mica – Interview mit Matthias Loibner

Es gibt mindestens zwei Arten von Musikern, die es ZuhörerInnen besonders schwer machen, an ihnen vorbei zu hören. Die einen besetzen ein Genre so total, sind so allgegenwärtig, dass sie nahezu mit dem Genre identifiziert werden. Country-Music ohne Johnny Cash ist genau so undenkbar wie Blues ohne B. B. King. Andere Musiker hingegen zeigen Präsenz nicht in einem, sondern gleich in mehreren Genres. Einer dieser Könner ist Matthias Loibner, ein 1969 in Graz geborener Meister der Drehleier, der unaufdringlich, aber beharrlich mit seiner Kunst Positionen in der Barock- und Volksmusik, in der improvisierten und jazzverwandten Musik besetzt. So verschafft er sich mit immer neuen Projekten Gehör.

Du wurdest 1969 in Graz geboren, hast auch in Graz klassische Komposition, Jazzkomposition, Chor- und Orchesterleitung studiert. Es gibt Musiker, die geben als Haupteinfluss für ihre Musik die Landschaft oder das urbane Milieu auf, in der sie aufgewachsen sind. Wie wichtig war das für dich, in Graz? Und welche Bedeutung hatte dabei das Studium?

Ich mag Graz gern, aber meine Studien-Zeit bestand aus jugendlichem Ideenüberfluss, sozialen Lernprozessen, Verliebtheiten etc., die auch anderswo stattfinden hätten können. Meine Heimat sehe ich mehr am Land als in der Stadt. Das Studium ist mir vor allem in Erinnerung als Anfang eines Weges, den ich eines Tages nicht mehr gehen wollte. Insofern hat es mich sehr geprägt.

Du kannst Klavier, Gitarre und Posaune spielen. Bekannt geworden bist Du aber durch dein Spiel auf der Drehleier. Wie bist Du zu diesem nicht alltäglichen Instrument gekommen?

Ich “kann” seit einigen Jahren eigentlich kein Instrument außer der Drehleier wirklich spielen. Ich hab zu Hause noch Gitarre und Cembalo, aber auf diesen Instrumenten zu spielen, das ist ein seltenes privates Vergnügen. Die Drehleier, die ich nun seit ca. 20 Jahren spiele, ist beinahe ebenso lang mein Hauptinstrument.
Ich kannte vor meinem Studium von diversen Folkfestivals (wie Bärfolk und Retzhof in der Steiermark) bereits traditionelle Musik aus Österreich und anderen Ländern, die mich sehr bewegt hat. Im Umfeld der Musikhochschule bildete ich mir ein, eine Überheblichkeit gegenüber traditioneller Musik wahrzunehmen, die für mich Inbegriff einer Musik mit Substanz und unpolierter Oberfläche war, im Gegensatz etwa zu einer vielgepriesenen glänzenden “Kunst”-Musik, deren Kern ich nicht spüren konnte. Ob das tatsächlich so war oder ich es einfach so sehen wollte, kann ich heute schwer beurteilen. Vielleicht wäre aber woanders der Druck, sich damit auseinanderzusetzen, nicht so groß geworden. So gesehen bin ich der Hochschulzeit dankbar. Um auf die vorige Frage zurückzukommen. Ich habe dann beschlossen, das Studium abzubrechen und begonnen, österreichische Volksmusik kennen- und spielen zu lernen. Damals war gerade die erste Blüte der sogenannten Neuen Volksmusik, oder Volxmusik, in deren Zusammenhang die Drehleier vereinzelt auftauchte. Ich lernte sie durch Oliver Podesser, der damals bei der Gruppe Grey Malkin spielte, kennen.

Hast Du die Drehleier anfänglich als anachronistisches Instrument wahrgenommen?

Nein, eigentlich nie. Eher als ein in seinem Ansehen fehlplatziertes. Das ist mir als Thema treu geblieben, mich mit Dingen, wie auch der traditionellen Musik, zu beschäftigen, die für mich oder andere einen persönlich großen Wert haben, in der Allgemeinheit aber, oft durch Kommerzialisierung oder Missbrauch, eher schlecht angesehen werden. Ich habe bis heute noch keine mittelalterliche Musik auf der Drehleier öffentlich gespielt, und ich weiß auch wenig darüber. Auch die Barockmusik habe ich lange ignoriert, inzwischen aber Got sei Dank, zu schätzen gelernt. Meine ersten Stücke auf der Drehleier waren ungarische, bulgarische, österreichische Volksmusik, Bach und Jazzstandards.

Ab wann wusstest Du, die Drehleier, das ist mein Instrument, meine zweite Stimme?

Ich hab sie erst vor kurzem als solche akzeptiert.

Kannst du – mit einfachen Worten für Laien – beschreiben, wie eine Drehleier funktioniert?

Kurzgesagt ist es eine groß geratene mechanische Geige, die man meist im Sitzen auf dem Schoß hält. Die Kurbel rechts bewegt ein Rad, das wie ein Bogen Saiten streicht, die mit der anderen Hand nicht direkt berührt werden, sondern mithilfe einer Tastatur samt Mechanik verkürzt werden. Dazu gibt es ein paar weitere Saiten, die die Melodie in einen breiteren und rhythmischen Klang einbetten können. Drehleiern können sehr verschieden aussehen, unterschiedlich viele Saiten und auch einen verschiedenen Klang haben.

