BMKÖS/Mayer: Gerd Kühr mit Großem Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet

Wien (OTS) – Der Komponist und Dirigent Gerd Kühr erhielt am Montag, den 29. Jänner 2024, den Großen Österreichischen Staatspreis 2023.

Dieser Preis wird auf Vorschlag des Österreichischen Kunstsenats von der Republik Österreich vergeben und geht jedes Jahr an eine Künstlerpersönlichkeit aus den Bereichen Architektur, Bildende Kunst, Literatur oder Musik in nicht festgelegter Rotation. Die höchste Kultur-Auszeichnung der Republik ist mit 30.000 Euro dotiert. In der Sparte Musik wurde der Preis zuletzt 2019 dem Komponisten und Pianisten Thomas Larcher zuerkannt.

„Die Gesellschaft – die Welt – braucht Kommentare aus der Kunst, diese Perspektiven, die über alltägliches politmediale Getöse hinausgehen, dieses Entdecken und Bearbeiten des außerhalb der Musik liegenden Gewebes von Geschichten. Es wäre selbstverständlich weit gefehlt, Gerd Kührs Werk auf Kommentare zum Zeitgeschehen zu beschränken. Vielmehr ist sein Werk selbst als Teil der musikalischen Zeitgeschichte zu begreifen“, so Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer anlässlich der Überreichung des Großen Österreichischen Staatspreises. „Wir feiern heute einen großen Künstler, einen Beschreiter neuer Pfade, einen Meister seines Fachs, der über die Grenzen seines Metiers hinausdenkt, und damit einen würdigen Träger der höchsten künstlerischen Auszeichnung, die die Republik Österreich zu vergeben hat.“

„Gerd Kührs Werke offenbaren stets eine Persönlichkeit, die in ihrer großen Sensibilität und Offenheit eine Bindung an Tradition zum Ausdruck bringt, ohne je traditionalistisch zu werden, ist sein Blick doch auch immer auf neues Terrain, wenig begangene Pfade gerichtet. (…) Seine Werke sind auch Ausdruck einer großen Unabhängigkeit und Freiheit“, zitierte Josef Winkler, Präsident des Österreichischen Kunstsenats, aus der Jurybegründung.

„Zuallererst ist Kühr Musikdramatiker, dann ein Orchesterkomponist (…). Kührs Musiktheater war niemals ein schöngeistiger Zeitvertreib, sondern beleuchtet die jüngste Vergangenheit, um unsere Gesellschaft und ihre Veränderungen besser zu verstehen“, so Laudator Werner Grünzweig, Leiter Musikarchiv Akademie der Künste in Berlin. „Darüber hinaus nimmt Kühr immer auch künstlerische Strömungen aus allen Bereichen wahr, die ihm zugänglich sind, Kunstausstellungen, Filme, populäres Musiktheater, Literatur.“

„Eine Seite meiner Ausdruckswelt wird bestimmt von sparsamer Materialwahl, Kargheit, Reduktion, Innenschau. Die andere Seite stellt das Gegenteil dar, sie kann laut und polternd sein, schrill, übermütig, schroff, vor allem aber kontrastreich, sprunghaft. Beiden Ausdruckswelten gilt mein Bemühen um eine differenzierte Ausarbeitung der Klänge, der musikalischen Prozesse, der Formen, auch der Klang’zustände‘ sowie der elementaren Parameter. Differenzierung ist überhaupt, so würde ich meinen, ein, wenn nicht der Hauptbegriff, der meine musikalische Poetik bestimmt“, so Gerd Kühr in seiner Dankesrede. „Wenn sich Kunst, unabhängig von ihren ästhetischen Ansprüchen und Möglichkeiten, nicht als unmittelbarer Ausdruck der Gesellschaft, im weitesten Sinne politisch versteht – und diesen Anspruch haben zuallererst die Schaffenden selbst zu stellen –, wird sie dekorativ, ersetzbar, letztendlich bedeutungslos: Sie verliert ihren Sinn“.

Musiker:innen des Klangforum Wien – Annette Bik und Judith Fliedl (Violine), Anna Lindenbaum (Viola), Benedikt Leitner und Andreas Lindenbaum (Violoncello), Bernhard Zachhuber (Klarinette), Milica Zakić (Klavier) – interpretierten folgende Werke des Komponisten Gerd Kühr im Rahmen der Preisverleihung: „Come una Pastorale“ für Klarinette, Violine und Violoncello (2008/09), „Portraits. Acht musikalische Gesten für Violoncello und Klavier“ (1993), „Nachklang“ zu den „Portraits“ für Violoncello und Klavier (2022) und Con Sordino für zwei Violinen, Viola und Violoncello (1995/96).

Zu Gerd Kühr

Gerd Kühr gelang der internationale Durchbruch 1988 mit der Uraufführung der Oper „Stallerhof“, nach einem Libretto von Franz Xaver Kroetz, bei der ersten Münchener Biennale. Weitere Inszenierungen fanden in Deutschland, Österreich und der Schweiz statt.

