Porträt Matthias Naske: Neuer Wind im Wiener Konzerthaus

Die Nachricht der Neubestellung von Matthias Naske zum Intendanten im Wiener Konzerthaus ab 1. Juli 2013 erfreute alle Wiener Musikbegeisterten außerordentlich. Anfang April erfolgte nun durch ihn die Vorstellung des Abonnementprogramms für 2014/15, das er bereits maßgeblich gestalten konnte. Grund genug, Mathias Naske, den Heinz Rögl in einem gemeinsam mit Armin Thurnher geführten Gespräch für die Zeitschrift „Falter“ auch für mica – music austria befragte, hier zu porträtieren. Welche Aktivitäten gedenkt er für die aktuelle österreichische Musikszene zu setzen? Im folgenden eine Vorschau auf die kommende Saison und Auszüge aus diesem Gespräch.

Zur Person Matthias Naske, der den an Neue Musik Interessierten durch seine Zeiten als Generalsekretär bei der „Jeunesse“ kein Unbekannter sein dürfte, und der in Luxemburg durch seinen vorbildlichen, auch innovativen Aufbau des „Établissement public Salle de Concerts Grande-Duchesse Joséphine-Charlotte“ europaweit geschätzt ist, darf noch in Erinnerung gerufen werden, dass er bereits 1981–1987 freier Mitarbeiter im Generalsekretariat der Jeunesse Musicale Österreich war, dass er anschließend Projektmanager einer Europatournee des Wiener Jeunesse-Chors und Organisator des Anton Webern Ensembles sowie 1988–1991 Leiter des künstlerischen Betriebsbüros des Gustav Mahler Jugendorchesters unter dessen Musikdirektor Claudio Abbado war und auch Generalsekretär der Camerata Academica Salzburg unter der künstlerischen Leitung von Sándor Végh. Von 1996 bis 2003 verantwortete Matthias Naske als Generalsekretär der Jeunesse Musicale Österreich den Betrieb von Österreichs größtem Konzertveranstalter (600–800 Konzerte pro Jahr), bevor er nach Luxemburg ging. Schon bei der Jeunesse fiel er durch tolle Festivals an manchmal ausgefallenen Veranstaltungsorten, etwa ein verfallendes Palais,  auf.

Auch beim jetzigen Gespräch (und auch bei seiner gut inszenierten öffentlichen Programmpräsentation, bei der die Bühne des Großen Konzerthaussaales allen Besuchern an Stehtischen Platz bot), betonte Naske, dass es ihm beim Programm vor allem um Veranstaltungen in aller kulturellen und sozialen Breite und Vielfalt des Publikums geht. „Das darf nicht Selbstzweck sein, sondern ist Teil des Funktionierens des kulturellen Lebens.“

Ein Programm zwischen Glamour und Innovation und intelligenter Gestaltung? – „Wir müssen noch deutlicher sagen, dass diese Institution Konzerthaus für etwas steht. Wir stehen für die Zugangsmöglichkeit zu exzellenter Musikkultur. Das Programm steht dafür. Dass es Sehnsucht nach Relevanz gibt, ist normal. Um das zu sein, gibt es verschiedene Methoden das zu erreichen. Im Bewahren, indem man sagt, es gibt einen Kanon an romantischer Literatur, den ich exzellent bewahren möchte, dafür sind mir Muti, Mehta usw. gerade gut genug, weil die die stärksten Statthalter dafür sind.“ Auch das soll das Konzerthaus bieten, aber: „Ich mache mir ehrlich gesagt wenig Gedanken, was die Gesellschaft der Musikfreunde machen soll oder nicht. Bei unseren 500 Veranstaltungen ist stilistisch alles drinnen, nicht nur Beethoven oder Berio.“ Es geht also um mehr als Bewahren.

Naske freut sich darüber, in der ersten von ihm geplanten Spielzeit ein enorm vielseitiges Programm vorstellen zu können. „Es gibt auch in der Klassik Megastars wie Anna Netrebko oder Lang Lang, die so starke Kommunikationskräfte und –kanäle haben, dass Menschen sehr hohe Preise zu zahlen bereit sind, damit sie sie live in Konzerten erleben können. Aber die wirkliche Qualität der Kultur einer Stadt liegt nicht in den Auftritten dieser Stars, sondern in der Breite der Rezeption. Diese 9800 Mitglieder, die wir jetzt haben und wo ich versuche, in einer weiteren Vielfalt des künstlerischen Geschehens in diesem Haus noch mehr Mitglieder zu gewinnen, sind die eigentlichen Träger des kulturellen Geschehens. Und das ist es, was diese Stadt anders macht.

Durchblättert man den neuen, über 170 Seiten umfassenden Katalog, wird klar: Die Spitzen der internationalen Orchesterkultur sind zu Gast, allein die Wiener Philharmoniker bieten hier fünf Orchesterkonzerte, Gastkonzerte von Cleveland bis Concertgebouw  sind vertreten. Besonders fällt die engere Verbindung zwischen dem Konzerthaus und den Wiener Symphonikern auf, die mehr als zuvor im großen Saal aufspielen werden. Zu deren Dirigenten zählen 2014/15 Gianandrea Noseda, Jukka-Pekka Saraste, Mark Elder, Ádám Fischer, Robin Ticciati und natürlich Chefdirigent Philippe Jordan, dessen Repertoire von Bachs „Matthäuspassion“ über Schubert und Dvořák bis zu Janáček („Glagolitische Messe“) und der Uraufführung von Wolfgang Rihms Violinkonzert mit Renaud Capuçon als Solisten reicht. Naske betont auch, dass das „Heimorchester“ des Konzerthausbetriebs zusätzlich zwei neue Zyklen spielen wird. Neben einem erstmals angebotenen Matineen-Zyklus gibt es auch das neue Format „Fridays&7“, bei dem die Mitwirkenden und Mitglieder der Symphoniker nach einem gestrafften Programm ins Garderobenfoyer zu einem musikalischen Ausklang bei Snacks und Getränken bitten, bei dem es auch zu Überraschungen kommen kann.

