mica-Interview mit Mimu

Miriam Mone alias Mimu bzw. Mimu Merz macht keine halben Sachen – egal, ob sie nun Bildende Kunst produziert, sich auf Facebook in Sprachspielen ergeht oder musiziert: sie gibt überall mindestens hundert Prozent. Nach Kollaborationen mit Kollegen wie Ritornell oder Clara Moto legt die vorwiegend in Wien lebende Steirerin jetzt mit „Elegies in Thoughtful Neon“ ihr Debütalbum vor, an dem sie jahrelang gearbeitet hat und über dessen außergewöhnliche Qualität auch schon länger Gerüchte die Runde machten. Tatsächlich ist die den Hörer fordernde wie auch belohnende Platte das intensivste Album aus Österreich 2013. Sebastian Fasthuber hat Mimu dazu befragt.

Du bist eine extrem vielseitige Künstlerin. In dem Interview soll es aber vor allem um dein Album „Elegies in Thoughtful Neon“ gehen. Welchen Stellenwert nimmt die Musik in deinem Schaffen momentan ein?
Mimu:
Ich weiß da nie genau, was ich sagen soll. Ich habe Augen, Ohren, Hände und einen Mund. Ich werde also sehen, hören, schaffen und sprechen/singen. Man kann allerdings nicht leugnen, dass selbstverursachte Musik mir mittlerweile im Entstehen näher geht als beispielsweise eine Zeichnung. Der Moment des Musizierens ist oft sehr emotional intensiv, denke ich – einen Text zu schreiben auf seine Art aber auch. Ansonsten verleihe ich den einzelnen Artikulationsweisen keine Stockerlplätze.

Deine Musik lässt sich nicht festlegen. Es sind mehr verdichtete Erzählungen als Popsongs, kommt mir vor. Inwiefern sind dir die Inhalte und auch deren Verständlichkeit wichtig?
Mimu:
Wenn die Stücke als Erzählungen aufgefasst werden, passt mir das sehr gut. was Verständlichkeit betrifft: Manchmal mag ich’s ganz gern, wenn man gewisse Dinge offener lässt, metaphorischer – man kann dem Hörer so ebenfalls etwas mehr individuelle Zugänge bieten. Alles in allem gibt’s aber sowieso unterschiedliche grade der Abstraktion auf der Platte. „Politik der Liebe“ knallt ja relativ unverblümt daher, während „Father and Sin“ sehr kryptisch verbleibt.

Inwiefern soll das Album auch als große Erzählung funktionieren? Gibt es ein übergeordnetes Thema? Die, ähem, Liebe?
Mimu:
Eine große Erzählung zu schaffen war jetzt nicht vorrangiges Ziel. Aber natürlich sind die Stücke schon irgendwie verwandt – da sie alle einer gewissen Stimmung folgen. Von da her ergibt sich schon eine gewisse Konsistenz, die zwischen zwei Extrema schwankt: Minne und Krieg. Also ein vollständig glückliches Liebeslied lässt sich auf der Platte ja nicht finden. Irgendwas geht immer schief. Vielleicht ist es auch ein Kunstmärchen. Eine Verehrungs- und Trauerleistung.

Wie sind die Stücke entstanden – die wenigsten klingen danach, als hättest du dir gesagt: Ich setz’ mich jetzt einmal hin und schreibe ein Lied.
Mimu:
Hm… nein. Eigentlich sind diese Stücke wohl in mehreren Phasen entstanden. Zuallererst mal sehr reduziert und durchaus wirklich aus dem Spielen und Singen heraus, aus dem Improvisieren und Vor-sich-hin-Sprechen. Das geht schon recht hurtig oft, quasi aus dem Affekt heraus, und passierte in Ruhe, im Versinken. Dann schreibt man sich’s mal auf und spielt sie noch hunderte Male, bis sie sich in ihre Form eingelebt haben. Dann, in diesem Fall ist es zumindest so geschehen, nimmt man’s mit ins Studio, baut sich die Grundform auf und erweitert diese mit allen Mitteln, die interessant erscheinen.

