Das Jazzorchester Vorarlberg präsentiert seine erste CD „Introducing the Jazzorchester Vorarlberg“

Das Jazzorchester Vorarlberg ist seit seiner Gründung vor vier Jahren eine fixe und wichtige Größe im Kulturgeschehen des Landes. Martin Franz und Martin Eberle waren vor vier Jahren die Initiatoren des JOV und sind seit Beginn mit der Administration und künstlerischen Entfaltung des Klangköpers beschäftigt und erfolgreich. Die erste CD mit dem Titel „Introducing the Jazzorchester Vorarlberg“ ist zugleich Programm. „Mit der Debut-CD möchten wir in erster Linie das Jazzorchester Vorarlberg und seine MusikerInnen und SolistenInnen in den Mittelpunkt stellen. Bisher haben wir bei den meisten Programmen eine unabsichtliche Begleitfunktion übernommen, aus der wir irgendwann einmal ausbrechen wollten“, erklärt Martin Eberle die Ausgangsgedanken. Präsentiert wird nicht, wie man annehmen könnte, Tonträger mit bisher erfolgreichen Produktionen, sondern der Musikerfreund und -kollege Phil Yaeger, der als Posaunist im JOV mitwirkt, hat alle Nummern eigens für den neuen Tonträger komponiert.

„Wir haben jemanden gefunden, der den MusikernInnen die Musik auf den Leib schreiben kann“

Dazu präzisiert Martin Eberle die Leitgedanken. „Für mich ist es wichtig, dass ein Konzertabend oder eine CD einen roten Faden beziehungsweise eine musikalisch schlüssige Aussage hat. Ein Sampler ist für mich eher etwas für’s Archiv, Historiker oder Sammler. Zudem war es uns ein Anliegen, bei der Debut-CD die Band und die eigenen MusikerInnen in den Vordergrund zu rücken“, so Eberle der gleichzeitig einen Ausblick in die Zukunft macht. „Allerdings gibt es Überlegungen, musikalisch erfolgreiche Produktionen wieder ins Repertoire aufzunehmen und in irgendeiner Form zu veröffentlichen. Genaueres möchte ich aber dazu noch nicht sagen. Wir haben nächstes Jahr unser 5-jähriges Jubiläum und es gibt zukünftig noch viele Ideen die wir umsetzen möchten.“

Phil Yaeger – Musikalische Ereignisse wecken die Aufmerksamkeit

Den Posaunisten und Komponisten Phil Yaeger hat Martin Eberle vor vier Jahren in der Jazzwerkstatt in Wien kennen gelernt. Seither spielen sie unter anderem in der Band von Daniel Riegler „Studio Dan“ zusammen. Seit 2007 spielt Phil Yaeger im JOV die Posaune, schon für frühere Projekte hat er die Musik komponiert. Der aus den USA stammende Musiker ist eine interessante Künstlerpersönlichkeit. Die nun realisierte CD-Einspielung ist sein bislang größtes kompositorisches Projekt, im September wird der Tonträger während einer kurzen Tournee präsentiert. Im Gespräch erzählt Phil Yaeger über seine musikalischen Wurzeln, seine Arbeitsweise und Inspirationsquellen.

Was inspiriert dich beim Komponieren?
Es sind oft sehr kleine Eindrücke, die mich anregen, z.B. ein Beat, eine melodische oder harmonische Wendung, die ich in einem Lokal höre, manchmal sogar Elemente aus Straßenlärm oder ähnliches. Die Dinge verlangen oft von selbst meine Aufmerksamkeit, schlagen etwas vor,  ich muss sie nicht besonders oft suchen, sie sind immer da, um entdeckt zu werden.

Vorbilder und Mentoren

Du bist aus den USA nach Graz zu deinem früheren Lehrer Ed Neumeister gekommen. Was hast du Besonderes bei ihm gelernt?
Ich habe Ed sehr viel zu verdanken, denn er hat mir nicht nur einmal, sondern zweimal den richtigen Weg gezeigt. Das Grundlegendste war die Erkenntnis, dass Körper und Geist ganzheitlich trainiert werden müssen, um auf die richtige Art und Weise Musik zu machen. Man lernt nicht einfach das Instrument, man muss die Konzentration lernen und erfahren, wie der Körper richtig eingesetzt wird. Und außerdem ist wichtig zu wissen, dass man damit nie fertig wird.

Wer sind deine musikalischen Vorbilder?
Meine Eltern haben mir die Grundlagen der Musik beigebracht. Danach waren es Musiker, die etwas Eigenes gemacht, weiter entwickelt oder in die Welt gesetzt haben. Nach meiner persönlichen Chronologie: Living Colour, Miles Davis, John Coltrane, Ornette Coleman & Don Cherry, Dmitri Schostakowitsch, James Brown, Sam Cooke, Björk, Arvo Pärt, Radiohead, Palestrina, Charles Ives u.a.

