mica-Interview mit Ulrich Drechsler

Mit „Cafe Drechsler“ hat er die Clubs verzückt, mit „Drechsler“ die erfolgreiche Nachfolge angetreten. Mit seinem neuen Projekt, dem ungewöhnlich mit zwei Cellisten besetzten Quartett hat der Bass-Klarinettist Ulrich Drechsler nun einen ganz neuen, unverwechselbaren Ton gefunden. Mit Markus Deisenberger sprach er über Tonqualität, aufmerksames Zuhören und den Monk in uns allen.

Die Bass-Klarinette ist mittlerweile zu Deinem Haupt-Instrument geworden. Wie kam es zum Wechsel von Saxophon auf Klarinette?
Ulrich Drechsler: Das einzige Projekt, bei dem ich noch aktiv Saxophon spiele ist Drechsler, das Nachfolgeprojekt vom Cafe Drechsler. Üben tu ich schon lange nicht mehr, weil ich irgendwann einfach festgestellt habe, dass ich Klarinettist bin und immer Klarinettist bleiben werde. Ich sehe mit diesem Instrument einfach mehr Möglichkeiten, mich zu entwickeln und authentisch zu sein als ich es am Saxophon je könnte. Sind wir doch ehrlich: Es gibt Legionen ausgezeichneter Saxophonisten. Alleine in dieser Stadt rennen wahrscheinlich fünfzig herum, die besser sind als ich. Warum soll ich da noch spielen?

Klingt nach starkem Understatement. Aber ist der klassische Saxophon-Sound nicht auch ein festgelegterer als jener der Bass-Klarinette?

Ulrich Drechsler: Für mich ist das Saxophon ein tolles Instrument, auf dem aber schon alles gespielt wurde, was zu spielen ist. Wenn ich eine alte Charlie Parker-Nummer nehme und sie auf der Bass-Klarinette spiele, dann klingt das für meine Ohren einfach viel frischer als auf Saxophon. Für viele Menschen ist der Klang einer Bassklarinette einfach unverbrauchter.

Bassklarinettisten gibt es auch deutlich weniger als Saxophonisten…

Ulrich Drechsler: Die, die das weltweit betreiben, kannst du an zwei Händen abzählen. Da gibt es die französische Schule und die Freak-Abteilung. Darüber hinaus aber gibt es nur wenig.

Courtney Pine fällt mir noch ein. Auch der ist irgendwann umgestiegen.
Ulrich Drechsler: Stimmt. Und dann gibt es noch Tim Garland, den ehemaligen Saxophonisten von Chick Corea. Aber wirkliche Spezialisten sind rar.

Schon im Februar 2007, wie in einem früheren Interview auf der mica-Website nachzulesen, hast Du gemeint, Du würdest gerade an einem Projekt mit Bassklarinette, Schlagzeug und zwei Celli basteln. Das ist mittlerweile doch dreieinhalb Jahre her. Wieso hat es so lange gedauert, das Projekt zu realisieren?
Ulrich Drechsler: Nun, zuerst habe ich eine Idee im Kopf, dann dauert es eine Weile, bis ich auch weiß, wie sie klingen muss. Zuerst muss ich also eine Zeit lang drüber nachdenken. Ausgangspunkt des Cello-Quartetts war meine Liebe zur Bassklarinette und der Wunsch, sie mit mindestens zwei Celli plus Rhythmusinstrument zusammen zu bringen. Daraufhin habe ich ein Jahr damit verbracht, Musik zu hören und zu überlegen, was überhaupt möglich ist. Ende 2007 hab ich dann angefangen die Musik dafür zu schreiben. Ein weiterer Punkt ist dann aber, dass du auch erst die Musiker finden musst, die das spielen können und wollen, was du dir da so ausgedacht hast. Cellisten, die sich mit improvisierter Musik befassen, sind dünn gesät. Da hatte ich das Glück, dass ich Rina, Ehefrau von Jörg Mikula, mit dem ich schon auf den letzten Platten zusammen gespielt habe, kennen lernte. Und der Christof wurde mir empfohlen. So ergab sich das. Ja, und dann haben wir über ein Jahr lang richtig intensiv geprobt, teilweise 2-3 Mal die Woche. Die beiden hatten sich zwar schon mit improvisierter Musik befasst, aber es war letztlich doch sehr neu für sie.

