Von StraussinterpretInnen bis zu türkischem Rap: ASIATISCHE MUSIKERINNEN in Wien

Asien ist geographisch der größte Kontinent der Welt: Er reicht von Sibirien bis Indien, vom Libanon bis Japan. Genauso divers präsentiert sich die asiatische Musikszene in Wien, fast der gesamte Kontinent ist in der Stadt vertreten – eine Annäherung.

Die Bilder flimmern über die Fernsehschirme und inzwischen auch über die Tablets und Smartphones: Von Wien aus wird alljährlich das Neujahrskonzert in die ganze Welt hinaus getragen. Natürlich auch nach Asien. Dort festigen auch regelmäßige Gastspiele der Wiener Sängerknaben in Japan den Ruf der Musikstadt Wien. Längst ist eine rückläufige Bewegung bemerkbar: MusikerInnen aus dem asiatischen Raum kommen zum Studium nach Wien. So wie Wei-Ya Lin aus Taiwan, die zurzeit an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ihr Doktoratsstudium betreibt und davor Bratsche studiert hat. „Ich bin seit 1998 in Wien“, sagt Wei-Ya Lin. Schon während des Studiums hat sie im Mozartquartett Wien gespielt und zurzeit spielt sie neben klassischer auch Popmusik in der Band Neuschnee. Diskriminierung hat sie aufgrund ihrer Herkunft in Wien erfahren müssen: Etwa bei Amtswegen. Sogar eine Studienkollegin – im Rahmen ihres Instrumentalstudiums – habe gemeint, Wei-Ya Lin würde Musik von Strauss nicht spielen können, weil ihr das ‚Wiener Blut’ fehle.

Kann man ohne „Wiener Blut“ Strauss nicht spielen?

„Sie hat das nicht böse gemeint, aber es ist eigentlich rassistisch. Ein Bewusstsein dazu wird an der Universität leider nicht gelehrt“, erzählt Wei-Ya Lin, die sich nicht nur für westliche Kunstmusik interessiert, sondern dafür wie Musik überhaupt funktioniert. Sie beschließt ihre Doktorarbeit über indigene Völker in Taiwan zu schreiben. Dennoch gefällt ihr Wien: „Ich finde Wien toll, weil es hier Freiraum für alle Arten von Musik gibt. In Taiwan wäre dies nicht möglich“, sagt Wei-Ya Lin. „Auch wenn ich schon seit sechzehn Jahren hier lebe, habe ich manchmal nicht das Gefühl, zu dieser Gesellschaft dazu zu gehören“, sagt Wei-Ya Lin, die unter anderem Lehrbeauftragte für Vorlesungen mit ethnomusikologischem Inhalt am Institut für Komposition und Elektroakustik ist.

„Auch wenn ich schon seit 16 Jahren hier lebe, habe ich nicht das Gefühl, dazu zu gehören.“

Anders verhält es sich bei Joji Hattori, der mit acht Jahren von Japan nach Österreich gekommen ist. „Mit 18 Jahren wollte ich lieber bei den Vereinten Nationen arbeiten“, sagt sie, „für eine Führungsposition hätte es aber vorab einer politischen Karriere im Inland bedurft, was damals für Menschen mit einem anderem Herkunftsland schwieriger war als heutzutage.“ Als Alternative dazu hat er schließlich den Künstlerberuf gewählt und ist Violinist und Dirigent geworden: „Weil es als Künstler egal ist, wie ich ausschaue und woher ich komme.“ Sein Weg zur Geige war gleichsam vorgezeichnet, denn seine Mutter hat an der Musikhochschule in Tokio Geige unterrichtet und auch sein Vater war ein großer Musikliebhaber. Mit fünf Jahren beginnt er Geige zu spielen und wird später Schüler von Yehudi Menuhin. „Mit 20 habe ich seinen Violin-Wettbewerb gewonnen, dessen Präsident ich heute bin“, sagt Hattori. Im Rahmen einer Tournee ist er als Geiger gemeinsam mit Menuhin nach Japan zurückgekehrt. Als er beschließt, Dirigent zu werden, ist Hattoris zweiter prominenter Lehrer Lorin Maazel. „Im Vergleich zu Maazel war Menuhin eher ein Mentor.“

„Im Vergleich zu Maazel war Menuhin eher ein Mentor.“

Seine Vielfältigkeit lebt Joji Hattori heute auch aus, indem er Soziologie studiert. In diesem Feld interessiert ihn die Migration von Japan nach Europa. Seinem künstlerischen Werk wird Hattori im Jahr 2015 ein weiteres Standbein hinzufügen: Ein japanisches Art-Restaurant im ersten Wiener Gemeindebezirk. „Die Hintergrundmusik, die im Lokal laufen wird, habe ich natürlich selbst zusammen gestellt“, schmunzelt Hattori.

