Dass sich jemand, der mit einer Band wie „Trio Exklusiv“ einmal national wie international enorm erfolgreich war, nachdem das Band-Gefüge auseinander brach und alle Beteiligten ihre eigenen Wege gingen, auf die Vertonung von Stummfilmen verlegt, ist zunächst einmal nicht gerade alltäglich. Im Falle Franz Reiseckers aber ist es so und es ist erklärungsbedürftig. Denn die typisch hinterhältig-österreichische Vermutung, die alles und jedem eine böse Absicht unterstellt, würde nahe legen, dass da einer eine Nische gefunden hat, in der man bequem diverse Förderungen abkassieren und auch sonst ein beschauliches Musiker-Leben führen kann.
Energie & Zeit
Dazu aber muss man wissen, dass sich mit der Vertonung von altem Filmmaterial zumindest hierzulande keine großen Summen verdienen lassen. Und auch im Ausland sind die Gelegenheiten, interessant vertontes Material zu zeigen, rar. Zumindest aber gibt es dort Festivals, die sich darauf spezialisiert haben, wie etwa das alljährlich im Dezember stattfindende, rein dem Stummfilm und seiner Live-Begleitung gewidmete „Silent & Sound Festival“ in Antwerpen, zu dem auch Reisecker geladen wurde, seine jüngste Vertonung, das in Russland nach einer Geschichte von Jack London gedrehte Goldgräberdrama „Po Zakuno“ (Nach dem Gesetz) aufzuführen.
Hierzulande gilt: Selbst eine eigene Reihe im Klangtheater des Radiokulturhauses, die Reisecker betreut, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich mit Stummfilmvertonungen kein Staat machen lässt.
Schon so sei es doch schwer genug, so Reisecker, mit der Musik Geld zu verdienen. Musiker-Kollegen wie etwa Wolfgang Schlögl, mit dem er das gemeinsame Projekt „Paradies der Tiere“ betreibt, würden zwar beweisen, dass es möglich sei, von der eigenen Musik zu leben, aber „nur mit einem geradezu unfassbaren und völlig unverhältnismäßigen Einsatz von Energie und Zeit.“ Dass eben dieses „Paradies der Tiere“ trotz wohlwollender Kritiken im Feuilleton bislang auch nicht gerade dazu angetan war, das große Geld einzuspielen, liege laut Reisecker an der beabsichtigten Sperrigkeit des Projekts. „Die Texte sind bewusst kritisch und spröde.“ Warum? Weil es – gerade bei den Jungen – ohnedies zu viel Schmeichelei gebe. „Es klingt alles toll, aber wirkliche Inhalte gibt es kaum noch“, was vielleicht daran liege, „dass wir in einer schrecklich konservativen Zeit leben.“
Zur ganz allgemein schwierigen Lage in der Musikbranche komme bei seinen aktuellen Stummfilm-Vertonungen nun noch das Problem hinzu, dass es kein spezifisches Publikum gebe“, erzählt Reisecker. „Und die Sache an sich, d.h. die Vertonung von Stummfilmen, hat schon einen eigenartigen Geruch.“ Damit meint der gebürtige Oberösterreicher das hartnäckige Gerücht, dass einer, wenn er gar keine Idee mehr hat, halt Stummfilm macht. Da wäre sie also wieder, die österreichische Bösartigkeit.
Und im konkreten Fall ist sie besonders fehl am Platz, denn die Arbeit an solch einem Werk – ob nun Klassiker wie „Panzerkreuzer Potemkin“, „Das Kabinett des Dr. Caligari“, „Nosferatu“ oder das unbekanntere „Po Zakuno“ dauere, so Reisecker, schon ein ganzes Jahr lang. Auch wenn er nicht durchgehend daran sitzt, weil er immer wieder Pausen braucht, ist der Aufwand, den man betreiben muss, um ein wirklich befriedigendes Resultat zu erzielen, also ein beträchtlicher. Dennoch nehme die Arbeit am Film in seinem eigenen Oevre einen ständig größer werdenden Stellenwert ein. „Ich arbeite einfach sehr gerne allein für mich. Und auch die Live-Performance macht großen Spaß“, so Reisecker.
Das spezifische Tempo
Seinen Anfang nahm Reiseckers Begeisterung für den Stummfilm und dessen Vertonung im Jahr 2007, als ihm angeboten wurde, bei der Aufführung des legendären „Panzerkreuzers Potemkin“ live dazuzuspielen. Ein Unterfangen, bei dem er phänomenal scheiterte, wie er lachend erzählt. Die Vorbereitungsphase sei einfach zu kurz gewesen und so habe er streckenweise improvisieren müssen, was ihm erstens nicht liege und zweitens der Dramaturgie des Filmes nicht unbedingt zuträglich sei. „Manche Phasen funktionierten, andere wieder überhaupt nicht.“ Das Ergebnis, mit dem er keineswegs zufrieden war, spornte ihn allerdings an, weiter daran zu arbeiten. Und diese weiter entwickelte Version schickte er dann einem anerkannten Spezialisten, Alexander Horwath vom Österreichischen Filmmuseum, der sich nicht nur begeistert zeigte, sondern Reisecker auch einlud, auf das reichlich vorhandene Material im dortigen Archiv, das sukzessive digitalisiert wird, zuzugreifen und manch andere Vertonung zu wagen. Gesagt getan.
