2021 UPDATE: SALZBURGER VERANSTALTERINNEN UND VERANSTALTER UND DIE CORONAKRISE

Seit mehr als einem Jahr wird die heimische Kunst- und Kulturszene durch die Corona-Krise und den daraus resultierenden politischen Entscheidungen quasi zu einem Dauer-Lockdown gezwungene. Schon vor einem Jahr hat sich deshalb mica bei Salzburger Veranstalterinnen und Veranstaltern aus der Musikszene umgehört. Knapp ein Jahr später schaut es bezüglich der (Wieder-)Öffnung von Lokalen, Clubs und Veranstaltungsräumen nicht wirklich besser aus. Für mica fragte Didi Neidhart die Salzburger Veranstalterinnen und Veranstalter ASTRID RIEDER (trans-Art), JÜRGEN VONBANK (Minerva Records/Freakadelle), WOLFGANG DESCHO (Rockhouse), SUSANNE LIPINSKI (kollektiv KOLLINSKI) und MARCO DÖTTLINGER (names/Sweet Spot) nach, wie sich die aktuelle Krisen-Situation 2021 darstellt und wie damit umgegangen werden kann.

Welche Konsequenzen hat der Lockdown seit knapp über einem Jahre für euch? Könnt ihr euch den Nicht-Betrieb bei laufenden Kosten überhaupt noch leisten? Und wie ist die Stimmung?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKIUnsere Stimmung ist gut. Wir kommen gerade von einer zweiten Online-Veranstaltung von „Austropopo“, noch bevor die Premiere der Live-Show bei unserem Koproduktionspartner ARGEkultur stattfinden hat können. Wir können uns laufende Kosten über Projektgelder leisten, wissen aber nicht, wann wir wieder Live spielen können. Wir sind auch in zwei Ansuchen-Verfahren für nächste Projekte.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Das Rockhouse versucht seit Beginn der Krise, und zwar durchaus erfolgreich, mit Live-Streaming-Aktivitäten das Kulturgeschehen zumindest am Laufen zu halten. Auf jeden Fall konnten viele Erfahrungen gesammelt werden und einiges dazu gelernt werden. In der Zeit, wo es erlaubt war, veranstalteten wir Konzerte mit einem Covid-19-Konzept, das, so wie bei allen anderen Kulturveranstaltern in Salzburg, NULL Ansteckungen mit sich brachte…
Und Dank der Subventionen ist der Betrieb noch leistbar. 

Astrid Rieder/trans-Art: Für mich ist die Stimmung als „trans-Art“-Künstlerin sehr angespannt. Ich konnte ob meines familiären Umfeldes künstlerisch weiterarbeiten und die einmal im Monat stattfindende „do trans-Art“-Serie auch im Corona-Jahr verwirklichen. Das sehe ich als großes Glück an. Aber gerade dieses hängt an einem seidenen Faden. „trans-Art“ auf Reisen nach außen zu tragen, ist jedoch nur in wenigen Fällen in den Luftlöchern zwischen den Lockdowns gelungen.

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Stimmungsmäßig ist man natürlich genervt von der Gesamtsituation. Da geht es wohl jedem gleich. Für einen Plattenladen wie Minerva Records bedeutet das vor allem, sich ständig anpassen zu müssen und in der Regel sehr viel Arbeit für wenig Geld. Denn unsere bestehenden Abläufe anzupassen, das Mail-Order-Angebot zu intensiveren und Zustellung anzubieten, bedeutet zunächst mal eine massive Steigerung des Arbeitsaufwandes bei wesentlich weniger Umsatz als in Normalzeiten. Ohne das Entgegenkommen unseres Vermieters wäre es wohl nicht möglich gewesen, bis heute durchzuhalten. Beim Verein Freakadelle hat uns die NPO-Förderung vom letzten Jahr, sowie unsere Mitgliedsbeiträge und ein Crowdfunding geholfen über die Runden zu kommen. Wir hoffen nun auf einen neuen Zuschuss aus dem NPO-Topf.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Auch wenn viele geplante Projekte als Stream stattfinden konnten, hat der Lockdown doch großen Einfluss auf alles. Die ganze Situation kostet viel Energie und macht (trotz Online-Plattformen etc.) ein ungezwungenes Sich-Austauschen etc. sehr sehr schwer. Gerade weil diese soziale Komponente für uns sehr wichtig ist, haben wir die geplanten Termine unserer Reihe „Sweet Spot“ verschoben.

