„Das Rätselhafte, das in der Musik bleibt, hat mich immer angezogen.“ – Daniel Oliver Moser im mica-Interview

Die Überprüfung seines Eintrags in der Musikdatenbank veranlasste DANIEL OLIVER MOSER mit mica – music austria Kontakt aufzunehmen. Nicht nur in seinem Werkverzeichnis hatte sich einiges getan, auch in seiner Biografie. Seit Dezember 2020 bekleidet MOSER, der aktives Mitglied beim QUASARS ENSEMBLE und beim ENSEMBLE ZEITFLUSS ist, eine Professur für Komposition und historische Satztechniken an der UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST WIEN. Im mica-Interview spricht der gebürtige Osttiroler mit Ruth Ranacher über fiktive Landkarten, das musikalische Gedächtnis und die Grammatik unseres musikalischen Denkens.

Lässt sich bezüglich der Professur an der mdw nach einem Semester schon Bilanz ziehen?

Daniel Oliver Moser: Diese interimistische Professur ist natürlich eine Ehre. Andererseits ist das Unterrichten auch fordernd und bringt mich selbst immens weiter. Vergangenen Dezember mitten im Lockdown quer ins Semester einzusteigen, war eine Herausforderung. Dadurch, dass ich an der MUK ähnliches, zwar mit einem etwas freieren Curriculum, unterrichtet hatte, fand ich mich aber gut zurecht. Jetzt, im Sommersemester, habe ich hauptsächlich Tonmeisterinnen und Tonmeister unterrichtet.

In deiner Biografie findet sich der KomponistInnenmarathon, ein ursprünglich auf Initiative von Studierenden an der mdw organisierter „Konzertmarathon“, aus dem später das Ensemble Platypus hervorging. Wie wichtig ist es heute für Studierende, sich ausprobieren zu können und Konzertmöglichkeiten zu suchen, wo man etwas riskiert, vielleicht auch scheitert?

Daniel Oliver Moser: Das ist wirklich essentiell. Es ist die einzige Variante wie es zu einer ständigen Weiterentwicklung und Erneuerung des Repertoires kommen kann. Scheitern ist die größte Triebfeder überhaupt um sich selbst und den eigenen Stil, bei entsprechender Selbstkritik, weiter zu bringen. Die Initiative von Platypus beinhaltete genau das. Sie entstand aus der Idee heraus, keine ideologischen oder ästhetischen Vorgaben zu machen, sondern die Praxis entscheiden zu lassen. Stilistisch bekommt man so erst einmal viel Breite. Viele Dinge, die in der Partitur befremdlich, sonderbar oder dysfunktional aussehen, entwickeln im Konzert eine eigene Dynamik, weil ein Konzept dahintersteckt, das sich vielleicht nicht so gut über das Papier vermittelt. Andererseits gibt es fantastisch ausnotierte Partituren, denen man das hohe Handwerk ansieht, die aber weder in der Proben- noch in der Konzertsituation besonders gut funktionieren. Wobei sich immer die Frage stellt: Was heißt, gut funktionieren? In der Neuen Musik ist es ja generell so, dass Qualität und Erfolg nicht anhand einer wahnsinnig großen Publikumsresonanz zu messen wären …

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Und selbst wenn, wer entscheidet darüber?

Daniel Oliver Moser: Genau. Aber gerade das macht es so spannend, denn in keinem anderen Musiksektor sind die Kriterien dafür so offen. Allerdings haben wir in Mitteleuropa eine relativ privilegierte Situation. Der Angelsächsische Raum ist hier entweder viel kommerzieller orientiert oder stark universitär getragen. Die Konzerte müssen sich rechnen. Freie Neue-Musik-Ensembles gibt es in den USA nicht sehr viele, diese sind hauptsächlich mit Universitäten assoziiert und der einzige Bereich, der nicht dem Diktat des finanziellen Erfolgs unterworfen ist. Dass Studierende überhaupt Initiativen gründen können, finde ich hier, insbesondere in Wien, speziell. Auch dass sie nicht dem universitären Umfeld verhaftet bleiben, sondern nach außen gehen und sich eine öffentliche Präsenz schaffen. Welchen Wert haben Rezeption, Erfolg oder Vermarktbarkeit? Dieses Spannungsfeld ist in der Neuen Musik eine der interessantesten Sachen.

„Aus meiner Perspektive ist Qualitätsbewusstsein das wichtigste.“

Gibst du in Hinblick auf die Vermarktbarkeit deinen Studierenden etwas mit? Teilweise gibt es ja auch Marketing-Seminare speziell für Musikschaffende.

