mica-Interview mit Massimo Marchi

Am Dominikanerplatz liefen einst alle Fäden zusammen, hier lag der wirtschaftliche und künstlerische Mittelpunkt Bozens. Heute befindet sich dort immer noch ein künstlerisches Zentrum – im säkularisierten Klostergebäude der Dominikaner sind nicht nur die städtische Kunstgalerie, sondern auch das Konservatorium Claudio Monteverdi untergebracht. Seit 2005 führt dieses eine Klasse für Musik und Neue Technologien, das sieben Dozenten und zwei externe Lehrer beschäftigt. Die Abteilung koordiniert das Biennium für Musik und Neue Technologien (Masterstudium) und seit gut zwei Jahren das Triennium für Elektronische Musik (Bachelor-Studium).

Dank dem Einsatz von Lehrenden und Studierenden konnte diese Abteilung in den vergangenen Jahren elektroakustische Konzerte, Live-Performances und Installationen an verschiedenen Orten der Region und darüberhinaus realisieren, wie etwa an der Universität der Künste Berlin, an der Universität Leonardo da Vinci in Mailand, der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien oder in Hall in Tirol, usw. Mit dem Leiter der Klasse für Neue Technologien Prof. Massimo Marchi sprach Ulla Fuerlinger.

Elektroakustische Musik im ehemaligen Dominikanerkloster? Eine logische Sache (Geistliche waren stets Förderer der Künste) oder merkwürdiger Kontrast?

Das Kloster ist ja keines mehr, doch die architektonische Struktur ist die alte und wirkt natürlich sehr stimulierend auf unsere Arbeit. Und in der Kirche werden durchaus noch Messen gelesen. Elektronische Musik in Klosterräumen hat für uns nichts Außergewöhnliches  mehr, wir arbeiten schon seit mehreren Jahren in diesem Ambiente – es ist also Normalität für uns. Ich mache seit etwa 25 Jahren elektronische Musik, stamme aus Venedig und habe dort studiert. Der Lehrgang für elektronische Musik am Konservatorium in Venedig war in einem der schönsten Gebäude der Stadt, einem Palazzo aus dem 15. Jahrhundert, untergebracht. Deswegen steht mein musikalisches Tun seit jeher in einem starken architektonischen Kontext. Mein Interesse galt von Anfang an eher der zeitgenössischen Musik, mehr als z. B. der Musik der Romantik oder der Klassik. Zeitgenössische und elektronische Musik verbindet sehr viel mit der sogenannten „Alten Musik“. Somit hat es für mich schon fast etwas Logisches, dass wir als Institut für Neue Technologien in einem historischen, denkmalgeschützten Gebäude angesiedelt sind.

Zeitgenössische und Elektronische Musik haben es hierzulande nicht immer leicht. Mir kommt oft vor, dass uns der europäische Background bisweilen etwas bremst, vergleicht man etwa mit den Vereinigten Staaten. Dabei möchte ich nicht behaupten, dass die mächtige europäische Geschichte wie ein Klotz am Bein oder hemmend wirkt, aber bisweilen und gerade was Experimentelle Musik angeht, sind wir etwas langsamer und zurückhaltender. Ein amerikanischer Komponist tut sich da manchmal leichter und geht unbeschwerter an sein Werk als ein europäischer, wobei ich da natürlich schon recht allgemein spreche.

Wie kam es zur Installation der Klasse für Neue Technologien?

Das haben wir dem Dozenten Carlo Benzi, er unterrichtet Harmonielehre am Konservatorium Monteverdi, zu verdanken. Er absolvierte das Biennium in elektronischer Musik in Mailand. Dazu hat man sich das italienische Hochschulsystem ein wenig vor Augen zu halten. Vor ca. zehn, fünfzehn Jahren wurden die Konservatorien einer Reform unterzogen. Absolventen z. B. einer Klavierklasse schlossen nach ca. zehn Jahren mit einem akademischen Titel ab, den der italienische Staat jedoch nicht als solchen anerkannt hat. Dann wurde reformiert und man hob das Konservatorium auf Hochschulniveau. Demnach beginnt man mit dem dreijährigen Triennium und setzt mit dem zweijährigen Biennium fort. Hierfür bedarf es natürlich der nötigen Voraussetzungen, d. h. man muss bereits eine Musikschule besucht haben und die nötigen Voraussetzungen mitbringen.
Wie bereits angedeutet, Carlo Benzi absolvierte das Biennium am Konservatorium in Mailand, wo wir uns kennenlernten – ich unterrichtete zu dieser Zeit dort. Aufgrund seiner Anregung und seiner Bemühungen wurde erst einmal das Biennium-Studium in den Neuen Technologien am Konservatorium in Bozen installiert. Dazu bedurfte es eines ministeriellen Einverständnisses aus Rom, was komplizierter klingt als es ist. Benzi gelang es auch, ausreichend Studenten dafür zu interessieren. Vor zwei Jahren sorgte er dann schließlich für die Installation des Trienniums, wiederum war die Voraussetzung dafür das Plazet des Ministeriums. Seitdem leite ich die Klasse für Neue Technologien. Die Studierenden schließen mit einem Akademischen Grad ab – nach Absolvierung des Triennium-Studiums mit dem Bakkalaureat, nach dem Biennium mit dem Master.