Spärlich gesät sind die Zeichen, die die aus Tuwa, Sibirien stammende Musikerin Sainkho Namtchylak auf der weltweiten Bühne Internet setzt: Es finden sich Hinweise auf einen Auftritt bei einem Poesie-Festival in Medellin, Kolumbien im Jahr 2013. Ein Gedicht, geschrieben während einer Zugfahrt, irgendwo in China. Fußnoten, so weitläufig verstreut als befände man sich in der Weite ihrer sibirischen Heimat. Namtchylak selbst scheint der Welt genauso entrückt zu sein, wie es ihre Musik suggeriert. Ein Video zeigt sie hinter einem Mischpult sitzend, während ihr Mitmusiker die Maultrommel in ein Loop-Gerät einspeist und eine Tänzerin die sphärischen Klänge in Bewegungen umsetzt. Vielleicht ist Namtchylak gerade weil sie sich der Welt zu entziehen scheint, eine der interessantesten asiatischen MusikerInnen in Wien.

Der erfolgreichste Musiker mit asiatischem Hintergrund ist zurzeit Nazar. Der im Iran geborene und in Wien lebende Rapper hat heuer mit seinem sechsten Album „Camouflage“ die Spitze der österreichischen Charts erreicht, obwohl ihn österreichische Radios nicht gespielt haben. Nun scheint er im Herzen der österreichischen Popmusik angekommen zu sein, denn das aktuelle Album hat der Falco-Weggefährte Thomas Rabitsch produziert und auf youtube findet sich dieses Duett mit Falco:

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Auch für Esra Özmen ist Rap die geeignete Ausdrucksform. Als Teil des Kollektivs Fight Rap Camp hat die österreichische Rapperin mit türkischen Wurzeln heuer den FM4-Protestsongcontest im Rabenhof Theater gewonnen. „Ich habe ein Gedicht aufgenommen und auf youtube gestellt“, erzählt Esra auf die Frage, wie sie zum Rap gekommen ist. Die Rapperin – Künstlername EsRap – hat in einem Jugendzentrum im 20. Bezirk ihre ersten Aufnahmen gemacht. Rap hat ihr schon während der Schulzeit Selbstvertrauen gegeben: „Rap war eine Möglichkeit zu sagen: ‚Wir sind auch da’. Rap ist eine Musik der Sichtbarkeit.“ Diskriminierung habe sie als Musikerin mit Migrationshintergrund manchmal erfahren, erzählt Esra, dann habe sie sich ausgenützt gefühlt: etwa wenn sie von VeranstalterInnen als gut integriertes türkisches Mädchen, das auch rappen kann, präsentiert worden ist.

EsRap: Präsentiert als „gut integriertes türkisches Mädchen, das auch rappen kann“

Protestsongcontest Finale FightRapCamp from we-refugees on Vimeo.

„Bis zur Volksschulzeit konnte ich kein Deutsch und die ganze Nachbarschaft ist aus MigrantInnen bestanden“, sagt Esra über ihre Kindheit in Ottakring. Heute sieht sie sich als Türkin mit österreichischer Heimat.

Der wahrscheinlich berühmteste asiatische Musiker in Wien ist der aus dem Libanon stammende Oud-Spieler Marwan Abado, der mit 18 Jahren nach Wien gekommen ist. Sich hier als Musiker zu etablieren, war nicht einfach: „Auch wenn es damals wenige Oud-Spieler in Wien gegeben hat und die Mehrheit der Kunstgenießer dieses Instrument gar nicht gekannt hat.“ Abados musikalischer Weg war fortan durch die eigene Kompositionstätigkeit geprägt. Am Beginn seiner Karriere wäre aber oft nicht die Musik sondern seine politische Haltung im Vordergrund gestanden: „Das hat schon ein bisschen genervt“, sagt Abado rückblickend.

Manchmal steht nicht die Musik im Vordergrund, sondern die politische Haltung.

Bis heute hat sich seiner Meinung nach vieles zum Positiven in Bezug auf die Wahrnehmung der Weltmusikszene verändert: „Heute gibt es mehr Zulauf, mehr Interesse für diese Szene.“ Dennoch sieht Abado, dass die Rahmenbedingungen für MusikerInnen immer schwieriger werden, auch in Bezug auf das Veröffentlichen von Musik. „Eine CD war vor zehn Jahren nicht nur eine Visitenkarte bzw. ein Promotionsartikel“, sagt Abado: „Das war eine wichtige musikalische Aussage, die durch den Vertrieb auch für Geldeinnahmen gesorgt hat.“ Heute wäre seine Musik kaum noch in Musikgeschäften zu finden.

