Arcana Festival für Neue Musik in St. Gallen und Admont (Gesäuse), 28. Juli bis 8. August 2010

„Warum das Gesäuse? Die Reflexionen des Rauschens sind schon den Außenseitern des 19. Jahrhunderts aufgefallen, die hier ihre Zuflucht gefunden haben. Exemplarisch der Schwarze Peter“, das war ein Wilderer, schildert Festivalleiter Peter Oswald auf der Website. Auch der Name des Festivals ist Programm: „Arcana“ ist eines der beiden Orchesterstücke von Edgar Varèse, „der in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit seinen auch heute noch bestürzenden Innovationen dem pragmatischen neoklassizistischen und später faschistischen Ungeist kraftvolle künstlerische Positionen entgegen gesetzt hatte.“ Hier ein Überblick auf das Programm.

Zwischen den pittoresken Veranstaltungsorten – Weng, St. Gallen, Altenmarkt, Burg Gallenstein, Bibliothek Stift Admont – gibt es einen Shuttledienst, auch von und zu den Unterkünften. Auf das Haindlkar im Nationalpark (Zustieg vom Haindlkarparkplatz an der Gesäuse-Bundesstraße, Dauer ca. eineinhalb Stunden) zum „Schwarzen Peter“ muss man aber zu Fuß gehen, festes Schuhwerk dringend empfohlen! Das mica wird dabei sein und berichten, das ganze Festival hindurch.

Das Festival beginnt am 28. Juli und die geladenen bzw. auftretenden Komponisten sind (aphabetisch gereiht): Peter Ablinger  (A), Eun-Hwa Cho (ROK), Beat Furrer (CH), Bernhard Gander (A), Michael Jarrell (CH), Francicso Lopez (ESP), Elena Mendoza (ESP), Ernesto Molinari (CH), Hèctor Parra (ESP), Emilio Pomàrico (RA), Gerhard Winkler (A), Wolfgang Rihm (D), Lucia Ronchetti (I), Johannes Maria Staud (A), Hans Zender (D). Alle Genannten nehmen an einem eigenen Symposion Neue Musik und Naturwissenschaften teil (1.8 – 8.8.), dessen Themen noch bekanntgegeben werden. Die weiteren Teilnehmenden kommen aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen: Neurowissenschaften, Philosophie & Kunsttheorie, Typosophie, theoretische Physik, Kunstwissenschaft und Architektur. Moderatoren: Stefan Koelsch, Rubina Möhring.

Jetzt aber zu den Veranstaltungen. Am Mittwoch, 28. Juli geht es los mit einer „Winterreise“ mitten im Sommer, als Wanderführer fungiert Emilio Pomárico, es wandert das Klangforum Wien, der Tenor Daniel Kirch singt fremde Lieder, die irrlichternde Wegbeschreibung hat der Vor- und Nachspiele erfindende deutsche Hans, der greise Kopf, Zender, übernommen, der Franz Schubert posthum ausgeraubt hat. Seine komponierte Interpretation versicherte er, sei eine „individuell interpretierende Lesart“. Nicht im Wirtshaus – das Haus ist längst besetzt – sondern in der Fabrikshalle Palfinger Systems, Weng soll das Ganze vor sich gehen. Ob man da von bunten Blumen, linden Bäumen, von (Sc)herzen und von Küssen und von lustigem Vogelgeschrei träumen wird können, krähen schon die St. Gallener Hähne von nächstgelegenen Adlerhorst – hoffentlich wird Zender nicht zetern und wir vor ihm zittern, aber er ist manchmal auch ein lustiger Geselle und jetzt geben wir endlich Ruh’.