Klingt nach einem langen, intensiven Prozess…
Ulrich Drechsler: Bei allen meinen Projekten liegt der Fokus auf Tonqualität und Emotion. Technisches Können und Kabinettstückchen sind sekundär. Mir geht es darum, dass die Leute, ihre eigene Identität und Persönlichkeit entwickeln und in die Musik einbringen. Jeder Ton, und sei er auch noch so kurz, ist wichtig. Und das hat einfach gedauert. Auch während der Proben musste ich immer wieder an den Stücken herumfeilen, weil ich festgestellt habe, dass etwas geht und etwas anderes eben nicht geht. Was auf meinem Instrument funktioniert, muss deshalb noch lange nicht auf einem Cello funktionieren, auch wenn sie ein sehr ähnliches Klangbild und -spektrum haben.

Cello und Bassklarinette sind zwei Instrumente mit einem sehr charakteristischen Sound – wie schafft man es, diese beiden klanglichen Welten zusammenzuführen?
Ulrich Drechsler: Das mischt sich super. Da gab es überhaupt kein Problem. Es war eher die Herausforderung, aus den vier Einzelmusikern einen homogenen Band-Klang zu entwickeln. Mir war es wichtig, dass es nicht nach dem Schema Thema-Solo-Thema abläuft, sondern das Ganze wie ein kleines Orchester in sich funktioniert. Das Tolle an den Celli ist ja, dass sie zweistimmig spielen können. In vielen Passagen hatte ich bis zu fünf Stimmen zur Verfügung und da ging es dann darum, wirklich das Maximum herauszuholen, damit sie einen schönen runden Gesamtklang entwickeln.

Bei den Aufnahme-Sessions sind, habe ich gehört, weit mehr als die elf Nummern entstanden, die aufs Album fanden.
Ulrich Drechsler: Insgesamt siebzehn.

Die elf, die schließlich mit der Aufnahme auf das Album geadelt wurden, sind nicht die perfektesten Nummern, sondern die emotionalsten, hast Du in einer Presseaussendung gesagt. Wie beurteilt man das?
Ulrich Drechsler: Bei einigen Nummern war es sehr klar. Dann gab es welche, bei denen ich mir nicht so sicher war. Da hab ich meine Frau zu Rate gezogen, die eher aus dem Pop kommend da immer sehr bauchgesteuert rangeht und auch noch nie falsch gelegen hat. Und dann hat mich die Plattenfirma unterstützt, indem sie mir riet, das Album eher kürzer zu halten. Sie meinte, was ich in 50 Minuten nicht schaffen würde zu sagen, dass würde ich auch in 70 nicht schaffen. So sind noch einmal zwei Nummern weg gefallen, die ich eigentlich rauf tun wolle.
Grundsätzlich schreibe ich aber für jedes Projekt viel mehr Material als letzten Ende gebraucht wird, weil irgendwelche Nummern fallen im Studio immer weg. Je mehr Material man hat, desto leichter aber fällt es dann, sich von der einen oder anderen zu trennen. Man muss einfach weniger Kompromisse eingehen. Bei der ersten Drechsler- Platte etwa hatten wir dieses Problem. Da sind zwar siebzehn Nummern drauf, die sind aber allesamt sehr kurz. Da fiel es uns schwer, überhaupt 45 Minuten Musik zusammen zu bekommen.

Weil Du gerade „Fortune Cookie“ ansprichst: Ist die Musik auf „Concinnity“ im Vergleich zu „Fortune Cookie oder „The Big Easy“ insgesamt nicht doch sehr viel ernster und abgründiger geworden? Oder mit anderen Worten: Es geht auf „Concinnity“ weniger um Groove als um Ausdruck. Kann man das so sagen?
Ulrich Drechsler: Das Wichtigste für mich sind Ausdruck und Emotion. Aber dafür, dass es anders klingt, sind meines Erachtens mehrere Belange verantwortlich: Zum einen bin ich zehn Jahre älter als zu der Zeit, da wir mit Cafe Drechsler anfingen. Damals wollten wir die Welt einreißen, heute mache ich mir mehr Gedanken darüber, was ich mit meiner Musik überhaupt sagen will. Ist es Musik, mit der ich mir vorstellen kann älter zu werden? Mit der Musik etwa, die wir mit Cafe Drechlser machten, kann ich mir nicht vorstellen, mit sechzig oder siebzig auch noch auf der Bühne zu stehen. Da würde ich mir vorkommen wie ein Clown. Außerdem habe ich lange Zeit dafür gebraucht herauszufinden, was für ein Mensch ich überhaupt bin. Jahrelang wollte ich jemand sein, der ich in Wirklichkeit nicht bin.

