mica-Interview mit Christian Ofenbauer

Der Komponist Christian Ofenbauer erzählt im Interview mit Sabine Reiter über japanisches Bogenschießen, Adornos Dilemma, seine eigene Musik und warum er Stilbrüche braucht.

SR: Ich habe gelesen, Sie haben mit fünf Jahren begonnen, Violine zu spielen –  Musikerfamilie oder freiwillig?

CO: Keine Musikerfamilie. In meiner Familie gibt es väterlicherseits Poliere, Baumeister und solche Leute und auf der Mutterseite Juristen. Irgendjemand ist draufgekommen, dass ich vielleicht musikalisch sein könnte, und so wurde ich zu Herrn Andreas Kaplaner in die Musikschule gebracht. Der war damals schon ein alter Herr, den es nach dem Krieg als versprengten Wehrmachtskapellmeister nach Wolfsberg im Lavanttal verschlagen hat. Er hat dort das Musikleben mit Blaskapelle und Musikschule aufgebaut. Es war total lustig sein Schüler zu sein, das hat richtig Spaß gemacht.

SR: Haben Sie gleich mit der Violine begonnen?

CO: Zuerst wie üblich Blockflöte, aber dann hat er gemeint, das verdirbt das Gehör, jetzt machen wir es gleich ordentlich und du spielst Geige. Er ist vor drei Jahren mit 97  gestorben. Er war großartig. Ich kann mich noch erinnern, wie er mir die Notennamen beigebracht hat als Fünfjähriger, das A mit einem Apfel, und daneben hat er den Violinschlüssel und die Notenzeilen gezeichnet. Bei C habe ich vorgeschlagen “Zehe, Herr Kaplaner”, da hat er so einen Fuß mit fünf Zehen gezeichnet, so habe ich den Ton C gelernt. Es war einfach entzückend, es hat richtig Spaß gemacht. Das war ein super Musikunterricht.

SR: Kommen wir in die Gegenwart, zu Ihrer Musik. Sie haben im Lauf ihrer kompositorischen Entwicklung ihren Stil sehr geändert “vom espressivo zu senza espressione” ist da immer wieder zu lesen. Woher kommt diese Entwicklung in ihrer Musik, von den Klangmassen zu richtiggehend minimalistischen Kompositionen?

CO: Vielleicht weil die Menschen stiller werden, wenn sie älter werden.

SR: So alt sind Sie ja noch nicht.

CO: Na ja, ein junger Komponist bin ich auch nicht mehr. Ich würde so sagen, das gestisch Organisierte, espressivo-Starke – es war klar, das kann ich komponieren. Aber wie schaut es aus mit dem Komponieren, wenn ich mir das, was ich kann, aus der Hand schlage? Wahrscheinlich ging das Hand in Hand auch mit der Beschäftigung mit Feldman und Cage, das war vor fünfzehn, zwanzig Jahren sehr interessant für mich. Ich habe auch viel am Studium der Partituren von Feldman gelernt.  Leider habe ich ihn nie persönlich kennen gelernt. Aber das macht ja nichts, er war in meinem Leben oder in meiner Existenz als Komponist insofern transitiv, indem ich einfach die Partituren, die er hinterlassen hat, studieren konnte, mir einen Reim darauf gemacht habe, und auch für mein eigenes Komponieren Schlüsse daraus gezogen habe. Also ungefähr so: Ofenbauer ist zurzeit ein Komponist, der seinen Feldman kennt.

 

SR: Hat das Minimalistische, Ruhige, etwas mit dem Bogenschießen zu tun? Mit Zen?

CO: Ich weiß nicht was Zen ist, ich schieße den japanischen Bogen. Ich weiß, dass Kyudo (kyu = Bogen; do = Weg) immer im deutschsprachigen Raum mit diesem Zen-Bogenschießen assoziiert wird, aber nachdem ich nicht weiß, was Zen ist und folglich auch die Kombination zwischen Bogenschießen und Zen nicht herstellen kann, stelle ich mir gar nichts vor. Aber vielleicht spielt das insofern eine Rolle, als es zur selben Zeit gekommen ist. Ich war damals einfach auf der Suche nach, sagen wir einmal, einem weiteren Instrument, das diese Überlegungen einfach unterstützt hat, vielleicht indem das Bogenschießen mir auf die Schulter klopft und sagt, Ofenbauer geh als Komponist diesen Weg – so eine Art Stärkungsmaßnahme.