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In seinen Zusammenarbeiten mit anderen MusikerInnen interessiert Abado immer nur die Qualität. So hat er mit österreichischen wie mit internationalen MusikerInnen zusammengearbeitet, das zeigt auch eine seiner – wie er selbst meint – schönsten Produktionen: Die CD „’s geht eh“, die Abado gemeinsam mit Kristof Dobrek, Alegre Correa, Aliosha Biz und Roland Neuwirth im Jahr 2004 eingespielt hat – gleichsam die Crème de la Crème der österreichischen Worldmusic-Szene.

„In ein anderes Land zu ziehen, bedeutet auch, zunächst niemanden zu kennen“, sagt die indische Sängerin Anuradha Genrich und fügt sofort hinzu: „Mir gefällt Wien. Hier bin ich leichter mit anderen MusikerInnen in Kontakt gekommen als in Berlin und habe wunderbare Menschen kennen gelernt.“ Ihre musikalische Erziehung hat mit sechs Jahren begonnen: Aufgewachsen ist sie in der südindischen Stadt Madras und als Teenager hat sie bei Vidwan Sri Bombay Ramachandran, dem Lehrer ihrer Mutter, Unterricht in klassischer südindischer Musik genommen.

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Diese Richtung wird karnatische Musik genannt und ist bis heute die musikalische Heimat von Anuradha Genrich. Nach zehn Monaten des Studiums in Italien und rund zwei Jahren in Berlin, der Heimatstadt ihres Mannes, ist sie Anfang 2014 in Wien angekommen. In Wien spielt sie traditionelle indische Musik, zum Teil auch mit österreichischen MusikerInnen, die klassische indische Musik studiert haben. „Heute ist es schön für mich, bei meinen Wurzeln zu bleiben“, bekennt sie. Die Internationalität hat sie sich aber erhalten: Inzwischen hat Anuradha Genrich auch schon in Australien Auftritte absolviert, gemeinsam mit Aborigines und in Indien mit buddhistischen Mönchen gesungen.

International besetzt ist auch die Gruppe Wienanda: Die MusikerInnen, deren Musik auf indischen Gebeten und Mantras basiert, stammen aus Brasilien, verschiedenen europäischen Ländern und Indien. „Wenn es so etwas wie eine asiatische Musikszene in Wien gibt, dann sind wir auch ein Teil davon“, meinen Wienanda.

„Ich habe von Ravi Shankar gelernt, sehr ehrlich in Bezug auf die Musik und auf mich selbst zu sein.“

Das gilt auch für den Sitarspieler Alokesh Chandra, der seit rund zehn Jahren den Verein Alankara betreibt, der sich für die Verbreitung klassischer indischer Musik einsetzt. Mit dem Verein Raga besteht seit 2014 eine weitere Plattform für klassische indische Musik in Wien. Alokesh Chandra wurde in der Ukraine geboren und hat seit Mitte der 1990er Jahre die meiste Zeit in Indien verbracht. Dort hat er beim berühmten Sitarmeister Ravi Shankar studiert, durch den das Instrument erst bekannt wurde. Shankar hat einst mit The Beatles zusammengearbeitet. „Es war wirklich Glück und das größte Erlebnis in meinem Leben, fünf Jahre Schüler von Ravi Shankar zu sein“, sagt Chandra. Diese Zeit wäre auch eine große Herausforderung gewesen, Shankar habe keine Bezahlung, aber Fortschritte von seinen StudentInnen im Sitarspiel erwartet. Das wäre eine Lebensschule gewesen, in der es um mehr als um Musik gegangen sei. „Ich habe von Ravi Shankar gelernt, sehr ehrlich in Bezug auf die Musik und auf mich selbst zu sein“, sagt Chandra, dessen Familie mütterlicherseits Wurzeln in Kasachstan hat. Seit rund zwölf Jahren lebt er in Wien, wie Anuradha Genrich spielt er klassische indische Musik und gibt inzwischen selbst Unterricht.

Fazit: Die asiatische Musikszene präsentiert sich inhomogen und damit sehr bunt. Die Bandbreite reicht von Live-Musik in persischen Lokalen bis zu türkischer Rap- und klassischer indischer Musik – die hier lebenden MusikerInnen mit asiatischem Hintergrund laden zu einer musikalischen Entdeckungsreise in Wien ein!

Jürgen Plank
Foto Marwan Abado: Christoph Stahr
Foto Wei Ya Lin: Markus Zahradnik
Foto Hattori: Jeff Mangione
Foto Sainkho Namtchylak: sfd
Foto Nazar: Nazar/Facebook.com
Foto Esrap: Esrap/Facebook.com
Foto Anuradha Genrich: vereinraga.com
Foto Alokesh Chandra: Alokesh Chandra//Facebook.com
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.