Zum Beispiel?
Ulrich Drechsler: Als ich zu studieren begann, stand ich natürlich auf die ganzen Oberweltmeister wie Michael Brecker und Konsorten, jetzt ist es aber so, dass mir jeder zweite Ton, den ich auf CD höre, zu viel ist und ich ein unheimlicher Fan des ECM-Sounds geworden bin, bei dem zwischen den Noten mehr Platz ist als es Noten gibt. Ich selber bin ein introvertierterer und ruhigerer Mensch als ich es mir Jahre lang eingestehen wollte. Früher wollte ich Tonleitern können. Irgendwann habe ich mich gefragt, wen das außer ein paar Freaks überhaupt interessiert. Ein Ton, der wirklich berührt, ist doch tausend mal mehr wert. Dieser Prozess hat Jahre in Anspruch genommen. Dieses Mal, mit dem Cello-Projekt, ist es mir zum ersten mal gelungen, dass ich diese meine Philosophie logisch auf einem Album zusammen fasse konnte. Es sind viele rhythmusbetonte Stücke drauf, das hängt mit meinem Werdegang zusammen. Es sind kammermusikalische Einflüsse drauf, weil ich ursprünglich Klassik studieren wollte. Und ich habe ein großes Fevel für Ästhetik und Schönklang, war ich versucht habe einzubringen. Das alles hört man, denke ich. Und Emotion, wo es möglich war.

In der Musik gehe es vor allem darum, ein immer besserer Geschichtenerzähler zu werden, hast Du einmal gesagt. Welche Geschichte oder welche Geschichten erzählt uns Dein neues Album „Concinnity“?
Ulrich Drechsler: Es geht immer ums Geschichtenerzählen. Ein Stück zu schreiben, nur um ein Vehikel zu haben, um sich zu präsentieren und zu zeigen, was man alles auf seinem Instrument spielen kann, ist zwar ein weitverbreitetes Phänomen, kommt für mich aber nicht in Frage. Deshalb auch, weil ich vorher einfach das Gefühl hatte, nichts zu sagen zu haben, habe ich auch relativ spät zu schreiben begonnen. Ich wollte immer Musik schreiben, mit der man das Publikum erreicht. All das, was ich schreibe, basiert auf eigenen Erfahrungen oder Erlebnissen oder ist wichtigen Menschen in meinem Leben gewidmet.

Zwei Fragen interessieren mich in diesem Zusammenhang brennend:
Nimmt man Deine zahlreichen Projekte – Cafe Drechsler, Drechsler, Deine Kooperation mit Lorenz Raab, Tord Gustavsen etc. – was ist es, was einen als Musiker immer wieder fordert? Die Suche nach neuen Formen, Ausdrucksmöglichkeiten? Wie schafft man es, eben nicht in Beliebigkeit abzurutschen, sondern in jedem dieser Projekte seine Stimme zu finden?
Und zweitens: Ist das Cello Quartett nun das Projekt, von dem Du glaubst, es künftig hauptsächlich zu verfolgen?

Ulrich Drechsler: Ob ich mich jetzt in diesem Projekt gefunden habe, ist schwer zu sagen. Da bin ich vielleicht der falsche das zu beantworten. Das muss der Zuhörer entscheiden. Ich glaube aber, dass ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Das Cello Quartett ist jedenfalls eines der beiden Projekte, die ich in nächster Zeit verfolgen werde. Nach fünfzehn gespielten Konzerten klingt unsere Musik jetzt schon ganz anders als noch am Anfang. Wir entwickeln uns ständig weiter.

