Das Klangforum Wien feiert sein Jubiläum mit Aufträgen und Uraufführungen – zuletzt von Peter Ablinger, Klaus Lang & Jorge E. López im Konzerthaus

Das Klangforum Wien feiert sein Jubiläum mit Aufträgen und Uraufführungen – zuletzt von Peter Ablinger, Klaus Lang & Jorge E. López im KonzerthausIm “Gmoa-Keller” (wer erinnert sich noch an die Frau Nowak?) hinter dem Konzerthaus stärken sich nach einem Abo-Konzert zumeist (fast) alle Musikerinnen und Musiker des Ensembles, Komponisten und Freunde. Da kann es schon vorkommen, dass man mit 6 Komponisten auf einem Quadratmeter plaudern kann. Als da am 14.1. gegen 23.00 Uhr waren: Der Dirigent des Abends Emilio Pomárico (Wiener Schnitzel), Johannes Maria Staud (Schoko-Palatschinken), Klaus Lang, Jorge E. López, Peter Ablinger, Nader Mashayekhi (tranken bereits was), natürlich auch Sven Hartberger und Uli Fussenegger (auch Wiener Schnitzel) .

Da das mica und seine Musiknachrichten aber weder zu “News” noch zur “Mediaprint”-Gruppe gehören und sich allenfalls bloß um Österreich (ohne Anführungszeichen) und seine aktuelle Musikszene verdient machen wollen, sei hier lieber versucht, seriös und ernsthaft über die Ur- bzw. Erstaufführungen davor im Konzert im Mozartsaal zu berichten. Alle drei sehr gut.

 

Peter Ablinger machte den Anfang mit der Uraufführung seiner “Kammersymphonie. Diagonalen und Refrain”, dem bislang jüngsten Teil einer Werkreihe namens <> (Ablinger: “InstrumentsS ist kein Stück. Es ist ein offenes Projekt, in dem jede einzelne Erscheinungsform nur ein Splitter eines nie in Erscheinung tretenden Ganzen ist.”

 

Das sechste Stück (“Kammersymphonie” für Dirigent und Ensemble) greift die Perspektive der Schönbergschen Kammersymphonie auf, dem “Gründungsstück moderner Instrumentalensembles”. Es ist vielfältig in Streicher-, Bläser-, Klavier-, Schlagzeugstimmen usf. ausdifferenziert und geht zunächst ein gutes Stück durch – bis der Dirigent (Pomárico) die Hauptrolle übernimmt und ab einer bestimmten Ziffer, die er ansagt, das Stück “probt”, abrupt abbricht, noch einmal spielen lässt (dann kann man dasselbe mehr oder weniger, aber schon allein durch die Wiederholung wieder anders, nochmals hören), dann auch gruppenweise (“only strings”) . Beim ersten Abbruch trauten sich im Saal nur zwei Hörer zu lachen, allmählich wurden es im Publikum mehr. Emilio Pomárico, einer der ständigen Klangforum-Gäste, machte es großartig (leider nie “in Italiano”, sondern meistens englisch, zuweilen deutsch). Endlich halbwegs zufrieden, steht er nur mehr beschwörend da, ohne ganz die Dirigierhaltung zu verlassen – einzelne Instrumentalisten liefern noch eine ganz Reihe von nachgetragenen Phrasen oder Tönen nach.

Dahinter steht eine ganze Poetik, die Peter Ablinger zueigen ist. In dem Text “Kultur/Wahrnehmung/Raster” hat er sie 2006 sprachlich zu verdeutlichen versucht. Es geht um das Verhältnis von “Wahrnehmung” und “Welt” und “Wirklichkeit”: “Wie nahe wir an die Welt herankommen, hängt gewissermaßen von der Pixelgröße unseres Wahnehmungsapparates ab. Eine ,hohe’ Auflösung bedeutet ein realistisches Weltverständnis, eine geringe Auflösung dagegen ein abstraktes Verhältnis zur Wirklichkeit. Aber wie fein die Auflösung auch sein mag, niemals wird unsere Wahrnehmung analog werden, niemals die Welt erreichen. (.)

 

Die Wahrnehmung feinster Nuancen sowie auch die vergröbernde Zusammenschau der Dinge sind lediglich verschiedene Muster, mit denen wir uns ausstatten können, bzw. Werkzeuge, die wir je nach Anwendungszweck anders skalieren. Einmal mag die – metaphorisch gesprochen oder nicht – ,photorealistische’ Auflösung, ein andermal die in plane Farbflächen aufgelöste Abstraktion uns das geeignete Werkzeug sein, um uns die Welt zu erklären, um den Erklärungsmechanismus – der die Welt für uns erst erzeugt – selbst zu verstehen.