Bei den Salzburger Festspielen 2000 wurde Kühr mit zwei Porträtkonzerte in der Reihe „Next Generation“ gewürdigt. Er war 2001/2002 „composer in residence“ beim Wiener Concert-Verein (Kammerorchester der Wiener Symphoniker), 2003 gab es eine Personale beim Festival styriarte und 2005 das Gerd Kühr-Projekt im Rahmen des steirischen herbst (Eröffnungskonzert im Programmteil „musikprotokoll“/). 2022 Porträtkonzert beim „musikprotokoll“.

Als Dirigent und Komponist hatte Kühr zahlreiche Auftritte bei Konzerten und Opernauf-führungen u.a. in Österreich, Italien, Deutschland, England, Russland und Guatemala sowie Rundfunkproduktionen u.a. in Wien, Köln, München, Berlin, Frankfurt, Kopenhagen, London, Paris, Rom, Moskau und Hongkong.

Auszeichnungen u.a.: Österreichischer Kunstpreis für Musik (2012), Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis des Landes Steiermark (2014), Großes Goldenes Ehrenzeichens des Landes Kärnten (2022).

Werke (Auszug):

Opern: „Tod und Teufel“ (1997/99), Libretto: Peter Turrini, Auftragswerk der Vereinigten Bühnen Graz/Steiermark anlässlich der 100-Jahr-Feier des Opernhauses in Koproduktion mit dem Festival steirischer herbst); „Agleia Federweiß“ (2000/01), Libretto: Petra Ernst, Auftragswerk des Jugendmusikfests Deutschlandsberg; „Paradiese“ (2021), Libretto: Hans-Ulrich Treichel, Auftragswerk der Oper Leipzig.

Auftragswerke für Orchester, Ensembles, Kammermusik und Chor, u.a. aufgeführt bei Wien Modern, Almeida Festival, Huddersfield Festival, steirischer herbst, bei musica viva, Schleswig-Holstein Musik Festival und Bregenzer Festspielen.

Orchesterwerke: u.a. „Lamento e Conforto“ (1983), Elegie für großes Orchester (Auftragswerk des ORF), Eso Es (1989), Orchesterstück (Auftragswerk des ORF), „Concertare“ (1990/91) für einen Klarinettisten und Orchester (Auftragswerk des ORF für die Salzburger Festspiele 1991), „Mundo Perdido“ (1992) für Kammerorchester (Auftragswerk der Erste Bank der österreichischen Sparkassen für das Festival Wien modern 1992), „Movimenti“ (2004/06) für Violine und Orchester (Auftragswerk des Wiener Mozartjahres 2006), „Linie Punkt Fläche Raum“ (2004/07) für Orchester (Auftragswerk des ORF), „Música Pura“ (2010/11), Fünf Sätze für Ensemble (Auftragswerk der Sammlung Essl für das SCHÖMER-HAUS Klosterneuburg).

Werke für Vokalsolisten, Chor und Orchester: u.a. „Palimpsest“ (1989/90), Musik für Mezzosopran, Bariton, Chor und Orchester auf Gedichte von Erika Burkart und Georg Trakl (Auftragswerk der Stadt Zürich); „Introductio – Meditatio – Magnificat – Epilogus“ (2007/08) für hohen Sopran, Bariton, Chor und Orchester, Texte aus dem Evangelium nach Lukas, von Rainer Maria Rilke und Georg Christoph Lichtenberg (Ein Kompositionsauftrag des Bayerischen Rundfunks); „Jetzt wohin?“ (2011/12), Spurensuche für Sprecher, Chor und Orchester auf Texte von Johann Wolfgang von Goethe, Heinrich Heine und Georg Christoph Lichtenberg (Auftragswerk der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien); „Ordinarium Missae“ (2011/2013) für Vokalsolistenquartett, Chor und Orchester (Ein Kompositionsauftrag des Bayerischen Rundfunks).

Filmmusik: Zusammen mit Hans Werner Henze, David Graham und Marcel Wengler, Musik zur Proust-Verfilmung „Eine Liebe von Swann“ von Volker Schlöndorff (1983).

Im April 2020 sollte Gerd Kühr in Graz im Rahmen der styriarte Ligetis Violinkonzert dirigieren. Aufgrund der Corona-Krise konnte diese Veranstaltung nicht stattfinden und Kühr schrieb ein besonderes Stück für diese spezielle Zeit: „Corona-Meditation“. Ein Stück für beliebig viele Klaviere und für Pianistinnen und Pianisten der verschiedensten künstlerischen Niveaus, aufzuführen in jenem Raum, der der Kunst in diesem Moment offenstand, im Internet. Die Aufführung fand am 30. April 2020 statt und kann online nachgehört werden: https://www.youtube.com/watch?v=XQ7e2twUl1g