sie hat wirklich Talente gesucht und hat denen im Radio auch eine Plattform gegeben.
„Wir waren damals als Österreich wirklich der letzte westliche Außenposten vor dem Eisernen Vorhang.“
Wenn du jemandem, der keine Ahnung davon hat Austropop erklären müsstest: Wie wäre eine Definition von Austropop?
Andy Zahradnik: Naja, man muss auch die geopolitische Situation der damaligen Zeit beachten. Wir waren damals als Österreich wirklich der letzte westliche Außenposten vor dem Eisernen Vorhang. Hinter uns war popular-kulturelle Wüste. Wir haben nicht gewusst, was sich in Ungarn oder in der Tschechoslowakei abspielt. Das hat dazu geführt, dass internationale Acts nur nach Österreich gekommen sind, wenn die Stadthalle für sie da war. Es hat sich nicht ausgezahlt nach Österreich zu touren, wo hätten sie denn weiter hinfahren sollen? Wir hatten eine Inselfunktion und internationale Trends sind etwas später zu uns gekommen. Durch den Austropop hat sich eben durch den Dialekt eine österreichische Popularkultur entwickelt. Da müssen wir wirklich am Anfang über klassischen Austropop reden.
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Gerne. Wie ist der klassische Austropop?
Andy Zahradnik: Das heißt: Dialektgesang, Beat, ob das jetzt Mersey Beat ist oder Pop oder Rock, im klassischen Stil der 1960er Jahre, mit typisch österreichischem Zungenschlag. Das hat sich im Laufe der Zeit dahin gehend entwickelt, dass alles, was irgendwie aus Österreich gekommen ist, als Austropop bezeichnet wurde. Weil sich da aus sich selbst eine Marke entwickelt hat. Da wurde sogar italienisch gesungen und weiß der Kuckuck was. Da wurden Acts als Austropopper bezeichnet, die mit Pop gar nichts zu tun haben und in ganz andere Genres gehören. Der Begriff Austropop hat sich aus sich selbst heraus entwickelt. Auch weil man im Radio darauf hinweisen wollte: jetzt spielen wir einen Titel aus Österreich.
Heuer wird mit CD-Kompilationen „50 Jahre Austropop“ gefeiert und Podcasts liegen auch sehr im Trend. Setzt ihr mit eurem Podcast bei beiden Trends auf?
Andy Zahradnik: Die Idee ist nicht von mir, sondern ein Mitarbeiter von Sony hat mich vor zwei Jahren darauf angesprochen, ob ich mir vorstellen kann, einen Podcast zu machen. Ich habe gesagt: sehr gerne! Ich habe ja früher auch Fernsehen im Schlagerbereich gemacht, immer so kleine Interview-Geschichten. Und ich habe hunderte Pressetexte geschrieben und Biographien. Der Mitarbeiter ist dann nach Deutschland verschwunden und die Idee lag auf Eis. Dann hat mich Universal angesprochen und hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen kann mit ihnen einen Podcast zu machen.
Es gibt von Bob Dylan eine Serie von legendären Radio-Programmen, in denen er über Musik spricht und Musik vorstellt. Ihr – du und Susanne Kristek – macht bei euren Podcast-Beiträgen eine Doppel-Conference, hast du Dylans Programme auch im Hinterkopf gehabt?
Andy Zahradnik: Naja, schau, zur Doppel-Conference: Ich bin 62 Jahre alt. Ich bin – wenn man so will – ein Zeitzeuge, der das alles begleitet hat. Aus der allerersten Reihe und zwar nicht fußfrei, sondern tätig. Susanne bringt den weiblichen Part ein und ist vor allem auch jünger. Man darf ja nicht erwarten, dass die Zuhörer alle so alt sind wie ich und dass bei allen der Groschen fällt, wenn man Madcaps oder Worried Men Skiffle Group sagt. Und da ist die Susanne, die sich gut auskennt oder auch nachfragt, wenn sie etwas nicht weiß. Das passiert in späteren Folgen auch umgekehrt. Wir haben dann auch Gäste, Paul Pizzera kommt vorbei, Jazz Gitti kommt vorbei.
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Neben dem Austro Podkastl gibt es noch eine weitere Schiene. Was ist das?
