Das Ensemble Reconsil Wien startet “Exploring the World”

Nach mehreren Anläufen und ausgearbeiteten Varianten, die nun endgültige Gestalt angenommen haben, startet das Ensemble Reconsil Wien am 29. März in der Alten Schmiede mit einem Kick-Off-Event das Projekt, dem ab dem 25. Mai im Joseph Haydn-Saal der  Musikuniversität am Anton von Webern-Platz bis zum Mai 2015 vierzehn Programme (auf 7 Abende verteilt) folgen werden. Komponistinnen und Komponisten aus 14 Ländern mit 42  teils eigens neu komponierten Werken werden in den Konzertaufführungen vorgestellt, dazu kommen zusätzlich 42 an ÖsterreicherInnen vergebene Werkaufträge. Julia Purgina und Roland Freisitzer gaben darüber in einem Gespräch mit Heinz Rögl Auskunft.

Das geplante Großprojekt, das auch bereits als solches für diesen März im Rahmen eines Festivals im Odeon konzipiert war, kann so über das nächste Jahr verteilt vollinhaltlich stattfinden, nachdem einige Finanzierungen und Partnerschaften sich als nicht möglich herausstellten. mica – music austria hat in den Musiknachrichten schon mehrfach über dieses Projekt berichtet, als es noch mit eingeladenen Partnerensembles, nämlich keinen geringeren als der London Sinfonietta, dem Ensemble Modern, dem KammarensembleN aus Schweden und dem Ensemble Stroma aus Neuseeland konzipiert war.

Nun bestreitet das Ensemble Reconsil das Programm alleine. Verblüffend genau jedenfalls  – bis hin zu allen Biografien der Komponisten und weiterführenden Links, ja sogar downloadbaren Partituren der für die Aufführungen geplanten Stücke – informiert die ausgezeichnete Website des Ensembles zu diesem Projekt, die man auf der eigens eingerichteten Domain www.reconsilexploringtheworld.com aufrufen kann.

Argentina, Australia, Brazil, Canada, Great Britain, Hong Kong, Japan, New Zealand, Singapore, South Africa, South Korea, Spain, Sweden und United States of America sind  alphabetisch geordnet die Länder auf allen Kontinenten, die Reconsil musikalisch erforschen  und in den Konzerten jeweils paarweise „explorieren“ wird. Berechtigt stolz heißt es auf der Website, auf der das Projekt vorgestellt wird:  “42 mostly new works by 42 composers from the 14 chosen countries and one kick-off-event, featuring 6 works by female composers from all continents involved in the project, 87 composers in total… “

Fast abenteuerliche Wechselfälle veränderten die Planung  immer wieder

Die Komponistin und auch Bratschistin im Ensemble Julia Purgina erteilt eine erste Auskunft zum nunmehrigen „Endstand“ des Vorhabens:  „Leider hat sich unser Projekt nicht ganz so realisieren lassen, wie wir es ursprünglich geplant hatten. Aber es sind mit Spanien und Schweden zwei weitere europäische Nationen dazugekommen.“ Interessant und auffallend dabei ist, dass Länder des europäischen Ostens, mit dem Roland Freisitzer und sein Ensemble immer wieder zusammen arbeiten (auch Aserbaidschan, Mazedonien und Russland) hier nicht vertreten sind. Der Fokus liegt bewusst neben dem Fernen Osten (Hong Kong, Japan, Singapur, Süd-Korea) und Australien und Neuseeland auch auf Ländern beider Amerikas (Kanada, USA, Argentinien, Brasilien). Ursprünglich war die erste Idee, erzählen die beiden Gesprächspartner, mit den Länderprogrammen dieses Projekts in ganz Österreich zu konzertieren, doch eine Kooperation mit der Jeunesse scheiterte.

Roland Freisitzer: Als nächstes dachten wir daran, das Projekt als einmaliges großes Festival in Wien zu machen. Wir haben gedacht, machen wir es interessant und laden auch Gastensembles ein. Wir hatten bereits Zusagen vom Ensemble Modern, der London Sinfonietta, dem KammarensembleN aus Stockholm und dem STROMA Ensemble aus Wellington in Neuseeland, inklusive deren Dirigenten. Die Hälfte der Konzerte hätte das Ensemble Reconsil gemacht, die anderen die Gastensembles.

Wir haben das dann erfolgreich bei der Siemens Musikstiftung eingereicht: Es wurde uns auch ein Einstiegsbetrag zugesichert. Dennoch waren wir noch auf mindestens einen Zusatzsponsor angewiesen, wandten uns an Kulturabteilungen und erhielten aber so wenig in Aussicht gestellt, dass wir wussten, wir können das so nicht machen. Dadurch hat sich leider die in Aussicht gestellte Sponsoring-Zusammenarbeit mit einer großen internationalen Fluglinie zerschlagen, da man die in Aussicht gestellten Förderbeträge (die geringer als die ohnehin geringe jährliche Ensembleförderung gewesen wäre) als Zeichen mangelnden Interesses gewertet hat.