Seit wann komponierst du?
Ich wollte schon immer Musik schreiben und habe sogar als Kind Versuche gemacht. Für ein Quintett, mit dem ich in den 90-er Jahren in NYC gespielt habe, schrieb ich einige Sachen, die meisten im ‚Ornette/Don Cherry-Stil’. Ernsthaft angefangen zu komponieren habe zeitgleich mit meiner Ankunft in Graz im Jahr 2004.

Am Anfang klingt die Melodie

In deiner Biografie schreibst du, dass du schon als kleines Kind gerne gesungen hast. Gehst du beim Komponieren von der Melodielinie aus?
Absolut. Für mich ist alles Melodie – auch Perkussion, Schlagzeug usw. Akkorde entstehen aus dem gleichzeitigen Erklingen einzelner Stimmen. Die Linienführung hat immer Vorrang.

Welche Rolle spielt die Improvisation in deinen Werken?
Ich selbst bin ein eingefleischter Improvisator und somit ist die Improvisation von meiner Musik nicht zu trennen. Am liebsten würde ich manche Passagen schreiben und manche ganz offen lassen, dafür braucht man aber eine bestens eingespielte Band und wirklich reife Improvisatoren.

Lernen aus der Vergangenheit

Anleihen für deine eigene Musik beziehst du auch aus der Musik der Renaissance und des Fin de siécle vom 19. ins 20. Jahrhundert. Welche Parameter dieser Genres fließen in deine Musik ein?
Bei der Renaissance eindeutig die Linienführung und das Konzept der Melodie: Fließend, möglichst dem Instrument angepasst und mit dem Wissen wie Intervalle auf die Menschen wirken.  Bei der späteren Musik ist es eher das Harmonische, der Schnitt zwischen Tonalität und Atonalität, der mich interessiert. Ich versuche, Tonalität weit zu dehnen, ohne völlig davon weg zu gehen.

Praktisches Wissen in unterschiedlichen Bands sammeln

Weitere Beziehungspunkte sind Soul, Afro-Beat und elektronische Musik. Welche Erfahrungen hast du mit dieser Musik und inwiefern sind Einflüsse in die Kompositionen für die aktuelle CD nachzuhören?
Ich habe jahrelang in Soul-Bands gespielt, die Klassiker sowie eigene Stücke gespielt haben. Auch in einer simbabwe’schen/amerikanischen Band sowie einer „Fela Kuti Cover-Band“ habe ich ein paar Jahre lang gespielt und sehr viel dabei gelernt. Die Einflüsse kann man auf der neuen CD sofort hören. Der erste Satz der Suite basiert beispielsweise auf einem simbabwe’schen Rhythmus, namens “Chimurenga”. Weiters tauchen unter anderem Elemente aus dem Soul, Rock and Roll sowie Alternative-Pop auf.

Das Wechselspiel zwischen den Solisten und den anderen

Hattest du die Bandmitglieder des JOV beim Komponieren einzeln im Kopf?
Auf alle Fälle. In erster Linie natürlich die Solisten, für sie müssen jeweils Situationen, das sind Formen, Rhythmen oder Harmonien, geschaffen werden, in denen sie sich wohl fühlen, mit denen sie sich entfalten können. Aber auch die Stärken jener Musiker, die nicht improvisieren, sollte man berücksichtigen. Gemeinsam bilden sie die Charakteristik des jeweiligen Satzes.

Textsammler

Die Sängerin Aja wirkt bei der aktuellen CD-Produktion mit. Woher beziehst du die Texte für die Songs?

Ich bin kein großer Texter und brauche manchmal lange, um halbwegs brauchbare Texte zu schreiben. Diesbezüglich bin ich ein Sammler. Ich merke mir Phrasen, die mir vom Wortlaut oder von der Bedeutung her gefallen, verbinde sie mit persönlichen Gefühlen und Erfahrungen und versuche dann, diese Ideen in bildhaften Phrasen zusammen zu binden.

War die Herausforderung groß, die Musik für eine ganze CD-Produktion zu komponieren und hast du derart große Projekte auch anderswo bereits realisiert?

„Introducing the Jazzorchester Vorarlberg“ ist mein erstes Großprojekt dieser Art. Ich habe bisher bei unzähligen Produktionen mitgewirkt und diese beeinflusst, trug jedoch noch nie eine solche Verantwortung. Natürlich war es eine große Herausforderung, jedoch war die Arbeit fast durchgehend eine Freude.

Danke für das Gespräch.

Factbox
Neue CD- “Introducing The Jazzorchester Vorarlberg”.

Hörproben im Internet:  www.jov.at

Dieses Interview ist zuerst in der Monatszeitschrift für Kultur und Gesellschaft, 7/2010 erschienen.

http://www.jov.at
http://www.musikdokumentation-vorarlberg.at/