Zusammen mit Riccardo Delfino hast Du 1997 das Buch „Drehleier Spielen“ veröffentlicht. Kann man damit das Spiel auf der Drehleier erlernen, bzw. ist es schwierig zu erlernen, etwa im Vergleich zu Gitarre oder Klavier? Was sagst Du dazu, der Du ja auch das Spiel auf diesem Instrument unterrichtest?

Ich sage: Es ist, wie am Klavier, sehr bald möglich, auf der Drehleier einfache Melodien zu spielen. Zwischen diesem Erfolgserlebnis und der Verwendung des Instruments als ein reiches und expressives Mittel, feinste Seelenzustände mitzuteilen, liegen für gewöhnlich einige Jahre.

Vor einigen Jahren hast du erzählt, dass es eine Zeit gab, in der Du Deine Drehleier mit elektronischem Equipment ausgerüstet hattest. Heute könntest Du diese Effekte allein mit Deiner spielerischen Technik hervor rufen. Es ist aber nicht so, dass Du heute gänzlich ohne elektronische Effekte spielst. Bei Konzerten bist Du schon mit diversen elektronischen Effekten zu hören, einige gibst Du ja auch auf Deiner Website an. Hängt der Einsatz von Effektgeräten von der Musik ab, die Du spielst?

Natürlich hat Elektronik in einigen Programmen keinen Platz. (Ich stell’ mir gerade die Aufführung der Haydn-Stücke für organisierte Drehleier letzten Sommer im Esterhazysaal in Eisenstadt mit kräftiger Verzerrung über PA-Anlage vor!) In anderen Programmen passt es sehr wohl. Früher habe ich eher Geräte benutzt, die den Klang verändern. Heute versuche ich, mit der Qualität und Textur des akustischen Klanges zu arbeiten, verwende aber z.B. live-looping Equipment, um Sounds während dem Spielen aufzunehmen und dann wieder zuspielen zu können. Das halte ich für eine sehr logische Erweiterung der Drehleier, die sehr viele Sounds hat, die man mit zwei Händen nicht gleichzeitig spielen kann.

Zusatzfrage: Ist Barockmusik mit einer elektrifizierten Drehleier spielbar? Würde das Sinn machen oder bevorzugst Du die Treue zum Originalinstrumentarium?

Um Barockmusik zu spielen und aufzuführen, bevorzuge ich ein Instrument, das den Originalinstrumenten so ähnlich wie nur möglich ist. Durch den Klang und durch jede kleine Kante, die anders als bei modernen Instrumenten ist, kommt man auf andere Ideen, um die Musik zu interpretieren. Ich hab mir sogar schon Originalkostüme angezogen, um zu wissen, wie sich gewisse Bewegungen mit schwererem Stoff am Arm anfühlen. Das muss ich aber live nicht machen. Barockmusik auf einer modernen Leier ist für mich ganz klar moderne Musik, und muss sich dadurch hauptsächlich mit heutiger Ästhetik auseinandersetzen.

Die ersten hörbaren Zeugnisse Deines Spiels stammen noch aus den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mit der Gruppe Deishovida hast Du drei Alben eingespielt. Wie erinnerst Du Dich an diese Jahre?

Das war eine richtige Band, mit der man sich jeden Tag gesehen, beinahe zusammen gewohnt hat. Wir haben Musik und Tourbusreparaturen gemacht hat, als ob es dasselbe wäre.

Mit Deishovida spieltest Du eine Form der modernen Volksmusik. Spielte damals schon die Barockmusik irgendwo in Deinem Hinterkopf mit? Ist die Drehleier das verbindende Element zwischen Klassik, Volksmusik und Moderne?

Barockmusik, aber auch Renaissance-Polyphonie, hat mich damals und auch heute noch, sowohl beim Komponieren, Arrangieren als auch in improvisierter Musik begleitet. Ich glaube, dass jedes Instrument das verbindende Element zwischen verschiedenen Stilen ist, wenn man sich ausführlich genug mit der jeweiligen Spielweise beschäftigt. Es hängt also mehr vom Spieler ab.

Bei Deishovida war der Geiger Kurt Bauer mit dabei, mit dem  Du dann später beim Sandy Lopicic Orkestar zu hören warst. Die Band gilt ja heute noch als wichtiger Impulsgeber der Balkan-Welle gilt. Bauer als auch einige andere Mitglieder des Lopicic Orkestars spielen seit Jahren mit Shantels Bucovina Club. Das war offensichtlich nicht dein Weg. Warum nicht?

Ich habe manchmal auf Bühnen erlebt, wie leicht es ist, Menschen in Tanz- und gute Laune zu versetzen. Ich interessiere mich – vereinfacht gesagt – für menschliche Regungen, Emotionen, Stimmungen, und sehe mich als Erzähler dieser Wahrnehmungen. Ich versuche, mit dem Klang meiner Drehleier und allgemein mit meiner Musik der Seele des Zuhörers als Spiegel zu dienen. Dies sehe ich als eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, in der jede Schattierung mit Bedacht und viel Gefühl gesetzt werden muss. Das macht mich etwas inkompatibel mit Mainstream-Tanzprojekten, auch wenn ich die Motivation dazu nachvollziehen und auch schätzen kann.