So wussten wir, dass wir das Festival als solches nicht durchführen würden können. Uns war bewusst, dass wir in erster Linie versuchen müssen, allen 90 Kompositionen, von denen ja ca. 70 neu entstanden sind, zumindest eine gelungene Uraufführung zu bieten. Also entschieden wir uns, eine Konzertreihe mit unserer Ensembleförderung durchzuführen (und den Förderungen von der Siemens Musikstiftung, AKM und SKE) und einen auf zwei Kalenderjahre verteilten Zyklus zu gestalten. Leider mussten wir deshalb die Gastensembles wieder ausladen.

Im Schönberg Center gibt es daher derzeit keine Eigenprojekte bis Herbst 2015, das Ensemble Reconsil pausiert und spielt in der Zeit des „Exploring“- Zyklus dort nur ein, zwei Konzerte, die in schöner Zusammenarbeit mit der ÖGZM über die Bühne gehen.
Auf die Frage des Managements, was da alles an Einreichungen für Finanzierungen dranhängt (die beteiligten Komponisten zum Beispiel müssten doch eingeladen, eingeflogen und in Quartieren untergebracht werden), wird von den beiden Organisatoren, zu denen später auch noch Alexander Wagendristel hinzustößt, zur Kenntnis gebracht, dass diese das teilweise auf ihre eigenen Kosten machen würden oder teilweise die Förderungen dafür von ihren Ländern erhalten würden. Besonders großzügig haben sich hier offensichtlich die Fördergeber in Neuseeland und Singapur gezeigt.

Die 42 österreichischen KomponistInnen wurden staatlicherseits vom BMUKK (bzw. nun vom BKA) mit Kompositionsförderungen bedacht.

Nachdem nun der Ablauf von Mai 2014 – Mai 2015 feststand, suchten die Reconsilianer nach geeigneten und leistbaren Aufführungsorten für die Konzerte und fanden, dass der Haydn-Saal der Musikuniversität für ihre Zwecke sehr gut geeignet ist. „Er ist sehr schön, liegt bezüglich Erreichbarkeit auch sehr zentral und ist ans Musikgeschehen gut angebunden.“.

Komponistinnen aller 6 Kontinente beim Kick-Off-Event

Am 29.3. werden in der Alten Schmiede in einer Sechser-Besetzung Werke von Komponistinnen in Uraufführungen (Weltpremieren) oder österreichischen Erstaufführungen gespielt. Österreich (und das Ensemble) ist mit einer Komposition von Julia Purgina vertreten. Weiters stehen  Stücke von Kati Agócs (Kanada), Clare Loveday (Südafrika), María Misael Gauchat (Argentinien), Rachael Morgan (New Zealand) und Mari Kamimoto (Japan) auf dem Programm (Titel und Besetzungen siehe Ankündigung unten). Das Besondere ist, dass für jeden Kontinent eine Komponistin, also nur Frauen, ausgewählt wurde.

Viele der Komponistinnen bei diesem Event sind sehr jung, in ihren Herkunftsländern hoch geschätzt und sicherlich eine Entdeckung wert. Kati Agócs zum Beispiel, eine Komponistin mit ungarischem und amerikanischen Background, ist auch in den USA bereits berühmt, sie studierte in Boston, hat Degrees etwa in Tanglewood und an der Juliard School, und wurde vom „Boston Globe“ und der „New York Times“ als herausragend gefeiert. Auch die Werke der anderen Komponistinnen werden von führenden Ensembles der ganzen Welt aufgeführt.

Wie erfolgte die Auswahl der KomponistInnen?

„Wir haben die Konzerte so geplant, dass pro Konzert zwei Länder vorgestellt werden, die Konzerte sind teilweise auch an Nachmittagen bzw. Nachmittag und Abend. Es gab auch zeitliche Vorgaben bezüglich der Dauer der Stücke. Jedes Stück durfte eine Länge zwischen acht und zwölf Minuten haben, damit sich jedes Länderprogramm im Idealfall auf einer CD ausgehen würde. Für jedes Land haben wir eine achtköpfige Besetzung gewählt, die für die Komponistinnen und Komponisten, die neue Werke schreiben würden, verpflichtend war. Nicht nur unbekannte neue Stücke  werden gespielt, sondern auch ein paar wenig gespielte Juwelen von bereits verstorbenen Komponisten, im Kanadaprogramm etwa ein Stück von Claude Vivier, im USA-Programm ein Werk von Morton Feldman.

Die Calls für Kompositionen (auch über mica – music austria und Partnerorganisationen) erhielten überraschend viele Antworten und Meldungen. „In Brasilien gab es einen sehr großen Response – so viele überaus interessante Zusendungen. Überraschend viele wollten etwas Neues schreiben.“ Bei der Endauswahl war es dem Ensemble Reconsil wichtig, auch innerhalb jedes Landes möglichst unterschiedliche Positionen zu zeigen, also arrivierte und neue, junge, auch in großer stilistischer Breite. „Großartig ist, dass uns unter den australischen Komponisten Barry Conyngham ein neues Stück für das Projekt schreibt, ein Komponist, der für die neue Musik in Australien in etwa so wichtig ist, wie Friedrich Cerha für die österreichische. Wir haben uns immer bemüht, einen arrivierteren Komponisten einem noch weniger bekannten gegenüberzustellen. Zum Beispiel haben wir uns in Brasilien unter anderem bewusst für einen ganz jungen Komponisten entschieden (Igor Leao Maia, geboren am 06.08.1988 und eindeutig der jüngste aller teilnehmenden Komponisten)“.