Inwiefern seid Ihr diesbezüglich in Kontakt mit den für Kultur zuständigen Stellen bei Land, Stadt und Bund? Werden hier genügend Infos zu wichtigen Fragen (etwa auch hinsichtlich des Salzburger „Kulturentwicklungsplans“) angeboten?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Wir sind in laufendem Kontakt mit allen Gebietskörperschaften, die wir auf Beamtenebene als sehr unterstützend finden. Von der Politik finden wir uns auf Bundes- und Stadtebene noch zu wenig gehört im Sinne von: Wann können wir spielen, wie können/sollen wir planen? Vom Land Salzburg haben wir eine COVID-19-Zusatzförderung bekommen, auch in der Stadt können wir versuchen, um zusätzliche COVID-19-Gelder anzusuchen. Der Dachverband Salzburger Kulturstätten und die IG Kultur sowie auch die IG Freie Theaterarbeit stellten sich in der Krise als Informationsübermittlerinnen und -übermittler und Felsen in der Brandung da – wir hatten nicht das Gefühl „alleine Kämpfen zu müssen“. Auch das Commitment der Stadt- und Landpolitik war groß: Einige Gespräche direkt mit den Verantwortlichen lassen uns hoffnungsfroh in die Zukunft blicken: Probenhaus für die freie Tanz- und Theaterszene in Salzburg, durchgehende prozessorientierte Förderung statt Projektförderung, „Fair Pay“, Gastspielförderung Land Salzburg wären für unsere Weiterentwicklung enorme Bereicherungen und werden, so hoffen wir, bald umgesetzt.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Regelmäßigen Kontakt gibt es mit Stadt und Land Salzburg, manchmal auch mit dem Bund.

Astrid Rieder/trans-Art: Ich habe für das Erscheinen des Tagungsbands „SUMMIT of trans-Art 2020“ um Gelder bei Stadt, Land und Gemeinde angesucht. Diese wissenschaftliche Tagung wurde im letzten August 2020 in meinem Atelier in Wals-Siezenheim durchgeführt. Die Unterstützung vonseiten der Stadt ist gleich null, vom Land jedoch konnte ich einen hilfreichen Betrag erhalten. Auch die Gemeinde Wals-Siezenheim wird mich mit einer Spende unterstützen. 

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Wir sind hier mit niemanden in Kontakt und bis auf die üblichen Newsletter-Aussendung ist auch niemand auf uns zugekommen.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Aus meiner Sicht: Ja!

War Euch der durch Corona manifest gewordene Stellenwert von Kunst (anscheinend eher keine so große Systemrelevanz, wenn nicht sogar unwichtig) seitens der politisch dafür Verantwortlichen schon vor Corona klar (als Befürchtung bzw. aufgrund von persönlichen Erfahrungen, etc.), oder habt Ihr gar nicht an so was glauben können?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Das Thema „Fair Play“ war vor Corona schon massiv vorhanden und verschärfte sich durch die Krise. Ebenso verschärfte sich auf der Gender-Ebene die Situation von Frauen. Wenn sie dann noch Künstlerinnen und Alleinerzieherinnen waren/sind, hatten sie Dreifach- Belastung – diesen Themen haben wir uns künstlerisch auch in der Krise angenommen. Ehrlich gesagt, kann ich mir aber nicht erklären, warum die Kultur am längsten geschlossen ist, wo wir doch bereits letzten Sommer mit Sicherheitskonzepten gearbeitet haben, die nachweislich nicht zu erhöhtem Infektionszahlen geführt haben.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Die Lippenbekenntnisse gab es vorher und jetzt genauso. Auffallend ist, dass in Stadt und Land mehr Ernsthaftigkeit vorherrscht als im Bund.

