Das KLANGFESTIVAL in Gallneukirchen – Musik, Performance und Bildende Kunst jenseits des Gewohnten

Seit 10 Jahren organisiert nun schon der Kulturverein KLANGFOLGER im oberösterreichischen Gallneukirchen das mehrtägige KLANGFESTIVAL bei dem auch heuer wieder ein mannigfaltiges Spektrum heimischer wie internationaler Acts die Grenzen zwischen den Sparten Musik, Performance und Bildender Kunst gekonnt ausloten und genussvoll überschreiten wird. Wobei es auch beim diesjährigen Motto „Die 10, das X. Eine temporäre Welt der Unbekannten“ ebenso um „temporäre soziale Lebensräume“ (Stichwort „Leerstände“) wie um das heterogene Zusammentreffen des vermeintlich Traditionellen (Jodler) mit dem Zeitgenössischen (Performance, Improvisation) gehen wird. Didi Neidhart im Interview mit dem KLANGFOLGER-Team.

Das Klangfestival wurde im Sommer 2008 gestartet. Was war damals die Motivation dahinter?

„We were young and bored“. Dann ist uns ein Komet auf den Kopf gefallen und wir dachten, „Kometen sind auch irgendwie ein Witz.” Dann haben wir das Klangfestival gestartet.

Wie würde Ihr persönlicher Rückblick auf die letzten 10 Jahre aussehen. Hat sich viel verändert, verbessert oder gar verschlechtert?

Wenn man einen Entwicklungsstrang herausnehmen möchte, lässt sich sagen, dass wir uns von einem Festival für und mit Bands aus der Region hin zu einem mit internationalem Qualitätsanspruch entwickelt haben. Auf der Suche nach der Utopie, eines Tages die legendäre US-amerikanische Psychedelic-Band Bardo Pond nach Gallneukirchen zu holen, haben wir ausgelotet, was möglich ist und umgesetzt. Überrascht stellten wir fest, dass so einiges möglich ist.

In einem Facebook-Beitragen schreiben Sie „Kraut trifft Jazz, Club trifft Noise, Contemporary goes Prärie – unser Schwerpunkt liegt darin, progressive Kunst aufs Land zu bringen und leerstehende Räume neu zu konnotieren.“ Wie funktioniert der Ansatz, Zeitgenössisches jenseits des Mainstreams auf das Land zu bringen, in der Praxis? 

Das funktioniert erstaunlich gut, denn hier bei uns sind wir der Mainstream. Wenn man davon ausgeht, dass Mainstream bedeutet, viele Menschen zu erreichen, schaffen wir dies, indem wir vermeintlich irrsinnige, komische, waghalsige Verbindungen in ein gemeinsames Programm knüpfen.

Zum Beispiel beginnt das Festival mit dem Ergebnis eines intensiven Jodel-Workshops mit Ingrid Schmoliner. Die zeitgenössische Musikerin erarbeitet über drei Wochen im Vorfeld die Eröffnungsperformance gemeinsam mit 10 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich hier Techniken aneignen, die zwar für Oberösterreich auch nicht gerade regionale Tradition haben, aber als Kunstform extrem spannend sind. Das ist gewissermaßen ein Experiment mit den Locals und darf als große Einladung für alle verstanden werden.

Der angesprochene Ansatz funktioniert aber wahrscheinlich auch deshalb erstaunlich gut, weil Leute überall – ob in ländlichen oder urbanen Regionen – interessiert und aufgeschlossen gegenüber zeitgenössischer Kunst und Kultur oder irgendwie unbekannteren Räumen sind. Es ist eine spannende und schöne Auseinandersetzung.

Auf Ihrer Homepage und beim Festival-Folder wird auch viel Augenmerkt auf „temporäre soziale Lebensräume“ gelegt. Also auf „Leerstandsnutzungen“, die diesmal als Zwischennutzungungsprojekte die Alte Nähstube, die leerstehende Halle X und die Schloss-Ruine Riedegg umfassen. Wie wichtig sind solche „Lebensräume“ in einer immer stärker durchkontrollierten und durchkapitalisierten Welt auch im Hinblick auf die Entstehung von Kunstformen, denen es erst einmal nicht um Renditen innerhalb der Kreativwirtschaft geht?

