„Grundsätzlich sind wir künstlicher Intelligenz als Tool ganz und gar nicht abgeneigt” – Bon Jour im Mica-Interview

BON JOUR ist eine 2022 gegründete Alternative Rock Band, dessen Identität bislang hinter illustrierten 3D Köpfen verborgen ist. Mit der ersten Single „Blue Moon” landete BON JOUR bereits auf Platz 1 der FM4 Charts. Das erste Live Konzert war ein Support von ALT-J in der Metastadt vor 5000 Besuchern. Man kann die Formation der drei Musiker, die ihr Studio in Wien als ihre Homebase angeben und mit „And so we met again“ nun auch ihre Debüt-EP veröffentlichen (VÖ: 19.05), im wahrsten Sinne als Geheimtipp bezeichnen. Das Musikvideo zu ihrem Song „All I Know” wurde mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellt, was in Anbetracht der allgegenwärtigen Brisanz des Themas KI den Inhalt des Interviews dominierte. Das Gespräch führte Dominik Beyer.

Darf ich Fragen zu euren Identitäten stellen oder möchtet ihr unerkannt bleiben?

Bon Jour: Was heißt geheim. Unser Konzept ist nicht, geheim zu bleiben. Viele aus der Bubble wissen es eh schon. Konzerte spielen wir auch nicht vermummt. Es geht uns mehr um die Selbstdarstellung. Das hat zwei Gründe. Zum einen sind und waren wir alle in unterschiedlichen Projekten tätig. Bon Jour sollte davon erstmal unbeeinträchtigt bleiben. So eigenständig wie möglich. 
Der andere Grund war der einer gewissen Leichtigkeit, die mit der Gründung des Bandprojekts einhergegangen ist. Im Proberaum hat jeder sein Ego vor der Tür gelassen. Das war sehr angenehm. Und daraus ist dann der Anspruch entstanden, dieses „Kill your Ego“ Ding auf die Spitze zu treiben. Kurzum also ohne unsere Gesichter. Gerade bei Newcomer Bands muss natürlich erstmal überall das Gesicht zu sehen sein. Das hat sich für uns in diesem Fall nicht richtig angefühlt. 

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Um dem branchentypischen Narzissmus entgegenzuwirken?

Bon Jour: Voll. Meist hat das ja auch seine Berechtigung. Wir waren im Studio mit allem beschäftigt, außer mit unserer Selbstdarstellung, und haben uns folglich überlegt, wie wir uns davon auch weiterhin abgrenzen können. So kam die Idee mit den 3D Köpfen. 
Wir werden die Identitäten nicht ewig geheim halten. Schon klar. Aber wir möchten unsere Musik nicht mit unseren Gesichtern bewerben. Somit ist automatisch wieder mehr Fokus auf dem Wesentlichen. Jeder weiß, dass das nicht zu 100% geht. Aber es ist ein Versuch von unseren Personen abzulenken.

Schürt das vielleicht sogar das Interesse der Formation?

Bon Jour: Das ist zu früh, um das beurteilen zu können. Der erste Beweggrund war nicht, Interesse zu schüren. Eher eine Neugier an neuen Medien und Technologien. Mit Sicherheit auch ein sportlicher Eifer daran, ob diese Utopie der Ego-Auflösung auch umsetzbar ist. Schaffen wir das? Das erste Interview von uns mit den bewegten 3D Köpfen war auf jeden Fall wirklich lustig anzusehen. 

„Du gehst viral, aber keiner merkts.“

Apropos neue Medien. Benutzt ihr tiktok?

Bon Jour: Nein. Noch nicht. Aus unterschiedlichen Gründen. Wir machen alles selber, um schnell agieren zu können. Jeder zusätzliche Kanal, den man bespielt, bedeutet auch einen großen Mehraufwand, wenn man es richtig betreibt. 
Wir sind ein kleines Team. Anhand von Daten, die wir von Spotify kennen, ist unser Zielpublikum zwischen 25 und 35. Das spricht gegen tiktok. Zudem habe ich die Befürchtung, dass manche Musik auf tiktok viele Klicks bekommt, aber keiner weiß, wie der Song heißt oder die Band dazu. Du gehst viral, aber keiner merkts.
Außerdem sind wir alle Fans vom Medium Album. Das erzählt eine Geschichte und alles passt auch zusammen. Das wird beim Format tiktok nicht gerade unterstützt. Zumindest ist das mein Gefühl. Vielleicht sind wir doch eines Tages dort zu finden. Aber nicht mit dem Ziel, einen tiktok-Hit zu landen. 

