„Am Anfang habe ich mich eigentlich immer zu ernst genommen, jetzt habe ich mehr Spaß und experimentiere viel“ – BAIBA im mica-Interview

BAIBA DEKENA ist ursprünglich aus Lettland, lebt aber mittlerweile schon seit 7 Jahren in Innsbruck – der Tiroler Dialekt ist unüberhörbar. Im Mai 2021 veröffentlichte BAIBA ihr zweites Album mit dem Titel „Lighter“ (Super Plus Records). Die Musikerin vereint tiefgehende Texte mit tanzbaren Beats und schafft so ein spannendes Gesamtkonzept. Itta Francesca Ivellio-Vellin hat mit BAIBA gesprochen.

Dein Album heißt ja „Lighter“, wie einer der Songs darauf. Von keinem anderen Song von dir gibt es so viele Version, wie von „Lighter“. Auf dem Album gibt es alleine zwei, bei deinem Auftritt bei Sofar Vienna hast du eine ganz reduzierte Version am Klavier gespielt. Warum hat dieser Song so eine Bedeutung für dich?

Baiba: Es sind damals viele Sachen gleichzeitig passiert, und das hat irgendwie meine Musik, mich als Künstlerin und auch mich als Person verändert. Vom Text her thematisiert „Lighter“ so eine Art Durchbrechen. Ich bin in Lettland aufgewachsen, in einer ganz konservativen Umgebung, in einem ganz kleinen Dorf. Lange Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich gar keine Möglichkeiten im Leben habe. Niemals dachte ich, dass ich in Österreich leben, oder reisen, oder mit Musik Geld verdienen könnte. In Lettland kann eine Frau Sängerin sein, oder ein Teil einer Band, aber ich glaube nicht, dass ich dort alleine empowered sein und mein eigenes Ding machen könnte. Vor drei oder vier Jahren hat sich aber in mir etwas verändert. Ich war immer eher schüchtern und hatte das Gefühl, ich wäre nicht gut genug und, dass ich nicht selber produzieren und alleine auftreten kann, aber dann habe ich mich entschieden, dass ich darum kämpfen will und es probieren möchte. Ich wollte selber Musik produzieren, selber Lyrics schreiben und Melodien komponieren. Mittlerweile schneide ich teilweise auch selber Musikvideos. Ich habe einfach ein ganz neues Selbstbewusstsein. Und der Song „Lighter“ thematisiert das auch. Zum Beispiel die Stelle „I remember times they told me I should find someone to show me”. Und das hat mit dem Gesamtkonzept des Albums auch gut zusammengepasst, auch mit dem Coverbild.

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„Mit dem zweiten Album wollte ich – nicht nur aber auch – Spaß haben.“

Auf dem Cover bist ja du im Wasser zu sehen, mit einem rosa Rahmen.

Baiba: Ja, genau, ich sitze in diesem schwarzen Wasser und schaue eher depressiv aus, aber dann kommen eben diese rosaroten Wolken und schaffen damit eine neue Ebene. Ich bin zwar noch nicht ganz da angekommen, aber das ganze Album spiegelt diesen Prozess wider. Ich wollte aus den ganzen schweren Sachen in meinem Leben, die mir passiert sind, irgendwie spielerisch rauskommen. Das ist jetzt mein zweites Album, das erste war ganz anders, viel melancholischer, langsamer und trauriger. Mit dem zweiten Album wollte ich – nicht nur aber auch – Spaß haben. Ich wollte den Leuten auch zeigen, dass die gleichen Themen, die gleiche Sehnsucht auch anders ausgedrückt werden kann.

In dem Video, das bei deinem Auftritt von Sofar Vienna entstanden ist, kündigst du den Song „Lighter“ an mit den Worten „The next song is called ‚Lighter‘ and it’s for those who always think they know what we want”.

Baiba: Ja, das Album ist natürlich meine ganz persönliche Geschichte, aber für mich ist es auch so ein bisschen „good girl gona bad“. Hörerinnen und Hörer werden das vermutlich nicht so raushören, weil es ja doch ein Pop-Album ist. Aber mir wurde 20 Jahre lang immer wieder gesagt, wie ich sein soll, wie ein Mädel zu sein hat und es steht mir echt bis zum Hals. Das ist auch etwas, was ich mit „Lighter“ ausdrücke: Wir wissen selber, was wir wollen und wir können alles sein. Wir können Hausfrauen sein und wir können Musikproduzentinnen sein – alles ist erlaubt, was sich für dich selbst gut anfühlt.