Aber mit Sandy Lopicic hast Du noch einige Projekte in Graz verwirklicht?

Eigentlich nein, auch wenn ich natürlich nichts dagegen hätte. Wir haben nur ein Theaterprojekt, das wir zu Deishovidas Zeiten begonnen haben noch länger, teils auch in Berlin, weitergeführt.

Noch wichtiger aber war wohl die Begegnung mit Natascha Mirkovic- De Ro, die beim Sandy Lopicic Orkestra sang, mit der Du aber so bezaubernde Projekte wie „Ajvar & Sterz“ aufgenommen hast. (Für diese Veredelungen der volkstümlichen Musiken Mittel- und Südosteuropas  wurdet ihr ja 2005 mit dem österreichischen Weltmusik Förderpreis ausgezeichnet!) Was macht die Arbeit mit ihr so faszinierend?

In ihr finde ich eine Seelenverwandtschaft, was diese oben beschriebene Verantwortung betrifft. Die Umstände bei Aufnahmen oder Konzerten können noch so widrig sein – den Gehalt eines einzelnen Tones nicht dem Moment entsprechend getroffen zu haben, ist uns ungleich wichtiger als z.B. ein abgesagter Flug.

Mit ihr hast Du jetzt ein Projekt um Schuberts „Winterreise“ aufgenommen. Was genau habt ihr da gemacht?

Genau haben wir nicht “um”, sondern tatsächlich die gesamte „Winterreise“ aufgenommen. Ich habe die Klavierbegeleitung für die Drehleier adaptiert, oft reduziert. Dadurch bekam die Stimme und somit der Text mehr Raum als manchmal in der Originalbesetzung. Außerdem zieht sich die Entrücktheit und Erstarrung, die dem Leiermann im letzten Lied anhaftet, so von Anfang an durch den Zyklus und stellt so die Texte in das düstere Licht des Endes.

In der klassischen Musik arbeitest Du mit stark vorherbestimmten Formen und Regeln. Andererseits arbeitest Du zusammen mit dem Percussionisten Tunji Beier im Projekt Zykado, mit dem Trompeter Franz Hautzinger und dem Drummer Jörg Mikula im neuen Bandprojekt Fidibus. Beide Male sind der Freiheit des Spiels da keine Grenzen gesetzt, treffen sich improvisierende Avantgarde, Jazz, Electronics. Ist das eine Art „Ausgleichssport“ zur Musik in der strengen Kammer?

Eigentlich ist mir nur wichtig, Verschiedenes zu machen. Es ist sehr belustigend, wie in verschiedenen Szenen, Abmachungen und Stil von enormer Wichtigkeit oder absolut unbedeutend sind. Das betrifft nicht nur die Musik. Da ich mich schon für die Drehleier entschieden habe, sind für mich Stile eigentlich so etwas wie verschiedene Instrumente, die mit anderer Technik dasselbe vermitteln.

Die Musik, die Du machst, hat viel mit der grundsätzlichen Bereitschaft zu neuen Hörerlebnissen, mit Neugier und Offenheit zu tun. Du selbst bist in Afrika, Australien, Japan und Amerika gewesen, hast Musikern wie den legendären afrikanischen Kora-Spieler Toumani Diabaté und den amerikanischen Worldblues-Gitarristen Bob Brozman kennen gelernt. Diese Bereitschaft, sich den Klängen der Welt zu öffnen, das berührt ja schon grundsätzliche Fragen der Lebenskunst. Begreifst Du deshalb, wie Du auf Deiner Homepage schreibst, Dich weniger als Musiker und mehr als Beobachter menschlicher Stimmungen und Gefühle?

Die Spannung zwischen Alt und Neu, wie in Wiederholungen (auch einzelner musikalischer Parameter wie timing und sound) ist ja ein wesentliches Element in der Musik. Das Neue, finde ich, verdient schon deshalb Aufmerksamkeit, weil es noch nie gehört wurde.

Die Drehleier mag für Dich wortwörtlich das Instrument für die Erschließung neuer Klänge, aber eben auch der Lebenskunst sein. Seit Jahren arbeitest Du mit dem von Dir favorisierten Instrumentenbauer Wolfgang Weichselbaumer an der Weiterentwicklung der Alto-Drehleier. Ist da ein Mehr an Klängen zu erwarten, dass auch uns ZuhörerInnen oder potentiellen neuen DrehleierspielerInnen einen neuen Umgang mit Tönen, letztendlich auch mit dem Leben abfordern wird? Oder ist das einfach Instrumentenkunde und eine Frage der Technik, weniger eine der Menschenbeobachtung?

Alles fließt.

Eine bessere Lebensphilosophie und ein besseres Schlusswort gibt es nicht. Vielen Dank für das Gespräch.

Das mica-Interview führte Harald Justin.

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