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Ihr habt eure Musikvideo mit Hilfe von KI erstellen lassen. Wurden eure Erwartungen erfüllt? 

Bon Jour: Es ist immer schwer zu sagen, ob man mit einem Musikvideo, oder auch mit eigenen Songs zufrieden ist. Was uns aber schon taugt, ist, dass man immer neue Details entdecken kann. Man kann sich in dem visuellen Überfluss verlieren. Das entspricht auch dem Anspruch an unsere Musikproduktion. Trotz aller Eingängigkeit und Simplizität kommen beim wiederholten Hören immer wieder kleine Details zu Tage.
Für uns war es zu allererst auch wirklich spannend, was man mit neuer Technologie trotz knapper Ressourcen zustande bringen kann. Wir wissen nun, dass wir auch in kurzer Zeit, mit Hilfe von KI, Musikvideos schaffen können. Wobei die Bezeichnung Musikvideo vielleicht nicht ganz korrekt ist. Es sind eher Visuals geworden, die den Song unterstreichen und im besten Falle auch ein Gefühl einfangen, das zum Song passt.

Spielt KI schon eine Rolle in eurer Musikproduktion?

Bon Jour: In der Musikproduktion noch nicht. Wir haben es allerdings auch noch nicht ausprobiert. Das wir einen Song von der KI schreiben lassen, wird auch nicht passieren. Als Hilfstool werden wir es mit Sicherheit bald mal ausprobieren. Zum Beispiel: „Erstelle einen Beat im Stile von Motown.“ So kann man sich inspirieren lassen und erste Skizzen erschaffen lassen. In der Musik kommt es aber schon drauf an, den, ich nenn es mal, menschlichen Anstrich nicht zu verlieren. Und das ist derzeit bei der KI noch das Problem. Sie greift nur auf bestehende Sachen zurück. Neuinterpretationen funktionieren schon gut. Aber das eine spezielle Ding geht schon verloren dabei.

Stil ist bekanntlich nicht vom Urheberrecht geschützt. Das macht sich die Werbung schon seit langer Zeit zum Vorteil, indem sie „Soundalikes“ produzieren lässt. Das ist ein Song, der den Stil einer Künstlerin/ eines Künstlers imitiert, um teure Lizensierungskosten des Originals zu umgehen. Mit KI würde das eine neue und vermutlich unüberschaubare Dimension erfahren. Denkst du, hier müsste das Urheberrecht eine Novelle erfahren? Gerade wenn man die Authentizität der letzten von Drake / theWeeknd imitierten Single „heart on my sleeve“ mitbedenkt.

Bon Jour: Akkordfolgen kann man nicht schützen, sonst würde sehr wenig neue Musik entstehen. Analog dazu wird man das Imitieren eines Stils mit KI auch nicht verbieten können. Es braucht aber dringend so etwas wie digitale Wasserzeichen. Das gilt im Moment verstärkt noch bei der Verwendung bzw. Erstellung von Bildern. Bilder haben für uns einen starken dokumentarischen Wert. Es ist Beweismaterial. Aber da war der Markt wie immer schneller als die regulierenden Entscheidungsträger. Wie leicht man mittlerweile Bilder faken kann, ist absurd. Man könnte gegen irgendjemanden die ärgste Schmutzkampagne führen. 
Dass ein mit KI erstellter Song auf tiktok viral gehen kann, wurde schon bewiesen. Aber KI wird in Zukunft trotzdem ganz viele Sachen nicht können. Da bin ich mir sicher. Zum Beispiel Livekonzerte. Das ist ja mitunter der wichtigste Aspekt in der Branche. 

Würdet ihr eure Musik unentgeltlich zum KI-Training zur Verfügung stellen, ohne dass ihr euch um euer Urheberrecht betrogen fühlt?