Astrid Rieder/trans-Art: Die Kunst hat in Österreich eigentlich, auch von politischen Seiten, einen großen Stellenwert. Dieser scheint jedoch durch Corona geschwächt geworden zu sein. Ich würde mir sehr wünschen, dass die für Kunst und Kultur zuständigen Politikerinnen und Politiker mehr Einsatzbereitschaft für ihren Zuständigkeitsbereich zeigen würden. Davon ist meiner Meinung nach nämlich nicht besonders viel zu sehen. Das man als Künstlerin und Künstler für so lange Zeit in solch eine prekäre Situation kommt, hätte ich mir vor Corona nicht vorstellen können. Dass die Kunst den Österreicherinnen und Österreichern so wenig zu bedeuten scheint, finde ich mehr als bedauerlich.

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Man hat es schon erahnen können. Zusätzlich wird ja seit jeher auch innerhalb der Kulturszene mit sehr unterschiedlichem Maß gemessen. Dahingehend waren die Erwartungen jetzt auch nicht allzu hoch. Man ist allerdings schon verwundert, wie die Politik die Unterstützung auf die lange Bank schiebt und scheinbar glaubt, dass die Szene das trotzdem überleben wird. Gerade beim NPO-Fonds wurden auch jetzt wieder Monate hingewartet, damit nun das Geld für das 4. Quartal 2020 beantragt werden kann – es wird offensichtlich schlicht davon ausgegangen, dass man sich auch nach einem Jahr Pandemie solche Verzögerungen noch leisten kann.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Ich muss leider sagen, dass mich das nicht sonderlich überrascht hat.

Gibt es nach einem Jahr Corona Initiativen bzgl. eines gemeinsamen Handelns der Musik-Szene, etwa über die IG Kultur oder den Dachverband der Salzburger Kulturstätten?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Es gab vom Dachverband 3 Kampagnen. Gemeinsam mit der IG Kultur initiierte man einige Protestbriefe, Umfragen wie auch viele Workshops zu akuten Themen. Im Hintergrund liefen sehr viele Gespräche mit den verantwortlichen Kulturpolitikerinnen und Politikern und auf Beamtinnen und Beamtenebene. Das „Handeln“ der Künstlerinnen und Künstler konnten wir nur in „Schweigen“ wahrnehmen: Schweigen für „Fair Pay“ in Salzburg, Schweigemarsch in Wien, Schweigeminuten in Innsbruck, etc.
Eventuell könnte es da eine größere Solidarität geben, ein gemeinsames Kunstprojekt, ein gemeinsamer Protest.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Das Rockhouse ist in ständigem Kontakt und Informationsaustausch mit dem Dachverband und der IG Kultur.

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Wir wurden von der Vienna Club Commission angeschrieben mit dem Bestreben sich auch hier in Salzburg zu vernetzen. Bislang ist dahingehend aber nichts Konkretes passiert. Ein lokaler Ableger nach dem Vorbild Innsbruck wäre wirklich sehr wünschenswert. Aber dazu muss die Initiative wohl auch aus der lokalen Szene kommen. Vom Dachverband sehen wir uns eigentlich wenig repräsentiert. Wir sind schließlich dort auch kein Mitglied – gleich wie viele andere autonome Kulturinitiativen.

„Corona-Stages“ und Konzert/DJ-Streams direkt ins Wohnzimmer (oder das „Home-Office“) sind seit dem ersten Lockdown eine von vielen Acts genutzte Alternative zu Live-Konzerten. Bietet ihr selbst Streams an und was ist eure Einschätzung solch einer alternativen Präsenz?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Wir boten unser Stück „Austropopo“ zweimal via Stream an. Wir sind aus dem Theaterbereich und haben zwar eine gute Filmversion (in Kooperation mit dem Freien Salzburg FS1) unseres Theaterstücks geschaffen, sind aber selbst des Streamens leid. Film ist Film, Theater ist Theater – und da fehlt übers Streamen dann einfach der persönliche Kontakt und das gemeinsame Atmen.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Das Rockhouse hat bislang in Zusammenarbeit mit der (Film-)Firma Attic in der „Rockhouse- Club-Session-Serie“ 12 Streamings mit hoher Beteiligung produziert. Zusätzlich übertragen wir die „Local Heroes“-Serie in Zusammenarbeit mit dem Freien Fernsehen FS1. Auch einige Workshops aus der „Rockhouse Academy“-Reihe werden fallweise online angeboten. Der Live-Stream kann aber das echte Live-Konzert nicht ersetzen, ist aber eine wichtige Möglichkeit, besser durch diese Krise hindurch zu kommen. So können Musikerinnen und Musiker und Veranstaltungs-Personal wenigstens einige Einsätze für sich verbuchen, was auch für die Psyche nicht unwichtig ist.

