Aus Mexiko nach Innsbruck – ARTURO FUENTES im mica-Porträt

Was wäre Österreichs Musikleben ohne seine „Fremden“! Interessant ist der anhaltend starke Zustrom an ausländischen Studierenden, Absolventen und aus anderen Gründen nach Österreich kommenden Komponisten, die unverzichtbar zu unserem Musikleben gehören. Zu ihnen zählt der Mexikaner Arturo Fuentes, der seit 2004 in Tirol seinen Lebens- und Schaffensmittelpunkt fand.

Geboren 1975 in Mexico City, erhielt er seine Ausbildung zunächst in seiner Heimatstadt bei Antonieta Lozano und Juan Trigos, der ihn anregte, den Sprung über den Atlantik vorzunehmen, sodass ihn sein Weg 1997 nach Europa führte. Er studierte in Mailand bei Franco Donatoni, absolvierte ein Kompositionsdoktorat in Paris bei Horacio Vaggione und nahm in dieser Zeit auch wesentliche Einflüsse am IRCAM bei Tristan Murail und Brian Ferneyhough auf. Mit eigenen Projekten an diesem Institut, am Freiburger Experimentalstudio, am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und am ISCT Zürich markierte er deutlich einen elektroakustischen Schwerpunkt seines Schaffens, wiewohl darin auch Instrumentalmusik einen nicht minder wichtigen Stellenwert einnimmt. Neben dem Computer selbst sind es die Zusammenhänge zwischen dem Kompositionsprozess und philosophischen Ansätzen, die Fuentes von Beginn an prägten.

„Gegenwärtig muss ein Komponist eine gewisse Art von Leichtigkeit besitzen”

Dass er sich letztlich in Innsbruck niederließ, mag weniger primär musikalische Gründe gehabt haben, sondern resultierte simpel aus der Tatsache, dass er in Paris seine spätere Ehefrau, die Tiroler Festivalleiterin Hannah Crepaz kennenlernte. Mexiko und Österreich stellen freilich nur die Eckpunkte seines Lebens dar, wobei er aber auch intensiv seine bisherigen und neue Wirkungsstätten bereist. Fuentes in einem 2007 geführten Gespräch mit Judith Unterpertinger: „Gegenwärtig muss ein Komponist eine gewisse Art von Leichtigkeit besitzen, mit einem bestimmten Dynamismus, einer Gewandtheit und Präzision, die ihm erlauben, andere Möglichkeiten, die sich außerhalb des Ortes in dem er lebt, befinden, zu sehen. Zum Teil, denke ich, erlaubt uns die technologische Entwicklung diese unglaubliche Mobilität, die viele positive Auswirkungen des Austausches mit anderen Formen des kompositionellen Denkens mit sich bringt. Die Grenzen wurden durch die Informatik ausgelöscht, nicht nur die physischen Grenzen, sondern auch jene, auf die man bei der Herstellung eines Klanges stößt: Heute können wir verschiedene Ebenen der Darstellung des Klanges im Computer vermischen. Aus seiner Mikrostruktur aufgebaut, enthält der Klang eine vielfältige Einheit.“ (in: Verdrängter Humanismus – Verzögerte Aufklärung. Band VI. Philosophie in Österreich 1951–2000, facultas.wuv, Wien 2010)

Auch wenn Österreich keine international führende Rolle im Bereich der elektroakustischen bzw. Computermusik einnimmt, so findet Fuentes hier eine umso geeignetere Schnittstelle seiner musikalischen Interessen. Durchaus ambitioniert und entgegen der hiesigen Mentalität sympathisch animiert sind seine Ansätze im oben erwähnten Interview: „In Österreich treffe ich auf alle diese Qualitäten: Generierung und Interaktion sowie die Projektion neuer künstlerischer Formen. Österreich sollte sich meiner Meinung nach als Laboratorium für Experimente sehen, das sich nach und nach in den folgenden Jahren nach außen auf andere Länder Europas ausbreiten sollte. Weiters sollte man, was die internen Aspekte betrifft, die Institutionen und auch Universitäten dynamisieren, damit mehr Diversität entsteht und sich dadurch immer mehr Projekte mit immer mehr Stärke entwickeln.“

“Ein von konstanter Erregung erfüllter Klangraum”

