PHIL SICKO ist Sänger bei der oberösterreichischen Stoner-Rock-in-Frauenkleidern-Formation PORN TO HULA, Audiotechniker in der legendären KAPU und neuerdings Soundpoet mit seinem Soloprojekt PENCIL & CHERRIES. Mit Sebastian J. Götzendorfer sprach der charismatische Linzer über Transgender in Südamerika, Ambivalenz im Feminismus und Cellos.
Was lautet eigentlich Ihr bürgerlicher Name?
Phil Sicko: Der steht auf meiner Geburtsurkunde.
Den kennt also niemand?
Phil Sicko: Doch, mein Vermieter kennt ihn. Und meine Eltern natürlich [lacht]. Es gibt echt so einige Bekannte, die keine Ahnung haben, wie ich heiße. Ich habe mich mit allerhand Namen gespielt, begonnen bei der Zweideutigkeit „phil/feel“, dass der Name im Altgriechischen „Liebe“ bedeutet, Phil A Delphia etc. Leider ist genau der Sicko hängen geblieben [lacht].
Das neue Pseudonym ist nun Pencil & Cherries. Unter diesem Namen wurde soeben das Debüt „Dithyrambs“ veröffentlicht. Wieso wieder ein neuer Name?
Phil Sicko: Gute Frage. Ich habe sehr lange nach einem Namen gesucht. Bei „Noise Appeal Records“ gibt es sogar eine Veröffentlichung unter dem Namen Phil. Dann hat es aber noch eine Zeit lang gedauert, bis der neue Name entstanden ist. Ich war mit meinem Tätowierer auf der Linzer Landstraße unterwegs und eine Person mit Anorexie war in unserem Blickfeld und ich sage zu ihm: „Look at her legs, it’s all pencil and cherries.“ Das war aber nicht despektierlich gemeint, Menschen mit solchen Krankheitsbildern sind arm dran. Aber irgendwie ist mir das hängen geblieben und es funktioniert auch gut als Metapher. Der Bleistift ist ein Ding, mit dem man Notizen macht, die man aber auch ausradieren kann. Es ist also ein „Work in Progress“ und funktioniert auch generell als Metapher für künstlerisches Arbeiten. Die Kirschen sind natürlich rot, beuten Liebe, Erotik und so weiter.
„Die Kirschen sind natürlich rot, bedeuten Liebe, Erotik und so weiter.“
Apropos künstlerisches Arbeiten: Wie lange gibt es die Songs dieses Soloalbums bereits? Wie viel wurde herumradiert?
Phil Sicko: Es gibt, glaube ich, nur einen Song, bei dem gar nicht herumradiert wurde und das ist „Lullaby Nr. 23“. Grundsätzlich sind die Songs aber bis zu fünf Jahre alt. Ich hatte aber auch nie solche Soloambitionen. Es gab vielmehr einfach Ideen, die nicht für Porn To Hula passten, aber die ich trotzdem gut fand.
Stilistisch ist das neue Projekt natürlich etwas ganz anderes als bei Porn to Hula. Was entspricht denn mehr Ihrer musikalischen Seele?
Phil Sicko: Ich mache da für mich keine Wertung. Ich habe ganz generell musikalisch noch nie was gemacht, wohinter ich nicht völlig gestanden bin. Insofern ist das alles emotional gleichberechtigt. Pencil & Cherries ist derzeit aber natürlich viel aufregender. Ganz ohne Instrument auf der Bühne zu sein – völlig nackt quasi – ist für mich auch völlig neu.
Inwiefern spielt da auch der Gegensatz zu Porn to Hula mit rein, bei denen die Äußerlichkeiten mit den Verkleidungen etc. sehr wichtig sind?
Phil Sicko: Bei Porn To Hula haben wir uns eigentlich immer sehr viel dazu überlegt, wie wir die Dinge ausführen. Das Blöde ist nur, dass es in der Wahrnehmung der Leute zwischen dem ganzen Gitarrengetöse untergegangen ist.
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„[…], dass wilde Rockmusik nicht reserviert ist für Typen mit langen Haaren und dicken Bäuchen.“
Was waren denn genau die Überlegungen? Stoner Rock in Frauenkleidern ist doch sicher interpretierbar, wenn man gewillt dazu ist.
