“Ich versuche immer eine Geschichte zu erzählen“ – EDITH LETTNER im mica-Porträt

„In der Musik, in der Malerei und im Leben sind mir Improvisation und Spontaneität sehr wichtig. Ich muss ständig in Bewegung sein. In den letzten Jahren habe ich meinen Idealzustand erreicht: Ich wohne nicht mehr; ich pendle mit meiner Reisetasche und meinen Instrumenten […] zwischen Atelier am Land, Wien, New York, Senegal […] Bewegung, Tanz, Dynamik bilden die Brücke von meinem musikalischen zu meinem bildnerischen Schaffen. Als Klangmalerin lebe ich meine Emotionen in der Musik; mit Farbe bringe ich sie in meinen Bildern zum Erklingen.”

Von ländlicher Hausmusik bis zum Jazzgiganten Leo Wright

Edith Lettner wurde 1965 in Linz geboren. Musik war schon von klein auf ein  fixer Bestandteil in ihrem Leben, im Vordergrund stand jedoch fast ausschließlich klassische Musik. Am Wochenende und in den Ferien fuhr Edith Lettner mit ihrer Familie häufig aufs Land, wo sie sozusagen als Ausgleich mit ländlicher Hausmusik konfrontiert war. Am Abend wurde nämlich mit der benachbarten Bauernfamilie nach Lust und Laune gesungen, „ob schön oder nicht, richtig oder falsch, das spielte keine Rolle“. Mit sechs Jahren bekam Edith Lettner Klavierunterricht, dem sie jedoch nicht viel Positives abringen konnte. Die 8-jährige Musikschulzeit war eher von Angst vor ihrer Lehrerin und den obligatorischen Schulkonzerten geprägt. Rückblickend betrachtet, ist sie aber sehr froh, die Grundzüge des Klavierspielens vermittelt bekommen zu haben, da sie heute ihre Musik vornehmlich am Klavier komponiert.

Nach der Matura 1983 verlagerte Edith Lettner ihren Lebensmittelpunkt nach Wien. Bekannt aus Walter Richard Langers berühmten Jazzradiosendungen, ging Edith Lettner in allen Jazzlokalen Wiens ein und aus und beschäftige sich intensiv mit Jazzmusik. Sie selbst spielte zu dieser Zeit jedoch kein Instrument, bannte ihre musikalischen Eindrücke aber in nächtelangen Mal-Sessions auf Papier. Mit 23 Jahren kam es schließlich zu einem Wendepunkt in ihrem Leben. Ohne Vorwarnung entschließt sich Edith Lettner, ein Altsaxophon zu kaufen. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie sich aber noch gar nicht vorstellen, dass sie einmal Berufsmusikerin werden würde. „Ich hab mir gar nicht vorstellen können, dass ich jemals so weit kommen würde, dass jemand mit mir spielen wollte.“ Immer noch war die Malerei ihr zentrales künstlerisches Ausdrucksmittel, dem sie sich sehr intensiv widmete. Sie organisierte zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland und leitete als Malerin das Performanceprojekt Klangbilder gemeinsam mit unterschiedlichen JazzmusikerInnen, eine Collage aus frei improvisierter Musik und Livemalerei.

In den nächsten Jahren ging Edith Lettner bei unterschiedlichen namhaften Lehrern in die Schule, allen voran bei Leo Wright, der seine letzten Lebensjahre in Wien verbrachte, später dann bei Manfred Balasch, Herwig Gradischnig und dem New Yorker Jazz-Saxophonisten Oscar Noriega. Besonders prägend im Zuge ihrer musikalischen Ausbildung war die Teilnahme an der Summer Academy for Jazz and Improvised Music Salzburg (JIMS) 2007, die sie nachhaltig auf ihrem Weg bestärkte. 2006 nahm Edith Lettner außerdem Jazztheorieunterricht beim Komponisten und Pianisten Uli Scherer.