 

(Postskriptum/ein Wunschbild?): In meiner Vorstellung steht der ,digitalen’ Kultur die Kunst ebenso als analog gegenüber wie die Welt (- zumindest gelungene Kunst, zumindest das Ideal von Kunst): Als etwas Nicht-Begriffenes, auch: Nicht-Begreifbares, sondern als etwas, das einzig dazu gemacht scheint, uns, INDEM wir zu begreifen versuchen, begreifen zu lassen, was wir überhaupt begreifen KÖNNEN, und vor allem, dass es da auch etwas gibt, was wir NICHT (begreifen) KÖNNEN.”

 

“Du bist ein richtiges Arschloch” .

Der in Santiago de Compostela lebende Musikkritiker Paco Yáñez schrieb jedenfalls in der spanischen Online-Musikzeitschrift www.mundoclasico.com über die beiden zur österreichischen Erstaufführung gelangenden beiden Sätze 3 und 4: “Wenn der erste Satz Echos der Musik von Xenakis oder Rihm enthält, können wir im Fall des dritten nicht umhin, uns der Polystilistik Alfred Schnittkes zu erinnern. Mit ,Du bist ein richtiges Arschloch’ betitelt, fungiert dieser Satz als Scherzo. Harsche rhythmische Ostinati bewegen vom flimmernden Beginn an das gesamte Ensemble.” Nachdem dann das gesamte Ensemble (inklusive ,Singende Säge’, Trichtergeige und bedarfsweise auch Wagnertuben und Kontrabasstuba) Motive intoniert haben, erscheint plötzlich das Thema der Polonaise in A-Dur von Chopin in unverhüllter Form und präsentiert sich voller “bombastischer Gespreiztheit und Ironie” (Yáñez). Es folgt auch noch das zitathafte Auftauchen eines Motivs aus dem Finalmarsch der 6.Symphonie von Gustav Mahler. Den Finalsatz (“De la vista a la bruja”) beherrscht streckenweise der Mischklang aus Violine und Blechinstrument der Trichtergeige (gespielt von Annette Bik).

 

(Viel zu) bescheiden und mit einer Ironie, der man nicht unbedingt vertrauen sollte, äußerte sich Jorge E. Lòpez (das heißt zu deutsch übrigens “Wolf”) bereits anlässlich der Uraufführung der ersten beiden Sätze seiner I. Symphonie (2006 spielte das Klangforum Wien unter der Leitung von Stefan Asbury): “Wer auf geschmackvoll servierte, schöne, interessante neue Klänge steht, wäre gut beraten, dieses durch akustische Flegelei und symphonische Grobschlächtigkeit gekennzeichnete Werk zu VERMEIDEN.”

 

Wir schließen uns da lieber durchaus der schönen Besprechung von Paco Yáñez an, der bei Lòpez und den symphonischen Entwicklungen dieser Symphonie etwa an “die Art der surrealistischen Collage von Max Ernst oder des Films” denkt,  “wie sie auch schon die Instrumentation Mahlers kennzeichne”. Vollends im Geist Mahlers sei die unbeschreibliche Dimension der Schlusspassagen der Symphonie, “in jenes Gebiet, in denen Sehnsucht und Versagung koexistieren”. Und vorher: “Mehrere Beckeneruptionen führen uns zur Trichtergeige, die ihre kafkaesk limitierten Gesten wieder aufgreift. Was entsteht, ist eine alptraumhafte Atmosphäre, ein wahrer Hexensabbat: Konvulsivisch schwingende Saiten, Röhrenglocken, Metallbleche, brachiales Schlagwerk, holzschnittartige Themen, schweres Blech: Sie erschaffen eine Landschaft des Schreckens, während die Harfe und paradoxerweise die Trichtergeige versuchen, Licht in dies Chaos zu bringen – vergebens!”

 

Der erste Satz hat übrigens auch einen tollen Titel, es wird eine Aussage von Sigmund Freud herangezogen: .

 

Ein alter Mann mit einem langen weißen Bart

 

“Ein alter Mann mit einem langen weißen Bart wurde gefragt, wie er es denn beim Schlafen mit seinem Bart halte: Kommt der Bart über oder unter die Bettdecke? Der weise Mann antwortete: Manchmal über die Decke, manchmal unter die Decke.”

 

Das ist das einzige, was uns Klaus Lang über sein neues Stück, auch dies ein Kompositionsauftrag von Klangforum Wien (und des Remix Ensemble, EA der revidierten Fassung) verrät. Im Gmoa-Keller meinte er, als ich ihm sagte, dass ich dass für ein wunderbar vielfältig instrumentiertes Stück der Stille, des Atmens, des nicht verlöschenden Lebens eines Schlafenden ohne oder mit einem anderen Bewusstsein, einer anderen, vielfältigeren Wahrnehmung als jener im “wirklichen Leben” halte: “So kann man es auch hören”. Ok. Und: Bitte bald noch einmal. Es ist sehr schön. Und Krassimir Sterev spielte wunderschön mit dem Akkordeon mit.
Heinz Rögl  (unter Verwendung der Programmhefttexte Konzerthaus)

 

Foto Peter Ablinger: Siegfried Ablinger