Astrid Rieder/trans-Art: Ja, „trans-Art“-Darbietungen werden kontinuierlich mit Hilfe von Live-Streams weitergeführt. Ohne die Möglichkeiten, die diese Plattformen, wie z.B. Youtube, bieten, wäre es noch schwieriger „trans-Art“ in die Welt zu bringen. Durch Corona konnte zu meiner großen Freude eine Mitgliedschaft beim Freien Fernsehen FS1 geschaffen werden. Jedoch fehlt der direkte, physische Dialog zum Publikum. Plattformen für Konzertstreaming kommen für meine Kunst nicht infrage. Ich habe bereits vor Corona versucht, mit „trans-Art“-Präsenz in den sozialen Medien aufzubauen und diese auch aktiv und vielfältig zu nutzen. Die technischen Möglichkeiten, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, bringen für die derzeitige Situation der Kunst und Kulturwelt Licht ins Dunkel. Jedoch glaube ich, dass Streams von Konzerten, Opern, Performances, etc. nie an die Stimmung herankommen, die man verspürt, wenn man eine solche Veranstaltung vor Ort miterleben kann. So würde ich behaupten, dass Streaming ein tatsächlich guter Zusatz sein kann, der sich bestimmt auch in Zukunft halten wird, jedoch am Ende “nur” das Abbild eines wirklich besuchten Erlebnisses darstellt. 

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Beim Verein Freakadelle arbeiten wir gerade an der Umsetzung eines Streams. Nicht weil wir so große Fans des Formats sind – denn das sind wir eigentlich nicht. Aber man braucht schließlich auch wieder ein musikalisch/kreatives und organisatorisches Ziel auf das man als Kollektiv hinarbeiten kann und darum haben wir uns dem jetzt angenommen. Bestenfalls können wir über die generierte Öffentlichkeit auch ein paar Spenden lukrieren. Ein Ersatz für unsere gewohnten Aktivitäten ist dies natürlich in vielerlei Hinsicht nicht. 

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Ich habe einige Projekte (Konzerte, Performances, etc.) realisiert, die als Stream passiert sind. Aber hauptsächlich ging es darum, trotz Corona und Lockdown überhaupt etwas zu machen bzw. Geplantes und fast Fertiges auch zu zeigen. Das Streamen hat (speziell bei Konzerten) natürlich sein Grenzen und ist keinesfalls eine Alternative.

Kann schon gesagt werden, was bei gestreamten Konzerten super geht, was okay ist, was eher so lala ist und was geht überhaupt nicht geht?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Super geht es dann, wenn eine eigene Version kreiert werden kann. Also filmisch gedacht wird und das konnten wir. Das hundertste reine Abfilmen eines Events ist ein Schuss ins Knie: Es braucht dabei immer ein filmisches Konzept dahinter, egal ob Konzert, Theater, DJ-Show …

Wolfgang Descho/Rockhouse: Alle ordentlich und möglichst professionell gemachten Streams kommen unabhängig vom Musikstil sehr gut an. Nur die Dauer des Konzertes ist etwas kürzer als im normalen Live-Konzert.