Oder wir gehen tags darauf ins Naturparkzentrum St. Gallen, setzen einen Kopfhörer auf, laufen damit drinnen oder draußen herum, um die Klänge zu hören, die gerade jetzt sich ereignen. Präpariert hat diesen Peter Ablinger angeblich schon 1999. „Fühlbare Musik“ in einem Ton (!) von Scelsi, dann einen passenden Ländler von Wolfgang Rihm spielt am selben Tag das Wrocławska Orkiestra Kameralna Leopoldinum unter Ernst Kovacic, und Robyn Schulkowsky  trommelt rhythmisch ein Gedicht der griechischen Lesbe Sappho (630 bis 612 v. Chr.), eingerichtet von Iannis Xenakis. Damit sie besser trommeln kann, gehen wir in die Turnhalle St. Gallen. Beat Furrer und Peter Oswald reden vorher gescheit darüber – in einem Ton? Im Anschluss an dieses Turnhallenkonzert kann man in die Kirche gehen, mit Johannes Maria Staud nach Portugal oder mit Claude Vivier nach Japan reisen und  Streichelstücken von Michael Jarrell, Beat Furrer und Wolfgang Rihm lauschen, Ernst Kovacic spielt auch Geige solo.

In der Versandhalle Fischer in Altenmarkt trommelt am Freitag noch einmal Robyn als Gast, weiters Björn Wilker, Adam Weisman Martin Homann, sie verstärken das Schlagquartett Köln. Und wohin das führt? – Zu einem kreativen Projekt der  MitarbeiterInnen der Firma Georg Fischer in Altenmarkt, dem größten Arbeitgeber der Region. Anhand von Iannis Xenakis Pléïades begeben diese sich über einen Zeitraum von zwei Wochen auf die Entdeckung und die Erforschung neuer Klänge und Ausdrucksmöglichkeiten. „Spielarten auf Instrumenten werden erprobt, Materialien des Arbeitsalltags werden aus ihren approbierten Zwecken herausgelöst, untersucht und in einen neuen Kontext gestellt. Wie klingen diese Magnesiumteile, welche täglich gegossen und für die Automobilindustrie in der Firma weiterverarbeitet werden? Themen des Alltags, des Arbeitsprozesses wie Tempo, Zeit, Bewegung und Statik …“  (haben die Kurzarbeit?). Die Aufführung ist am Sonntag.

Und wohin das wieder führt? – Dass auch Ernst Kovacic eine Performance mit der Violine durchführt. Am Samstag, 31. Juli in der Stiftsbibliothek Admont. „Kovacics Musikperformance fußt nicht auf einer im Vorhinein bis ins Detail festgelegten Dramaturgie, sondern baut vielmehr auf offenen Versuchsanordnungen auf. Auf das Suchen und Forschen (experire) kommt es an!“. In der Kirche St. Gallen später am Abend dann ein Konzert mit den Neuen Vocalsolisten und Madrigalen (Lucia Ronchetti – Pinocchio, una storia parallela, 2005 sowie Salvatore Sciarrino – 12 madrigali, 2008). Ebenda am Montag, den 2. August dann Marino Formenti. Er gibt sich mit Action Music von Scelsi und mit 12 zellularen Automaten Bernhard Langs in Differenz/Wiederholung ab  – hoffentlich ist das Licht gut, die Notenblätter werden schwärzer und schwärzer mit Notenköpfen (geforderte Grundgeschwindigkeit: 168 Viertelkilometer (pro Stunde oder pro Minute?). Marino Formenti spielt in weiteren  Konzerten am selben Abend (bzw. Morgen) Morton Feldmans letztes Werk „Palais de mari“ als Notturno um 23:00 Uhr, sowie am halb fünf Uhr früh Feldmans For Bunita Marcus (1985).

Der Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner singt dazwischen ein nicht enden wollendes Verzeichnis von Personen, die in Würzburg in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wegen Hexerei hingerichtet wurde, auf dieses Verzeichnis stieß Friedrich Cerha 1969 im Almanach „Protokolle 69“. Weiters auf dem Programm des Schönberg Chores in der Kirche St. Gallen: György Ligetis großartiges „Lux aeterna“ (1966), Morton Feldmans „Rothko Chapel“ und abermals Scelsci.