Das zweite Projekt ist jetzt gerade im entstehen: Ein Trio mit Lukas König und Benny Omerzell – das wird eher so in die Richtung, die ich mit Tord Gustavsen eingeschlagen habe, gehen. Das Cello Quartett hat ja auch ein enges, festgelegtes und auskomponiertes Korsett, da geht es um das Gesamte, während das Trio zum Experimentieren gedacht ist und viel interaktiver funktioniert.

Gehen wir noch einmal zum aktuellen Album. Weshalb hat du nicht wie die letzten Male auf Cracked an Anegg veröffentlicht, sondern auf dem deutschen Label enja? Passte das renommierte Jazz-Label besser zur aktuellen Musik?
Ulrich Drechsler: Nicht unbedingt, aber seit geraumer Zeit bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich überall dort, wo ich spielen kann, schon gespielt habe. Das heißt, es geht eigentlich nur noch raus aus Österreich. Also habe ich nach einem Label gesucht, das mir Freiheiten lässt und nicht in ein Marketingkonzept steckt, andererseits aber über Reichweite und Vertriebswege verfügt, mit denen man europaweit planen und arbeiten kann. Mit Cracked an Egg war das noch nicht möglich, weil deren Netzwerk noch zu klein ist. Gut möglich aber, dass ich schon bald wieder auf Cracked an Anegg veröffentlichen werde, da mir freigestellt wurde, auch woanders zu veröffentlichen. Um auf die Projekte zurückzukommen: Eine dritte Schiene gibt es noch. Letztes Jahr habe ich auch begonnen Filmmusik zu schreiben. Für den Film „Todespolka“ von Michael Pfeifenberger etwa. Und da sind für die nächsten Jahre mehrere Projekte angedacht. Das ist ein Betätigungsfeld, wo ich mich die nächsten Jahre richtig austoben kann.

Wirklich austoben? Normal unterliegt doch gerade diese Arbeit eher strengen dramaturgischen und kommerziellen Anforderungen.
Ulrich Drechsler: Michael Pfeifenberger ist nicht Mainstream und ich habe nicht unendlich viele Effekte und auch kein großes Studio zur Verfügung. Ich schaue mir den Film an, zerlege ihn in Sequenzen und dann gehe ich mit Live-Musikern ins Studio. Dort vertonen wir die Filme live. Todespolka etwa haben wir an zwei Tagen komplett vertont. Benutzt wurde letztlich nur ein Drittel, aber es hat sehr gut funktioniert. Und damit waren auch alle sehr glücklich. Durch das Live-Einspielen klang es sehr frisch und war nah an der Dramaturgie des Films dran. Und kostengünstiger war es obendrein, weil wir einfach wenig Zeit im Studio brauchten. Das ist meine Art, Filmmusik zu machen, und ich werde das auch nicht ändern, dh mir jetzt ein großes Studio einrichten und dergleichen. Das sollen andere tun.

Apropos Live-Umsetzung: Wie schwer ist es, die ungewöhnliche Instrumentierung des Cello-Quartetts live umzusetzen. Die meisten Jazz-Clubs dürften nicht gerade spezialisiert auf Cello-Sound sein…
Ulrich Drechsler: Für mich ist diese Umsetzung grundsätzlich mehr Aufgabe der Musiker als die der Techniker. Es ist doch so: Früher haben alle akustisch gespielt und es hat toll geklungen. Heute brauchen alle wahnsinnig viel Equipment und einen Monitor, auf dem sie sich viel zu laut hören. Letztendlich aber kommt es nur darauf an, dass man als Musiker seinen Sound tief in sich drinnen spürt. Jeder Raum klingt anders. Es gibt Räume, in denen man sich wohler und solche, in denen man sich unwohler fühlt. Aber allein wenn ich das spüre, spiele ich auch in einem Raum, wo es eigentlich schlecht klingt, gut, weil ich mich anpasse.