Naturgemäß spielen in Fuentesʼ Instrumentalmusik Begriffe eine Rolle, die ebenso in der Arbeit am Computer präsent sind. Wichtig ist ihm eine sehr detaillierte, aber in jedem Fall klare und für den Interpreten unmissverständliche Schreibweise. Sowohl in der Elektronik als auch im Instrumentalen ist für ihn die „Morphologie des Klanges“ auf mikrostruktureller Ebene der ihn zentral herausfordernde Punkt. Die Verknüpfung dichter Vielschichtigkeit mit einer gewissen „Leichtigkeit“ als Anspruch an seine Musik belegt Fuentes mit auf die Literatur bezogenen Vorschlägen Italo Calvinos: Leichtigkeit, Schnelligkeit, Sichtbarkeit und Vielschichtigkeit, die das Gegengewicht zur Technik und dem künstlerischen Aspekt bilden sollen. Seine Musik sieht er als „ein akribisch arrangiertes, kaleidoskopisches Chaos, das die Grenzen von Dynamik, Klangfarbe, Textur und Virtuosität auslotet. Diese Musik offenbart ein sich ständig veränderndes skulpturales Muster; man nimmt einen von konstanter Erregung erfüllten Klangraum wahr, die  Suche nach einer ätherischen Tonalität.“ – Zentral ist, „dass ein Werk eine dramaturgische Logik besitzt; eine veritable Richtlinie, die den Hörer bei der Entdeckung einer Klangwelt leitet. Textur, Farbe und Labyrinth sind abstrakte, formgebende Elemente, die dem Zuhörer das Erfassen der Musik ermöglichen.“

Äußere Anerkennungen für Fuentesʼ Schaffen waren bislang der erste Preis des elektroakustischen Kompositionswettbewerbs Música Viva (Portugal), der Suvini Zerboni-Preis und der Preis des Festivals Lagonegro. Nominiert war er zudem für den Staubach Preis des Internationalen Musikinstituts Darmstadt (Deutschland), den European Competition for Live Electronic Music Projects (Gaudeamus, Niederlande) und den Prix Ars Electronica Linz. Für 2012 wurde ihm das Österreichische Staatsstipendium für Komposition zuerkannt. Im selben Jahr berief ihn das heimische Ensemble PHACE zum Composer in Residence. Einen wesentlichen Aspekt seiner Arbeit bilden neue Formen von Musiktheaterprojekten, die Tanz, Video und Elektronik miteinander verbinden, darunter „Line of oblivion“ (2010), eine von der belgischen Company Joji inc. produzierte Arbeit, oder Grace Note (Wien Modern/Tanzquartier 2012), ein gemeinsames Projekt mit Chris Haring’s Liquid Loft Company.

Intergration gelungen

Ein Blick in Arturo Fuentes’ Veranstaltungskalender zeigt seine vielfältigen Aktivitäten in zahlreichen Ländern. Neben Porträtkonzerten in Deutschland, Österreich und Frankreich stehen da auch CD-Aufnahmen für das Label NEOS und eine DVD der Tanzcompany Liquid Loft auf dem Programm. Zu seinen “Gedächtniskristallen” für Countertenor und Kammerorchester schreibt Fuentes: „Seit meiner Kindheit lese ich [Jorge Luis] Borges. Gedächtniskristalle ist das erste Stück, in dem ich einen seiner Texte verwende. Erinnerung, Vergessen, Labyrinthe, Ewigkeit, Zeit und Raum sind Themen von Borges. Einige dieser Konzepte habe ich unbewusst in einem gewissen Sinn in meine Musik integriert. Als ich die deutsche Übersetzung von Everness las, kam mir das Wort Gedächtniskristall unter, und ich fand, dass es einen besonderen Nachklang hatte: Die Erinnerung ist so zerbrechlich, dass sie wie Glas bricht und hallt. Ich fand einen Zusammenhang zwischen dem Abstrakten eines Konzeptes und einem Klang. Die Musik dieser Komposition ist auch einem Labyrinth gleich und zerbrechlich wie Glas, es zerbricht in tausend Stücke, wie unsere Erinnerung.“

Christian Heindl

Termine:
11. Februar 2015: Bordeaux, Auditorium
13. Februar 2015: Paris, Théâtre des Champs-Elysées

Fotos © Arturo Fuentes

http://www.arturofuentes.com
http://www.ensembleinter.com/fr/