Daniel Oliver Moser: Aus meiner Perspektive ist Qualitätsbewusstsein das wichtigste. Dazu gehört ein sehr hohes Maß an Selbstkritik, dass man sich nicht zu schnell zufrieden gibt und auch den internationalen Vergleich nicht scheut. Es geht darum, Analysemethoden zu entwickeln, und zu fragen: Was kann ich? Wo kann ich mich noch steigern? Ist das, was die Musik will, mit adäquaten Mitteln umgesetzt oder versteckt es sich hinter Inszenierung? Ich bin der Überzeugung, dass Qualität durch nichts zu ersetzen ist, zumindest nicht langfristig. Der großartige Internetauftritt macht es nicht. Ich hoffe, dass ich damit Recht behalte, aber das ist etwas, an das ich gerne glauben will.

Könntest du bitte noch etwas auf die Praxis in der Neuen Musik näher eingehen?

Daniel Oliver Moser: Mein Hauptensemble ist das in Bratislava beheimatete Quasars Ensemble unter der Leitung von Ivan Buffa. Quasars ist ein grenzüberschreitendes Projekt, es sind Musikerinnen und Musiker aus Österreich, der Slowakei, Deutschland und Ungarn involviert, und es ist Ensemble in Residence beim Slowakischen Rundfunk. Es gibt vergleichbar weniger Uraufführungsdruck, der in Österreich ja relativ stark ist. Dafür ist die Zusammensetzung des Programms historisch durchsetzter. Diese breite Zusammensetzung macht das Ensemble für mich interessant, aber auch, dass die Stücke öfter wiederholt werden. Meine Stücke werden in der gleichen Besetzung gespielt und werden zum Repertoire. Ich hatte vorher selten den Luxus, dass die eigenen Stücke so oft in derselben Besetzung aufgeführt werden, das verbessert alles enorm.

Das Ensemble Zeitfluss, bei dem ebenfalls als Musiker aktiv bist, hat sich zur Aufgabe gemacht, in seinen Programmen älteren Werken immer ein zeitgenössisches Stück gegenüber zu stellen. Könntest du uns noch etwas über das Konzept erzählen?

Daniel Oliver Moser: Es ist ein Spiel mit Erwartung und Überraschung. Ich finde das ein sehr schönes Konzept. Werken, die im internationalen Repertoire fest verankert sind, werden neue Werke aus der österreichischen bzw. lokalen Szene gegenüber gestellt. Die etablierten Stücke kennt man und kann sie so zueinander organisieren, dass man ein ungefähres Gefühl für den Konzertabend hat. Bei neuen Stücken weiß man nicht, was man bekommt, außer dass man den Personalstil der Komponistin bzw. des Komponisten kennt. Dramaturgisch kamen bisher schon ganz tolle Abende heraus.

Wenn man sich die Werkliste vergangener Konzerte bei Zeitfluss ansieht, fällt der Überhang an Werken von Komponisten auf. Wo sind die Komponistinnen? Was tut die Lehre, um Frauen zu ermutigen?

Daniel Oliver Moser: Die Universitäten machen hier relativ viel. Eine Tatsache, die etwas bewirken wird, ist, wenn der Anteil an weiblichen Lehrkräften an den Universitäten höher wird. Wenn die Vorbilder sowohl in den Hauptfächern als auch in den theoretischen Fächern zu finden sind, entsteht eine andere Dynamik. Ich glaube, das ist ein Prozess, der dauert. Wenn man sich ansieht, wie es im Instrumentalunterricht gewesen ist, stimmt mich das zuversichtlich. Der war zuerst auch männerdominiert, dann hat es sich mühselig und schrittweise verschoben. Das Ergebnis zeigt sich jetzt in den Probespielen und Wettbewerben. Im Kompositorischen gibt es noch wenige Professorinnen, der akademische Bereich tut sich da noch schwer.

… oder hinkt nach?

Daniel Oliver Moser: Das ist ein komplexes Thema. Der ganze akademische Betrieb ist seit Jahrhunderten ein männlicher, die ganze Musikausbildung mit ihrem Geniekult aus dem 19. Jahrhundert heraus ist männlich geprägt. Es ist hinlänglich bekannt, dass viele Frauen komponierten, aber das wurde in männlicher Rezeption eher als eine kultivierte Hausbeschäftigung gesehen. Die Besten der Besten bis hin zu Brahms waren in ihren Äußerungen gegenüber den Werken von Frauen keine Sympathieträger. Ich glaube, davon haftet dem Betrieb noch etwas Strukturelles an. Zuerst ändert sich die Kulturszene. In der Programmierung von Stücken wird etwas getan, von manchen Ensembles und relativ viel von Festivals. Natürlich haben Ensembles ihre Liebkinder, aber Zeitfluss hat beispielsweise viel von Elisabeth Harnik gespielt. Da wissen wir, dass wir ihre Stücke mögen und auch öfter spielen werden. Das stellt natürlich noch nicht die Breite dar …

… aber das wäre dann ein gepflegter Kontakt. Joanna Wozny wurde auch viel gespielt.

