Dann machen wir es (uns) am besten selber – Wiener Indielabels mit (queer)-feministischem Anspruch

Zu Jahresbeginn 2013 platzte die von Journalistinnen in Deutschland ins Leben gerufene Kampagne #aufschrei in die öffentliche Debatte – alltägliche Übergriffe, Diskriminierung von Frauen auch in den vermeintlich privilegierteren Bereichen und Berufen und die erschreckende Erkenntnis, dass fast jede dazu etwas zu erzählen hat. Auch im aufgeklärten Feld der Popkultur – spezifischer im einst verheißungsvoll geschlechter-, rasse- und klasselosen Raum der (Post-)Clubmusiken. Mitglieder der Datenbank und Mailingliste female:pressure (gegründet 1998 von Susanne Kirchmayr aka Electric Indigo), DJs, VJs und Produzentinnen tauschen auf dieser nicht nur Infos zu ihren Veröffentlichungen und Aktivitäten, sondern diskutieren auch zu tagesaktuellen Anlässen, sei es die Verhaftung von Pussy Riot und die Freilassungskampagne im Dezember 2013, zu der in Windeseile von 17 Produzentinnen aus dem Umfeld von female:pressure weltweit eine Soli-Compilation produziert wurde.

Die Ergebnisse sind erschütternd

Die Berliner Musikerin und Labelbetreiberin Gudrun Gut brachte mit ihrer spontanen Frage an die Liste einiges ins Rollen und aus dem ursprünglich geplanten offenen Brief wurden eine umfassende Zahlen- und Faktenrecherche, ein Festival (Perspectives) mit Konferenz und kiloweise Argumentationsmaterial und Selbstermächtigungsmotivation:

„gibt es nichts was wir zu der augenblicklichen diskussion um machtverhältnisse und herrenwitze beitragen könnten? vielleicht einen offenen brief über die frauen in der musikbranche – speziell der electronischen?“ Gudrun Gut, Berlin (Monika Enterprise)

Um den Protest um Sichtbarkeit und Partizipation mit Daten und Fakten zu unterstützen, wurden von Kolleginnen weltweit Zahlen gesammelt und ausgewertet. Sobald die Zahlen schwarz auf weiß erhoben und dargestellt beziehungsweise in schöne Diagramme verpackt wurden, war es sonnenklar: Die Repräsentation und die Präsenz von Musikerinnen im Festival-, Label-, DJ- und Medienbereich liegen meist bei circa zehn Prozent. Es passierte ein kurzer Aufschrei, Podien wurden besetzt, es wurde diskutiert (ein paar Verbesserungen festgestellt) und ein Jahr später fand frau sich fast genau am selben Platz mit denselben Konditionen wieder. Oder wie eine Kollegin, die gerade ein wunderbares Album veröffentlicht hat, sagte: „Komisch, da reden alle davon, dass es kaum Produzentinnen gibt, und trotzdem erfahre ich mit meinem Album kaum mediales Interesse, am wenigsten in heimischen Gefilden.“

Wir sind hier und irgendwie queer

Und dabei sind wir hier erst beim f-Wort (auf das sich gerade auch viele Musikerinnen im female:pressure-Netzwerk nicht einigen können und wollen – f für feministisch) – queer kommt da noch gar nicht vor, schon gar nicht als politisch aktivistischer Begriff. Wiener Labels wie unrecords, ~temp, Fettkakao und comfortzone versuchen, sich einen musikalischen, künstlerischen, theoretischen und medialen Raum zu erspielen und bespielen, wo es in der Genderdebatte um Infragestellung gängiger Geschlechterbilder (männlich/weiblich) geht, nicht auf die Quote zu schauen, sondern der Frage nachzugehen, inwieweit das anerzogene Verhalten und die allgegenwärtige heterosexistisch geprägte Kultur überwunden werden können, und da sprechen wir weniger von Toleranz als vielmehr von Akzeptanz und Respekt.

„wir als label verwenden den begriff queer-feministisch auch, um uns von einem feminismus abzugrenzen, der neue ausschlüsse transportiert. transgender ausschließen und immer noch von einer gemeinsamen erfahrung von ‚frauen‘ ausgehen, die schon lange von poc (people of colour), infrage gestellt wird. die infragestellung unserer eigenen privilegien ist uns wichtig.“ unrecords, wien

Die Kunstfigur Conchita Wurst – eine Dame mit Vollbart – gewinnt mehr oder weniger überraschend den Song Contest, erhält somit eine (ge)wichtige mediale Stimme und proklamiert Toleranz und Respekt gegenüber Lebensentwürfen, die sich nicht der heterosexuellen Norm unterziehen wollen. Queer – ein Begriff, den plötzlich auch meine Mutter kennt, obwohl sie nicht weiß, was er bedeuten soll.

 „Queer könnte der Name dafür werden, wie man ein sexuelles Wesen jenseits der Tatsache sein kann, eine Alternative zu ‚Hetero’ bilden zu müssen.“ Manfred Hermes, „Queer Nation”, in: Spex, Dezember 1992

Dann müssen wir es rausbringen

Als ich gemeinsam mit meinem Partner Konstantin Drobil das Label comfortzone gründete – mittlerweile sind wir bei Katalognummer 24 –, waren meine Vorstellungen, was Szenen, Solidarität, gemeinsames Arbeiten etc. betrifft, einer euphorischen neugierigen Naivität geschuldet – quasi das Modell der sich gegenseitig Unterstützenden: irgendwie feministisch, irgendwie queer in einem (Love-)Boot, das mit den unterschiedlichsten Musiken und Styles beschallt wird.