Bon Jour: Ja und Nein. Kommt natürlich auf den Kontext an und von wem das gemacht wird. Welches Ziel hat die KI? Es wird sicher bald Organisationen geben, denen ich es zur Verfügung stellen würde, wenn ich weiß, was sie damit machen. Sollte das Ziel sein, superkapitalistische Organisation zu unterstützen, ein klares Nein. 
Einen Zusammenschluss von unabhängigen Musikern, die als NPO ein Skizzentool entwickeln möchten, fände ich sehr spannend. Quasi ein Tool, das denjenigen etwas bringt, die in der Branche arbeiten. Man speist Songs ein, um Rhythmusinspirationen oder Sounds zu bekommen. Das wäre sicher spannend. Aber sämtliche Songs an ein Unternehmen zu verschenken, um dann automatisch neue Songs zu bekommen, finde ich schon seltsam. Grundsätzlich sind wir dieser Technologie als Hilfe für neue Sachen ganz und gar nicht abgeneigt. 

Habt ihr abseits der Albumproduktion schon experimentiert? KI, die mit dem ressourcenfreundlichen Midi-Format als Tool für Arrangements fungiert, scheint es schon zu geben. Da ist Spotify auch ein treibender Initiator.

Bon Jour: Nein, gar nicht. Unser Studio ist im Moment wie ein Safespace. Die Motivation gemeinsam Songs zu schreiben, ist gerade noch so groß, dass es uns gar nicht in den Sinn kommen würde, KI reinzubringen. Vielleicht irgendwann mal, wenn wir neue Inspiration suchen. 

„Es braucht ja auch Kreativität um die KI zu lenken.“

Welchen Part beim Songschreiben würdet ihr am liebsten abgeben? Am ehesten möglich ist das derzeit vermutlich beim Schreiben von Songtexten.

Bon Jour: Tatsächlich gleich am Anfang. Nachdem die erste Idee fixiert ist, würde ich der KI einen ersten Entwurf kreieren lassen. Wie ein Preset, von dem aus man sich weiterentwickelt und seine eigenen Ideen einfließen lässt. Vor allem, wenn man schon weiß, über was man singen möchte. Es braucht ja auch Kreativität, um die KI zu lenken. Wer Langweiliges eingibt, bekommt auch langweilige Ergebnisse. Man wird also eher zum Kreativdirektor. Man muss die Vision also nicht mehr selber umsetzen. 
Es gibt jetzt schon soviel schlechte Bilder, die mit KI entstand. Die guten Ergebnisse, wurden von Leuten erstellt, die sich schon sehr viel mit der Eingabe beschäftigt haben. Bisher ist ein verbreiteter Irrglaube, dass immer ein Kunstwerk rauskommt, wenn man der KI sagt: „Erstelle mir ein Kunstwerk.” 

Welchen Promt müsste man eingeben, um einen Bon Jour Track von einer KI zu bekommen?

Bon Jour: Natürlich muss ich jetzt besonders gute Sachen sagen. Nicht, dass ich mich damit vergleich. (lacht)

Erstelle mir einen Motown inspirierten Groove…

…Groove wird sicher 3x vorkommen…

mit einem sehr verspielten groovigen Lead Bass, der eine leicht psychodelische Note der Band Tame Impala besitzt. Komponiert mit der Eingängigkeit von Hosier. 

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Macht ihr alles selber?

Bon Jour: Ja, derzeit schon. Wir müssen jetzt erstmal unsere Motivation ausnützen und unsere Hausaufgaben machen. Das kann einem eh kein Label abnehmen. Ein großes Label würde uns am Anfang eh nicht wirklich was nutzen. 

Vielen Dank für das Gespräch

Dominik Beyer

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Bon Jour Live:
18.06.2023 LIDO SOUNDS, LINZ DONAUUFER, AUSTRIA
05.08.2023 SZENE OPEN AIR, LUSTENAU, AUSTRIA
07.09.2023 WAVES VIENNA, WIEN, AUSTRIA
14.10.2023 ROCKHOUSE BIRTHDAY PARTY, SALZBURG, AUSTRIA

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