„Das Komponieren hatte einen Nimbus“ – KATHARINA KLEMENT im mica-Porträt

Manchmal erweist sich als Tugend, was aus der Not heraus entstand: Bei einem Konzert verliert die Klavierschülerin KATHARINA KLEMENT den Faden – und rettet sich mit Improvisation über die vergessene Stelle hinweg. Da es sich um ein modernes Stück handelt, bemerkt niemand im Publikum den Fauxpas. Und KATHARINA KLEMENT hat eine Begabung entdeckt, die in der Folge zur Passion und Profession wird.

Das Interesse an neuen Klängen begleitet die gebürtige Grazerin seit Anbeginn. Am Konservatorium ihrer Heimatstadt war die Klavierschülerin früh mit moderat Zeitgenössischem konfrontiert: „Das war damals in. Die meisten haben gestöhnt, aber ich dachte mir: ‚Endlich was Tolles.‘“ Ihre Freude am Experimentieren mit Klängen jenseits präexistenter Notentexte wurde im Instrumentalunterricht jedoch nicht bedient. So entdeckte die Schülerin vorerst auf eigene Faust das freie Spiel: „Ich dachte damals: ‚Da gibt’s noch irgendwas.‘ Das war der Moment der Improvisation.

Frauen in ihrer Hinwendung zum Komponieren bestärkt

Der Weg vom freien Improvisieren zur ausgearbeiteten Komposition vollzog sich für Katharina Klement ohne merkliche Trennung. Dennoch waren bis zu dem Punkt, an dem sich die Musikerin auch als Komponistin verstand, beträchtliche Hürden zu überwinden. „Das Komponieren hatte einen Nimbus“, so Klement. „Partituren schreiben, Ensembles oder Dirigenten kontaktieren – das erschien mir als undurchdringliche Masse.“ Auch das Fehlen von Frauen in weiten Teilen des E-Musik-Betriebes trug dazu bei, dass die Komponistinnenlaufbahn für Klement zunächst unvorstellbar blieb: „Ich kannte keine einzige Komponistin, es gab auch keine weiblichen Dirigenten. Die Kunst war eine Männerwelt. Dass das Schöpfertum überhaupt etwas Weibliches sein kann, musste erst als Denkmöglichkeit erkannt werden.“

Gerade im Kompositionsunterricht stieß die junge Musikerin auf Hürden, die ihren männlichen Kollegen erspart blieben: „Bei der Aufnahmeprüfung – in der Kommission saßen ausschließlich Männer – wurde ich nicht ganz ernst genommen. Es hieß: ,Die hört eh nach drei Monaten wieder auf.‘ Da hatte ich großes Glück, auf Dieter Kaufmann zu stoßen.“ Der Komponist, der den Lehrgang für elektroakustische und experimentelle Musik an der damaligen Wiener Musikhochschule leitete, habe viele Frauen in ihrer Hinwendung zum Komponieren bestärkt, so Klement.

Unabhängigkeit von InterpretInnen

Dass Klement diesen Schritt wagte, verdankt sie wesentlich ihrer Begegnung mit elektronischer Musik. Als sie am Wiener Institut für Elektroakustik Klavierstücke einspielte, kam sie erstmals mit elektronischer Klangverarbeitung in Kontakt. Was sie zunächst einschüchterte, faszinierte sie bald: Das Schneiden und Kleben der Tonbänder, das Montieren und Schichten verschiedener Klangebenen. „Mich hat die Möglichkeit fasziniert, jeden möglichen Klang, jedes mögliche Geräusch als musikalisches Ausgangsmaterial zu definieren.“ So absolvierte Klement im Anschluss an ihr Klavierstudium den Lehrgang für elektroakustische und experimentelle Musik bei Dieter Kaufmann. „Als ich mein erstes Tonbandstück in der Hand hielt und sagen konnte: ,Das ist ein Stück von mir‘, nahm ich mich erstmals als Komponistin wahr“, so Klement. Die Unabhängigkeit von InterpretInnen erleichterte diesen Schritt.

„Das Klavier ist ja hoffnungslos veraltet.“

Neben der Elektronik blieb das Klavier weiterhin ein wesentlicher Anker ihrer Tätigkeit – und das, obwohl ihr das Klavierspiel während eines Intermezzos als Konzertfach-Studentin fast verleidet wurde: „Das waren ganz schlimme Erfahrungen – so, wie sie Jelinek und Bernhard beschreiben. Es ging nur darum, in einem gewissen Sinn zu funktionieren. Grundlegende Fragen wie jene nach der Herkunft des musikalischen Materials wurden nicht gestellt. Ich hätte die Musik damals fast zur Gänze aufgegeben.

Zum Glück fand Klement im Studium der Musikpädagogik eine gute Basis für ihr breiter gefächertes musikalisches Interesse. Dass das Klavier ihre „große Liebe“ blieb, ging unter anderem auf das Erkunden der Klangmöglichkeiten zurück, die sich jenseits konventioneller Spieltechniken auftun. Über die Präparierungen eines John Cage öffnete sich für Klement der Innenraum des Instruments: „Ich habe das Klavier als Klanggenerator begriffen.“ Heute vollzieht sich ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen der Freiheit elektronischer Klangerzeugung und den eingeschränkten Möglichkeiten des Instruments: „Das Klavier ist ja hoffnungslos veraltet. Mit seiner temperierten Stimmung passt es kaum noch ins 20., geschweige denn ins 21. Jahrhundert. Aber unter Einbeziehung erweiterter Spieltechniken ist es nach wie vor eine Herausforderung.