Die Aufnahmeprüfungen erfolgen jeweils im Mai. Wie viele Studenten wird ihr Institut im nächsten Studienjahr haben?

Für das kommende Semester nahmen wir zwei Studierende für das Biennium auf, drei für das Triennium. Das wären die neuen. Bedenkt man nun, dass zurzeit unser Institut von acht Studenten frequentiert wird, weist unsere Abteilung für Neue Technologien ab Herbst 2013 also insgesamt elf Studierende aus.

Dem Umstand, dass das Monteverdi ein Büro für internationale Beziehungen unterhält, ist zu entnehmen, dass es nicht nur Studenten aus der Region Südtirol gibt. Ist das so?

Im Moment stammen alle unsere Studenten aus der Region Südtirol. Aber wir sind dabei, die internationalen Beziehungen auszubauen und so wird z.B. einer unserer Studenten über das Erasmus-Programm das kommende Semester in Graz absolvieren. Gleichzeitig möchten wir den Austausch z. B. mit Innsbruck anstreben, denn das dortige Konservatorium hat keinen Lehrstuhl für Elektronische Musik.

Was veranlasst einen Studierenden nach Bozen zu gehen und nicht etwa nach Wien oder nach Mailand? Was „bekommt“ man in Bozen, was woanders nicht in dieser Qualität zu erhalten ist? Kurz: was ist ihr „Alleinstellungsmerkmal“?

Meiner Meinung nach liegt unsere Qualität nicht in unserer langen Tradition, verglichen mit einer altehrwürdigen Universität wie etwa jener von Padua, die sich über die Jahrhunderte am Gebiet der Rechtswissenschaften einen unbestrittenen Namen gemacht hat. Es gibt Institutionen, die sich aufgrund ihrer langen qualitätsvollen und illustren Geschichte einen herausragenden Namen und somit eine starke Anziehungskraft erworben haben. Doch speziell auf dem Gebiet der Künste suchen sich Studenten nicht die Universität aus, sondern vielmehr die dort lehrenden Professoren. Wenn also ein bedeutender Pianist unterrichtet, zieht das Lernende an. Unterrichtet dieser Pianist später woanders, folgen ihm die Studierenden. Was ich damit sagen möchte: Das Renommee einer Universität geht von den dort Lehrenden aus und wird von diesen geprägt.

Die Qualität unserer Abteilung wird im entscheidenden Ausmaß vom Lehrkörper bestimmt. Im Rahmen der Studiengänge liegt großes Augenmerk auf der Interaktion – auch durch die Improvisation – zwischen akustischen Instrumenten und Live-Elektronik. Es lässt sich mit einigem Stolz sagen, dass wir in Bozen auf dem Gebiet des Live-Performing und der Interaktivität sehr gut sind. Zusätzlich zur Gelegenheit, auf einer Bühne zu agieren, bekommen unsere Studierenden auch die Möglichkeit, das ganze in Real Time zu übertragen, und zwar mittels einer Software, die sie selbst programmieren.

Was muss ein Student an Kenntnissen mitbringen, um in Ihre Klasse aufgenommen zu werden?

Diese Frage wirft ein Licht auf einen weiteren Vorzug des Konservatoriums Monteverdi: Natürlich müssen unsere Studenten eine gewisse musikalische Vorbildung vorweisen, doch wenn sich dabei Defizite zeigen, so erhält der Lernende die Möglichkeit sich die fehlenden Kenntnisse während des Studiums bei uns anzueignen, er bekommt also Zeit, „nachzuholen“. Mangelndes Wissen auf einem Gebiet ist also kein Grund, an unserem Haus abgewiesen zu werden.

