30. ULRICHSBERGER KALEIDOPHON: ALOIS FISCHER im mica-Interview

Zum 30. Mal geht von 1. bis 3. Mai das ULRICHSBERGER KALEIDOPHON im oberösterreichischen Mühlviertel über die Bühne. Grund genug, den dafür Hauptverantwortlichen ALOIS FISCHER zu den Anfängen und Aussichten, den Motiven und Hintergründen sowie zur Kontinuität und zur aktuellen Festivalausgabe zu befragen. Alois Sonnleitner hat es getan.

Was gibt es zum aktuellen, dem 30. Kaleidophon zu sagen, was über die vorhergehenden noch nicht gesagt wurde? Aus welchen Motiven wurden welche Programmpunkte fixiert, und wer sucht die alle aus?

Alois Fischer: Den Entwurf für die Programmzusammenstellung zum Kaleidophon #30 habe ich gemeinsam mit Fredi Pröll gemacht. Diesen Entwurf haben wir beide dann von Tanja Feichtmair und Uli Winter, alle: Trio Now!, „überprüfen“ lassen, und nach deren wohlwollender Einschätzung ging’s an die Realisierung. Eine Motivauflistung, wie sie jetzt folgt, ist in ihrer Verkürzung natürlich holzschnittartig, treffen doch in der Praxis bei jeder Entscheidung immer mehrere Faktoren zugleich zu. Aber wenn wir das jetzt so genau darstellen wollen, dann lauten die Überlegungen etwa so:

Wegen des Jubiläums sollte klarerweise etwas von den Leuten im Programm sein, die hier vor Ort als Musikerinnen und Musiker mit dem Jazzatelier und dem Kaleidophon aufgewachsen sind. Schnell war dann klar, dass das nicht das große neue Projekt sein wird, sondern bestehende, beständige Formationen: Plasmic und Tanjas Quartett mit Gratkowski, Herbert und Lillinger.

Ein wesentlicher Aspekt beim Programm ist, dass es letztlich eine Mischung aus Jazz, Improvisation und Neuer Musik ergeben sollte. Das war im Laufe der Jahre manchmal ganz schön plakativ – gelegentlich wohl auch zu plakativ! Es gibt aber auch Ensembles, die sind von ihrer DNA her sowieso genauso gestrickt: Urs Leimgruber ist ein Klassiker unter den frei improvisierenden Saxofonspielern, Jacques Demierre steht mit einem Bein immer auch im komponierenden Lager, und Barre Phillips ist einer der Musiker, die mit allen gespielt haben, die Jazz irgendwie ausmachen. Deswegen also dieses Trio. Dann nochmals Barre Phillips: Weil uns nämlich das Solo im Kaleidophon-Programm immer ganz wichtig ist. Und ja, an der Stelle suchen wir nach Möglichkeit immer etwas wirklich Hochkarätiges.

Eine andere Vorgabe: etwas Neues! Deswegen Erwan Keravec am Dudelsack – und auch weil Beñat Achiary bei uns ja längst überfällig ist. Und deswegen auch The Peeled Eye (Hauf, Siewert, Weber, Heather). Klar, wir alle wissen, die Wahrscheinlichkeit auf gute Resultate steigt mit dem Lebensalter der Band. Aber manchmal ist das auch genau umgekehrt, siehe Gartmayer/Ernst/dieb13 beim Kaleidophon im Vorjahr. Wie auch immer: Versuche dieser Art sollten im Kaleidophon-Programm immer auch ihren Platz haben.

Entscheidend sind – no na ned – immer auch aktuelle Aufnahmen: von John Butcher & Claudia Ulla Binder etwa oder von Hübsch/Martel/Zoubek, für mich die beiden interessantesten Aufnahmen, die ich im vergangenen Jahr gehört habe. Oder manchmal ein zufällig (in dem Fall von Fredi) gehörtes Livekonzert wie jenes vom Foils Quartet in Sibiu. Bei Gahl | Lehn-Bertoncini geht’s um die Violinen, die wir sicherheitshalber im Kaleidophon immer ganz nah neben all den Saxofonen platzieren. Das Subtile jedenfalls ist uns mindestens so wichtig wie das Brachiale. Auch das ist ein Wesensmerkmal unseres Festivals.

Und dann ist da noch die Sache mit The Dorf. Nicht „noch eine Big Band“, sondern eine „soziale Plastik“ mit etwa 30 Dorfbewohnerinnen und -bewohnern: Das wäre normalerweise eine Nummer zu groß für uns. Weil wir aber der freiStil-Redaktion wegen des zehnjährigen Jubiläums ein Wunschkonzert versprochen haben und weil man – trotz organisatorischer Komplettüberforderung – angeblich mit der Größe der Aufgabe ja auch wächst, springen wir da jetzt einfach hinein!

„Es muss nicht immer alles größer werden.“

Welche Art von Publikum zieht es Jahr für Jahr in ein so entlegenes Gebiet wie das Obere Mühlviertel, um schwierige Musik zu hören? Wo kommen diese Leute her, sind es seit 29 Jahren immer dieselben oder kommen Neulinge dazu?

Alois Fischer: Es ist ein ganz ausgezeichnetes, bestens informiertes Publikum. Interessiert an Jazz, Improvisation und Neuer Musik gleichermaßen und gleichzeitig – da gibt es nämlich leider gar nicht so viele, für die das nebeneinander funktioniert. Jedenfalls aber ein Publikum für eine Musik, für die es sich lohnt, sich hinzusetzen und genauer zuzuhören. Diese Ohrenmenschen kommen aus Ulrichsberg, Rohrbach, Waldkirchen, Linz, Wels, Passau, Wien, München, Berlin, Prag, Ungarn, Rumänien und manchmal auch aus Übersee. Sogar aus Indien war einmal einer da. Es gibt welche, die kommen tatsächlich seit 29 Jahren. Immer wieder aber auch Neue. Andere dann auch mal nicht mehr.