Die Schloss-Ruine zu Riedegg (dort findet am Samstag übrigens eine mehrstündige Performance statt) ist z.B. weniger ein Zwischennutzungsprojekt als eine etablierte Kulturstätte mit viel Charme. Unser erfolgreiches Zwischennutzungsprojekt „#Alte Nähstube“ und die exklusiv für das Klangfestival #10 adaptierten ehemaligen Feuerwehrhallen können möglicherweise als Ausdruck von einem demographischen Wandel verstanden werden. Es gibt ja durchaus Phänomene wie Abwanderung oder so. Dadurch entstehen automatisch sogenannte Leerstände. Davon kann ein zeitgenössisches Festival definitiv auch profitieren. Solche Lebensräume sind wichtig, um Neues und Unbekanntes z.B. in verödete Zentren bringen zu können. Einer irgendwie kapitalistischen Logik kann man sich aber auch dort wahrscheinlich nicht wirklich entziehen. Um zu zeigen, welche temporäre Anderswelten jedoch möglich sind, sind temporäre soziale Lebenswelten schon eine richtige Super-Sache im Falschen!

„Das Programm besticht durch eine einzigartige Diversität und Qualität.“

Veranstaltet wird das Klangfestival ja vom Kulturverein Klangfolger Gallneukirchen, der 2017 für seine bisherige Arbeit mit dem Preis der Vereinsakademie Oberösterreich ausgezeichnet worden ist. Können Sie uns die Vereinsaktivitäten kurz skizzieren. Wieso wurde für heuer ein zusätzliches Kuratorinnen-Duo mit an Bord genommen? 

Vereinsarbeit an sich, ist ja auch so eine komische Sache. Unsere umfasst im Wesentlichen das Konzipieren und Organisieren von kulturellen Projekten, die aktuell das Phänomen Leerstand mit der Festivalidee verbinden möchten. Das letzte Klangfestival fand ja 2015 statt. In der Zwischenzeit war der Fokus eben auf Leerstandsprojekte gelegt. Auch da wurden viele Konzerte, Performances, Lesungen etc. veranstaltet. Dafür gab es dann den Preis der Vereinsakademie Oberösterreich. Die positiven Erfahrungen haben uns veranlasst, für die Jubiläumsausgabe des Klangfestivals neue, größere leerstehende Objekte zu adaptieren. Aber natürlich besteht die Vereinsarbeit neben der künstlerisch-kuratorischen Arbeit auch viel aus Kulturmanagement-Sachen.

Und die Idee des Kuratorinnen-Duos entstand daraus, dass innerhalb von 10 Jahren Strukturen wachsen und entstehen können, die dann auch über Bord geworfen werden dürfen, um innerhalb der Vereinsstruktur neue Dynamiken und Kompetenzen zu ermöglichen. Magdalena Landl und Tanja Fuchs kuratieren eine Hälfte des Musikprogramms in der Halle X, kommen selbst als Musikerinnen und Veranstalterinnen aus unterschiedlichen Ecken, teilen aber einen gemeinsamen Anspruch.

Während Magdalena Jazz-Gesang studiert hat, mit Bands wie Vulcano Orchestra, Pyrite und Kantri 044 aber auch Genres wie Pop, Rock und Country bedient, lag Tanjas Studienfokus auf elektronischer Musikproduktion. Sie bespielte mit Fudkanista und dem Cine-Concert Fernweh/Heimweh Bühnen zwischen Punk und “galerietauglicher” Kunst und bewegt sich aktuell als ABU GABI oder mit DVRST zwischen hybrider Clubmusik und Noise. Beide Kuratorinnen sind auch schon immer in der frei improvisierten Musik aktiv, wodurch ihr gemeinsamer Fokus auf vor allem Musikerinnen (!) liegt, bei denen auch das experimentelle Moment und eine gewisse Tiefe spürbar ist. Die positiven Auswirkungen auf das Klangfestival sind nicht zu übersehen. Das Programm besticht durch eine einzigartige Diversität und Qualität. Einige der sehr coolen und unorthodoxe Verbindungen im heurigen Programm wären sonst nie zustande gekommen.

