„DAS IST EINE WICHSVORLAGE FÜRS NÄCHSTE MAL” – MARASKINO IM MICA-INTERVIEW

Mit MARASKINO trifft man sich standesgemäß zum Sektfrühstück, weil: Der Popsch-Dreier aus Wien weiß, wie Leben lustig geht. NANCY NUCLEAR, MELODY MARASKINO und ROY PRINCE HAPPY die Alter Egos der selbstbezeichneten Porn-Pop-Performance sitzen sonnenbrillierend am Meidlinger Markt. Die Hinterteile bleiben ausnahmsweise auf Asphalt, dafür lassen die restlichen Outfits sogar Persil-Werbungen wie Schwarz-Weiß-Streifen aussehen. Weil die Perlage stimmt, plaudern MARASKINO eine Stunde über die Horizonterweiterung von Ballermännern, Vulva-Abdrücke und Reifenspuren, die eigene Tanga-Kollektion sowie den neuen Song.

Im Vergleich zu meiner Schwarz gekleideten Fadheit sitzt ihr hier in bunten Hemden und Kleidern und Pullis. Sehr schick!

Melody Maraskino: (schmunzelnd) Das Schwarzgekleidete sind wir nicht – außer wenn wir zu Konzerten von den Elektro Guzzis müssen [Bernhard Hammer ist auch Teil der Techno-Band Elektro Guzzi, Anm.]

Nancy Nuclear: Dann uniformieren wir uns ganz in Schwarz.

Melody Maraskino: Wobei Berni das eh aufbricht.

Roy Prince Happy: Ich versetz mich in unterschiedliche Rollen. Gern sogar!

Melody Maraskino: Außerdem ist die Kleidung auch Erziehungsarbeit. Letztens bring ich mein Kind zum Kindergarten, eine Frau mit ihrem Bub kommt uns entgegen und sagt: Schau, der Mann hat einen rosa Pulli an! 

Was sagt man da?

Melody Maraskino: Ja, genau, superschön! 

Roy Prince Happy: Damit sind wir schon mittendrin im Thema. Damals, bei den ersten Gigs in Salzburg, sind wir als Vorband von Ankathie Koi aufgetreten. Wir haben Strapsen und Stöckelschuhe und String-Tanga getragen und die Leute waren entsetzt. Das war ein cooles Gefühl. Auch weil dieses Staunen in Euphorie umgeschlagen ist. 

Melody Maraskino: Danach ist eine Frau zu mir gekommen und hat gemeint: Das hab ich noch nie gesehen, ihr habt mein Leben bereichert und meinen Horizont erweitert.

Nancy Nuclear: Das ist die Irritation durch Maraskino.

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Die Horizonterweiterung trifft es gut. Ihr hängt nicht nur ein buntes Fähnchen auf die Bühne, ihr zieht euch direkt so an.

Melody Maraskino: Es muss irgendwo anfangen. Deshalb find ich’s super, wenn queere Themen im Mainstream landen. Zum Beispiel auf Netflix. Oder bei Ö3. Mit genderneutraler Sprache. Barrierefrei.

Nancy Nuclear: In Kurzrubriken zwar. 

Melody Maraskino: Aber als guter Anfang.

Nancy Nuclear: Bei Maraskino geht es schon weiter. Wenn man als Mann so auf der Bühne steht, kann man role model sein, weil man Möglichkeiten aufzeigt. Vielleicht steht jemand im Publikum und merkt, das geht wirklich. Es ist wie ein Anreiz.

Melody Maraskino: Ich erinnere mich an ein Konzert, da sind ein paar Zwölfjährige in der ersten Reihe gestanden. Man hat gemerkt, die haben sowas noch nie gesehen, aber ihnen wird das in Erinnerung bleiben.

Nancy Nuclear: Als Möglichkeit, sich so zu geben. Das heißt aber nicht, dass alle so rumrennen müssen. 

Melody Maraskino: Genau. Es geht um das Aufzeigen von Alternativen. Wenn’s immer nur heißt: Blau ist für Buben und Rosa für Mädchen, wo bleibt da die Möglichkeit für anderes?

Nancy Nuclear: Ja, es heißt dann, das ist eine Bubenhaube, die ist blau. Oder das ist ein Mädchenpullunder, weil der ist rosa. Das ist arg. 

Roy Prince Happy: Uns ist bei der Sache wichtig: Wir sind Heteros …

Nancy Nuclear: Na, Moment, ich bin nicht hetero.

Melody Maraskino: Ich bin auch nicht, na ja … schon auch, aber nicht nur.