Daniel Oliver Moser: Genau. Aber wenn sich die Frage stellt, wie viele Komponistinnen und wie viele Komponisten im Raum Graz greifbar sind, dann gibt es noch ein Missverhältnis. Mit dem entsprechenden Augenmerk darauf wird sich das ändern. Denn die Neue-Musik-Szene ist in Österreich relativ klein und von Netzwerken geprägt. Diese Netzwerke sind bis zu einem gewissen Grad auch noch männlich geprägt. Wir sprechen hier ja auch von verschiedenen Generationen, die das betrifft.

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„Damit es künstlerisch weiter gehen kann, muss man den Leuten die Zeit lassen, sich überhaupt erst dorthin entwickeln zu können.“

Der Titel deines Stückes „Angry Birds“, im Juni bei den Tagen der neuen Klaviermusik Graz aufgeführt, verweist auf das gleichnamige Computerspiel und bezieht sich auf den sportlichen Aspekt der Pianistik. Inspiriert hat dich, wie du schreibst, vor allem ein Satz in der Beschreibung des Spiels: „Ziel eines jeden Levels ist es, alle Schweine zu vernichten.“ Es ist nicht zu leugnen dass Musikschaffende einem gewissen Wettbewerb ausgesetzt sind. Wie sind deine Erfahrungen damit?

Daniel Oliver Moser: Ich selbst war dem nie groß ausgesetzt. Meine Mutter, die Klavierlehrerin ist, hatte selbst einen recht alternativen und progressiven Ansatz der Musikerziehung verfolgt. Mich am Klavier systematisch zu unterrichten, hat nicht funktioniert, mit der Geige hatte ich aber herkömmlichen Musikschulunterricht und ich war recht geschickt. Als irgendwann die Frage im Raum stand, ob ich Gaststunden am Mozarteum nehmen solle, hat meine Mutter das strikt abgelehnt. Sie wollte mich nicht mit weißem Hemd und Fliege auf einer Bühne stehen sehen. Dieses „Vorurteil“ ist mir dann auch etwas geblieben. Wirklich professionalisiert habe ich mich erst durch das Geigenstudium in Klagenfurt. Für kurze Zeit bin ich mit dem Acies Quartett in dieses kompetitive Wettbewerbe-Spielen reingekommen. Aber dieses Boot-Camp-artige Trainieren und am Vorabend des Wettbewerbs noch Nudeln essen zu müssen, damit dann der Kohlenhydrate-Schub kommt, das war wirklich nicht meines. Insofern habe ich diesen Leistungsdruck bei anderen mitverfolgt. Das Problematische daran ist: Es bringt etwas! Dieses Elitistische ist systemimmanent, aber man kann nicht die freie Entfaltung bis zur Volljährigkeit fordern und gleichzeitig Spitzenpianist werden. Auf etwas muss man verzichten. Ich persönlich fände es aber okay, wenn man darauf verzichtet, dass Zwölfjährige sämtliche Rachmaninow-Etüden rauf und runter spielen können. Wenn sie das wollen, sollen sie das mit dreißig Jahren machen. Künstlerisch wäre es kein Verlust zu sagen, wir nehmen etwas weniger technische Perfektion in Kauf und geben dafür mehr Raum für Reflexion, wenn die Studierenden selbst dorthin kommen. Die Neue Musik stellt diesen Prozess eigentlich dar, denn zu der kommt man nicht mit zwölf Jahren. Auch Wunderkinder nicht. Damit es künstlerisch weitergehen kann, muss man den Leuten die Zeit lassen, sich überhaupt erst dorthin entwickeln zu können. Das gilt für das Instrumentalstudium genauso wie für Komposition.

Letztendlich wurden es mit Viola und Komposition bei dir auch zwei Studien. Du schreibst aber bevorzugt für Klavier.