Wann bist du nach Österreich gezogen?

Baiba: Vor 7 Jahren, 2014.

Und warum genau nach Österreich?

Bild Baiba
Baiba (c) Lightsüchtig

Baiba: Das war eigentlich Zufall. Ich hatte mein Studium in Lettland abgeschlossen, Kulturmanagement, und dann habe ich eine Stelle im Ausland über das European Solidarity Corps gesucht und die Bäckerei in Innsbruck gefunden. Eigentlich war nur ein Jahr geplant, aber ich bin nach dem Jahr einfach nicht zurückgegangen. Der Job in der Bäckerei war halt auch so toll, das Kulturprogramm und die Konzerte, die ich organisiert habe – und immer noch organisiere – und die Stadtfestivals. Dann habe ich auch meinen Produzenten, Christoph Holzknecht, und Benjamin Leingartner von Super Plus Records getroffen und ich war ganz begeistert von der Art, wie die Leute zusammenarbeiten. Lettland ist ziemlich klein und es herrscht ein ziemlicher Konkurrenzkampf. In Innsbruck habe ich das ganz anders kennengelernt, da sagt man eher „Cool, du machst was, ich mach auch was, lass uns doch zusammen was machen!“. Das war ich nicht gewöhnt!

Also no regrets?

Baiba: Absolutely no regrets. Ohne Innsbruck wäre ich vermutlich irgendwo in Lettland in einem Volksmusikclub gelandet.

Kannst du kurz erklären, was die Bäckerei in Innsbruck macht und was du dort genau arbeitest?

Baiba: Die Bäckerei ist ein Kulturzentrum, das tatsächlich ziemlich groß ist. Wir haben eine Art Open House, wir haben auch ein Co-Working Space, Kunstateliers, etc. Alles auf nachhaltiger Basis und im do-it-yourself-Stil. Foodsharing, alles Mögliche. Und eben ein sehr vielfältiges Kulturprogramm. Vor Corona hatten wir ungefähr 300 Veranstaltungen pro Jahr, also fast jeden Tag etwas. Es gibt regelmäßige Formate wie Lindy-Hop oder die Radlwerkstatt. Dazu kommen noch unsere Hausformate, die eigentlich alle von mir entwickelt sind. Das sind Open-Mic-Sessions wie Storytelling und Comedy Nights. Ich arbeite in der Bäckerei im Grunde als Kulturkuratorin und Project Managerin.

„Da bin ich auch nur dagesessen und habe mir gedacht ‚Ist das jetzt dein Ernst?!‘“

Ich habe auch gesehen, dass du selbst Workshops dort hältst? Zum Thema Musikproduktion?

Baiba: Ja genau, das haben wir vor ein paar Jahren erst angefangen. Benjamin Leingartner von Super Plus Records hat ein anderes Projekt, die Modular Music Academy, eine Ausbildungsschiene, und da haben wir entschieden, dass es cool wäre, auch Workshops anzubieten, und zwar nur für Frauen, beziehungsweise FLINTAs. Es gibt ja auch hier dasselbe Problem wie in Lettland, dass die Frauenquote in der Musik so niedrig ist, vor allem in technischen Berufen. Wir waren auch einmal am MENT Festival, und da war das das Thema einer Podiumsdiskussion. Aus dem Publikum kamen dann auch Kommentare, dass es eben so wenige weibliche Musikerinnen gibt und man deshalb auch keine buchen könnte. Da bin ich auch nur dagesessen und habe mir gedacht „Ist das jetzt dein Ernst?!“. Und selbst wenn es so wäre, dann bedeutet das ja auch nur, dass da ein riesiges Problem im Bildungssystem ist! Ich habe dann auf jeden Fall mit Lisa von Little Element gequatscht, und sie hatte die gleiche Idee zur gleichen Zeit und jetzt organisieren wir eben seit 2 Jahren diese Workshops. Da sitzen dann großartige junge Frauen, die teilweise super schüchtern sind und sich nicht trauen, aber dann ihre Sachen vorspielen und ich denke mir dann „Okay, ich kann jetzt eigentlich wieder nachhause gehen!“ [lacht]

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Ich persönlich finde dein neues Album sehr empowernd, ich höre es gerne beim Laufen als Motivation. Wie ist generell die Resonanz gewesen bisher?

Baiba: Wow, danke für das tolle Kompliment! Ja, früher war es auf den Konzerten oft so, dass die Leute geweint haben. Mittlerweile tanzen sie echt zu meiner Musik [lacht].