Roy Prince Happy: Primär, mein ich. 

Nancy Nuclear: Es ist eine Cis-Männlichkeit, das meinst du. 

Roy Prince Happy: So ist es besser, ja. Was uns also wichtig ist: Wir können das alles machen, weil es viel Vorarbeit gegeben hat. Dem muss man sich bei queeren Themen bewusst sein. Ich kann mich als Cis-Mann so geben, weil …

Nancy Nuclear: Ihr anknüpfen könnt.

Melody Maraskino: Ja, ein Bowie hat sich leichter als Elton John getan, mit dem Thema zu kokettieren, weil er sich nie geoutet hat. Er konnte also damit spielen und …

Sich gewisse Codes aneignen.

Melody Maraskino: Genau, es ist eine Aneignung, die sich anders auswirkt, als wenn man sich als gay outet.

Bild Maraskino
Maraskino Impulstanz 21 (c) Emilia Milewska

Mir fällt der Camp-Begriff ein, es geht dabei um die Aneignung des Kitsches. Was davor nicht denkbar war, wird auf einmal normal. Weil sich Leute plötzlich so geben und es sichtbar machen.

Melody Maraskino: Das trifft auf uns zu, ja. Und außerdem, wenn etwas für die Masse anders ist, ist der Widerstand natürlich groß. Sobald es mehrere machen, nimmt er ab. 

Nancy Nuclear: Deshalb war es mir – und ich hab mich bisher immer um Bühnebild und Outfits von Maraskino gekümmert – wichtig, dass es nie Kostümierung ist. Maraskino will kein Spektakel sein, das sich einen Trend aneignet. Wenn Roy das Paillettenkleid mit High Heels trägt, ist das Roy.

Melody Maraskino: Wir zwingen uns die Outfits nicht auf, wir fühlen uns in ihnen wohl.

Nancy Nuclear: Ich kann mich gut an die ersten Outfits erinnern. Ich hab Roy damals Glitzerkleider aus meinem Kleiderschrank gegeben. Er zog eines an und ging auf. Es war klar: Das ist Roy, das ist er! 

Roy Prince Happy: Schöne Glitzerkleider zu tragen, hat mir sofort gefallen. Deshalb ist Maraskino eine Plattform, über die ich diesen Teil nach außen tragen kann. 

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Melody Maraskino: Im Alltag trage ich nicht Strapse oder Strümpfe. Bei Maraskino muss es so sein. Es ist aber was anderes, mit gewissen Kleidungen zum Beispiel mit dem Bus zu fahren. Es wär sicher interessant herauszufinden, wie sich Leute fühlen, die so ihr Leben führen. Erst dann kann man sich in sie hineinversetzen. 

Roy Prince Happy: Ist das nicht das Coole am Nachtleben, dass dort die Gesellschaft offener wird? Ich mein nicht die klassischen Konzerte mit ihren Locations, sondern die Clubs. Das macht einen großen Unterschied. Ich denk an das Konzert beim Kultursommer auf der Praterwiese. Da war eine Ballermann-Hochzeitstruppe in Lederhosen. Denen ist die Lade runtergefallen, als sie uns gesehen haben. 

Melody Maraskino: Am Ende waren sie unsere Fans. Es hat aber gedauert. Das merkt man bei den meisten Zaungästen. Einer hat seine Frau angerufen, weil er uns mit String-Tangas auf der Bühne gesehen hat. 

Nancy Nuclear: Das sind spannende Momente! 

Melody Maraskino: Auch für uns. Ein Publikum, das uns zuerst nicht einordnen kann, ist spannend. Egal ob man uns gut findet oder nicht, es haut einem die komplette Meinung zusammen. 

Zuletzt habt ihr auch im Berliner KitKat und Sisyphos gespielt. Eine ganz andere Erfahrung, nehm ich an.

Melody Maraskino: Im KitKat waren wir alle weiß gekleidet. Das Publikum trug fast nur schwarz. Wir haben uns schon gewundert, dann hat man uns gesagt: Dort gibt es ein Weiß-Verbot, das ist Door-Policy. Also haben wir sogar in diesem Club die Uniformierung …

Umgestülpt.

Melody Maraskino: Genau! Alle sind sie konservativ, halt auf ihre Art.

Roy Prince Happy: Die Leute fanden unsere weißen Sachen trotzdem super. Gerade weil sie irritiert haben. Und das ist unser Ziel. Die Kombination aus Texten, Musik und unserem Aussehen soll zur Irritation führen. 