„Mit einer Auflage von 500 Stück wollen wir einmal schauen, wie es geht. Was möglich ist. Anfangs ist es selbstverständlich schwierig, aber mit der Idee der Splitmaxi verdoppeln wir sozusagen das potenzielle Publikum. Networking und Kommunikation sind neben Produktion und Artwork ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Wir sind dabei, uns einen ‚guten‘ Ruf aufzubauen, und es gibt noch immer Menschen mit Plattenspieler.“ Christina Nemec, Wien (comfortzone)

Da ist viel von elektronischer Musik die Rede (Acts wie Crazy Bitch in a Cave, Cherry Sunkist u. v. m) mit Ausnahme der Kumbia Queers aus Argentinien/Mexiko, die musikalisch den Bogen spannen können von comfortzone zu unrecords und deren selbst gestellten Ansprüchen und Vorsätzen – weg von der klassischen Bandkonstellation (vier Bio-Männer machen die Musik plus Frontfrau) bzw. keine „Weiblichkeits“-Zuschreibungen an die MusikerInnen – und es geht auch ums Sichreindrängen, Aufzeigen und Aufmischen. Wien ist in den letzten Jahren ein gutes Pflaster für Aktivitäten, Partys und Aktionen vom legendären Frauenbandenfest 2002, den Ladyfesten, rampenfiber, diversen Queer-Clubs und -Partys bis hin zum Girls Rock Camp.

… die Bands von morgen

Alles, was ich mir immer gewünscht hätte, damals als Jugendliche und selbst deklarierte Punkerin, wurde mit dem Girls Rock Camp (organisiert vom Verein pink noise) 2011 realisiert. Ein Rahmen, in dem sich Mädchen und junge Frauen mit Unterstützung von sogenannten Coachs eine Woche lang gemeinsam an ihre musikalischen Fähigkeiten, Interessen und Ideen in einem hierarchie- und herrschaftsfreien Raum, dessen Regeln für einige Tage die Mädchen selbst definieren lernen, herantasten.

„Natürlich ist es uns ein Anliegen, unsere Position auch weiterzugeben. Dies zeichnet sich in unserer Arbeit jedoch weniger durch explizites Lehren von Theorien und Begrifflichkeiten aus, sondern vielmehr durch das aktive Ermutigen und Selbstermächtigen, das wir mit unseren Projekten versuchen zu unterstützen. Das heißt, dass wir in unserem Tun eher versuchen, den Mädchen_ dort zu begegnen, wo sie stehen. Im Rahmen des pink noise Girls Rock Camps erklären wir beim Willkommensgespräch durchaus, wieso wir z. B. einen männlichkeitsfreien (cis_männer_freien) Raum kreieren und wieso wir diesen für so wichtig erachten. Auch die Worte Queer_feminismus fallen, wenn wir uns und unsere Tätigkeitsbereiche vorstellen.“ pink noise Girls Rock Camp

Der Höhepunkt des Girls Rock Camps ist die Abschlussparty am Samstag, bei der FreundInnen und Familie gezeigt wird, was in einer Woche so geht. Was in einer Woche konzentriert in Proberäumen, Studios, im Rahmen von Workshops, Coachings, Diskussionen, Filmvorführungen erarbeitet werden kann. Bands gründen sich – und manche bleiben tatsächlich auch darüber hinaus zusammen wie z. B. Aivery und Schapka, wobei Erstere bei unrecords 2013 ihre EP “Aivery” veröffentlicht haben.

… immer weiter durchbrechen

Immer ist irgendwo eine kleine Hürde (für Musikerinnen) niedergerissen worden. Sogar das Wiener Label Editions Mego hat im letzten Jahr mehr Musikerinnen veröffentlicht als die ganzen Jahre davor. Conchita Wurst bringt Queerness in eine sonst mit Gabalier schon fast retardierte Öffentlichkeit.

„Manchmal aber gibt es vielleicht die Möglichkeit für Interventionen, die ansonsten undenkbar wären. Subversion über im Mainstream anerkannte Begrifflichkeiten. Das ist allerdings eine Hypothese und ich bin mir nicht sicher, ob die Gründung des queer_feministischen Labels unrecords z. B. und die finanzielle Unterstützung von pink noise und dem pink noise Girls Rock Camp als Zeichen dafür zu sehen sind.“ pink noise Girls Rock Camp

Das Jahr 2015 wird ein tolles Jahr! Wir haben sozusagen einiges am Start!

Christina Nemec
Soundcloud-Playlist zum Artikel

http://www.eutopia.at/currents/45
https://femalepressure.bandcamp.com/
http://diestandard.at/1363239377617/femalepressure-Studie-Electric-Indigo?ti=BK8FTUohJsv4ayX6Vi9rbb2GX1gj8JnG8bOthGI7Y_GeM0MWtSjzYRMhvIZ8KF9Cd5uqRmKVdmG7XGJAzyOHpsJJyFIM0KY-PYxtEc0UbX243Gqki_TWao4hvdCt2XjVjDfl9Ln4-st_IRAcn7inQ5LiSug.&ti=rpouQujmt70q3BqkG0
http://www.migrazine.at/artikel/glossar-der-politischen-selbstbezeichnungen