Auch wenn wir uns mit elektronischer Musik beschäftigen, so hat der Studierende doch auch ein profundes Wissen im Bereich der Musikgeschichte vorzuweisen, muss Partituren lesen können wie natürlich auch ein Instrument beherrschen. Die Studenten unserer Abteilung für neue Technologien haben nicht nur über technische Kompetenzen zu verfügen, sondern auch über solche auf dem Gebiet der Musiktheorie und -praxis.

Auf ihrer Website wird die gute Vernetzung, national und international,  hervorgehoben. So arbeitet ihre Abteilung z. B. mit der Musikuniveristät Wien zusammen, ebenso wie mit den Konservatorien in Genua, Trient und Verona. Wie sehen diese Kooperationen aus?

Über Erasmus bestehen Kooperationen mit Wien und Graz. Mit den Konservatorien Trient und Genua unterhalten wir hingegen einen Austausch von Lehrenden: Ein Dozent von uns lehrt ein Semester an den Konservatorien Trient oder Genua und umgekehrt. Somit fließen die Erfahrungen der jeweiligen Institutionen wunderschön ineinander. Im September startet ein Projekt zwischen den Konservatorien Bozen – Sassari – Cagliari. Jede dieser Institutionen hat zwei Studenten-Teams aufzustellen – jeweils eines, das für Komposition zuständig ist, das andere für die Elektronik. Die daraus resultierenden Stücke werden zwischen 15. und 21. September in den drei genannten Städten aufgeführt. In Bozen beherbergt uns dazu das Museion, das Museum für zeitgenössische Kunst. Im Juni haben wir dort ein Konzert realisiert. Naturgemäß ist das Museion natürlich sehr interessiert an einer Kooperation mit uns, wir sind dort gern gesehene Gäste. Der Freundeskreis des Museums intendiert die bestehende Kooperation mit der Abteilung für Neue Technologien sogar zu intensivieren, etwa im Sinne von musikwissenschaftlichen Vorträgen, die inhaltlich zum Geist und zur Philosophie des Hauses passen.

Das Studium am Institut für Neue Technologien ist sehr praxisorientiert, die Studenten treten oftmals auf, veranstalten Konzerte und Installationen. Was ist in dieser Hinsicht im nächsten Jahr zu erwarten?

Über das Projekt mit den Konservatorien Bozen, Sassari und Cagliari hinaus gibt es gegen Ende des Studienjahres immer ein Abschlusskonzert im Museion und eine Veranstaltung im Rahmen des Erasmus-Programmes.

Seit 2005 existiert Ihr Institut, d. h. es gibt bereits Abgänger. Wo kann man diese antreffen?

Tatsächlich haben wir gerade zwei bis drei Absolventen, die noch heftig auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind. Die Situation in Italien lässt sich leider als ziemlich prekär bezeichnen, wobei ich schon weiß, dass das Problem nicht nur uns, sondern auch andere Länder betrifft. Man kann durchaus sagen, dass der Großteil unserer Absolventen im Anschluss unterrichtet. Unsere Klasse wird u. a. auch von Studierenden besucht, die nicht mehr unbedingt als Jugendliche zu bezeichnen sind, sie sind bereits als Dozenten tätig, die ihre Kenntnisse in Bezug auf elektronische Musik bei uns komplettieren und perfektionieren. Auch Komponisten mit einer klassischen Musikausbildung, die sich in der Folge in den neuen Technologien fit machen möchten, finden sich an unserem Institut. Über Kompetenzen in  der elektronischen Musik zu verfügen, bedeutet nämlich ganz und gar nicht, nur virtuos mit einem Computer umgehen zu können. Da gehört schon ein etwas profunderes Wissen dazu.

Südtirol ist nicht unbedingt das ideale Pflaster für Elektroakustische Musik. Existieren einschlägige  Konzertreihen oder Festivals?

Transart (11. – 28. 9.) ist eines dieser Festivals mit durchaus nationaler und keineswegs nur lokaler Ausstrahlung. Viele Regionen Italiens wären stolz darauf, ein gleichwertiges Festival zu haben. Ja, und im Juli findet alljährlich das Südtirol Jazz Festival statt, da gibt es natürlich schon Berührungspunkte zwischen zeitgenössischem Jazz und elektronischer Musik.

http://www.conservatoriobolzano.it
http://www.hanneskerschbaumer.eu/mnt/info.html
http://www.transart.it
http://www.suedtiroljazzfestival.com