Phil Sicko: Also rein textlich waren die Songs auf „Sailing Around God’s Balls“ auf irgendeine Art und Weise mit Religion verbunden, bei „The Long March“ ging es um tibetische Traditionen und bei der „Big Cups N’ Refills“ haben wir uns letztlich über Populismus und Verschwörungstheorien lustig gemacht. Der Auftritt war gegen Ende natürlich stark in Richtung Drag, Gayness und Cross-Dressing geprägt. Es war durchaus als Statement gedacht, dass wilde Rockmusik nicht reserviert ist für Typen mit langen Haaren und dicken Bäuchen.
Wie war denn dazu das Feedback, gerade von Frauen?
Phil Sicko: Das war echt immer super. Das hat extrem gut funktioniert. Es gab immer wieder schöne Momente. Wenn jemand zu dir kommt und sagt: „Eigentlich finde ich diese Art von Musik normalerweise nicht so gut, aber euer Konzert war der volle Wahnsinn“, dann ist das schon erfreulich. Auf unserer Südamerika-Tour letztes Jahr hatten wir diese Reaktionen ganz besonders ausgeprägt. Da gab es kürzlich diesen chilenischen Film – der auch für den Auslands-Oscar nominiert war –, bei dem es um eine Transgender-Person geht. Dadurch war die Anerkennung eines dritten Geschlechts gerade ein großes Thema. In Argentinien wiederum gibt es diese super cheesy und ultranormative Variante von Rockmusik, den „Rock Nacional“, in dessen Rahmen sich Männer an Frauen vergriffen haben, diese vergewaltigt haben etc. Dementsprechend wurden wir als Gegenteil davon ziemlich wohlwollend aufgenommen.
Kann man sagen, dass Sie mit der Band einen feministischen Standpunkt vertreten haben?
Phil Sicko: Ich finde, man kann das schon so sagen. Es ist aber auch total wichtig, nicht zu vergessen, dass es sich um eine ambivalente Haltung handelt … [überlegt lange] … wir sind halt trotzdem fünf Typen. Man kann zwar ohne Weiteres eine feministische Haltung einnehmen, aber das macht uns noch lange nicht zu Feministen.
Im Sinne von: Man kann nur so und so viel machen, wenn fünf Männer in einer Band ohne Frauen sind?
Phil Sicko: Das trifft es ganz gut. Man kann nur bis zu einem gewissen Punkt gehen, bevor man sich lächerlich macht oder alles klischeehaft wird. In den 90er-Jahren gab es viele Bands, die vor ihren Konzerten politische Predigten hielten. Man denkt sich dann: „Was bringt es, den Leuten, die ohnehin auf deiner Seite sind, das zu erzählen, was sie hören wollen?“ Das bringt original gar nichts [lacht]. Der Applaus ist mir sicher, aber womit hat man sich den verdient?
Wie ist es eigentlich zur Auflösung von Porn to Hula gekommen?
Phil Sicko: Das war nach der Südamerika-Tour. Dort hat es uns schon ziemlich gefallen. Einer unserer Gitarristen meinte danach, es sei schon mies, dass wir nicht jedes Jahr nach Südamerika fahren können. Dann folgte zehn Sekunden Schweigen und dann war eigentlich klar, dass wir uns auflösen müssen.
Das wirkt jetzt ein bisschen paradox. Können Sie das erklären?
Phil Sicko: Es hat natürlich jede und jeder das Recht, ein Konzert so zu genießen, wie sie oder er es will, aber wir hatten mit Porn To Hula ohnehin immer das Problem, zwischen den Stühlen zu sitzen. Viele Rocker mochten uns nicht, da sie gemerkt haben, dass wir sie eigentlich verarschen. Viele andere Leute, die das inhaltlich gut fanden, mochten wiederum die Musik nicht [lacht]. Überspitzt gesagt war es immer die Frage, ob man für 30 Leute spielt, die es interessiert, oder für 300 Leute, die stark betrunken sind. In Südamerika war es oft eine schöne Mischung, die wir nicht unbedingt überall fanden.
„Cello gab es immer in allen meinen Vorstellungen.“
Dieses Kapitel endet also. Was ist nun Ihr Wunsch mit Pencil & Cherries?
Phil Sicko: Die Ideen werden mir nicht ausgehen. Ich bin meine eigene Band und kann Songs so arrangieren, wie es mir gerade einfällt. Es gibt mehr Platz für den Inhalt des gesungenen Wortes, was mir sehr gefällt, da das Rundherum nicht so laut ist. Mein Wunsch, um bei diesem Wort zu bleiben, wäre, mit zwei Musikern à la Cello und Electronics auf Tour zu fahren. Cello gab es immer in allen meinen Vorstellungen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Sebastian J. Götzendorfer
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