Astrid Rieder/trans-Art: Das größte Dilemma, das ich bei gestreamten Konzerten sehe, ist der Verlust der Stimmung, die man bei einer Musikveranstaltung verspürt. Die Akustik kann noch so gut sein, wenn das Ambiente fehlt, ist diese nur halb so viel wert. Ein großer Vorteil, der das Streaming mit sich bringt, ist die Reichweite, die man so ausbauen kann. Außerdem kann die Kontinuität erhalten bleiben.
trans-Art“-Performances via Zoom/Skype haben wir, die Musikerin/der Musiker und ich, während des Lockdowns sehr wohl durchgeführt. Dieses Experiment war aber sehr herausfordernd. Zum Beispiel war es unter diesen Umständen möglich, mit Mia Zabelka in ihrem Klanghaus in Untergreith, Südsteiermark, eine gemeinsame „trans-Art“-Performance zu gestalten.

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Wenn es darum geht live zu streamen, sind da natürlich schon einige Dinge zu beachten. Einerseits natürlich technischer Natur hinsichtlich Tonqualität, Internetverbindung, Synchronizität etc.
Beim Streamen von DJ-Sets wird dann leider auch oft auf die kritische Situation mit den Urheber- und Vertriebsrechten vergessen. Und so kann es dann auch passieren, dass man viel Arbeit in die Produktion steckt, der Stream dann aber kurzerhand stumm geschalten oder blockiert wird.

Marco Döttlinger/names / Sweet SpotAus meiner Sicht gehen vor allem Formate noch, die schon für den Screen entwickelt worden sind. Also Videos, etc. mit bzw. von Musik und MusikerInnen. Nur ist das weder organisatorisch noch finanziell immer realistisch und häufig fehlt dann einfach die Zeit, um auch konzeptionelle Seiten einer Video-Arbeit miteinzubeziehen.

Glaubt ihr, dass unterschiedliche Live-Genres (Theater, Performance, Konzerte, Clubbings, etc.) unterschiedlich gut (oder schlecht) mit Streaming zurechtkommen?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Besonders schräg fand ich Streaming-Partys mit DJs. Ich konnte nicht gut zu Hause zu aufgelegter Musik tanzen. Das kam selbst mir als Performerin zu albern vor. Und ja – da gibt es sicherlich einen Unterschied: Hat man vorher nur analog gearbeitet und ohne neue Medien, dann fiel der Übergang sicher schwer, da die Ressourcen und Expertisen nicht immer vorhanden waren.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Das ist vor allem auch eine finanzielle Frage. Je höher der Aufwand, umso besser, sprich professioneller, das Ergebnis.

Astrid Rieder/trans-Art: Für Einzelpersonen ist es schwierig, all diese Möglichkeiten auszuschöpfen, da man ein geeignetes Equipment braucht, um bei Streamings eine gute Qualität zu schaffen. Viele bleiben so auf der Strecke und wechseln den Beruf. 

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Ja bestimmt. Ich denke, dass es Konzerte grundsätzlich sehr schwer haben, die Spannung, Energie, Dynamik, Begegnung etc. als Online-Format zu realisieren. Aus meiner Sicht reicht es keinesfalls, da eine Kamera hin zu bauen und dann zu glauben, das wäre schon in Ordnung oder angemessen. Sobald man sich damit ernsthaft beschäftigt, muss man die Konzertform verlassen und arbeitet in Bereichen wie z.B. Musikfilm, filmische Realisation einer Aufführung/Performance oder Musikvideo, vielleicht sogar Kunstfilm. Jedenfalls aber streamt man nicht ein Konzert, sondern man streamt etwas, was man zum Streamen entwickeln muss. Wenn man die medialen Implikationen des Präsentationsformates nicht mitdenkt, ist das Ergebnis meist sehr arm, wie man oft sieht.

Wie lebt es sich ohne direkte Feedbacks, oder haben sich die durch Clicks, Likes und Kommentare eh gut woandershin transformiert?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Gemeinsames Schauen bedeutet auch gemeinsames Chatten, das war unsere Erfahrung. Trotzdem – das schon erwähnte gemeinsame Atmen der Crowd fehlt!!!

Wolfgang Descho/Rockhouse: Feedbacks gibt es da natürlich auch, die sind aber in keinster Weise mit den “echten” Feedbacks zu vergleichen. 