Katharina Klement, die Intendantin des Piano Festivals © Rania Moslam
Katharina Klement (c) Rania Moslam

Orgel und Elektronik als gleichberechtigte Partner

Immer wieder werden in Klements Arbeit die beiden Ausgangspunkte Klavier und Elektronik kombiniert. So in „Textur“ für Klavier und 6-Kanal-Tonband (1997), in der 2011 entstandenen Komposition „Steinweg“, in „Der Verschlepper“ (2005) und in diversen Stücken, wo das Klavier als Teil größerer Ensembles auf elektronische Klangerzeuger trifft. In der 2015 entstandenen Komposition „Drift“ kombiniert Klement nicht das Klavier, sondern dessen „große Schwester“ – die Orgel – mit elektronisch generierten Klängen.

Entstanden aus einer Anfrage von Wolfgang Kogert, dem Organisten der Wiener Hofmusikkapelle, ist „Drift“ für die Orgel im Wiener RadioKulturhaus komponiert. „Die Orgel klingt ja beinahe elektronisch und ist von der Funktionsweise her der Idee der Klangsynthese sehr nah“, so Klement. In diesem Sinn treten in „Drift“ Orgel und Elektronik als gleichberechtigte Partner in Erscheinung. Die Komponistin versteht die Orgel als eine Art analogen Synthesizer, dessen inhärente räumliche Wirkung durch das Hinzutreten der Elektronik verstärkt werden soll. Diese kommt in „Drift“ quasi antiphonal aus der Gegenrichtung und ergänzt die Orgel auf komplementäre Weise mit jenen Klängen, die – wie etwa das Rauschen – nicht zum genuinen Klangrepertoire der Orgel gehören.

Was die „ernste Musik“ vom Pop lernen kann

Kommt es in Klements Schaffen des Öfteren zur spannungsreichen Konfrontation elektronischer und akustischer Klangerzeuger, so ist ihr Beitrag zur diesjährigen Ausgabe des Festivals Wien Modern in einem anderen Spannungsfeld angesiedelt: Passend zum Festivalmotto „Pop.Song.Voice“ wurde die Musikerin eingeladen, in einer Ensemblekomposition das Phänomen des Popsongs zu reflektieren. Den Gegensatz von Pop und sogenannter ernster Musik übersetzt Klement in das Begriffspaar konkret/abstrakt, wobei den konkreten Inhalten von Popsongs die abstraktere Arbeitsweise der E-Musik entgegengesetzt wird. Vorurteile gegenüber Popmusik hat Klement keine: Von gutem Pop könne man viel lernen – etwa über Arrangement, Rhythmik oder die Beherrschung der kleinen Form. Das Thema ihrer Komposition – Gewalt – ist allerdings denkbar weit von den Inhalten konventioneller Popmusik entfernt.

Diese Themenwahl geht auf einen Aufenthalt in Belgrad zurück, wo die omnipräsenten Spuren kriegerischer Zerstörungen Klement zu einer musikalischen Verarbeitung herausforderten. Das Hauptprodukt dieses Aufenthaltes ist indessen noch nicht abgeschlossen: Das Projekt „Peripheries“ hat nichts weniger als ein klangliches Porträt der serbischen Hauptstadt zum Ziel, dem unzählige Stunden an aufgenommenem Klangmaterial zugrunde liegen. Da ein bloßes Collagieren der Aufnahmen Klements Formbedürfnis nicht genügen würde, ist die weitere Arbeit von der Bearbeitung des Materials auf der Suche nach einer übergreifenden Form geprägt.

Musik hat immer eine politische Komponente

Im Übrigen macht das „einsame“ Komponistinnenhandwerk nur einen Teil von Klements künstlerischer Tätigkeit aus, die zu einem wesentlichen Anteil aus der Zusammenarbeit mit anderen MusikerInnen besteht. Blickt das Tasteninstrumente-Trio deepseafishK (gemeinsam mit den Pianistinnen Juun und Manon Liu Winter) bereits auf eine fixe Zusammenarbeit zurück, so erfährt eine erfolgreiche erste Kollaboration mit Martin Siewert derzeit gerade ihre Fortsetzung.

Über eine geringe Auftragslage kann Katharina Klement nicht klagen, über den gesellschaftlichen Stellenwert von zeitgenössischer Musik macht sie sich trotzdem Gedanken. Dass diese in der Geschichte meist Minderheitenprogramm blieb, sieht die Musikerin mit Gelassenheit. Mehr als die Situation zeitgenössischer Musik beschäftigt sie jene der Musik in ihrer Gesamtheit: Kinder würden heute in einer virtuellen Elektronikwelt aufwachsen und nicht mehr wissen, wie Musik überhaupt entstehe. Außer Frage steht für Katharina Klement, dass Musik stets in einem politischen Kontext verortet ist. „Die Entscheidung, für ein Ensemble zu komponieren, das im Konzerthaus auftritt und nicht in einem Klub, hat politische Konsequenzen – manche Leute werden nie den Weg dorthin finden. Popmusik ist gesellschaftlich anders situiert als ein Streichquartett. Musik hat immer eine politische Komponente – daraus gibt es kein Entkommen.

Lena Drazic