Daniel Oliver Moser: Das Klavier hat mich überall hingebracht, das ist mein Herzensinstrument. Ich habe über das Spiel meiner Mutter viele Klavierstücke gehört, die ich selbst spielen wollte, es aber nicht konnte, weil sie viel zu schwer waren. Und so begann ich mir selbst etwas auszudenken, das so ähnlich klingt wie die Revolutionsetüde oder das dritte Rachmaninow-Konzert. Diese Stücke waren gewissermaßen Schlüsselerlebnisse. Ich wollte sie imitieren und über die Imitation kamen eigene Stücke zustande. So ist die Identifikation mit dem Prozess des Komponierens überhaupt passiert, das Klavier war also der Weg in das Komponieren.

„Diese Zufälligkeit hat mich immer schon fasziniert, denn ich glaube nicht an einen eindeutig vermittelbaren Inhalt von Kunst.“

Du schreibst auch Kammermusik, darunter „Arbitrarium“, ein Zyklus für Kammerensemble, für den du mit dem bildenden Künstler Benjamin Zanon zusammengearbeitet hast. Eine versunkene Stadt in Argentinien, ein Dammbruch und Kirchturmglocken waren die Inspiration dafür.

Daniel Oliver Moser: Die Geschichte dazu hatte ich schon lange im Kopf, den Titel „Arbitrarium“ gab es schon lange, bevor es zur Zusammenarbeit mit Benjamin Zanon kam. Seine Arbeit hat mich aber immer schon fasziniert. Vor allem in seinen kleinteiligen und filigranen Zeichnungen sehe ich eine gewisse Überschneidung mit meiner Arbeit. Für seine Werkgruppe „Moogle Gaps“ zeichnete er aus seiner Erinnerungen heraus Landschaften, durch die er auf langen Spaziergängen kam, auf denen er fotografierte und von denen er Objekte mitnahm. Es entstanden fiktive Landkarten, die so kleinteilig sind, dass sie fast ins Abstrakte gehen. Diese Vorgehensweise hat mich sehr fasziniert und das wollte ich auf meine kompositorische Arbeit übertragen.

In den Jahren 2014 und 2015 war ich viel unterwegs, in Argentinien und China, und ich war öfter in Ljubljana, Slowenien. Überall, wo ich unterwegs war, machte ich Tonaufnahmen und Notizen, sammelte Klangobjekte – und das sollte zu einem fiktiven akustischen Kosmos verbunden werden. Daher heißen die einzelnen Sätze des „Arbitrarium“ auch images acoustiques“. Dieser Begriff kommt aus der Semiotik. Es gibt beispielsweise keinen Grund, warum ein Blatt „Blatt“ heißt, das ist nicht lautmalerisch, sondern Konvention. Die Beziehung zwischen dem Klang, dem „image acoustique“, und dem bezeichneten Objekt ist manchmal arbiträr. Diese Zufälligkeit hat mich immer schon fasziniert, denn ich glaube nicht an einen eindeutig vermittelbaren Inhalt von Kunst. Diese Beziehungen sind immer abhängig vom jeweiligen Kontext, der Person, der Zeit, etc. letztendlich ist das alles arbiträr. Daher habe ich das „Arbitrarium“ als eine Ausstellung von Klang und Objekten konzipiert, wobei sich das Publikum darin frei bewegen konnte. Benjamin Zanon gestaltete den Raum, ich die Zeit. Wenn jemand eine Skulptur betrachtete, gab es dazu einen Klang. Diese Verbindung wurde aber nur denjenigen gewahr, die sich im Moment dort befanden. Die Interpretinnen und Interpreten hatten wechselnde, im Raum verteilte Positionen. Jedes Stück hatte eine andere Aufstellung, dazwischen gab es performative Passagen für die Phasen, in denen sich das Publikum bewegte, die nicht genau notiert waren. Mit dem Licht konnte man das Publikum gut steuern, denn sobald Konzertbeleuchtung war, wurden die Leute ruhig und blieben stehen. Man hat als Komponist selten die Gelegenheit, die Atmosphäre eines ganzen Abends zu gestalten. Wenn wir jetzt von Zugängen zur Musik sprechen: Semiotik halte ich für wirklich relevant, was das Verständnis und die Vermittlung von Musik betrifft. Daher beziehen sich auch viele Titel meiner Werke darauf.

Welche denn?

Daniel Oliver Moser: „Rheme“ für Viola solo, die eben erwähnte Werkgruppe, oder „L’appel du vide“ für Klavier und Ensemble. Das ist eine französische Redewendung und wäre am ehesten mit „Der Ruf der Leere“ zu übersetzen. Damit ist der Moment gemeint, wenn man auf einem Gipfel oder auf einer Hausdachkante steht und plötzlich den Impuls spürt, diesen einen Schritt hinunter zu machen. Dieser kurze Moment, wo es nur eine kleine Bewegung oder Entscheidung bräuchte, deren Auswirkungen aber drastisch wäre. Solche unübersetzbaren Phrasen und Begriffe haben mich immer fasziniert, weil diese Transformation der Musik ähnlich ist. Hier wird etwas transportiert, definitiv ein Gefühl, aber ohne dass man dieses genau benennen könnte. Es ist auch nicht eins zu eins in die Gefühlswelt einer anderen Person übertragbar. Das Rätselhafte, das in der Musik bleibt, hat mich immer angezogen.