Astrid Rieder/trans-Art: Natürlich fehlt das direkte Feedback von Zuseherinnen und -sehern, das gerade bei Performances sehr wichtig ist. Es geht bei dieser Kunstform ja um konzeptuelle Rezeption, wenn Musikerinnen/Musiker und Zeichnerinnen/Zeichner interagieren. Außerdem fehlt der Lecture-Talk, der am Ende jeder Performance in meinem Atelier durchgeführt wird. Einen Anstieg von Likes, Clicks und Kommentaren seit dem ersten Lockdown im Frühling 2020 habe ich nicht bemerkt. 

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Persönlich sehe ich in einem „Like“ kein konkretes Feedback. Das sagt in der Regel nichts darüber aus, ob sich jemand wirklich mit dem Inhalt befasst hat. Persönliches und direktes Feedback ist schwer zu ersetzen.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Beim Streamen fehlt die gemeinsame Erfahrung und die Teilhabe. Egal ob als Gruppe von MusikerInnen oder als Gast eines Theaterabends. Das gemeinsame Erleben und sich dann gleich darüber vor Ort auszutauschen vermisse ich sehr. Diese Erfahrungen lassen sich nicht virtualisieren. Das Problem ist dabei ja nicht so sehr, ob etwas auf einer Bühne mit MusikerInnen passiert oder im Kino ein Film gezeigt wird, sondern, dass man sich nicht treffen kann, um etwas gemeinsam zu erleben.

Gäbe es bei Euch auf Grundlage der bisherigen Erfahrungen (bzw. Bedenken und Probleme) Ideen für neue Formate. Etwa Clips oder vielleicht auch irgendwas zwischen Instagram, TikTok, Memes und GIFs? Also eine verstärkte Hinwendung zu rein digitalen Kulturformen?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Jein; ich hätte gerne ein Lieferservice mit Live-Cooking, einer Haubenküche und einer Performance verbunden. Aber dafür hatten wir zu wenig Budget.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Es ist davon auszugehen, dass die digitalen Übertragungsformen sich zu einem dauerhaften Zusatzangebot entwickeln werden. 

Astrid Rieder/trans-Art: Wie bereits erwähnt, empfinde ich den Aufritt in den sozialen Netzwerken als gute und wahrscheinlich notwendige Ergänzung zum tatsächlichen Kunst und Kulturgeschehen. Eine komplette Verlagerung auf digitale Medien halte ich für nicht sinnvoll und nicht bereichernd.

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Bei Minerva Records steckt bereits sehr viel Zeit in der Bewerbung unserer Produkte über Social Media. Wir nutzen diese Bühne gerne, aber eigentlich würden wir doch lieber weniger Zeit am Smartphone oder PC verbringen und mehr in direktem Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden stehen. Schließlich wurde der Laden ja auch mit der Absicht einen sozialen Ort zu schaffen gegründet. Eine weitere Intensivierung digitaler Formate ist also eher nicht geplant.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Nicht wirklich. Kann ein Meme dieselben Fragen aufwerfen, wie eine kontroverse nächtliche Diskussion nach einer Performance? Ich weiß nicht und glaube auch nicht daran. Aber solche Memes würd ich gern sehen.

Wie werden die Streaming-Angebote und YouTube-Kanäle überhaupt angenommen? Sind da dann mehr Leute online als vergleichsweise bei einem Konzert (in „Echtzeit“ wie auch zeitversetzt)?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Durch unseren Koproduktionspartner ARGEkultur sowie einer guten Werbung (auch weil sonst nicht viel los war) und dem Thema Systemrelevanz hatten wir für den Streaming-Termin in der ARGEkultur 90 verkaufte Karten. Unsere Erfahrung liegt eher bei durchschnittlich 45 Zuschauerinnen und Zuschauern pro Abend.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Ja, es sind mehr Leute dabei. Das hat aber auch sicher damit zu tun, dass unsere Live-Streams gratis sind. 

Astrid Rieder/trans-Art: Gestreamte „trans-Art“-Performances werden angenommen, jedoch gibt es vergleichsweise wenig Zuseherinnen und Zuseher. Instagram-Live-Stream-Aufrufe sind jedoch im Vergleich zu Facebook und Youtube recht hoch.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Da habe ich verschiedene Erfahrungen gemacht – beides kam vor.