Cafe Drechsler zum Beispiel war eine Sportveranstaltung, weil wir mit Alex einen wahnsinnig lauten Schlagzeuger hatten, bei dem ich mir die Seele aus dem Leib spielen musste, um überhaupt gehört zu werden. Ich habe damals buchstäblich gespielt, bis mir das Blut aus dem Mond troff. Dh ich musste mich darum kümmern, einen präsenten Sound zu haben und mich nicht nach zehn Minuten so ausgepowert zu haben, dass nichts mehr geht. Mitunter war mir tatsächlich schon nach Minuten so schwindelig, dass ich dachte, nicht mehr weiter spielen zu können. Aber irgendwann hatte ich es heraußen, dass ich auch zwei Stunden durchgehend auf einem so lauten, energetisch hohen Level spielen konnte. Ich habe das auch jetzt mit dem Cello Quartett geprobt, indem wir ganz bewusst Testkonzerte in akustischem Rahmen gespielt haben, wo sich die Musiker anstrengen mussten, um ihre Persönlichkeit und ihre Energie auf die Bühne zu projizieren. Das ist ungemein wichtig. Als Klassiker spielst du ja nahezu immer in einem perfekten akustischen Rahmen, wodurch du wenig bis nichts dafür tun musst, um gut zu klingen. Dadurch kommt halt auch oft nicht so viel rüber.

Ich habe einmal einen Workshop bei Steve Lacy, dem Sopran-Saxophonisten, gemacht. Der war auch unvorstellbar laut auf seinem Instrument. Für ihn war es aber auch ganz wichtig, jeden Ton bewusst zu spielen und sich genau vorzustellen, wohin es geht. Der hat mich mal eine Stunde lang nur ein Intervall spielen lassen. Am Anfang habe ich nicht verstanden, worum es geht. Nach zehn Minuten war es mir dann langweilig. Nach 25 Minuten wollte ich mein Instrument an den Nagel hängen. Irgendwann aber hat sich dann der Kopf abgeschaltet und das Intervall, eine kleine Terz, wurde plötzlich riesengroß. Auf einmal konnte ich die Ober- und Untertöne hören. In dieser Stunde habe ich mehr über Musik gelernt als in sechs, sieben Jahren Studium und auch zum ersten Mal gemerkt, was es heißt Musik zu spielen und welche Macht sie hat, wenn man weiß, wie man sie einsetzen kann. Wenn man alles bewusst spielt, muss man sich gar nicht mehr so anstrengen.

Ein großer Meister darin war auch Dexter Gordon. Bei ihm hatte man immer das Gefühl, er hinke hinter dem Orchester her, was er in Wahrheit nie tat. Was er aber tat war, jede Note voll auszuspielen, wodurch die Musik eine wahnsinnige Stärke bezog. In einem Solo von ihm hört man jeden Ton ganz genau.

Du hast vorher von diesem Überraschungsmoment gesprochen. Man malt sich einen spezifischen Klang aus, sucht Musiker, schreibt Musik für diese Musiker und schließlich und endlich klingt doch alles anders, als man es sich ursprünglich vorgestellt hat. Der Album-Titel „Concinnity“ bedeutet so viel wie „glückliche Zusammenfügung“. Ist es das, was Musik ausmacht? Braucht Musik immer ein gewisses Überraschungsmoment, um wirklich gut zu sein?
Ulrich Drechsler: Ein Mittelding. Einerseits hat man eine genaue Vorstellung, der man auch treu bleiben muss, sonst kann man ganz leicht im musikalischen Nirwana enden. Auf der anderen Seite ist es auch ganz wichtig, auf die Stärken und Schwächen der jeweiligen Musiker einzugehen und sie auch dementsprechend einzusetzen. Nimm nur die beiden Cellisten: Christof ist ein Virtuose, spielt auf technisch sehr hohem Level, beschäftigt sich sehr viel mit Musik, würde aber über ein bestimmtes Level nie hinausgehen. Rina wiederum ist viel temperamentvoller, die hält drauf, auch wenn sie einmal daneben liegen sollte. Die beiden spielen zwar das gleiche Instrument, sind aber so unterschiedlich, dass man manchmal fast meinen würde, sie spielen unterschiedliche Instrumente. Je nachdem wer von beiden den besseren Tag hat, geht die Musik mal mehr in die eine oder in die andere Richtung. Das ist schon sehr spannend.

