Waves Vienna Konferenz: DAS ERFOLGREICHE LINE-UP

Internationale Festivals mit unterschiedlicher Programmierung präsentierten ihre Konzepte. Renommierte Veranstalter sprachen über ihre Erfahrungen.

Es diskutierten:
Grimur Atlason (Icelandic Airwaves, IS)
Ilya Bortnuk (Stereoleto Festival, RU)
Michal Kascak (Pohoda, SK)
Thomas Zierhofer-Kin (Donaufestival, AT)

Es moderierte:
Benedikt Haupt (LS Konzertagentur, AT)

Benedikt Haupt, der für eine der größten österreichischen Konzertagenturen arbeitet, stellt eingangs klar, dass es seiner Auffassung nach kein allgemeingültiges Rezept für ein erfolgreiches Line-Up gebe. In einer ersten Runde stellen sich seine Diskussionspartner vor:
Grimur Atlason betreut das Icelandic Airwaves, das in einem Hangar anfing und heuer mittlerweile das 16te Mal stattfinden wird. Ilya Bortnuk macht seit 2000 das Stereoleto Festival. Tomas Zierhofer-Kin übernahm vor zehn Jahren das Kremser Donaufestival, das es seit bereits 25 Jahren gibt, und änderte es im Laufe der Jahre von seiner Ausrichtung und Programmierung her radikal. Michal Kascak zeichnet für das nur etwa 190 km entfernte Pohoda-Festival verantwortlich.

Haupt will wissen, wo seine Gäste ihre Artists finden. Laufe dies über Empfehlungen, das Internet bzw. eigene Recherche oder spielt das zuständige Musikexportbüro eine maßgebliche Rolle?

Atlason meint ganz pragmatisch, das habe zunächst einmal mit dem Budget zu tun. Zwar verfüge Island über einen gewissen Exoten-Bonus, die Flugkosten seien aber so exorbitant hoch, dass am Ende des Tages wenig überbleibe. Anfangs gebe es immer eine Wunschliste. Viele von dieser Liste würden dann im Laufe der Zeit aber absagen. „Andere wollen rein, Agenten kommen…“ sagt er. Und er besuche in etwa 20 Showcase-Festivals pro Jahr. Aber um eines klarzustellen: Die ersten Namen auf den Plakaten und im Line-Up seines Festivals seien keine wirklich Großen. Es gehe vielmehr um Qualität.

Bortnuk teilt in Kategorien ein. Die erste Kategorie enthalte Namen wie Massive Attack und Nick Cave. Die zweite Kategorie bestehe aus neuen Acts, die noch nicht so groß seien, aber Potential hätten, wie etwa Ariel Pink. Und die dritte Kategorie schließlich umfasse absolut neue Bands, die das Festival neu entdeckt habe. Und auch er sei heuer bereits auf zehn Festivals in neun unterschiedlichen Ländern gewesen.

Kascak konstatiert, dass es mit vielen Headlinern einem Spiel gleich komme. Mit anderen Worten habe ihn die Erfahrung gelehrt, dass man sich nicht allzu sehr auf große Namen verlassen sollte. Auf was es ankommt, sei, dass er und seine Leute sich sicher sind, dass der Act gut ist. Die Fixierung des richtigen Line-Ups gleiche einem stressigen, aber enorm spannenden Spiel. Die ersten dreißig E-Mails wären Ablehnungen. Aber man härte ab und lerne dazu.

Zierhofer-Kin bezeichnet sich selbst als privilegiert, weil das Donaufestival so viele Sponsoren habe. Für die Auswahl des Programms seien hauptsächlich künstlerische Gesichtspunkte verantwortlich. „Früher haben wir einmal versucht, große Namen zu bekommen, weil wir uns davon mehr Gäste versprachen.“ Im Grunde genommen habe es sich aber dann genau gegenteilig verhalten: Je experimenteller man wurde, desto mehr Leute seinen gekommen. Deshalb hole man heute überhaupt keine Headliner mehr.

Haupt will wissen, wie viel Freiheit seine Gäste bei der Programmierung hätten. Könne man Vorschläge der Sponsoren ablehnen?

Zierhofer-Kin fühlt sich völlig frei. Das Festival habe keine großen Sponsoren. Die gegenwärtigen würden das Festival unterstützen, „weil sie die Idee des Festivals mögen, nicht weil sie mitreden wollen.“ Aber man müsse auch ehrlich sein: 90% des Marktes seien für das Donaufestival nicht leistbar.

Kascak meint, man habe zwar große Sponsoren, sei aber trotzdem auch frei für kontroverse Dinge. Einmischungen würde er sich nicht gefallen lassen.

Haupt spricht den Fall an, mit dem sich früher oder später jeder Festival-Veranstalter konfrontiert sehe: Dass ihm nämlich ein großes Zuckerl geboten werde für den Fall, dass er vier, fünf kleinere Acts als Art Gegenleistung buche. Mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass man letztlich die kleinen kriege, der große aber trotzdem nicht komme.

Bortnuk meint, die Verantwortlichen würden ihm vertrauen. In neun von zehn Fällen sei auch die Übereinstimmung mit der Red Bull Music Academy gegeben.