Kann ich mir vorstellen, dein neues Album ist ja auch viel poppiger als deine früheren Sachen.

Baiba: Ja genau, das war auch der Plan. Ich bin ein großer Fan von guter Pop-Musik und glaube auch, dass es nicht leicht ist, gute Pop-Musik zu machen. Jetzt, wo ich selber produzieren kann, ist es noch viel spannender, Pop-Musik zu hören, da erkenne ich dann die einzelnen Sounds besser. Da kann ich viel mehr analysieren und lernen, das ist ein spannender Prozess.

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Baiba (c) Lichtsüchtig

Wie gehst du dann selbst ans Musikmachen heran?

Baiba: Das hat sich jetzt auch stark geändert. Ich komme ja aus der klassischen Singer/Songwriter-Ecke und habe damals halt immer eine Melodie auf Gitarre oder Klavier geschrieben, dann kamen die Vocals, darüber kommen die Lyrics. Jetzt, mit dem Produzieren, habe ich gemerkt, dass mich das ein bisschen beschränkt, diese klassischen Strukturen von Verse-Chorus-Verse-Chorus. Ich höre selbst sehr viel russische Pop-Musik, die hat so ganz besondere Klänge.

Verstehst du Russisch?

Baiba: Ja, ich mag Russisch sehr gerne. Irgendwann war ich auch sehr in russische Literatur verliebt und so. Die Szene in Russland ist auch extrem spannend, war sie auch zu Sowjet-Zeiten. Die Synth-Sounds, die man in Westeuropa kennt, gab es ja auch in Russland, nur teilweise spannender. Es passiert oft, dass ich während des Laufens oder beim Radfahren irgendetwas höre und mir dann denke „Oh, was ist das jetzt? Das klingt so cool“, und lass mich dann davon inspirieren. Dann beginne ich oft mit einer Bassline. Im Fall von „Boy from Murcia“, da wollte ich einfach einen Synth-Sound benutzen, etwas, was bisschen mehr Disco ist. Darauf habe ich dann das Lied aufgebaut, die Struktur kommt dann danach. Manche Songs auf dem Album sind dann eben tatsächlich nur von mir produziert und manche mit Hilfe. Manchmal gehe ich dann mit einer fertigen Struktur zu Christoph Holzknecht oder Benjamin Leingartner, und wir machen den Song dann gemeinsam fertig.

Abseits von russischer Popmusik, woher schöpfst du noch Inspiration?

Baiba: Beyoncé mag ich sehr gerne, auch Dua Lipa, also so richtig kommerzielle Sachen. In mir steckt aber auch die komplett alternative Seele, die Fangirl von Nick Cave und Leonard Cohen ist. Die neuen Sachen von Ben Howard finde ich super, und generell alles, was in Richtung Dream Pop geht. Aber so eine Musik mache ich selbst nicht. Ich wüsste jetzt tatsächlich nicht, womit ich meine Musik vergleichen würde.

Ich musste ein bisschen an The Naked and the Famous denken. Kannst du damit etwas anfangen?

Baiba: Uuuh, damit kann ich viel anfangen! Das ist großartig! London Grammar und so finde ich auch toll. Ich möchte auch irgendwie einen Punk-Pop-Song machen, das gefällt mir auch sehr gut. Am Anfang habe ich mich eigentlich immer zu ernst genommen. Das hat sich jetzt auch geändert, und ich habe viel mehr Spaß und experimentiere viel. Es muss nicht immer perfekt sein. Der spielerische Teil ist mir jetzt wichtiger.

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Du hast vorher „Boy from Murcia“ erwähnt. Hast du einen Bezug zu Murcia?

Baiba: Ja, ich war dort auf Urlaub vor ein paar Jahren und habe mich dort ganz klassisch verliebt. Auf jeden Fall war mein Herz dann gebrochen, die Trennung war schlimm. Aber die Zeit dort, die ich mit meinen Freunden verbracht habe, war so schön und die ganze Erfahrung hat mir irgendwie gezeigt, dass nicht alle Romanzen andauern müssen, manchmal ist es einfach nur ein kurzer Austausch, und dann ist da auch nicht mehr. Darum geht es in „Boy from Murcia“.

Glaubst du, dass dein Boy from Murcia den Song hören wird?

Baiba: Er weiß auf jeden Fall, dass das Lied entstanden ist. Wir sind immer noch in Kontakt und befreundet.

Danke für das Gespräch!

Itta Francesca Ivellio-Vellin

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