SR: Aber es hat schon mit Kontemplation zu tun?

CO: Ich weiß nicht, ich mag diese Rubrik nicht so wahnsinnig gern. Wie ich damit begonnen habe, habe ich geglaubt, dass das sozusagen eine Meditation im Stehen ist. Japanisches Bogenschießen ist wahnsinnig formal, man muss Bewegungen lernen und Bewegungsfolgen, geradezu Choreographien. Aber das hat sich eigentlich in den letzten zehn Jahren der Beschäftigung mit dem Bogenschießen aufgelöst, weil ich sehe, dass das  eine ganz einfache Geschichte ist. Es gibt einen Pfeil, es gibt einen Bogen, es gibt einen unzulänglichen menschlichen Körper, es gibt eine Zielscheibe und zu all dem muss ich eine Haltung einnahmen. Das ist das Interessante am Bogenschießen: Die strikte Einnahme der Haltung. Ich muss damit rechnen, dass ich frustriert werde, ich werde das nicht auf Anhieb können, ich werde dazu zwanzig Jahre brauchen und perfekt werde ich nie werden, weil die ganze Versuchsanordnung darauf hinausläuft, dass der Schuss immer misslingen kann, weil so viele Komponenten eine Rolle spielen. Also man ist nie ein Meister – das ist nur jemand, der viel Erfahrung im Umgang mit diesen Unwägbarkeiten hat.

SR: Also wäre ich mit meiner Frage, ob ihre Musik und Bogenschießen für Sie etwas miteinander zu tun hat, auf der falschen Spur?

CO: Das kann man so auch nicht sagen, das Bogenschießen ist ja mittlerweile von mir und meiner Existenz nicht abgetrennt. Ich würde zum Beispiel nie sagen, dass das ein Hobby von mir ist. Aber ich würde zum Beispiel auch nie sagen, dass Komponieren ein Hobby von mir ist, obwohl ich das im Kapitalismus eigentlich gar nicht anders formulieren könnte als so, weil man vom Komponieren nicht leben kann. Trotzdem würde ich nie sagen, das Komponieren ist mein Hobby. Ich würde es vielleicht so angehen, dass ich sage, das Bogenschießen ist so wichtig wie das Komponieren geworden, es erfreut mich über alle Maßen, dass man zu Beginn des 21. Jahrhunderts so etwas Nutzloses machen kann. Ich muss mir mein Mittagessen nicht schießen, ich lebe ja nicht in Wald und Flur. Und so ähnlich ist das mit dem Komponieren auch. Es ist ja herrlich, dass man etwas machen kann, oder sich die Freiheit nimmt, oder irgendwelche Strategien entwickelt, die es ermöglichen, dass man etwas tun kann, das im Grund genommen überhaupt niemand braucht. Das finde ich herrlich.

SR: Walter Weidringer hat ihre Musik auch als “radikal jeden ausdrucksbedingten Bedeutungszusammenhang verweigernd” beschrieben. Ist es für sie eigentlich einfach, mit der Stimme zu arbeiten?

CO: Das kommt darauf an, wie man Stimmen behandelt. Wenn man ihnen Funktionen zuweist, die eine Interpretation ins Espressivo hinein nahe legen, dann funktioniert die Stimme so, wie Sie es gerade beschreiben haben, aber wenn man das z.B. herunterkühlt, dann fängt sie an, ganz anders zu klingen. Nur weil eine Oboe eine Oboe ist, heißt das noch lange nicht, dass sie ein Ausdrucksinstrument ist. Man muss sie als Komponist dazu machen. So sehe ich das mit der Stimme, die Stimme kriegt keine Sonderbehandlung von mir. Ich bin kein Belcanto-Komponist.

SR: In Penthesilea wirken die gesungenen Teile espressiv, die instrumentalen Klänge gehen in die andere Richtung.