Der Weg zur Brückenbauerin zwischen unterschiedlichen Stilen und Kulturen

Eines ihrer ersten Projekte war das 1993 gegründete und bis heute bestehende phone 2 phone gemeinsam mit dem Marimbaphonisten Stephan Brodsky. Später kamen noch Ferdinand Frischling bzw. Gerhard Graml am Bass und Levent Tarhan an den Percussions hinzu. Mit Beginn der 1990er- Jahre kam Edith Lettner das erste Mal mit afrikanischer Musik in Kontakt, wobei auch sehr rasch Kollaborationen mit türkischen, kurdischen und persischen MusikerInnen hinzukamen. Fernab von gängigen Jazzschulen entwickelte Edith Lettner aus der Melange der unterschiedlichen musikalischen Traditionen, mit denen sie konfrontiert war, gepaart mit ihrem Jazzvokabular, nach und nach ihren unverkennbaren persönlichen Stil, der zu ihrem Markenzeichen wurde. „Ich versuche, immer eine Geschichte zu erzählen und Emotionen anzusprechen, egal ob ich improvisiere, komponiere oder eine vorgegebene Melodie spiele.“

Um all ihre Erfahrungen bündeln zu können, gründete Edith Lettner 2005 die Band freemotion gemeinsam mit Julia Siedl am Klavier, Gerhard Graml am Bass und Stephan Brodsky am Schlagzeug und den Percussions. Im Vordergrund stehen Eigenkompositionen aus dem Jazz- und Weltmusikbereich mit viel Platz für „Jazzimprovisation, groovige Rhythmen, lyrische Themen und abwechslungsreiche Arrangements“, einfach ein „Spielfeld für kreative Ideen ohne Einschränkungen durch stilistische Abgrenzungen“. 2007 folgte dann auch die Debüt-CD „moving offroad“.

Neben dem Saxophon begann sich Edith Lettner – angeregt durch einen Freund – ab 2004 dem Duduk, einem armenischen Blasinstrument, zu widmen und unternahm auch zwei Studienreisen nach Armenien, wo sie beim bekannten Dudukspieler Gevorg Dabaghian Unterricht nahm.

Die Liebe zur afrikanischen Musik

Einen bedeutenden Stellenwert in Edith Lettners Schaffenskosmos nimmt aber zweifellos die afrikanische Musik ein. Zwischen 2001 und 2013 verbrachte sie praktisch jedes Jahr einen längeren Zeitraum in Senegal, um in Dakar mit lokalen MusikerInnen zusammenzuarbeiten, Ausstellungen zu veranstalten und in einem Dorf im Norden Senegals bei einen Projekt mit Schulkindern zu arbeiten. Daraus entstand schließlich 2010 die Band African Jazz Spirit, die sie mit dem Bassisten Chekh Ndao gründete. „Sehr wichtig war für uns von Anfang an – darin waren wir uns sofort einig –, unseren eigenen Stil zu finden und unsere eigene Musik zu schaffen.“ Im Mittelpunkt dieses grenzüberschreitenden Musikprojekts steht die Bereicherung des Jazz durch Elemente der traditionellen und modernen afrikanischen Musik. Die Band besteht des Weiteren aus den beiden Perkussionisten Karim Thiam und Mame Birane Mboup, dem New Yorker Schlagzeuger Robert Castelli und der Pianistin Julia Siedl. 2012 wurde die Debüt-CD „Trust Your Way“ im Wiener Porgy & Bess aufgenommen. Daneben spielt bzw. spielte Edith Lettner in einer Reihe weiterer nationaler und internationaler Projekte wie etwa Aanderud/Hecht/Lettner, der Stefan Wagner Group, Connected, Jenny Bell & Earth Band, Maghreb Vibration, Weltenmusik, Afro Mandenk und Bendula, nur um ein paar wenige zu nennen.

Abseits ihrer Bandprojekte komponiert Edith Lettner Theater- und Filmmusik, malt und fungiert als Brückenbauerin zwischen unterschiedlichen Genres, Musikstilen und Kulturen. Sie arbeitet leidenschaftlich mit MusikerInnen aus anderen Kulturen und KünstlerInnen aus anderen Kunstsparten und liebt freie Improvisation, sei es in der Musik, im Tanz, in der Literatur, Malerei oder Bildhauerei. Wie bereits eingangs erwähnt, sind für Edith Lettner Auslandsaufenthalte essenziell. So verbrachte sie die letzten drei Winter in New York City, um mit dem legendären Perkussionisten Warren Smith an ihrem aktuellsten Projekt Dialogues – Improvised Music zu arbeiten. Ein Livemitschnitt erscheint demnächst auf CD.

Lassen Sie sich eines der nächsten Konzerte auf keinen Fall entgehen. Eine spannende musikalische Reise zwischen Jazz und Weltmusik, die Sie so schnell nicht vergessen werden, ist garantiert.

Georg Demcisin

Fotos Edith Lettner Foto © osaka.at

http://edith-lettner.net/