Merkt Ihr dabei Alters- bzw. Generationenunterschiede?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Ja, die Älteren lernen lieber dazu, die Jüngeren verlangen von sich aus schon alles „zu können“.

Wolfgang Descho/Rockhouse: Nein. Das hängt wie immer einfach vom konkreten Angebot ab.

Marco Döttlinger/names / Sweet Spot: Nein, nicht sehr.

Was seht Ihr, wenn Ihr in die Zukunft blickt, bzw. was sollte da zu sehen sein?

Susanne Lipinski/kollektiv KOLLINSKI: Wieder Live-Aufführungen, Performances, Konzerte, viel Outdoor, neue Formate, viel Reflexion, viel Diskurs und Diversität trotz Corona. Ich kann mir gut vorstellen Outdoor-Führungen für jeweils eine Person zu machen, etwa mit einem 2-Meter-Seil zwischen mir und der Zuseherin/dem Zuseher. Ah, da fällt mir ein, das ist auch eine gute Form für mehr Publikum und würde gleich auch was sichtbar machen: Eine Seilschaft, gern neben den Seilbahnen, das würde dann auf mehreren Ebenen die unfassbare aktuelle Ungleichbehandlung der Kultur im Gegensatz zu anderen Branchen sichtbar machen. … Jedenfalls sind Kunst & Kultur nicht still, es brodelt im Inneren, es braut sich was zusammen und das Ergebnis werden super intensive (hoffentlich nicht zu pathetisch leidende) Performance-Abende, intensive Musik-Konzerte und noch diskursivere Get-Togethers sein, die das Miteinander feiern.

Wolfgang Descho/Rockhouse: In mittlerer Zukunft hoffentlich wieder echte Live-Konzerte. Aber Streaming wird sich als Zusatzangebot etablieren.

Astrid Rieder/trans-Art: Wenn ich einer guten Kulturfee begegnen würde, dann hätte ich folgende Wünsche: Dass die Austrian Music Week der AACS (Österreichischer Komponistenbund) im Juni im „trans-Art“-Studio stattfinden wird können. Außerdem wünsche ich mir, dass alle Künstlerinnen und Künstler in dieser turbulenten Zeit weitermachen! Viele Künstlerinnen und Künstler wechseln gezwungenermaßen den Beruf und das ist wirklich sehr schade. Eine Rückkehr des Publikums zu den do trans-Art Performances in mein Atelier würde mich sehr freuen!

Jürgen Vonbank/Minerva Records, Freakadelle: Wir hoffen natürlich, weitestgehend zu unserem Pre-Corona-Betrieb zurückkehren zu können. So wie es sich abzeichnet, wird dies aber wohl gerade bei Events nicht ohne Zutrittskontrollen gehen. Das wirft natürlich wieder Fragen der Kontrolle, Zuständigkeit und nicht zuletzt der Diskriminierung auf. Letzteres betrachte ich durchaus mit Sorge, denn bereits jetzt scheint ein tiefer Riss durch die Gesellschaft angesichts der Debatten um Corona und den damit zusammenhängenden Maßnahmen zu gehen. Die Vorstellung, auf engstem Raum mit vielen Personen zu lauter Musik zu tanzen, ist wohl noch in relativ weiter Ferne. Die Hoffnung darauf haben wir aber nicht verloren.

Danke für die Antworten.


Streaming-Angebote:

kollektiv KOLLINSKI: AUSTROPOPO:
https://www.kollinski.com/austropopo

Rockhouse:
https://www.facebook.com/rockhouse.sbg

names
Our ghosts in the shell

Jazzit
https://fs1.tv/sendung/jazzit/

trans-art
https://www.astrid-rieder.com/trans-art/videos-trans-art-performances
https://www.instagram.com/astridrieder/
https://www.facebook.com/dotransArt/
https://www.youtube.com/channel/UCtWO4exrXZWM2Gen2sgo1CQ

oenm
https://www.youtube.com/channel/UCEg2YV4JhV6B6H90GXIAk9w

FS1:
https://fs1.tv/


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