Wie steht das Kaleidophon aus Ihrer Sicht zum heutigen Zeitpunkt da? Würden Sie eine Selbsteinschätzung im nationalen und internationalen Vergleich mit ähnlich orientierten Festivals riskieren?

Alois Fischer: Das Kaleidophon ist sicher eines der ältesten und wahrscheinlich das kleinste unter all den kleinen Festivals. Das wird wohl so bleiben und ist ja auch gut so: Es muss nicht immer alles größer werden. Auch finde ich nach wie vor, dass drei bis vier Konzerte pro Tag ausreichend sind; und hinsichtlich der räumlichen Gegebenheiten gibt es sowieso gewisse Wachstumsgrenzen. Als Belohnung dafür haben wir aber gewisse Freiheiten, die ein kommerziell agierender Veranstalter nicht hat: Wir kooperieren nicht, oder zumindest nicht offensiv, mit irgendwelchen Datenkraken, wir müssen nicht Werbeeinschaltungen in Medien platzieren, die wir eigentlich gar nicht mögen, wir halten unsere Eintrittspreise seit Jahren auf etwa gleichem Niveau etc.

Aber, trotz aller Winzigkeit des Festivals: Ja, es gibt so was wie nationale und internationale Anerkennung. Das freut uns. Ob das wichtig und aussagekräftig ist, ist zwar nochmals eine ganz andere Frage. Der Musikzuständige beim Falter meinte zum Beispiel einmal auf meine Frage, warum denn das Kaleidophon in seinem Blatt nicht vorkomme: „Bedeutend ist für uns nicht, was ihr macht. Bedeutend ist, ob ihr von Wien aus öffentlich so erreichbar seid, dass man auch in der Nacht wieder nach Wien zurück fahren kann.“ Und wenn wir jetzt noch bedenken, dass wir kein Geld haben, um Journalistinnen und Journalisten zu hofieren oder deren Publikationen mit Inseraten gnädig zu stimmen, dann gehen wir jetzt einfach einmal davon aus, dass das, was da an medialer Anerkennung passiert, ehrlich gemeint ist – und nehmen das gerne mit Dank und Freude zur Kenntnis!

„Ich mag im Grunde sowieso nur veranstalten, was mich selbst auch wirklich interessiert.“

Wie erhalten Sie die Waghalsigkeit und Neugierde beim Programmieren? Wie risikobereit sind Sie selbst bei deinen musikalischen Erkundungen?

Alois Fischer: Einerseits gibt es gewisse Vorgaben, die wir uns machen – den Mix aus Jazz, Impro und Neuer Musik, das Solo, etwas Neues etc. Das heißt, egal wie es uns gerade geht – das sind die Komponenten, die vorkommen müssen. Das geht oft ganz leicht, ein anderes Mal sehr schwierig. Und genau dadurch, dass man sich dazu zwingt, lässt man bestimmte Dinge auch dann zu, wenn sie einem ansonsten gerade nicht an erster Stelle einfallen würden. Andererseits, was mich betrifft: Ich mag im Grunde sowieso nur veranstalten, was mich selbst auch wirklich interessiert. Müsste ich alle Tage Programm machen, müsste ich mich also sehr oft wiederholen: Ich wäre erledigt. Ich könnte das einfach nicht.

Wie wichtig ist die Aufhebung der Trennlinie, was ja schon längstens diskutiert wird, zwischen improvisierter und komponierter Musik? Würden Sie sagen, dass Festivals vom Rang wie Ulrichsberg etwas zur Marginalisierung dieser Thematik beitragen konnten und weiterhin können?

Alois Fischer: Ich glaube, es gibt da schon lange keine Trennlinie mehr; und im Übrigen auch keine Diskussion mehr darüber. Jedenfalls, ja, ich denke schon, dass wir an der Entsorgung dieser unsinnigen Grenze beteiligt waren.

Eine Vielzahl an vergleichbaren Institutionen, wie das Jazzatelier Ulrichsberg, leidet unter einer finanziellen Drangsalierung durch öffentliche Subventionsgeber. Wie ist es kurz- und mittelfristig um Ihre wirtschaftliche Situation bestellt?

Alois Fischer: Na ja, statt gleich mit der Drangsalierung zu beginnen, sollte an der Stelle wohl zunächst einmal großer Dank stehen: Bund, Land, Gemeinde, SKE – sie alle fördern das Jazzatelier seit Jahrzehnten. Und als gelernter Kaufmann habe ich die im Laufe der Jahre nie ansteigenden, aber gelegentlich gekürzten Förderungen einfach als Herausforderung angenommen: Wie schaffen wir die Finanzierung des stetig steigenden Aufwandes bei stagnierender Förderung trotzdem? Das ist bisher immer wieder gelungen. Nicht zuletzt weil es private Sponsorinnen und Sponsoren gibt (auch hier manche schon seit 30 Jahren!) und weil, Mohammed sei Dank, immer wieder auch 60 oder 70 ehrenamtliche Helferlein. Sollte es dann wirklich einmal mehr Subvention geben: Wir würden nicht Nein sagen. Ich glaube aber nicht, dass das für uns auch nur ansatzweise in Sicht ist.

Danke für das Gespräch.

Alois Sonnleitner

Foto Alois Fischer: Phil Smith
Foto The Dorf: Frank Schindelbeck

 

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