Melody Maraskino: Deshalb müssen wir bei der Style-Polizei auf der Watchlist stehen, um die äußeren Enden der Horizonte zu verschieben. Weil: Wenn uns jemand in den Outfits auf der Bühne sieht, wird es normaler – zum Beispiel auch auf der Straße.

Man hat es schon mal davor gesehen.

Roy Prince Happy: Dasselbe gilt für die Musik. Live spielen wir Tanz-technoide Nummern, dazwischen aber auch immer wieder Schlager-artige Sachen. Damit brechen wir mit Dogmen. Die Leute feiern das. Ich auch. Selbst wenn ich mich selten traue, das zuzugeben.

Weil es ein Guilty Pleasure ist?

Roy Prince Happy: Das hat was Katholisches, nicht? Man muss sich schuldig fühlen, wenn man etwas mag. Eigentlich ein Widerspruch. Solange man niemandem wehtut, sollte man sich nicht schlecht fühlen, wenn man etwas gut findet!

Bild Maraskino
Maraskino im Garten (c) Maraskino

Trotzdem gibt es selten jemand zu. Warum?

Roy Prince Happy: Wir leben in einer reaktionären Zeit. 30 Jahre Neoliberalismus in Österreich haben die Gesellschaft geprägt. 

Melody Maraskino: Der Wohlstand lenkt von der Vielfalt ab, die die Gesellschaft hätte. Man überblickt nicht mehr den eigenen Horizont, weil das Überangebot zu groß ist, um sich weiterzuentwickeln. Außerdem ist es einfacher nicht nachzudenken, als sich in andere/s hineinzuversetzen.

Roy Prince Happy: Deshalb wird die kommende Nummer interessant. Sie heißt „Rosa Horizont” und lässt sich textlich in unterschiedlichen Kontexten lesen.

Melody Maraskino: Genau das finde ich spannend am Texteschreiben. Es soll unterschiedliche Betrachtungsweisen zulassen. Das ist eine Art von Kunstform, die so funktioniert.

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Auf Asphalt, der letzten Single, singt erstmals Nancy die Hauptstimme.

Nancy Nuclear: Dass ich Teil der Bühne werde, war ein spannender Prozess. Ich hab schon bei Julians letztem Projekt Julian & der Fux hinter den Kulissen gearbeitet, zuletzt auch bei Maraskino viel musikalischen Input gegeben und das Artwork gemacht.

Melody Maraskino: Weil du immer die erste Anlaufstelle bist.

Nancy Nuclear: Irgendwann hat Julian gemeint: Du bist so ein wichtiger Part, du solltest mit uns auf die Bühne! 

Melody Maraskino: Dann hat uns Kristian Davidek gefragt, ob wir beide beim CIVA Festival auftreten wollen. Ich hab sofort zugesagt.

Nancy Nuclear: Jetzt ist es eine Selbstverständlichkeit. Und ich kann meine Themen einbringen. In „Asphalt” geht es um Selbstermächtigung. Ich und mein Körper. Das Masturbieren. Meine Sexualität. Darüber habe ich früher schon für ein feministisches Underground-Magazin, fiber. werkstoff für feminismus und popkultur, geschrieben. Für „Asphalt” habe ich außerdem eine Risographie gemacht, aus meinem Vulva-Abdruck und Reifenspuren. Dazu legen wir eine Sexkolumne, die ich mit Anfang 20 geschrieben hatte, bei. Es geht ums Masturbieren und die Veränderung der Vulva – wie blüht sie auf? Das ist ein schönes Bild, eine Wichsvorlage fürs nächste Mal!

Roy Prince Happy: Das funktioniert als wunderschönes Package, wie alle Releases von Maraskino

Asphalt-Package
Asphalt Package (c) Maraskino

Nancy Nuclear: Unsere String-Tanga-Kollektion, die wir mit Viki-No-Viki erarbeitet haben,  ist so entstanden. Auch weil es nirgends welche für Männer zu kaufen gab, die unseren Vorstellungen entsprochen haben. Mittlerweile verkaufen wir sie nach unseren Konzerten als Merch. Obwohl viele Männer uns davor so gesehen haben, sagen die Meisten trotzdem: Na, das geht nicht! Wenn ihnen dann die Partnerin einen kauft, kommen sie damit klar.

Melody Maraskino: Wir haben einen Tanga als Geburtstagsgeschenk nach Kärnten geschickt. Einen Monat später kamen drei Nachbestellungen. Direkt von ihm.

Auf einmal merkt man: Es geht doch!

Nancy Nuclear: Genau, allein das Ausprobieren macht was aus! Deshalb probieren wir weiter. Wir wollen alle die Welt verbessern!

Danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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Links: 
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