Das heurige Jubiläumsfestival steht unter dem Motto „Die 10, das X. Eine temporäre Welt der Unbekannten“. Dazu gibt es auch ein Zitat der Einstürzenden Neubauten „X bezeichnet die Stelle / Die unbekannte Variable in der Gleichung / Aber X ist nicht unbekannt.“ Wie gedenken Sie diese Frage(n) nach dem „X“, welches ja ebenso als Faszinosum wie als Bedrohung wahrgenommen werden kann, im Rahmen des Festivals umzusetzen?

Wir wollen am Klangfestival #10 zeigen, dass das X, das u.a. für das Unbekannte stehen kann, eben nicht unbedingt eine Bedrohung darstellen muss, sondern im Gegenteil vielleicht eher ein Fundament für das gesellschaftliche, politische, soziale Leben darstellen könnte oder vielleicht sogar sollte. Keine Ahnung, ob die Dinge immer zu 100% klar sein müssen, um sie verstehen zu können. Vielleicht geht es weniger darum, nach Antworten zu suchen. Es gibt ja eh so viele Antworten auf die Fragen nach dem “X”. Aktuell ist es womöglich spannender hinzu fühlen, welche Antworten das sind und ihnen einfach einen Raum zu geben.

Das heurige Programm umfasst ein weitgestreutes Spektrum aktueller Positionen zwischen, Musik, Performance, Bildender Kunst und den jeweiligen multiversalen Mixturen. Wie entsteht aber so ein Programm? Wie wählen Sie die jeweiligen Acts aus, damit das alles gleichzeitig nicht x-beliebig erscheint, aber dennoch aus quasi dem „X“ kein „U“ gemacht wird? 

Um eine Täuschung geht es nie, eher um den Genuss einer gewissen Bandbreite und der Einladung zum Schubladen-Sprengen. Das begeistert uns an den künstlerischen Ausdrucksformen der Künstler*innen, mit denen wir arbeiten. Wer sich beispielsweise vom Begriff „Experimentelles” oder „Zeitgenössisches” als Antwort auf die Frage, welche Musik denn am Klang gespielt würde, nicht angesprochen fühlt, dem entgeht vielleicht sehr viel. Dasselbe gilt auch für die Arbeiten aus der Bildenden und der Medienkunst, die wir nach einer offenen Ausschreibung für den Exhibition Space basisdemokratisch im Kernteam ausgewählt haben. Der Zauber liegt in der Abstraktion, und das Spiel mit dem X verändert den Boden.

Bei all dem stellt sich natürlich auch die Frage nach der Finanzierung eines solchen Spartenfestivals. Es ist ja eine Sache in den Medien lobend als „Geheimtipp“ gehandelt zu werden, eine andere sind Saalmieten, Bandgagen, Honorare, etc. Wie schaut’s da aus? Gibt es Förderungen? 

Ja, das Klangfestival wird durch Förderungen von der öffentlichen Hand, durch Kooperationen, Sponsoring und Erlöse finanziert. Damit können wir die Ausgaben für alles was bei so einem Festival anfällt decken sowie Gagen und Honorare zahlen. Wir bräuchten aber mehr! In Zukunft wird es aber wahrscheinlich spannend, ob für Förderungen angesucht oder eher ein/e Mäzen/in gefunden werden muss. Mal sehen.

Wenn es einem zwischen dem 24. und dem 26. August 2018 nach Gallneukirchen verschlagen würde, welche Acts würden Sie unbedingt empfehlen?

Unbedingt den Exhibition Space aufsuchen! Auf keinen Fall die X-Performance auf Schloss Riedegg versäumen! Und dazwischen, danach und davor in die Halle X eintauchen. Dort könnte jederzeit z.B. gerade Fågelle, Ingrid Schmoliner, ƒauna oder eine Susanna Gartmayer neben der Angelica Castello spielen. Es kann nur irre gut werden. Je nach Timetable sind jederzeit auch Kaliber wie Villalog oder Motherdrum mit dabei, oder eindrucksvolle Raritäten wie Murmler. Also, wer zwischen 24. und 26. August Zeit hat, soll nach Klangneukirchen kommen!

Wird es ein elftes, also ein „X+“-Festival 2019 geben?

Noch hat Bardo Pond nicht am Klangfestival gespielt…

Danke für das Interview.

Didi Neidhart


Klangfestival #10

24.-26.8.2018
Gallneukirchen

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