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Wie liefen die Aufnahmen?
Mimu:
Diese letzte Phase hat manchmal sehr lang und manchmal überhaupt nur sehr kurz gedauert. Man probiert Sounds aus, Arrangements, man hat zusätzliche Ideen, Bilder entstehen im Kopf, Schichtungen, Wendungen. Auch der Input anderer Musiker ist an dieser Stelle sehr wichtig – wie z.B. der von David Schweighart, der sich auf der Platte unter anderem im Gitarrenarrangement verewigt hat, aber auch völlig haltlosen Tempowechseln herrlich mit dem Schlagzeug begegnen und diese dann so richtig ausformulieren kann. Es ist ein großartiger Prozess, den ich so sehr genossen habe wie selten etwas davor.
Ein unglaublicher Luxus war, sich durch ein Brauner ein Glas prickelndes Mineralwasser anzuhören („Father and Sin 2“ – Fläche hinter Spokenword-Sequenz). Das ist irgendwie so, als würde man sich den Mond mit der Angelschnur zur näheren Betrachtung herholen.

Welche Rolle nimmt Peter Kutin als Co-Autor der Stücke ein? Man kennt ihn vor allem als Elektroniker bzw. Elektroakustiker. Interessanterweise klingen weite Teile der Platte sehr natürlich.
Mimu:
Welche Rolle er wo genau einnimmt, lässt sich den Credits entnehmen. Er war prinzipiell der, der mich dazu einlud ein Album aufzunehmen. Ihm hat die Platte die hohe Klangqualität zu verdanken. Peter hat viele Ideen, die in Richtung Sounddesign gingen, erst möglich gemacht. Ich denke, wir haben ein sehr ähnliches Hörverständnis. An ihm schätze ich sehr seine Offenheit und last but not least auch seinen Humor. Weite Teile der Platte klingen sehr natürlich, weil einfach fast keine synthetischen Sounds verwendet wurden.

Field Recordings sind eine Art Grundierung für die Stücke. Was fasziniert dich daran?
Mimu:
Ich denke, die Faszination für Soundscapes wohnt uns beiden inne: Peter, der unglaublich hochwertige Aufnahmen in aller Welt gesammelt hat, und mir, die ich eigentlich aus den visuellen Künsten komme. Für mich ist es ein auditives Bild, das gemalt wird. Eine Soundscape sagt mehr als tausend Worte.

Wie lange habt ihr, alles in allem, an der Platte gesessen?
Mimu:
Nach einem Jahr Content-Produktion meinerseits etwa haben wir mit dem Album begonnen. Die Arbeit an den Stücken ging wohl zwei Jahre so dahin, dann bin ich nach Paris verschwunden – und jetzt lassen wir sie raus in die Welt: soll sie ein bisserl herumspazieren und was erleben.

Wie wichtig waren die beteiligten „beloved guest musicians“ für das Album, wie befruchtend wirken auch deine Kollaborationen wie die mit Ritornell oder Clara Moto? Wenn ich mir deine Mimu: Postings auf Facebook ansehe, würde ich dir jedoch einen gewissen Hang zur Monomanie unterstellen.
Mimu:
So streng Richard Eigner auch oft ist – ich konnte mir einen eigenen Facebook-Account rausverhandeln. Zu den „beloved guest musicians“: Ich arbeite wirklich sehr, sehr gerne mit anderen Musikern zusammen. Ich improvisiere auch unglaublich gern – konkret und abstrakt. Bei dieser Produktion waren die Beteiligten ja schon lange im musikalischen Umfeld, man hatte gemeinsame Konzerte gespielt und ist sich auch freundschaftlich verbunden. Was bei so einer fragilen, persönlichen Produktion auch unerlässlich ist. Zusammen zu musizieren war besonders anfangs für mich wie sich den Atem zu teilen. Es ist ein fantastischer Moment, wenn man merkt, das alle gerade synchron ticken. Ich hatte aber eigentlich sehr konkrete musikalische Vorstellungen, die Musiker wurden ins Studio eingeladen und ergänzten diese bzw. machten diese überhaupt erst möglich.
Zu den Projektbeteiligungen: Mit Ritornell verbindet mich nun schon eine jahrelange musikalische und persönliche Freundschaft, vor allem mit Richard Eigner. Ritornell funktioniert in sich natürlich sehr anders als mein Mimu-Projekt. Es ist weitaus verkopfter und durch die fabelhaften instrumentalen und kompositorischen Kapazitäten Eigners (seines Zeichens Schlagzeuger) und Roman Gerolds (Pianist) musikalisch formal komplexer. Ich bin sehr froh, dass das so ist, weil es mir bei meiner persönlichen Entwicklung schon was gebracht hat. Man braucht ja den Input anderer Musiker unbedingt, sonst bleibt man ja quasi auf sich selber „picken“ und irgendwann sind die kreativen Mittel erschöpft. Ich werde auch gern gefordert. Ich bin völliger Autodidakt, darum sind Kooperationen der Weg für mich dazu zu lernen. Aber prinzipiell bin ich natürlich sehr autonom. Sonst wär ich Sängerin in einer Coverband, nicht?

