„DER BASS IST EIN BUDDY” – BILLY ROISZ IM MICA-INTERVIEW

BILLY ROISZ erspart sich die Vorstellung. Die Wienerin beschäftigt sich so lange mit Musik, Performance und Film, dass auch solche Leute von ihr gehört haben dürften, die noch nie von ihr gehört haben sollten. Als Grande Dame der audiovisuellen Autodidaktik erscheint mit „BAJO” auf VENTIL RECORDS trotzdem ihr erst zweites Solo-Album. Zum Gespräch im Café Kreuzberg sitzt ROISZ überpünktlich, dafür bleibt sie währenddessen wortkarg. Manchmal schweigen wir, später lacht sie laut. Nachträglich bastelt sie am Dialog, weil die Kontrolle schwer wiegt.

Ich stelle eine These auf: In deiner Musik ist der Raum nicht präsent, nur die Zeit.

Billy Roisz: Ich muss dich enttäuschen: Raum ist sehr wohl ein wichtiger Aspekt in meiner Musik, sowohl der Raum der bespielt wird, den ich mit den Zuhörenden teile – und auch in meiner Wahrnehmung und Vorstellung von Sound als Materie im Raum. Ich arbeite skulptural. Mich interessiert am Sound vor allem seine Multidimensionalität und das Raumgreifende. Wie schließt Sound die zuhörende Person mit ein?

Biold Billy Roisz
Billy Roisz (c) noid haberl

Dein Bass wird zum Resonanzraum.

Billy Roisz: Der Bass ist natürlich Resonanzraum, aber es geht mir um den Sound selbst – als ob er Stein oder anderes formbares Material wäre, an dem ich mit meinen Werkzeugen, dem Mischpult und allerlei analogen und digitalen Effektgeräten meißeln kann.

Du meinst ein wegnehmendes Bearbeiten, oder?

Billy Roisz: Manchmal ist es das, ja, ein Freilegen, manchmal auch Auftragen. Es ist ein vielschichtiges Bearbeiten. 

Das klingt archäologisch. Du pinselst zwar nicht in der Erde herum, aber an den …

Billy Roisz: Instrumenten, genau. Oder eigentlich am Klang selbst.  Zuerst sammle ich viel Material, ich habe für die aktuelle Platte in mehreren Phasen Sound aufgenommen. Auch an verschiedenen Orten. Einen Ausflug habe ich mit Dieter [Kovačič, Anm.], meinem langjährigen Partner, in einen Tunnel unter der Autobahn in Spillern gemacht. Wir haben dort Kontrabass, Cimbal und Helikon, das Dieter als Gastmusiker gespielt hat, aufgenommen. In einem weiteren Arbeitsschritt habe ich dann das gesamte Material durchgehört, ausgesiebt und am Computer in meinem Schnittprogramm geschichtet, arrangiert und „skulpturiert”, also die finalen Tracks gebastelt.

Ohne der Computerarbeit würde der Bass nicht so klingen, wie er in deinen Händen klingt.

Billy Roisz: Kann ich so nicht sagen, ich habe auch viel von den Original-Bass-Sounds drinnen – manchmal pur, aber dann auch wieder nur als einen Layer zusammen mit prozessiertem Bass-Sound und zusätzlicher Elektronik. 

„DER BASS INTERESSIERT MICH ALS INTERFACE ZUR KLANGERZEUGUNG.“

Bild Billy Roisz
Billy Roisz (c) Dieter Kovačič

Der Effekt ist wichtig.

Billy Roisz: Es geht immer um den Sound, den Klang, die Struktur, die Dramaturgie. Der Bass interessiert mich als Interface zur Klangerzeugung. Als Klangkörper. Als Experimentierfeld. Ich habe ihn geschenkt bekommen.

Wie bekommt man einen Bass geschenkt?

Billy Roisz: Dieter hat mir den Bass vor zwei Jahren überraschend zum Geburtstag geschenkt. Er hat irgendwie aufgeschnappt, dass ich das gerne mal ausprobieren möchte. Als der Bass plötzlich bei mir im Zimmer stand, war ich überrascht und fast geschockt. Aber ich hab mich schnell mit ihm angefreundet, jetzt ist der Bass ein Buddy.

Wenn ein Instrument, dann Bass, hast du gesagt. Warum?