Vier interessante Musikerpersönlichkeiten stellt das Konzerthaus in der nächsten Saison heraus: Die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, den Dirigenten Robin Ticciati, den Bariton Matthias Goerne und den Kontrabassisten Georg Breinschmid.

Neue Konzertreihen 

Womit wir im Gespräch bei der ‚Gretchenfrage’ angelangt wären: Was ist mit Neuer Musik und Crossover, wie gewinnt man ein jüngeres Publikum? Was macht das Konzerthaus im Besonderen für österreichische Komponistinnen und Komponisten der Gegenwart?

Matthias Naske: „Die Serien, die es diesbezüglich gibt, sind ja bekannt. Es gibt das Klangforum Wien (außerhalb des Abos auch gemeinsam mit Orchester), es gibt PHACE, es gibt Nouvelles Aventures mit Marino Formenti im „Nachspiel“ …  hier finden sich die Antworten auf diese Frage. Es gibt die Festivalplanung für „Bridges“, die ich hoffe, hier im Mai 2015 realisieren zu können. Bei diesem Festival geht es darum, dass internationale Ensembles Neue Musik österreichischer Provenienz spielen. Das ist das andere dessen, was man normalerweise macht: Sonst spielen ja hier österreichische Ensembles, etwa „Windkraft“, um noch ein Beispiel zu nennen. Hier spielen internationale Ensembles österreichische Komponisten. Durchaus mit der Intention, dass die dann auch von denen in deren Heimat gespielt werden (…)“

Natürlich ist die Liste geplanter Uraufführungen und Kompositionsaufträge eindrucksvoll, die Namen wie Thomas Amann, Richard Dünser, Georg Friedrich Haas, Olga Neuwirth, Bernhard Lang, Wolfgang Puschnig und Johannes Maria Staud und andere umfasst (um nur die Österreicher zu nennen). Internationale Komponisten die von denen Werke zu hören sind (Kostprobe): John Adams, Mark Andre, Aperghis, Berio, Rihm, Billone, Cage, Boulez, Grisey, Hososkawa, Kurtág. Ligeti, Poppe …

Matthias Naske: „Weitere Beispiele aus dem Programm? Beim Schwerpunkt Martin Grubinger hat der Schlagzeuger Grubinger junge Leute, die als „Freerunners“ eine populäre Sportart betreiben, zu  einem Projekt eingeladen. Beim Festival „Gemischter Satz“ wird das ganze Haus bespielt werden“, dabei ist (nicht nur) die Musikbanda Franui. Es wird auch junge  Jazzer geben, die im Großen Konzerthaussaal spielen können.“ Nicht zu vergessen: Geplant sind bei einigen Konzerten auch künstlerische Interventionen des  Musikers und Komponisten  Bertl Mütter… „die werden spannend sein, oder er wird mit denen würdevoll scheitern können. Das ist ein  ein gutes Beispiel“. Das Konzerthaus hat Bertl Mütter eingeladen, hier seine „Schule des Staunens“ zu etablieren: Pro Monat wird er sich zwei Konzertprogramme näher vornehmen, Andockstellen dazu suchen, Protagonisten dieser Programme einladen, mit ihm zu plaudern oder auch zu musizieren.

Eine neue Schiene ist auch der  neue Zyklus  „Local Heroes“: Naske: „Eine ganz andere ästhetische Farbe, künstlerisch durchaus ansprechend und sympathisch, die auch neues Publikum bringt. Wobei es nicht nur auf Neues ankommt, sondern es geht um die Menschen dieser Stadt, auch um Vertrauen, das sich langjährig aufbaut.“ Bei den vier ausschließlich auf Stehplätzen angebotenen Konzerten im Berio-Saal  sind die Sofa Surfers, Tini Tramplers Playbackdolls, Königleopold, aber auch eine Secret Swing Society zugange.

Ein guter Teil des Gesprächs drehte sich sodann noch um die finanzielle Situation des Konzerthauses und den  Wandel in der Besetzung der Direktion (nachzulesen im Falter Nr. 17). Hier nur ein kurzer Auszug zum Stand der Dinge (und der Schulden): „ Wir befinden uns in einer betriebswirtschaftlich schlechten Situation, das liegt auf der einen Seite an den Schulden, in denen wir uns befinden, und daran, dass die Stadt Wien vor 17 Jahren die Subvention eingefroren hat. Exakt 1 Million  54.000, — sind seit 17 Jahren gleich, allein der Inflationsverlust beträgt 438.000,– oder mehr, also fast die Hälfte. Und da muss ich sagen: Wir können nicht mehr. Wenn die Stadt will, dass wir diese Rolle weiter spielen, oder vielleicht noch besser spielen, dann machen wir uns eine gute politische Zielsetzung aus, evaluieren wir unsere Risikobereitschaft.  Die ist nämlich da, das ganze Direktorium ist total offen, pragmatisch-realistisch und risikobereit, aber wir brauchen jetzt einfach mehr Geld.

(…)  Von einer größeren Warte aus betrachtet, hätte ich gerne, dass das gesamte kulturelle Leben dieser Stadt im größeren Kontext einmal kulturpolitisch beleuchtet wird. Wofür ist welches Geld und welche Relevanz hat das.“

http://www.konzerthaus.at