Mit ALDERAAN aus Graz versucht sich die nächste Band an dem Beweis, dass Rockmusik keinen Gesang benötigt, um ansprechend und fesselnd sein zu können. Es ist lediglich so, dass die Einsicht in die Musik sich nicht durchs Reinhören im Vorbeispazieren erschließt, sondern mehrere Anläufe benötigt. Wer sich darauf einlässt, wird mitunter mit umso mehr Hörvergnügen belohnt. Vorausgesetzt, es gibt keine zu starken Aversionen gegen verzerrte Gitarren, die einen prominenten Platz in den Höhepunkten von ALDERAAN einnehmen.
Das Quartett aus der steirischen Hauptstadt legt mit der EP „Infinite Paths“ ein erstes Lebenszeichen auf Tonträger vor. Da man sich im Universum des Post-Rock befindet und den Manieren des Genres entsprechend keiner der vier Songs unter sieben Minuten Laufzeit bleibt, bekommt man trotz der geringen Titelanzahl einiges an Musik geliefert. Auch ansonsten bewegen sich Alderaan weitestgehend innerhalb der Grenzen des Genres. Da es allerdings zu dessen Kennzeichen gehört, ausufernd zu sein, können jene Grenzen wiederum nicht so eng sein. „The Vigilante“ eröffnet die thematisierten unendlichen Wege mit spielerisch offenen Gitarrenakkorden, bevor Bass und Schlagzeug mit einer lässigen Dynamik den Verlauf des Songs vorantreiben, der in einer schwermütigen, aber eingängigen Gitarrenmelodie gipfelt. Diese darf sich zum Abschluss freilich noch zu Riffs der härteren Gangart entwickeln.
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Viel Platz zum dynamischen Atmen für die Rhythmus-Fraktion
Generell fällt sehr positiv auf, dass selbst in der Struktur als Quartett viel Platz zum Atmen für die Rhythmus-Fraktion bleibt, auch dadurch, dass sich die beiden Gitarristen an den richtigen Stellen gekonnt zurücknehmen. Der Anfang von „Even Those Who Prayed“ kann als bandinterne Blaupause für diese Herangehensweise interpretiert werden. Da die Blaupause des Genres wiederum eine lineare Steigerung vorsieht, reicht in dieser neunminütigen Komposition ein einzelnes Pedal zum Bearbeiten der Bass Drum letztlich nicht mehr aus. Auch „Momo“ vermag geschickt, eine melancholische Stimmung zu erzeugen, und lullt die Zuhörenden ein, bis dann doch der Rundumschlag in Form eines kraftvollen Riffs folgt.
Da aber auch diese metalaffinen Riffs dynamisch und rhythmisch sind, anstatt sich zu sehr auf die Distortion-Effekte ihrer Verstärker zu verlassen, hat Alderaan manch anderen Bands im Bereich des Post-Metal etwas voraus. So der gegenwärtige Genre-Begriff für Post-Rocker mit Hang zur härteren Schlagseite. Auch die letzte Nummer „Deorbit Myr“ steigert sich aufgrund eines dynamischen Aufbaus regelrecht organisch und man ist sich kaum gewahr, welches wahrlich diabolische Riff zum Schlusspunkt über einen hereinbricht, bis es schon wieder vorbei ist. In Sachen Songwriting bewegen sich Alderaan bereits auf einem hohen Niveau. Da die EP „Infinite Paths“ zum kostenlosen Download auf der Bandcamp-Seite der Band angeboten wird, hat wahrlich niemand einen Grund, nicht kurz ein Ohr zu riskieren. Für einen passenden Soundtrack zu den verregneten Tagen dieses Frühlings könnte man eigentlich sogar finanziell was springen lassen.
Sebastian J. Götzendorfer