Von deinem Album war schon seit Jahren immer wieder die Rede. Woran lag es, dass es erst jetzt erscheint?
Mimu:
Ach – am Leben lag’s. Ab Mitte zwanzig, also relativ spät erst, habe ich mich der Musik gewidmet. Irgendwie bin ich mit diesem Album gewachsen. Dazwischen hab ich mich in Paris rumgetrieben und auch mit vielen anderen Musikern gespielt und konzertiert. Jetzt bin ich und sind wir bereit es rauszulassen in die Welt und zu sehen, wie es für andere wirkt. Mir war’s einfach sehr lange ein sehr persönliches Ding. Irgendwie hat’s abliegen müssen.

Was ich gehört habe, gab es Angebote von diversen Labels. Warum ist es letztlich mit Liska ein ganz neues Label geworden?
Mimu:
Because we can. Man darf in nächster Zeit mit einem weiteren Projekt, das auf Liska erscheinen wird, rechnen. Ich freue mich schon sehr darauf.

Das Album veröffentlichst du als Mimu. Es gibt aber auch noch Mimu Merz und Mimu at Nite. Sind das alles unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten?
Mimu:
Nein, nicht wirklich. Die Sache ist eher die, dass ich ja eh immer ich bin, nur die Situation ist immer eine andere. Mimu ist nun das Studioalbum-Projekt, das in die elektroakustische Richtung geht. Mimu Merz ist einfach mein Name und umfasst alles, was ich im Kunstkontext mache. Mimu at Nite bezeichnet meine Guerillaausflüge: rein akustisch, oftmals an Orten abseits von normalen Veranstaltungsstätten wie Stiegenhäusern, Wohnzimmern, Tiefgaragen, Lichthöfen oder einer Gartenhütte. Da wird das Publikum mittels mitgebrachter Objekte wie Plastiksackerl, Spieluhren oder Mobiltelefone auch klanglich aktiv. Bestenfalls, wenn es sich ausgeht, bezieht man die Räume auch mit ein (Objekte im Raum, sich durch verschiedene Räume bewegen). Auch hier haben oftmals andere Musiker mitgemacht, was dann auch wieder eine Melange aus Singer/Songwriting und Neue Musik mit sich bringt. My favourite „how to generously merge a semi-structured song with honest improfitzifatzi“ allstars sind Meaghan Burke (Cello/Stimme) und Bernd Klug (Kontrabass/ Feedbacking).

Siehst du Verwandtschaften zu Künstlerinnen wie Gustav? Bei „Politik der Liebe“ habe ich zunächst sogar geglaubt, das sei ihre Stimme.
Mimu:
„Politik der Liebe“ spreche ich üblicherweise schon selber. Ich würde sagen, Gustav ist mein Großcousin, Joanna Newsom ist der Onkel aus Amerika, Laurie Anderson ist der Pastor Bonus, Meaghan Burke ist mein guter Zwilling, Soap&Skin kommt auch aus der Steiermark, mit Clara Moto feiere ich gern Weihnachten, mit Anna Unused Word würde ich gern mal länger plaudern (huhu, liebe Grüße!), Cherry Sunkist treffe ich vergleichsweise oft zufällig in der U-Bahn. Alles großartige Persönlichkeiten.

Welche Rolle spielt Feminismus für deine Arbeit?
Mimu:
Die gleiche wie in meinem Leben.
Fotos Mimu: Promo