Benjamin Zanon: “Gedankenbug”

„Neue Musik muss mit Dingen arbeiten, die im Menschen systemimmanent sind.“

Und wofür steht der Begriff „Rheme“?

Daniel Oliver Moser: Rheme in diesem Wortverständnis kommt aus der amerikanischen Semiotik bei Charles Sanders Peirce. Er entwickelte ein triadisches Zeichenmodell, bei dem er immer von einer dreiteiligen Zeichenbeziehung ausgeht: Objekt – Zeichen – Interpretant. Eine Zeichen–Objekt-Beziehung kann etwa als Symbol, Index oder Ikon wirken: Ein Zeichen ist symbolisch, weil wir uns das so ausgemacht haben, es kann ikonisch sein, weil eine Form von Ähnlichkeit besteht, oder es kann ein Index sein, weil es einen logischen Zusammenhang herstellt. Rauch wäre demnach beispielsweise ein Zeichen für Feuer. Das Rhema lässt sich vielleicht mit einem mathematischen Term erklären. Ich kann darin Verschiedenes einsetzen, die Struktur der Gleichung bleibt aber dieselbe. Ein Rheme kann also Symbol, Index oder Ikon sein, die als Term in einer Aussage für etwas stehen. Mir ist wichtig, dass Kunst wahrgenommen wird, aber nicht, wie. Was es interessant macht, sind die offenen Auffassungsmöglichkeiten.

Mich hat in meiner Masterarbeit zu George Crumb interessiert, warum sich manche Musik vermittelt und manche nicht. Musiktheoretisch ist das nicht erklärbar, das funktioniert nur über Semiotik. Neue Musik muss ja viel mehr noch als Alte Musik auf allgemeine kulturelle Codes zurückgreifen, wenn sie irgendwie kommunizieren möchte. Neue Musik muss mit Dingen arbeiten, die im Menschen systemimmanent sind. Ich glaube auch, dass das der Grund ist, warum sich ein großer Teil der konzeptuell strukturierten Musik des 20. Jahrhunderts, abseits von Spezialistenkreisen, nicht hat durchsetzen können. Um die zweite Klaviersonate von Boulez verstehen zu können, muss man sie lesen und immer wieder hören. Rein auf der klanglichen Ebene erschließt sich einem die Faszination, die darin liegt, normalerweise nicht. Die dahinterstehenden Techniken sind kein akustisch selbsterklärendes System, sie sind in erster Linie für die Konstruktion relevant. Viele Komponistinnen und Komponisten arbeiten heute mit Strukturen, die selbsterklärender sind. Ich empfinde das als die Grammatik unseres musikalischen Denkens.

An was arbeitest du gerade?

Daniel Oliver Moser: Tatsächlich arbeite ich an einem Stück für zwei Klaviere. Ein Stück für eine Pianistin und einen Pianisten, für Ivan und Diana Buffa von Quasars, ist eine ungewöhnliche Besetzung für Neue Musik. Aktuell ist der Arbeitstitel „consideration III“. Das erste Stück aus dieser Reihe, „consideration I“ ist für Flöte und Gitarre und wurde von True Lobster mit Caroline Mayerhofer und Michael Öttl aufgeführt. „consideration II“, ist für Zither, Hackbrett und Cello geschrieben und wird im Herbst im Rahmen des EXPAN-Festivals aufgeführt. Ich versuche mittlerweile auch auf älteres Material zurückzugreifen und mir dieses neu zu erschließen, in teils ungewöhnlichen Instrumentierungen. Daher „considerations“ – Überlegungen. Der Titel beinhaltet aber auch mehrere Verweise: „Consolation III“ von Liszt wird gerne als Zugabe gespielt und ich mag Liszt allgemein gerne. Ein weiterer Verweis wäre auch „Consider the Lobster“, ein Essay des Autors David Foster Wallace den ich außerordentlich schätze. Weiters schreibe ich noch ein Stück für den Geiger Robert Nzekwu und Ensemble.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Ruth Ranacher

Links:
Daniel Oliver Moser
Daniel Oliver Moser (music austria Datenbank)
Quasars Ensemble
Ensemble Zeitfluss
Benjamin Zanon