Dieses Prinzip gilt bei näherem Hinsehen auch für die 42 ausgewählten österreichischen KomponistInnen. Auch dort seien nicht die Komponisten und Komponistinnen programmiert, die bereits das automatische Aushängeschild der österreichischen Musik sind, also Haas, Furrer, Staud, Neuwirth, Cerha. „Wir wollten zeigen, dass es hier noch viel mehr interessante Komponistinnen und Komponisten gibt. Für uns ist die stilistische Ausgangsposition des jeweiligen Komponisten egal: tonal, seriell, jazzig, was-auch-immer: wichtig ist nur, ob das, was sie/er macht, interessant und überzeugend ist. Eine gewisse Abgrenzung gibt es gegenüber Musik mit Elektronik, weil wir dazu im Ensemble keine Möglichkeiten haben und weil wir uns Elektronik, die meist relativ viel Geld kostet, nicht leisten können. Es steht natürlich auch nur limitierte Probenzeit zur Verfügung“.

Eine große Bandbreite war wichtig. „Die Szene geht etwa von Jazzern wie Daniel Riegler, Max Nagl, aber auch Franz Koglmann, bis hin zu arrivierten Komponisten, wie Erich Urbanner oder Gerhard R. Winkler, oder zu Angélica Castelló, die ja weniger aus der traditionellen „Neue-Musik-Szene“ kommt und eher aus der Elektronik- und der Improvisations-Szene bekannt ist. Aber auch die Elektroniker werden für unsere Konzerte rein akustische Stücke komponieren.“

Der Vollständigkeit halber hier noch einmal die alphabetisch gereihten Namen: Thomas Bartosch, Angélica Castelló, Christoph Cech, Diego Collatti, Dirk D’Ase, Bernd Richard Deutsch, Hannes Dufek, Roland Freisitzer, Tamara Friebel, Herbert Grassl, Thomas Heinisch, Mirela Ivičević, Peter Jakober, Fritz Keil, Manuela Kerer, Franz Koglmann, Gerhard Krammer, Johannes Kretz, Veronika Mayer, Daniel Moser, Max Nagl, Wladimir Pantchev, Roman Pawollek, Dana Cristina Probst, Julia Purgina, Gerald Resch, Daniel Riegler, Amir Safari, Jorge Sanchez-Chiong, Anselm Schaufler, Piotr Skweres, Tomasz Skweres, Norbert Sterk, Bruno Strobl, Erich Urbanner, Šimon Voseček, Alexander Wagendristel, Thomas Wally, Ming Wang, Clemens Wenger, Gerhard E. Winkler und Jaime Wolfson.

„Es war eine sehr lange Vorbereitungszeit und die Idee hat sich einige Male gezwungenermaßen wieder verändert. Wir freuen uns in jedem Fall darauf, das Projekt so als Zyklus durchführen zu können.“ Was beim „Exploring“-Projekt noch wichtig ist: Alle Konzerte werden mit guter Aufnahmequalität in Ton und Bild mitgeschnitten. Ob man noch ein mutiges Label für die CD Box findet (und Reconsil die zusätzlichen Kosten aufstellen kann), wird sich in diesen Tagen zeigen. Es wird aber auch von jedem Stück ein Video mit professionell aufgenommenen Ton geben. Immer mehr Menschen hören und sehen ja bereits auf youtube Neue Musik, da muss man einfach darauf reagieren. Auf der Reconsil-Seite auf youtube findet man jetzt schon zehn Videos mit dem Ensemble.“


„Kick-Off-Event“
29.03.2014, 19 Uhr
Alte Schmiede, Schönlaterngasse 9, 1010 Vienna


Programme:
Kati Agócs – All the Ends of the World (for string trio) (Austrian premiere)
Julia Purgina – Les petites vieilles (for flute and string trio) (World premiere)
Clare Loveday – Ribbons (für oboe, bass clarinet and viola) (Austrian premiere)
Misael Gauchat – Retrato for solo violin (Austrian premiere)
Rachael Morgan – …and yet, not (for flute and cello) (Austrian premiere)
Mari Kamimoto – new work for five musicians (world premiere)

Ensemble Reconsil.
Alexander Wagendristel (flutes), Paul Kaiser (oboe), Thomas Schön (clarinets), Bojidara Kouzmanova-Vladar (violin), Julia Purgina (viola), Maria Frodl (violoncello)
cond. Roland Freisitzer

Foto Kati Agócs: Essdrass Suarez (The Boston Globe)

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