Auf der Burg St. Gallen am Dienstag ab 17 Uhr: Peter Ablinger Weiss/Weisslich 18, 11 und 24 (als Lecture-Konzert), ein Solo pour trois für Uwe Dierksen, Posaune
Ernesto Molinari, Klarinette und Marcus Weiss, Saxophon, dann wird wieder in die Kirche St. Gallen übersiedelt. Nicolas Hodges, Klavier spielt György Ligetis Etudes pour piano, 1985-2001, das ensemble recherche dann Kompositionen von Eun-Hwa Cho (Jouissance de la différence, 2010, Uraufführung), Hèctor Parra – Abîme-Antigone IV, 2002 und Gérard Grisey – Talea, 1986, noch ein Konzert mit denselben Interpreten auch am Mittwoch (Sciarrino, Parra, Pomárico, Murail).

„Schwarzer Peter“ heißt das Konzert am Mittwoch, 4. August 2010, 11:00 Uhr
Haindlkar, Gesäuse (je nach Wetterlage möglicherweise am Montag den 2. August oder am Dienstag den 3. August), Mit Posaune, Klarinette und Saxophon gibt es dort Blasmusik teilweise mit Chor: Hanspeter Kyburz – Clôture, 2009, Johannes Maria Staud – Neues Werk, 2010, Uraufführung, Bernhard Gander – aufstiegabstieg, 2010, Uraufführung. Ein Menu surprise serviert Ernesto Molinari am Donnerstag auf der Burg, am Freitag unternimmt er eine Jam Session plus Schlagzeug und Posaune. Das KNM Berlin unter Beat Furrer spielt am Freitag Olga Neuwirth, Beat Furrer, Galina Ustwolskaja, Mark Andre und abermals Beat Furrer.

Abschlusswochenende Das Zebra Trio – Ernst Kovacic, Violine / Steven Dann, Viola / Anssi Karttunen, Cello mit einer UA von Miroslav Srnka – Tree of Heaven, 2009-2010, Iannis Xenakis – Ikhoor, 1978 sodann Friedrich Cerha – 9 Bagatellen, 2008
und Arnold Schönbergs Streichtrio op.45, 1946. Als Finale Furioso dann ein Abschlussfest auf allen Ebenen am Sonntag, 8. August 2010, 19:00 Uhr
Burg Gallenstein: Werke von Edgar Varèse, Heinz Holliger, Klaus Huber, Friedrich Cerha, Johannes Maria Staud, Helmut Lachenmann, Robyn Schulkowsky und anderen sowie Improvisationen in verschiedenen Konstellationen. Mit Dieter Flury, Ernesto Molinari, Uwe Dierksen, Robyn Schulkowsky, Ernst Kovacic.
Heinz Rögl

Programmübersicht

Mittwoch, 28. Juli 2010
Winterreise 20:30

Donnerstag, 29. Juli 2010
Kopfhörer 11:00
Zipangu 18:00
Assonances 20:00

Freitag, 30. Juli 2010
Pulsare 19:30

Samstag, 31. Juli 2010
Performance
Ernst Kovacic 18:00
Madrigale 20:30

Sonntag, 1. August 2010
Von Sternen, Nebeln und
Galaxien
19:30

Montag, 2. August 2010
Action Music 19:00
Rothko Chapel 21:00
Notturno 23:00

Dienstag, 3. August 2010
Abrumado 04:30
Lecture Concert 11:00
Solo pour trois 18:30
Abîme – Abgrund 20:30

Mittwoch, 4. August 2010
Schwarzer Peter 11:00
Canti Notturni 20:00
La Selva / Trilogy of the Americas 23:00

Donnerstag, 5. August 2010
Dal niente al dente 20:00

Freitag, 6. August 2010
Spuren 20:00
Jam Session 22:30

Samstag, 7. August 2010
Clouds 20:00

Sonntag, 8. August 2010
Finale Furioso 19:00

Informationen zu den KomponistInnen finden sie in der mica-Musikdatenbank

http://www.arcanafestival.at/home.php?il=32&l=deu