Zugang und Arbeitsweise gleichen sich dabei: „Mich interessiert zuallererst das Tempo“, sagt der Komponist. „Ich sehe mir den Film an und habe nebenbei einen Drum-Computer stehen, mit dem ich experimentiere.“ Denn zunächst gelte es, die spezifische Geschwindigkeit eines Filmes zu ermitteln. Gibt es denn so etwas überhaupt? „Ja“, zeigt sich Reisecker überzeugt. „Ich bilde mir ein, dass es das gibt.“ Und seine eigenen Recherchen haben ihn in diesem Glauben bislang bestärkt. Im Falle des „Panzerkreuzers Potemkin“ etwa wurde tatsächlich nach einem durchgehenden Schnitt-Tempo gearbeitet. Das belegen Dokumente aus der damaligen Zeit einwandfrei. Und dieses Tempo zu ermitteln sei für ihn ganz essenziell, denn er sei jemand, der „auf Rhythmus steht – teils abstrakt, teils auch ganz gerade.“ Und so gehe es in einem ersten Schritt drum, die passenden Beats zu finden. Auf dieser Pilotspur baut sich der Rest auf: Effekte und Samples, die live jedes Mal anders dazu gespielt werden. Es empfiehlt sich daher durchaus, denselben Stummfilm mit Live-Performance von Franz Reisecker zwei Mal zu besuchen, denn das Erlebnis ist jedes Mal ein anderes. „Ich mache mir jeden Abend meinen eigenen, unverwechselbaren Film. Das ist unglaublich befriedigend.“
Erwartungen brechen
Aber auch von Film zu Film sei die Gefahr, dass man sich in einer bestimmten Spannungs-Motivik wiederhole, gering, so Reisecker. Denn: „Es geht ganz wesentlich darum, Erwartungen zu brechen – auch die eigenen. Das nicht Vorhergesehene ist das, was ich anstrebe.“ Und so arbeitet Reisecker an der Situation, reitet die Welle, setzt u.U. noch einen drauf oder reduziert, ohne dabei den Gesamtbogen aus den Augen zu verlieren. Den gelte es immer auf der Rechnung zu haben. „Ich versuche, schon der Dramaturgie zuzuarbeiten, ohne aber einen wirklichen Score zu schreiben.“
Hört man sich heute – so vorhanden – die Original-Begleitmusiken mancher Stummfilm-Klassiker an, fällt auf, dass das Hörerlebnis damals ein ganz anderes gewesen sein muss. Die Orchestermusik war hochdramatisch. Die aufreibende Zwischenkriegszeit drückte damals der Musik ihren Stempel auf. „Man merkt, dass eine Katastrophe überstanden war und eine noch größere drohte. Das Expressive – man denke nur an die Uraufführung von ´Les Sacre des Printemps´ – lag in der Zeit.“ Heutigen Hörgewohnheiten laufe das Überdramatisierte oft zuwider. „Das ist permanente Emotion, die man heute einen ganzen Film lang nur schwer erträgt.“ Und so gelingt es im besten Fall auch, mit einer zeitgemäßen Musik die Staubschicht des Filmes abzutragen, das Original dadurch gewissermaßen zu entschlacken.
Andererseits aber sind Reiseckers teils psychedelische, teils technoiden Versionen ja auch nicht jedermanns Sache. „Natürlich. Das stimmt schon“, lacht er und erzählt dazu eine Anekdote: 2010 sei bei der Aufführung seiner Version des Panzerkreuzers in Rotterdam ein älterer Kinobesucher schon nach fünf Minuten aufgesprungen, habe sich bei ihm beschwert, er würde den Film zerstören, und habe daraufhin erbost den Kinosaal verlassen. „Dem Rest aber gefiel es.“ Ebenso habe seine Musik ja auch die Geister der Kritik gespalten. Während ein deutscher Journalist die Potemkin-Version verriss, kam aus England durchaus positive Kritik. Die Geschmäcker und die Sichtweisen darüber, was die Musik eines Stummfilmes können muss, bloße Untermalung oder eigenständige Interpretation, sind eben sehr verschieden. Reisecker steht zweifelsohne für letzteres.
Eine besondere Fähigkeit, mit seiner Musik Bilder zu generieren allerdings wurde Franz Reisecker schon sehr früh, das erste Mal bei den ersten Lichtenberg-Aufnahmen, bescheinigt. Ein interessantes Detail dabei ist, dass auch in so manchem Lichtenberg-Video alte Schwarz-Weiß-Filme verwendet wurden. Reisecker winkt ab. „Found Footage“, sagt er. „Kostet wenig, bringt aber viel.“ Und die Verwendung sei reiner Zufall. „Das Künstlerische hab ich da immer den Regisseuren überlassen.“
Sieht man dann aber, mit welcher Leidenschaft der Cineast an die Bearbeitung dieser alten Preziosen geht und mit welcher Energie er sie kompositorisch aufzuladen versteht, ist man geneigt, weniger an Zufall, als vielmehr an Schicksal glauben.
Die nächsten Termine:
25.09.2013 – AT – Wien – Klangtheater RKH [Die Abenteuer Des Prinzen Achmed] 20.12.2013 – BE – Antwerpen – Silent & Sound Festival [Po Zakuno]
Fotos Franz Reisecker: Georg Eckmayr
http://www.franzreisecker.at