Atlason meint, dass schon die Flaming Lips oder War on Drugs eigentlich Acts seien, die den gegebenen Rahmen des Festivals sprengen würden. Sie hätten für maximal 2.800 Leute Platz. Und in dieser Größe gebe es in ganz Island eine Halle, deren Sponsor Vodafone sei. Sein damaliger Sponsor, der andere Anbieter, wollte nicht, dass dort Konzerte stattfinden. Also habe man den Sponsor einfach gewechselt. Warum? Weil man sich nicht derart limitieren lassen dürfe. Natürlich kenne er den von Haupt angesprochenen Fall. Mit ihm ist jeder einmal konfrontiert, nur die Band, deretwegen man sich auf derlei einlasse, habe er im Endeffekt nie bekommen.

Wie abhängig ist man vom Ticketverkauf?

„Im Grunde genommen gar nicht“, meint Atlason. 76% des Geldes, das ihm zur Verfügung stünde, komme vom Ticketverkauf. Das Programm müsse nur interessant sein, dann funktioniere es auch. Manchmal sei es besser, etwas Obskures zu bringen als auf Nummer Sicher zu gehen.

Auch Kascaks Festival finanziere sich zu zwei Dritteln über den Verkauf von Tickets. Man suche auch seit langem nicht mehr um staatliche Förderung an. Einmal, um wirklich frei zu sein, und dann, um der Politik bzw. dem zuständigen Minister nicht die Genugtuung zu geben, sich mit dem Erfolg des Festivals zu brüsten.

Beim Donaufestival verhalte es sich so, dass das staatliche Geld in eigene Produktionen gesteckt werde, so Zierhofer-Kin, die dann letztlich auch das Besondere ausmachten.

Bortnuks Festival finanziere sich nur zu etwa 30 bis 40% as dem Ticketverkauf. Das staatliche Geld – das sei wohl das genaue Gegenteil zu dem Modell von Zierhofer-Kin – werde dafür verwendet, zugkräftige Headliner an Land zu ziehen.

Wie wichtig sind lokale Bands für das Festival?

Enorm wichtig, so Bortnuk. Man habe eine eigene Bühne. Er sei stolz darauf, viele Bands selbst entdeckt und auf die Bühne gebracht zu haben. Viele Leute kämen, weil sie darauf vertrauen würden, dass sie einen enorm hohen Qualitäts-Level bekommen. Das treffe auf bekannte und unbekannte Acts gleichermaßen zu.

Kascak meint, 50% des letzten Line-Ups seien lokale Acts gewesen. Die meisten von ihnen hätten aber auch nur auf kleinen Bühnen gespielt, relativiert er.

Zierhofer-Kin erklärt, dass es mit lokalen Acts, die in seinem Falle aus Krems und näherer Umgebung kämen, nicht getan sei, weil circa 60% seines Publikums aus Wien kämen. Weiter fühle sich das Donaufestival auf jeden Fall als Plattform für lokale Acts verstanden, die es jedoch zu ermuntern gelte, etwas Besonderes zu machen, d. h. in besonderen Konstellationen aufzutreten, spezielle Programme zu zeigen.

Atlason meint, ihm gehe es erstens um internationale Anerkennung, zweitens um die Ankurbelung des Tourismus „off season“, denn wer schon fahre sonst im Spätherbst nach Island, und drittens um den Export isländischer Acts. Exportieren aber könne man aber immer nur, wenn man auch etwas importiere.

Was mache das Festival außergewöhnlich, will Haupt abschließend wissen.

Bortnuk: Die Idee sei es, ein gutes Festival mit entspannter Atmosphäre über die Bühne zu bringen. Es gehe nicht nur um die Musik. „Es gibt auch Ausstellungen“. Und man müsse genau diesen Level halten. Mittlerweile komme schon die zweite Generation, so Bortnuk.

Kascak: „Die Vielfalt ist es: Bands, Diskussionen, Filme, Workshops, Visual Arts und Literatur-Performances.“

Zierhofer Kin: „Die Kombination unterschiedlicher Medien.“ Österreich sei ein Land, in dem oft und gerne zwischen Unterhaltung und Ernst, zwischen Pop und Avantgarde getrennt werde. „Wir teilen nicht ein, sondern transportieren die Idee, dass Kunst, egal woher sie kommt, gleichberechtigt ist.“

Atlason schmunzelnd: „Aktive Geysire. Das Wetter kann Scheiße sein, das Erlebnis aber ist bei uns einzigartig.“

Eine letzte Runde beschäftigt sich mit dem Rat, den die Anwesenden jungen Veranstaltern geben würden.

Zierhofer Kin: „Nie das Publikum unterschätzen!“
Kascak: „Etwas eigenes machen, die eigene Reputation im Auge behalten und für gutes Catering sorgen.“
Bornuk: „Viele andere Festivals besuchen, sich dort Dinge abschauen, aber nicht kopieren.“
Atlason: „Heute gibt es so viel, es muss deshalb einzigartig sein, wenn es sich durchsetzen will. Leute reisen. Wenn es nur hundert Kilometer weiter das Gleiche gibt, werden sie das bemerken und künftig nicht mehr kommen.“
Markus Deisenberger

 

Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.

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