Das Album, die Besetzung und das Konzept scheinen auf reges Interesse zu stoßen. Es stehen eine Menge Konzerte an, habe ich gesehen. Warum glaubst Du? Ist es nur die einzigartige Besetzung oder gibt es noch andere Gründe?
Ulrich Drechsler: Irgendwo gibt es bestimmt eine gleiche Besetzung. So einzigartig ist sie also nicht, aber wohl ungewöhnlich. Aber darüber hinaus ist es eine Musik, die leicht verständlich ist. Ich liebe Musik, die mich weiter bringt, die aber den Zuhörer nicht überfordert. Und dann hilft mir seit einem Jahr meine Frau bei Management und Booking, und die gibt wirklich Vollgas.

In vielen Nummern, unter anderem in „Angel from the Past“, in dem sich Celli und Bassklarinette in eine Art Frage-und-Antwort-Spiel verstricken, gibt es ein stark dialogisches Element. War das von Anfang an Teil des Konzepts oder hat sich das so ergeben?
Ulrich Drechsler: „Angel from the Past“ ist Rinas Solostück. Für mich als Impro-Musiker ist es leichter, auf andere zuzugehen. Nachdem ich in diesem Stück nur Begleitung spiele, konnte ich mich daher sehr gut nach ihr richten. Prinzipiell aber sollte jede Art von Musik wie ein gutes Gespräch auf Augenhöhe ablaufen. Wie im richtigen Leben auch. Ich habe schon Konzerte von unglaublichen Musikern gesehen, die alle gegeneinander spielten, sodass nichts rüber kam. Und dann wieder gibt es Musiker, die spielen zwei Töne und man ist hin und weg. So ging es mir bei Tord Gustavsen. Sich nicht unbedingt unterzuordnen, aber ganz aufmerksam zuzuhören, das hab ich zu einem großen Teil von ihm gelernt.

Wie kam es eigentlich zu dieser vielbeachteten Zusammenarbeit?
Ulrich Drechsler: Ich hab´ ihm ein E-Mail geschrieben.

S einfach geht’s´manchmal.
Ulrich Drechsler: So einfach geht’s.

Diese Aufmerksamkeit, die man einander entgegen bringt, die merkt auch das Publikum, denke ich.

Ulrich Drechsler: Glaube ich auch. Dazu muss man kein großer Musikliebhaber sein. Ehrlichkeit und Achtung spürt jeder. Das ist auch ein Grund, weshalb jemand wiederkommt. Ich bin zwar verwöhnt, was meine Besucherzahlen anbelangt, deshalb sehe ich es aber noch lange nicht als selbstverständlich an, dass sich Leute nach einem langen, harten Arbeitstag aufraffen, um ins Konzert zu gehen. Wer trotzdem kommt, will gefordert, aber nicht überfordert werden.
Das ist auch ein bisschen die Krankheit des Jazz, dass wir mitunter gerne einmal vergessen, dass wir Entertainer sind und für ein Publikum spielen.

Und wenn wir das mal kapiert haben, dann funktioniert es auch. Wenn die Verbindung einmal hergestellt ist, dann kann man auch Sachen spielen, die alles andere as leicht zu verstehen sind. Viele Musiker verstecken sich auch hinter dem, was sie alles gelernt haben. Charles Lloyd etwa macht im klassischen Sinne keine schöne Musik, aber der steht mit seinen 72 Jahren auf der Bühne und predigt. Seine Musik geht einem direkt in den Bauch und direkt ins Herz. Das ist ergreifend.

Eine letzte Frage: Woher kommt Deine Liebe zu Monk? Bei einem studierten Klarinettisten und Saxophonisten würde man da eher Coltrane oder Parker vermuten…
Ulrich Drechsler: Auch seine Musik ist im klassischen Sinne nicht schön, sondern ein wenig sperrig. Was Monk aber ausmacht, ist seine Einzigartigkeit. Das fasziniert mich.

Und „The Monk in all of Us“ – der Titel des 2005 entstandenen Albums, wenn ich den jetzt einmal wörtlich nehme, was genau ist der Monk in uns allen?
Ulrich Drechsler: Du kannst diese Stücke, wie du willst, egal wie schnell und in welcher Tonart, in welchem Rhythmus und Stil spielen, es wird immer Monk bleiben. Die Musik ist so authentisch, die kannst du nicht verdrehen. Der Titel bezieht sich darauf, dass wir alle diese Einzigartigkeit in uns tragen, viele sie aber einfach noch nicht entdeckt haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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