CO: In den Opern haben Sie ein anderes Problem. Sie haben ein strukturell-hierarchisches. Erstens gibt es Texte, und weil ich will, dass man sie versteht, komponiere ich sie so, wie ich es getan habe. Ich möchte von der wirklich wunderbaren Kleistschen Sprache nichts verloren geben, also muss ich das so komponieren. Es gibt auch andere Stücke von mir, zum Beispiel ein kleines, sechsminütiges Stück für Frauenchor, das mag ich total gern, da gibt es nur Laute und keinen Text. So geht es natürlich auch, aber das ist ein anderes Konzept. Wenn ich Oper mache, dann möchte ich, dass der Text verständlich ist. In dem Moment gibt es sofort das Problem von Haupt- und Nebenstimmen. Jetzt könnte man als Komponist sagen, für ein senza espressione-Konzept wäre natürlich, wobei man das auch noch einmal genau überlegen müsste, eine Verwerfung der Hierarchie von Haupt- und Nebenstimmen nützlich. Aber in der Oper geht das nicht. Da wird man immer eine Hauptstimme haben, nämlich den Menschen, der spricht. Mir ist das auch ganz recht so, ich habe meinen Frieden gemacht damit.

SR: Also da gab es schon.

CO: Es gab Schwierigkeiten, ja. Auf der anderen Seite komme ich vom Theater. Ich habe in den 80er Jahren mit dem TheaterAngelusNovus hier in Wien zusammengearbeitet. Das hat mich stark geprägt und mein Freund Joseph Szeiler, der einer der Mitbegründer dieser Truppe war, hat immer wieder antike Themen ins Spiel gebracht. Wir haben Prometheus gemacht, wir haben Homer-Lesungen gemacht, wir haben Tod des Hektor als Musikprojekt gemacht. Das heißt, die Antike hat immer eine große Rolle gespielt, deswegen dann eben die Trilogie. Es ging bei Tod des Hektor um eine Entäußerung der Funktion des Komponisten, also für unsereinen ein äußerst schwierig zu handhabendes Problem. Denn man muß bedenken, dass es zwar ein Musikprojekt war, aber gleichzeitig ist niemand in der Theatergruppe musikalisch geschult gewesen. Es war eine Musiktheater-Arbeit, aber die Betonung lag dabei auf Theater. Wahrscheinlich ist Tod des Hektor als Beitrag zum Musiktheater die radikalste Arbeit, die ich jemals auf diesem Gebiet gemacht habe – das behauptet zumindest der Szeiler immer. Es war auch wirklich sehr beeindruckend, fand ich, diese zwölf Stunden im noch nicht renovierten Semper-Depot.

Aber letzten Endes wollte ich dann doch einmal zum Beispiel einen Chor komponieren, ich wollte einfach die musikalische Setzung, ich wollte meine Funktion als Komponist nicht hergeben, obwohl ich das dort hätte lernen können. Aber dann hätte ich aufgehört, Komponist zu sein. Also habe ich mich hingesetzt und eine Antiken-Trilogie geschrieben. Ich habe drei Frauenfiguren verarbeitet: Medea, Penthesilea und die Elektra-Paraphrase Wache. Die Idee der Trilogie ist, dass die Namen der Protagonistinnen aus den Titeln immer mehr verschwinden. Die erste Oper heißt schlicht Medea, die zweite heißt SzenePenthesileaEinTraum; da ist Penthesilea schon von anderen Worten eingerahmt, und die dritte heißt nicht mehr Elektra, sondern Wache. Das ist die Idee, dass die Protagonisten eigentlich immer mehr ins Allgemeine gezogen werden, vielleicht wie ein Beispiel, was ihre Agitationsflächen und ihre Existenz bedeuten. Das hat ja vierzehn Jahre gedauert, teilweise war das auch ein schönes Leben, tagelang zu verschwinden, nicht zum Telefon zu gehen, an den Partituren zu sitzen, ein bisschen monomanisch der Welt abhanden zu kommen. Medea hat ja noch viele Espressivo- und abbruchhafte Momente, aber das hat sich immer mehr zu etwas anderem entwickelt.

https://www.musicaustria.at/musicaustria/liste-aller-bei-mica-erschienenen-interviews