Andy Zahradnik: In der zweiten Schiene, im Austropopcast, ist es so, dass ich Gäste habe, mit denen ich mich treffe. Ich war bei Thomas Spitzer in der Steiermark, da waren wir bei seinem Wirt. Norbert Schneider habe ich im Porgy & Bess getroffen. Da bin nur ich und führe meine Plaudereien. Ich mag das Wort Interview nicht, ich spreche mit den Menschen wie bei einem Treffen im Wirtshaus, ich will einfach plaudern. Denn ich glaube, dass das ein bisschen so ist, wie Radio von früher. Wie früher die Sendung „Freizeichen”, ohne Werbepausen, ohne Verkehrsfunk. Viele Leuten hören Podcasts heute am Handy und dadurch bist du direkt im Kopf der Zuhörer und Zuhörerinnen – das taugt mir.
Zurück zum Podkastl, wie viele Folgen sind geplant?
Andy Zahradnik: Es sind zwölf Folgen, die haben wir schon im Kasten.
„Da gab es zum Beispiel die Band Misthaufen, die hatte Lieder wie den ‘Nägelbeisser-Boogie'”
Tauchen wir ein wenig ein in „50 Jahre Austropop”, was wäre eine Lieblingsgeschichte von dir aus dieser Zeit?
Andy Zahradnik: Da fallen mir viele Geschichten ein. Da gab es zum Beispiel die Band Misthaufen, die hatte Lieder wie den „Nägelbeisser-Boogie”. Es ist ein Wahnsinn, dass man mit einem Lied darüber einen Hit hat. Oder Hansi Orsolics! Sein Hit „Mei potschertes Leben” ist ja aus einer Fernsehdokumentation heraus entstanden, die Sigi Bergmann gedreht hat. Über diesen geschlagenen Orsolics, der da in seinem Wirtshaus abgesoffen ist. Der war ein Held, war Europameister und ein herzensguter Mensch. Der Liedermacher Charly Kriechbaum hat diesen Film gesehen und hat das Lied mit Orsolics gemacht und hat den Nerv der Nation getroffen. Das Lied ist auf Nummer 1 gegangen, das kannte damals jeder.
Kommen wir zu aktuellen Strömungen in der österreichischen Musikszene: Inwiefern siehst du, dass der Austropop nach 50 Jahre ins Heute übersiedelt ist?
Andy Zahradnik: Ja, das sehe ich, ganz deutlich sogar. Mittlerweile wird es eher für den ursprünglichen, klassischen Austropop verwendet. Nämlich diese Dialekt-Kiste: Seiler & Speer oder Pizzera & Jaus. Da gibt es so viele, die Dialektmusik machen. Auch Voodoo Jürgens und Der Nino aus Wien – das ist so bunt. Ich nehme auch 5/8erln in Ehr’n mit dazu, vielleicht wollen die zum Teil nicht Austropop genannt werden. Aber auch SOLOzuVIERT oder die Christina Kosik und ihre Gangband, die ich sehr schätze. Das ist ein junges Mädel, das rotzfrech im Dialekt daher rockt – die beziehen sich auf den Austropop. Alles andere ist Musik aus Österreich und auch das lebt und da tut sich extrem viel und auch die Independent-Szene hat sich in den letzten 15 Jahren sehr entwickelt, etwa mit Bands wie Oehl oder My Ugly Clementine. Zum einen hast du also heute den Austropop, der erfolgreich ist. Und auf der anderen Seite hast du internationale Musik aus Österreich, die in Märkten erfolgreich ist, an die man nie gedacht hätte.
Du hast auch schon Bücher über Austropop geschrieben, etwa über Georg Danzer. Planst du ein neues Buch?
Andy Zahradnik: Ich habe mehrere Bücher geschrieben und die sind auch – da bin ich stolz darauf – gut gegangen. Georg Danzer wäre nächstes Jahr 75 Jahre alt geworden. Die Biographie, die ich mit Blacky Schwarz über Georg Danzer gemacht habe, kann man nicht mehr ergänzen. Wir schreiben einen zweiten Teil: Gespräche mit Wegbegleitern von Georg. Ich glaube, dass man sich durch Corona in eine Art neues Biedermeier hinein bewegt. Da spielt eine Rolle, dass man sich im Vertrauten geschützter fühlt. Alles, was man aus der Vergangenheit mitnimmt, was man kennt und bei dem es einem gut gegangen ist, ist etwas Vertrautes. Und da spielt die Sprache und die Herkunft eine Rolle, davon bin ich überzeugt.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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