Billy Roisz: Ich liebe die tiefen Frequenzen.

Woher kommt diese Liebe?

Billy Roisz: It’s just there.

Das Tieffrequente berührt den Körper, oder?

Billy Roisz: Es hat bestimmt mit dem Körper zu tun, sowohl mit dem eigenen als auch mit dem Körper des Bass-Sounds und seiner Bewegung im Raum. Man nimmt den Sound stärker über den Bauch und die Muskulatur wahr. Dazu kommt, dass ich ursprünglich aus dem Bewegungstheater und der Tanzperformance komme. Und: Früher war ich jede Woche mindestens zwei Mal im Flex tanzen. Drum’n’Bass, Techno, Hip Hop – das war meine Musik in den späten Neunziger Jahren. Seit damals liebe ich die Wärme, die Wattigkeit der tiefen Frequenzen.

Wie viel Improvisation steckt in den Aufnahmen?

Billy Roisz: Ich vergleiche die Arbeit an den Tracks für Tonträger eher mit meiner Arbeit im Filmschnitt. Ein improvisiertes Konzert ohne Bearbeitung zu veröffentlichen, finde ich meist nicht spannend.  Der Ort, die Zeit, die Stimmung im Raum lässt sich nicht transportieren. Trotzdem gibt es auch spannende Improvisation-Aufnahmen. Für mich besteht die interessante Arbeit aber daran, mit den Aufnahmen zu arbeiten, an der Dramaturgie zu feilen und sie zu formen.

Du arbeitest zuerst das Stück aus, bevor du es spielst.

Billy Roisz: Für einige Projekte schon, andere sind frei improvisiert. „Bajo” gibt es einerseits als Platte, die Arbeit für die Platte soll aber auch auf der Bühne funktionieren. Anders, weil ich es nie gleich umsetzen könnte und auch nicht möchte, aber doch, weil es sich innerhalb eines kompositorischen Rahmens bewegt – mit dem Soundmaterial, das ich für die Platte verwendet habe.

Bild Billy Roisz
Billy Roisz by (c) Markus Gradwohl 2019

Das klingt für mich wie ein kompositorisches Wühlen – irgendwie passt das zu der Erforschung der Tiefen, oder?

Billy Roisz: Ich spiele den Kontrabass oft liegend, also der Bass liegt auf der Seite und ich bearbeite ihn vornübergebeugt, kniend. Den E-Bass spiele ich dagegen oft stehend. 

Man darf sich keine Haltung aus dem Musikverein vorstellen. Du spielst ganz anders.

Billy Roisz: Nicht nur weil ich es nicht könnte, sondern weil ich mich dadurch automatisch der Konvention aussetzen würde.

Du spielst – im übertragenen Sinn – mit dem Instrument.

Billy Roisz: Genau.

„ICH KOMME IMMER WIEDER AN DIE OBERFLÄCHE.”

Sprechen wir kurz über das Cover. Du malst Tiere, nehme ich an.

Billy Roisz: Während der Pandemie habe ich wieder zu malen und zeichnen begonnen. Vornehmlich Tiere.

Was ist das auf der aktuellen Platte zu sehen, ein Zebra?

Billy Roisz: Ein Erdferkel.

Das ist sehr spezifisch.

Billy Roisz: Das Erdferkel lebt auch unterirdisch, ich habe es aber nicht deswegen gemalt. Alle Tiere entstanden als Postkartenmotive, die ich 2022 Jahr an Freunde verschickt habe. Auf allen Karten malte ich seltsam aussehende, aber real existierende Tiere. Eines davon war: das Erdferkel.

Das Erdferkel bohrt wie du. Wann tauchst du auf?

Billy Roisz: Ich komme immer wieder an die Oberfläche. Zum Beispiel für Konzerte. Meine eigenen natürlich, aber ich gehe auch sehr gern und höre mir an, was meine Kolleg:innen so machen – andere Musiken, Kinofilme, Literatur, Wissenschaft, all das holt mich nach oben und inspiriert mich für weitere Arbeiten, musikalischer oder visueller Art. 

Danke!

Christoph Benkeser

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Billy Roisz live:
23. Mai 2023: Linz Tresor
24. Mai 2023: Westbahn Studios

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Links:
Billy Roisz (Homepage)
Billy Roisz (Wikipedia)
Billy Roisz (Discogs)